Was hat Priorität in der globalen Aids-Bekämpfung? Oder: warum geht Michel Kazatchkine ?

Der Chef des Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria (GFATM)  Michel Kazatchkine, geht. Und ein neuer, Gabriel Jaramillo, kommt. Ein Wechsel an der Spitze. Nichts weiter – kurze Notiz, kaum weitere Fragen, übergehen zum Tagesbetrieb. Oder?

Man könnte auch Fragen stellen.
Denn – viele Fragen sind derzeit offen.
Wir sollten Fragen stellen – schließlich: beim Globalen Fonds handelt es sich um die international bedeutendste und finanzstärkste Organisation auf dem Gebiet der Aids-Bekämpfung. Dass Bundesentwicklungsminister Niebel keine Fragen stellt, sich (im Gegensatz zur französischen Regierung) eher erfreut über die Demission Kazatchkines zu zeigen scheint, überrascht nicht. Aber: die Beantwortung der Frage, warum ein Chef geht, und welche Hintergründe dazu führten, sollte also auch Aids-Organisationen und Menschen mit HIV / Aids interessieren – gerade beim Globalen Fonds.

Michel Kazatchkine selbst verhält sich diplomatisch, sagt nicht viel zu den Beweggründen seines Rücktritts (nachdem sein Vertrag erst vor einem Jahr um weitere drei Jahre verlängert worden war). Er respektiere die Entscheidung des Fonds, einen Direktor für die Transformation einzusetzen. Er habe lange über die Konsequenzen für sich und für die Organisation nachgedacht und sei zu dem Schluss gekommen, dass es für ihn angesichts dieser Situation unmöglich sei, auf seinem Posten zu bleiben.

„En novembre, le Conseil d’administration a décidé de nommer, sous son autorité directe, un Directeur général chargé de superviser la mise en œuvre du Plan de transformation. Je respecte cette décision et je ne doute pas qu’elle ait été prise dans l’intérêt du Fonds mondial. J’ai longuement réfléchi à ses conséquences pour moi et pour l’organisation. Je  suis venu à la conclusion qu’il m’était impossible, dans ces circonstances, de rester à mon poste.“

Einzig ein Rücktritt weil er sich übergangen fühlt, brüskiert gar davon, einen Supervisions-Manager der ‚Transformation‘ zur Seite gestellt zu bekommen?

Geht er – oder wurde er gegangen?
Letzteres wurde von der französischen Zeitschrift ‚Marianne‘ angedeutet, im Kontext der ‚Carlagate‘-Vorwürfe um die zweifelhafte Verwendung von Aids-Geldern. Hillary Clinton selbst solle seinen Rücktritt gefordert haben. Der Fonds dementiert einen Zusammenhang.

Geht er – weil der Globale Fonds mehrfach ins Gerede gekommen ist wegen unklarer Mittelverwendung? Weil Deutschland und Schweden Zahlungen stoppten? Weil eine Fonds-interne Arbeitsgruppe eine Verschärfung interner Kontrollen forderte?

Oder liegt ein Hintergrund in dem, was sowohl Kazatchkine als auch der Fonds selbst (in seiner Pressemeldung zur Benennung Jaramillos) als „Transformation“ bezeichnen? Der Fonds spricht von einem „Consolidated Transformation Plan“ und

„changes to risk-management, governance and oversight to ensure the institution manages donor resources as efficiently and safely as possible“.

Und der neue Direktor Jaramillo beschreibt seine Aufgaben bei dieser ‚Transformation‘ selbst mit den Worten

„My priorities at the Global Fund are to achieve maximum efficiency, accountability and concrete results that save lives. … In essence, we will start with a reorganization that emphasizes simplicity, discipline and rigor, with grant-management as the core activity of the institution.“

Effizienz, Zurechenbarkeit, Haftungsfragen, Zuwendungs-Management – Begriffe, die Minister Niebel sicher gerne hört.

Begriffe die auf eine weitere Frage weisen:
Steht im Hintergrund ein beabsichtigter Wechsel der Strategie des Fonds? Kazatchkine selbst soll derlei angedeutet haben, Anfang diesen Jahres auf einer Veranstaltung des französischen außenpolitischen Monats-Magazins ‚Le Monde diplomatique‘. Er warnte einem Pressebericht zufolge  vor einer „zu amerikanischen Strategie des Fonds, ausgerichtet auf die Wünsche und Bedürfnisse der Geberländer“. Wohlgemerkt, Interessen der Geberländer – nicht der Empfängerländer, der Staaten, in denen Aids bekämpft, Menschen mit HIV unterstützt werden sollen.

Könnte dieser Wechsel seinen Ausdruck auch darin finden, dass statt des klinischen Immunologen Kazatchkine nun – ausgerechnet ein Mann der Finanzwelt, ein jahrzehntelanger Banker benannt wurde?

