‚Test and Treat‘ – Gefahr für ganzheitliche HIV-Prävention ?

Insbesondere in den USA wird in einigen Regionen massiv eine ‚test and treat‘ – Strategie zur Bekämpfung der HIV-Epidemie gefördert. Doch dies könnte nicht ausreichen für eine erfolgreiche HIV-Prävention, zeigt eine neuere Studie – und könnte zudem sowohl ganzheitliche HIV-Prävention als auch die Arbeit von Aids-Organisationen gefährden, befürchten andere.

Insbesondere in den USA wird breit über die Möglichkeiten der Strategie ‚test and treat‘ diskutiert. Eine jetzt publizierte Studie hat untersucht, ob mit dieser Strategie die HIV-Epidemie in den USA kontrolliert werden könnte – und kommt zu dem Ergebnis, ‚test and treat‘ allein sei nicht ausreichend.

“test and treat”, dieses Konzept meint ‘umfassende Testung auf HIV und sofortige antiretrovirale Behandlung aller Personen, die als HIV-positiv diagnostiziert werden‘, unabhängig davon ob eine antiretrovirale Behandlung im individuellen Fall tatsächlich auch medizinisch erforderlich ist:

„a strategy of universal voluntary HIV testing for persons aged ≥15 years and immediate administration of antiretroviral therapy for those found to be positive“ (Joep Lange; s.u.)

Doch ‚test and treat‘ könnte in der Praxis auf Probleme stoßen – und sich allein als nicht ausreichend erweisen, die HIV-Übertragung weitestgehend zu unterbinden. Zu diesem Schluss kommen Forscher in einer Mitte März veröffentlichten Untersuchung.

„Aids“ – russische 90 Rubel Briefmarke 1993 (wikimedia commons / Vizu)

Verspätete HIV-Diagnose, ein niedriges Maß an (dauerhafter) Überweisung an HIV-Spezialisten sowie suboptimale Therapietreue könnten die Möglichkeiten von ‚test and treat‘ unterminieren, die Übertragung von HIV massiv zu reduzieren.

Die Autoren äußern die Befürchtung, diese Problem könnten die Wirksamkeit von ‚test and treat‘ insgesamt gefährden:

„poor engagement in care for HIV-infected individuals will substantially limit the effectiveness of test-and-treat strategies“ (Gardner et al.; abstract; s.u.)

Selbst im besten Szenario, so die Autoren, habe ein Drittel aller HIV-Positiven in den USA [einschließlich derjenigen, die nicht von ihrem positiven HIV-Status wissen, d.Verf.] eine nachweisbare Viruslast und könne somit potentiell HIV auf andere Personen übertragen.

Besser als ‚test and treat‘ allein, so der Amsterdamer Aids-Experte Joep Lange in einem den Artikel begleitenden Kommentar, könne vor diesem Hintergrund eine ‚kombinierte Prävention‘ sein.

In den USA wird derzeit von manchen Experten massiv der Ansatz ‚test and treat‘ gefördert. Soweit, dass bereits Befürchtungen geäußert werden, hierbei könnten ganzheitliche Präventions-Ansätze gefährdet werden. So könne ‚test and treat‘ auch dazu führen, dass Aids-Organisationen zunehmend weniger Mittel zur Verfügung gestellt werden, befürchten zum Beispiel Organisationen in Kalifornien.

Bereits 2010 hatte eine Studie aus China Hinweise darauf geliefert, dass das Konzept ‚test and treat‘ im realen Leben komplexer und problematischer sei als in der Theorie erwartet.  Auch in Deutschland sind zudem Warnungen vor einer zunehmenden Medikalisierung der HIV-Prävention und deren Folgen zu hören.

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Eine bemerkenswerte Situation, eine Debatte die staunen lässt.

Bemerkenswert ist zum einen, mit welcher Intensität manche Experten die baldmögliche Einführung der Strategie ‚test and treat‘ befürworten und herbeizureden versuchen. Und angesichts neuer Daten und Erfahrungen fragen, ob denn ‚test and treat‘ genug ist – oder was ansonsten noch zu unternehmen sei.

Bemerkenswert ist vor allem aber, dass derzeit nur wenige Experten noch generell hinterfragen, wie verantwortbar das Konzept ‚test and treat‘ ist.

De facto bedeutet ‚test and treat‘, dass nicht nur breit auf HIV getestet wird, sondern auch, dass möglichst jede erkannte HIV-Infektion sofort und dauerhaft antiretroviral behandelt wird. Sofort – dies bedeutet auch: als HIV-positiv getestete Menschen werden antiretroviral behandelt, unabhängig davon, ob es für ihre individuelle (persönliche, medizinische, Lebens-) Situation überhaupt erforderlich, passend und sinnvoll ist.

