„Möge das Goldene Zeitalter wiederkehren!“

„Muss HIV eigentlich immer noch für Horror-Gemälde herhalten? Die doch nur der Unterdrückung von schwulem Sex, schwuler Lust dienen?“ Ich spreche mit einer Kneipen-Bekanntschaft, nach kurzer Zeit landen wir bei Aids und schwulem Sex-Leben, welche Einschränkungen HIV schwulem Sex heute auferlegt. Er findet ‚eigentlich keine mehr‘. So schlimm sei das mit HIV ja nicht mehr. Immer wieder höre ich diese Äußerungen – und habe sie im folgenden in einer fiktiven Meinungs-Äußerung verdichtet, um sie zur Diskussion zu stellen:

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Möge das Goldene Zeitalter zurückkehren !

Ich höre von Schwulen, die noch vor Aids ihr Coming-Out hatten. Die von ihrem damaligen Sex-Leben berichten. Vom großer Freiheit, von Experimentieren und sich Ausprobieren, von Lust, von ‚alles geht‘. Denn – das höre ich dann oft als ‚Hintergrund-Musik‘ – das Schlimmste was passieren konnte waren ja Tripper und Syphilis. Und dagegen gab es ja Penicillin.

Dann kam Aids.
Und der Horror.

Euer Horror.
Aber auch unserer?

Der Schrecken hieß HIV, hieß Aids, hieß gnadenloses Krepieren.

Hieß.

Heißt so heute nicht mehr.

Heute gibt es gut wirksame Pillen.

Haben dann wir jungen Schwulen von heute nicht jedes erdenkliche Recht, auch wieder zu sagen „Ich will Spaß!“ ? Recht, unser Sex-Leben zu genießen, unbefangen, lustvoll, – hemmungslos? Und frei von Angst?

Das schlimmste, was uns heute passieren knn, ist HIV. Und dagegen gibt es Pillen.

Also: lasst uns in Ruhe mit der Lust-killenden Aids-Kacke von gestern.
Euer Penicillin von gestern sind uns die wirksamen HIV-Pillen von heute.

Wir wollen Lust, wollen Spaß.
Nicht mehr – und nicht weniger.

6 Gedanken zu „„Möge das Goldene Zeitalter wiederkehren!““

  1. Mit dem klitzekleinen Unterschied, dass nach 10 Tagen Penicillin das Problem beseitigt war. Nicht so HIV. Und ich bin mir nicht sicher, ob „hemmungslos“ im Zusammenhang mit Sex wirklich erstrebenswert ist. „Unbefangen“ und „lustvoll“ kann ich unterschreiben. Aber bei „hemmungslos“ zucke ich zusammen. Je älter ich werde, desto mehr erlebe ich, dass das eigentliche Zauberwort im Leben „maßvoll“ heißt… Sei es beim Essen, beim Trinken, Drogenkonsum, Sex, Arbeiten, Geld verdienen, Geld ausgeben,…
    Lust und Spaß – gerne, ja. Aber bitte nicht um jeden Preis.

  2. Auch nach 70 Jahren wirkt Penicillin bei jeder Syphilisinfektion, beim Tripper gibt es mittlerweile gegen einige Antibiotika resistente Stämme. Die HIV-Medikamente wirken gut, aber sie wirkten noch nie bei allen Infizierten. Und hier gibt es bereits seit mehreren Jahren resistente Viren. Soviel zu „frei von Angst“…..
    Und „Lust-killende Aids-Kacke“ impliziert doch das Sex mit Kondom nicht lustvoll sein kann; das ist Kacke.
    Ansonsten kann ich mich nur den Ausführungen von Siegi anschließen.