Ist ein Mann der Finanzwelt – wie ACT UP Paris fragt – gerade jetzt der richtige an der Spitze der mittelstärksten Aids-Hilfsorganisation weltweit? Sind Management-Praktiken wie verbessertes Risikomanagement oder Zuwendungsmanagement tatsächlich die Kern-Aufgaben und zentralen Kompetenzen, die derzeit benötigt werden, und die an der Spitze des Globalen Fonds benötigt werden, um den internationalen Kampf gegen Aids (der beginnt erste deutlich sichtbare Früchte zu tragen) erfolgreich fortzusetzen?

Oder bräuchte der Kampf gegen Aids, bräuchten die Millionen Menschen mit HIV weltweit nicht gerade jetzt einen Fonds, der – auch und gerade in der Position seines Direktors – ihre Interessen und Lebensbedingungen in den Vordergrund stellt?
Bräuchten die Millionen HIV-Infizierten, Malaria-Kranken, Tuberkulose-Kranken nicht einen Direktor des ‚Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Malaria und Tuberkulose‘, der bereit ist, statt Rentabilität, Patenten, Pharmaindustrie und Geberländer-Interessen die Priorität auf der Verbesserung der Qualität der Maßnahmen des Fonds zu setzen, auf den Nutzen für die Menschen – die Millionen Menschen, die mit HIV leben oder davon bedroht sind, mit/von Malaria oder Tuberkulose?

Der Rücktritt Kazatchkines wirft Fragen auf, weit mehr als eine.
Wir täten gut daran, nachzuforschen, nachzufragen.
Nach dem Warum, nach den Hintergründen des Rücktritts.

Fragen danach, was hat zukünftig Priorität im weltweiten Kampf gegen Aids?
Interessen der Geberländer oder der Empfängerländer?
Rentabilität der Mittel oder Nutzen für möglichst viele Infizierte und Erkrankte?
Wir sollten nachfragen.
Im Interesse der Menschen mit HIV, Malaria und Tuberkulose – hier und weltweit.

 

3 Gedanken zu „Was hat Priorität in der globalen Aids-Bekämpfung? Oder: warum geht Michel Kazatchkine ?“

  1. was hat zukünftig Priorität im weltweiten Kampf gegen Aids?
    Interessen der Geberländer oder der Empfängerländer?

    gute fragen

    wenn man sich die teilnahme – erööfnungsrede von gudrun kopp, der Parla­men­tari­sche Staats­se­kre­tä­rin im BMZ anläßlich des 3. BoP-Bran­chen­dia­log zum Thema „Breiten­wirk­same Ge­schäfts­modelle in der Phar­ma­branche“, durchließt, dann liegt der schluß nahe das – wieder im zusammenhang mit den verhandlungen der usa (pharmahersteller), eu mit den div freihandelszonen (u.a. keine generikaherstellung von hiv medikamenten) die weltweit stattfinden es um die interessen der „geberländer – pharmahersteller geht.

    http://www.bmz.de/de/presse/aktuelleMeldungen/2012/januar/20120123_bop/index.html

    so wurde u.a. die GTZ unter Niebel zur GIZ umstrukturiert. http://www.giz.de/de/html/1581.html
    eine interessenvelageung hin zu unternehmen und deren „vorstellungen — vorteilen“ ist da ganz offensichtlich. natürlich werden z.b. hiv medikamente „billiger“ dennoch werden sie um ein vielfaches teurer sein als zur zeit die generika wie sie in indien hergestellt werden sodaß in den empfängerländern wie afrika, indien, kambodscha, vietnam, karibikraum, menschen die ihre medikamente die über den global fond finanziert und erhalten haben unbezahlbar sein werden.

    in den nächsten jahren laufen einige patente von hiv medikamenten aus. die bestrebungen gehen dahin das die hersteller diese medikamente in eigenregie als „generika“ herstellen und vertreiben wollen.

    die ernennung von Jaramillo stärkt die position (die interessen der pharmahersteller). http://alivenkickn.wordpress.com/2012/01/25/85-prozent-der-aids-patienten-in-der-dr-kongo-erhalten-keine-behandlung/

    sieht man die „verflechtungen – verbindungen“ von jamarillo, dann wird einem klar das die menschen die auf hiv und andere medikamente in den „empfängerländer“ angeweisen sind, schwere zeiten anbrechen werden.

  2. damit man eine ahnung hat um welche beträge es sich bei der generika produktion handelt, warum die hersteller ihre eigenen produkte – medikamente selbst als generika herstellen und vermarkten wollen . .

    Until recently, many brand-name drug makers invested the bulk of their research and marketing dollars in the development of blockbuster drugs, only to cede their intellectual property and market share to lower-priced generic competitors once patents expired. But now, with an estimated $89 billion in brand-name drug sales in the United States at risk to generic competition over the next five years, according to IMS Health, some drug makers are selling generics to offset revenue declines — as well as wring some post-patent profits from the innovative drugs they developed.

    new york times http://www.nytimes.com/2010/02/16/business/16generic.html

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