Hier drohen nicht nur individuelle Gesundheit und individuelle Freiheitsrechte (z.B. das Recht, selbst über einen etwaigen Therapiebeginn zu entscheiden) unter die Räder zu geraten – was schlimm genug ist.

Sondern hier werden auch gesellschaftspolitische Akzente verschoben – mit weitreichenden Folgen. Test and treat, diese Strategie stellt den (vermeintlichen) gesamtgesellschaftlichen Nutzen (der erhofften Senkung der Anzahl der HIV-Neuinfektionen) über die individuelle Freiheit.

Die Freiheit des Einzelnen wird dabei potentiell dem höheren Wohl der ‚Volksgesundheit‘ untergeordnet. Eine Politik, die nach den Debatten um die Grundausrichtung der Aids-Politik längst überwunden schien. Eine Politik, die letztlich bitter an den Bayrischen Massnahmen-Katalog und seine freiheitsfeindlichen Tendenzen erinnert.

Diese Debatte jedoch wird kaum geführt – statt dessen werden Optimierungs-Möglichkeiten von ‚test and treat‘ vorgeschlagen.

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weitere Informationen:
Gardner EM et al. The spectrum of engagement in HIV care and its relevance to test-and-treat strategies for prevention of HIV infection. Clin Infect Dis 52: 793-800, 2011 (abstract)
Lange JMA. “Test and Treat”: is it enough? Clin Infect Dis, 52: 801-02, 2011 (Intro)
aidsmap 25.03.2011: Test-and-treat not enough to control HIV epidemic in the US
Bay Area Reporter 24.03.2011: New prevention plan likely to shuffle money for AIDS orgs
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10 Gedanken zu „‚Test and Treat‘ – Gefahr für ganzheitliche HIV-Prävention ?“

  1. Hi Michele,
    ich sitze hier mit zwei ganz großen wunderschönen weißen Flügeln, die mir gerade am Rücken herausgewachsen sind, und einen herrlichen roten Kreuz auf der Brust, werde nun bald losfliegen und ich sage dir….. Spass beiseite – einerseits will ich mal anerkennen, daß es auch um verantwortliches Handeln geht, wenn man sich testen läßt – eigentlich kann man, z.B. mit einem positiven Test tatsächlich ein Engel sein – in mancherlei Hinsicht – dies scheint diese Kampagne sagen zu wollen. Die Tatsache, daß ich die Ergebnisse habe, wo dann steht „Viruslast unter Nachweisgrenze“ – ist ja so >20 N – ja da freuen wir uns und haben letztlich guten Sex, eine normale Zeit.
    Udo hat letzlich ebenfalls geschrieben, dass die Schwelle nen HIV-Test zu machen, niedriger werden sollte – das birgt aber Gefahren, denn wer mal positiv getestet ist, der hat einerseits ne Gewissheit, die er erst mal verarbeiten muß, andererseits gibt es jede Menge Diskriminierung obendrauf.
    Die Problematik der Medikamente, die sich allzubald aufdrängen – klar „Virus unter Nachweisgrenze“ klingt prima, aber sind die Medikamente wirklich auch so gut, daß man tatsächlich „normale Lebenserwartung“ hat? Die Medikalisierung ist jedoch bei vielen schlicht Fakt.
    Ich bin zur Zeit eher unschlüssig, denn eine virale Erkrankung mit wirksaner Medikation – hier ist meine primäre Forderung, diese Medikation so zu verbessern, daß eine zeitlich begrenzte Therapie ausreichend werden sollte – mein Idealziel ist – offen gesagt – ups, HIV-positiv – ja da müssen wir mal 3 Wochen therapieren, dann ist es wieder weg, das nächste mal aber aufpassen, besser ein Kondom nehmen……
    Wir leben nun mal inmitten von Viren und Bakterien – ich mußte auch erkennen, dass die Lebensstilfrage hier in einem Zusammenhang steht – sehr problematisch das Thema, denn es berührt unsere Ethik und Moral. Hier führte HIV/AIDS zur Sozialisierung des Homosexuellen in Richtung monogame Zweierbeziehung – die gelegentlichen Parties, manche Freiräume ändern hier nichts an den Tatsachen, denen die Rechtsordnung hinterherhinkt. Ich denk manchmal darüber nach, daß die alttestamentarische Monogamie, diese Abwehr gegen Homosexualität und Promiskuität, vielleicht schon damals eher Ausdruck einer Seuchenangst, denn eines religiösen Wahns war – und damals konnte man zahlreichen Krankheitsgefahren wenig anderes entgegensetzten als Abgrenzung, strenge Sittlichkeit, Monogamie und religiöse Vorschriften.
    Ich komme aus einem Zauberreich großer sexueller Freiheit – das ich mir als freiheitliches Recht als junger Mensch eroberte – und wurde ausgebremst von einen blöden Virus.
    Ich sehe jetzt, daß mich dieses Virus nicht umbringen konnte. Es hat es versucht. Dann kam ihm unsere Wissenschaft in die Quere und die Ärzte haben die Viren mit den Medikamenten fertiggemacht – und zwar so effektiv, daß ich jedenfalls geradezu wieder von den Toten auferstanden bin.
    Ich könnte mich tatsächlich mit einer gewissen Naivität hinstellen und sagen: „Lasst Euch testen und dann machen wir bei ner Positivität die HI-Viren fertig“ Ich sehe das schon auch als Sieg und tu mir schwer jetzt in das Diskriminierungs-Horn zu blasen – ich würde lieber in die Siegesfanfare tröten – auf die Gefahr hin, daß es eine Vuvuzela ist

