Zumm Fall des wegen HIV gekündigten Chemie-Laboranten, dessen Klage abgewiesen wurde, als Dokumentation eine Pressemitteuilung des Arbeitsgerichts Berlin:
Arbeitsgericht Berlin weist Klage gegen Kündigung wegen HIV-Infektion ab
Der Arbeitnehmer ist HIV-infiziert und wurde von dem Arbeitgeber, einem Pharmaunternehmen, als Chemisch-Technischer Assistent beschäftigt. Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis in der Probezeit wegen der HIV-Infektion.
Der Arbeitnehmer hat die Kündigung für unwirksam gehalten. Die bloße Infektion mit dem HI-Virus könne nicht zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses berechtigen. Zudem habe der Arbeitgeber ihn durch die Kündigung wegen einer Behinderung diskriminiert und sei daher nach dem allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz zur Zahlung einer Entschädigung verpflichtet. Der Arbeitgeber hat demgegenüber geltend gemacht, dass die Kündigung noch in der Probezeit erfolgt sei; sie sei zudem aus Gründen der Arbeitssicherheit unumgänglich gewesen. Eine Diskriminierung des Arbeitnehmers sei nicht erfolgt.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Kündigung könne nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung hin überprüft werden, weil der Arbeitnehmer noch keine sechs Monate beschäftigt gewesen sei und das Kündigungsschutzgesetz daher keine Anwendung finde. Die Kündigung sei auch nicht willkürlich ausgesprochen worden, weil die vom Arbeitgeber für sie angeführten Gründe nachvollziehbar seien. Der Arbeitgeber habe den Kläger zudem nicht wegen einer Behinderung diskriminiert und müsse daher auch eine Entschädigung nicht zahlen. Die bloße HIV-Infektion führe nicht zu einer Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit und stelle daher keine Behinderung im Rechtssinne dar.
Gegen das Urteil kann Berufung bei dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg eingelegt werden.
Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 21. Juli 2011 – 17 Ca 1102/11
(Pressemitteilung Arbeitsgericht Berlin)
ääääh, müsste man da nicht gegen vorgehen? also dem chemielaboranten bei den prozesskosten unterstützen oder so?
Natürlich wäre es schön, ein Urteil mit einer eindeutigen Botschaft derart zu haben, dass HIV kein Kündigungsgrund ist. Das steht zwar im Urteil, aber weit hinten und infolgesessen von der breiten Masse nicht wahrnehmbar. Fatal wäre, wenn aus diesem erstinstanzlichen Urteil nur ein „HIV berechtigt den Arbeitgeber zur Kündigung“ hängenbleibt, was unzutreffend ist.
Der Satz: “ Die bloße HIV-Infektion führe nicht zu einer Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit und stelle daher keine Behinderung im Rechtssinne dar“ ist gut und schlecht zugleich. Noch darf man Fragen nach evtl. Schwangerschaft, infektiösen Krankheiten oder gar direkt nach HIV im Bewerbungsgespräch verneinen. Wenn HIV analog zur Praxis der Versorgungsämter als eine Behinderung nach dem AGG anerkannt wird, muss man dann gleich zur Begrüßung die Katze aus dem Sack lassen? Eingedenk der Ängste und Vorurteile, die in der Allgemeinbevölkerung weiterhin bestehen, könnte der Schuss nach hinten losgehen.
Der Fall wird zwischenzeitlich in der arbeitsrechtlichen Fachöffentlichkeit diskutiert. Überwiegend einig ist man sich, dass dann, wenn der Arbeitgeber die Kündigung erst nach Ablauf der Probezeit von sechs Monaten und damit nach Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes ausgesprochen hätte, das Arbeitsgericht Berlin hinsichtlich der Wirksamkeit der Kündigung vermutlich zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre, da im Arbeitsalltag in der Regel keine objektive Gefahr einer Ansteckung mit dem HI-Virus bestehe. Eine HIV-Infektion stelle nämlich regelmäßig keinen tauglichen Kündigungsgrund dar.
Die Frage, ob eine HIV-Infektion als chronische Krankheit unter den Begriff der Behinderung im Sinne des AGG fällt, sei von hoher politischer Brisanz und in der arbeitsrechtlichen Literatur umstritten. Der EuGH hatte aber bereits in seiner Entscheidung aus dem Jahr 2006 (Az.: C-13/05) entschieden, dass der Begriff „Behinderung“ im Sinne der EU-Richtlinie 2000/78/EG, auf der das AGG beruht, so zu verstehen ist, dass er eine Einschränkung erfasst, die insbesondere auf physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen zurückzuführen ist und die ein Hindernis für die Teilhabe des Betreffenden am Berufsleben bildet. Zudem könne eine Krankheit als solche nicht als ein weiterer Grund neben denen angesehen werden, derentwegen Personen zu diskriminieren nach der Richtlinie 2000/78/EG verboten ist.
Die Entscheidung des Arbeitsgerichts Berlin stehe damit grundsätzlich im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH. Ob das Berufungsgericht den Anwendungsbereich des AGG gleichwohl auf chronische Erkrankungen, wie eben HIV-Infektionen, erstreckt und damit den Schutzbereich des AGG vergrößert, bleibe abzuwarten.
Verklausuliert finden sich für die Arbeitgebersicht Hinweise, insofern bei entsprechenden chronischen, theoretisch auch infektiösen Krankheiten möglichst noch rasch in der Probezeit zu kündigen, wenn die Krankheit bekannt wird.
Es bleibt zu hoffen, dass das Landesarbeitsgericht an die Nachvollziehbarkeit insofern wenigstens höhere Anforderungen als das Arbeitsgeericht stellt.
Ich selbst bin skeptisch, ob das AGG ohne Eingreifen des Gesetzgebers zulässt, auch chronische Krankheiten mit geringer Funktionseinschränkung ohne Berufstendenz in den Schutzbereich einzubeziehen.
Es wäre schön, wenn hier ein entsprechender politischer Druck durch alle Betroffenverbände aufgebaut werden könnte. Das würde aber voraussetzen, dass es zu krankheitsartenübergreifenden Bündnissen kommt, was HIV-Betroffene bisher leider nicht gerade gesucht haben (nämlich mit den Interessenverbänden anderer chronischer Krankheiten, die in bestimmten Stadien noch zu keinen behinderungsrelevanten Funktionseinschränkungen führen).
Sind von HIV-Betroffene eigentlich überhaupt bündnisfähig, oder nicht doch eher isolationistisch-selbstbezogen?
@ Meinulf Kroen:
danke für die fachkundigen ergänzungen und erläuterungen!
krankheitsübergreifende zusammenarbeit: hierzu hat es ja immer wieder ansätze und bemühungen gegeben, leider fastv immer mit wenig nachhaltigkeit … dennoch glaube ichn nicht, dass positive per se isolationistsich sind. es ist immer wieder neu versuche wert …
Sind von HIV-Betroffene eigentlich überhaupt bündnisfähig, oder nicht doch eher isolationistisch-selbstbezogen?
gute frage . . .eie handvoll vielleicht aber das sie für die menge sprechen? ich wage mal die prognose ja weil die menge wie jede menge aus nickenden besteht. spricht man hiv betroffene an sich als bündnisfähig zu präsentieren, dann kommt da nicht viel rüber. es sei denn man feiert und beklatscht sich als teilnehmer einer positiven begegung . . aber gut daydreaming ist nicht schmerzhaft . . .