  3. möge das goldene Zeitalter wiederkehren, klingt sehr schön und drückt sehr genau aus was sich wohl sehr viele wünschen. Leider ist HIV – egal wie man dessen Behandlungsfähigkeit nun gerade einschätzt – nicht die einzige schlimme Sache die dabei droht. Der Kreis meiner Bekannten, die sich durch eine Hepatitis C Behandlung hindurch kämpfen wird Monat für Monat größer. Und die HepC Behandlung funktioniert leider nicht bei allen und die Nebenwirkungen sind oft schlimmer als die einer HIV Therapie. Doch auch hier gibt es Hoffnung auf neue uns bessere Behandlungsoptionen. Und darüber hinaus gibt es sicher noch unbekannte oder noch nicht verbreitete Viren die uns ein goldenes Zeitalter vermiesen würden. Die Welle der Prüderie im 19.Jahrhundert wurde wohl vor allem von der damals nicht behandelbaren Syphilis ausgelöst.
    Der Wunsch nach freier Sexualität hängt immer auch vom Stand der Medizin und vom Vorsprung im Kampf gegen die Evolution der Viren und ihrer Verbreitung ab. Im besten Falle werden das ein paar Jahre oder auch Jahrzehnte in relativer Sicherheit sein. Und die wünsche ich mir sehr.

  4. …auch eine Sichtweise. Ja, auch wenn die HIV-Behandlung doch deutlich aufwendiger ist, als ein bischen Penizillin zu nehmen, das „alte“ AIDS ist mit der aktuellen Situation ebenso unvergleichbar. Wieso dann noch die „Lust-killende Aids-Kacke“? Wenn alle so eine Sichtweise hätten, dann gäbe es wohl nicht so eine immenoch vorhandenen Sigmatisierung von HIV+. Wenn man aber wie wild unsafe (wieder) weitervögelt, wird schon irgendeinein Erreger auftauchen und diesen Weg zur Verbreitung nutzen. Der erste, welche diese Chance nutzt, ist wohl Hep C.

  5. Alleine der Blick zurück als Maßstab für eine Orientierung in der heutigen Zeit reicht nicht. So wie wir uns damals mit der Situation arrangieren mussten, so bleibt es auch der jüngeren Generation nicht erspart, nach einem realitätsorientierten Umgang mit HIV zu suchen und einen eigenen Weg zu finden. Und das sollen und müssen sie selber tun. Da halte ich mich raus, es sei denn ich werde gefragt.

    Die alten Zeiten sind noch zu keiner Zeit wiedergekommen. Jede Zeit ist neu. Immer.

  6. das goldene zeitalter . . ein anachronismus

    da stellt sich mir die frage was betrauern wir – was vermissen wir – was wollen wir zurückhaben?
    ich gehöre zu denen die des öfteren gesagt haben das „die unbeschwertheit der zeit vor HIV – the innocence of our youth is gone . . . . das wir diese unbedarftheit, unschuld, naivität gerne wieder zurück haben möchten.

    schaut man genauer hin dann war die jugendzeit vor hiv nicht selten eine aneinanderreihung von verantwortungslosen „scheixx drauf“ handlungen. was? wir ham n tripper? scheixx drauf . .ab zum doc 3 mio einheiten in n arsch und weiter geht die fickerei . .

    älter werden heißt auch seine handlungen hinterfragen, heißt erwachsen zu werden – heißt verantwortung für sich – ggf auch für andere zu übernehmen. hiv hat uns vielleicht genau dazu gezwungen: verantwortung zu übernehmen . . . sorgsamer – achtsamer mit uns wie auch mit dem anderen umzugehen . .

    dies gilt im grunde genommen für alle bereiche unseres lebens – des alltages. nur da herrscht genau dieses goldenen zeitalter. in der wirtschaft, im beruf gehts rücksichtslos zu. rücksichtnahme ist ein wert dem man selten begegnet . . .

    ehrlich gesagt ziehe ich verantwortung und rücksichtnahme vor . . . da dies der weg zum ehrlichen miteinander und füreinander ist . . .

    wenn man – alle beherzigen würden, dann wäre auch hiv kein thema mehr, dann wären viele nicht in einem solchen maß hiv fixiert wie sie es heute sind. dann hätten viele den kopf frei – z.b. zum übern tellerrand schauen . . diese fixierung auf hiv wie sie zur zeit stattfindet ist nichts weiter als eine weitere form der manifestation von ausgrenzung von menschen mit hiv von der teilnahme – teilhabe an der gesellschaft . . .

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