  2. Hier führte HIV/AIDS zur Sozialisierung des Homosexuellen in Richtung monogame Zweierbeziehung – die gelegentlichen Parties, manche Freiräume ändern hier nichts an den Tatsachen, denen die Rechtsordnung hinterherhinkt.

    Das ist nichts weiter als Augenwischerei, ein Scheingefecht. Es geht weder um HIV noch um Homosexualität. Es geht um Verhalten – um Ficken, um eine PseudoMoral. Die Gesellschaft und besonders die Kirche ist genauso Amok gelaufen als die Plle auf den Markt kam, genauso Amok gelaufen als das was in den 60ger Jahren die Sexuelle Revolution zur Sprache brachte, das was Oswald Kolle mit seinen Filmen zum Ausdruck brachte. Sex macht Spaß, erforsche das Neue, erfahre die Vielfalt – es lebe die Promiskuität . . .

    Man darf nicht vergessen das die „Intelligentia“ in der Vergangenheit, diejenigen die des Lesen und Schreiben mächtig waren idr die kirchlichen Würdenträger waren. Schon früh haben sie die Macht erkannt die in der Intertpretation lag. Und der eine oder andere bewußte Übersetzungsfehler trug sein übriges dazu bei.

    DAS sollten wir doch nun wirklich begriffen haben. So funktioniert die heutige Mediale Berichterstattung. so werden Meinungen – Fakten geschaffen. Eine Unterlassung hier, ein aus dem Zusammenhang gerissener Satz und schon kommuniziert man, entstehen völlig neue Inhalte . . . .

  3. @alivenkickn
    Ich weiß jetzt nicht so genau, was Du damit sagen willst?
    Mit dem Satz habe ich nur mal schildern wollen, was ich als Fakt sehe – schließlich hat sich letztlich die „schwule Ehe“ durchgesetzt – und ohne die HIV/AIDS Problematik gäbe es eine andere , durchaus freiere Gesellschaft – wobei die Heten diese Ängste immer noch mehrheitlich ausblenden und lieber die „andersartigen“ Betroffenen stigmatisieren – und dann nach nem positiven Test aus allen Wolken fallen.
    Hier ist im Zuge der weiteren Seuchenausbreitung noch jede Menge Chaos zu erwarten – juristische Prozesse, Kurzschlussreaktionen usw. – je selbstverständlicher der HIV-Test wird, je alltäglicher der Umgang mit HIV/AIDS als normale behandelbare und demnächst heilbare Erkrankung, desto eher kommen wir zu einer Gesellschaft, die wieder offener, experimenieller und auch promisker ist, klar.
    Einen gewissen Hang zur Zweierbeziehung kann man den Leuten ja nicht absprechen. Ich habe eigentlich versucht, die strafende alttestamentarische Religion ansatzweise zu erklären – da war auch Seuchenfurcht und Erkrankungsangst, die hier falsch interpretiert worden sind, das wollte ich sagen. Ist das so abwegig? Schreibe ich hier Aufklärung nicht auch fort? Wenn wir aufzeigen, daß HIV alles andere als eine tödliche Erkrankung ist, dann tragen wir zu Aufklärung im Kern bei. Religiösen Fundamentalisten profitieren letztlich davon, dass AIDS in dramatischen Farben geschildert und Heilung in Abrede gestellt wird. Der Kontex „Strafe“ kann m. E. nur dadurch aufgelöst werden, indem deutlich gemacht wird, daß die medizinischen Therapieerfolge riesen Schritte auf dem Weg zu Heilung sind – icl. HIV-Test – hier sollte unsere Diskussion beginnen, dann wird es spannend…..

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  5. Interessant finde ich die Bemerkung, es habe sich schliesslich die Zweierbeziehung unter den Schwulen durchgesetzt. Interessant auch, dass Paaren mittels Test und Therapien der Kondomfreie Sex in Aussicht gestellt, ja versprochen wird.
    Ich kann das nicht mit der Realität und den Infektionszahlen in Übereinstimmung bringen. Punkt.

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