„Gauweiler“ bringt’s nicht. Ob in der light-Version oder Hardcore. oder: Kriminalisierung der HIV-Übertragung stoppt die Verbreitung des Virus nicht, sondern befördert sie.

Ein 17-jähriger Österreicher ist Anfang März am Landesgericht Feldkirch zu drei Monaten bedingter Haft verurteilt worden. „Auch wenn ein Kondom verwendet worden wäre, würde dies nichts an der Strafbarkeit ändern“, erklärte der Richter.
Dazu ein Gast-Kommentar von Carsten Schatz:

„Gauweiler“ bringt’s nicht. Ob in der light-Version oder Hardcore.

oder

Kriminalisierung der HIV-Übertragung stoppt die Verbreitung des Virus nicht, sondern befördert sie.

Vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass wieder einmal ein Richter einen HIV-Positiven verurteilt hat, weil der, nach den Maßstäben des Richters, nicht ausreichend dafür gesorgt hat, seine Infektion nicht weiter zu verbreiten.

Da sind sie wieder: die unverantwortlichen Viren-Schleudern.

Genau von diesem Bild ging seinerzeit der Herr Gauweiler aus, als er den berüchtigten Bayerischen Maßnahmenkatalog vorschlug, um die HIV-Epidemie in Deutschland zu bekämpfen. Massentestungen und Absonderungen waren sein Vorschlag. Ein massiver Eingriff in die freiheitliche Verfasstheit dieser Gesellschaft, der von vielen zurückgewiesen wurde und letztlich auch besiegt werden konnte. Durchgesetzt hat sich eine Präventionspolitik, die von der Entscheidungsfähigkeit und Verantwortung von Menschen ausgeht.

Außer im Bereich der Justiz. Zeitgleich zur damals tobenden Debatte wurde auch in Deutschland ein Prozess bis zum Bundesgerichtshof durchgereicht, der schließlich höchstrichterlich eine Konstruktion auf den Weg brachte, nach der auch heute immer noch Menschen mit HIV verurteilt werden.

Der Fall um den es hier geht, ereignete sich nicht in Deutschland, sondern in unserem Nachbarland Österreich. Doch es geht uns was an.

Weil mit jeder Verurteilung ein Bild von Menschen mit HIV reproduziert wird, das uns nicht weiterhilft, im Gegenteil eher dazu führt, dass die Zahl der HIV-Infektionen nicht zurück geht, sondern zunimmt.

Warum?

Wir wissen heute, dass der Großteil neuer Infektionen in Situationen entsteht, in denen eine oder einer der Beteiligten nicht wissen, dass sie HV-positiv sind. Das schützt sie in der deutschen, aber auch in vielen Rechtsordnungen vor der Strafverfolgung. Verfolgt werden kann nur eine oder einer, der von seinem Sero-Status weiß. Nun frage ich: Wie groß ist die Motivation, sich ein Testergebnis abzuholen, das ich vermutlich schon erahnen kann, das mir jedoch eher Nachteile und im schlimmsten Fall ins Gefängnis bringt? Meine These: Nicht so groß.

Wenn wir aber andererseits heute wissen, dass es unter medizinischen Aspekten von Vorteil ist, eine frühe Diagnose zu stellen, um früh behandeln zu können und so auch die Viruslast in den Körperflüssigkeiten zu senken, um damit auch die Übertragbarkeit von HIV deutlich zu erschweren oder gar zu verhindern, dann schließt das eine das andere aus. Denn die Botschaft jeder Verurteilung ist klar: Wissen macht strafbar. Egal, was Du tust.

Nach allem, was ich über die Strafverfolgung von HIV-Übertragungen gelesen und mitbekommen habe, geht es um nichts anderes, als um den staatliche Eingriff in die Privatsphäre von Menschen, ein merkwürdig voyeuristisches Verlangen der Normierung und letztlich auch öffentlichen Anklage von sexuellen Verhaltensweisen, die nach wie vor als nicht der Norm entsprechend beurteilt werden.

Und da habe ich insgesamt noch nicht über gemeinsame Verantwortung und den berühmten Satz: „HIV bekommt man nicht, das holt man sich!“ gesprochen.

Mein Plädoyer bleibt klar: Solange die gesellschaftlichen Tabus hinter einer HIV-Infektion, Sexualität und Rausch nicht ohne Drama und Hysterie debattiert werden können, bleibt die Gefahr einer HIV-Infektion bestehen. Sie gehört auf individueller Ebene zum allgemeinen Lebensrisiko. Wir können dieses Risiko minimieren, aber nicht gänzlich ausschließen – solange HIV nicht heilbar ist, also aus dem Körper entfernt werden kann.

Was Gesellschaft – also wir alle – kann, ist Bedingungen zu schaffen unter denen Menschen verantwortlich Entscheidungen für sich treffen können, mit anderen und auch für andere. Dafür brauchen sie Wissen, Fakten und eine Umgebung, die dies befördert und ihnen nicht vorgaukelt: Mach mal, Vater Staat schützt Dich schon.

Das ist eine trügerische Sicherheit, die zu ihrer Aufrechterhaltung immer neue Exempel braucht.

Aus diesem Teufelskreis müssen wir ausbrechen und die Kriminalisierung der HIV-Transmission endlich beenden.

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Carsten Schatz ist Vorstandsmitglied der Deutschen Aids-Hilfe e.V.

5 Gedanken zu „„Gauweiler“ bringt’s nicht. Ob in der light-Version oder Hardcore. oder: Kriminalisierung der HIV-Übertragung stoppt die Verbreitung des Virus nicht, sondern befördert sie.“

  1. gibt es da nicht auch einen zusatz,der in etwa lautet:
    „auch wenn der betroffenen nichts von seiner hiv-infektion weiss,aber auf frund seines sexualverhaktens,z.b.öfter oder immer sex ohne kondom betreibt,ist er strafbar“ ?
    ich glaube mich erinnern zu können,das einmal gelesen zu haben.
    ansonsten gebe ich dir recht.
    dieses urteil wird wieder einige vom testen abhalten.
    daher muss endlich schluss sein mit der kriminalisierung der hiv-transmission.
    lg orlando

  2. Hallo Carsten,
    Deinem Kommentar ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen … ich finde ihn »auf den Punkt gebracht«. Auch wenn das österreichische Rechtssystem mit dem deutschen nicht vergleichbar ist, muss es gestattet sein, den Umgang mit einem Thema wie der HIV-Transmission und ihrer Kriminalisierung zu vergleichen.

    Das von Dir erwähnte BGH-Urteil ist ja wohl nach wie vor das von November 1988 (oder liege ich da falsch?). Und das ist der eigentliche Skandal. Alle möglichen Gesetze und Gerichtsentscheidungen zu allen möglichen Themen werden jeweils mit der Aktualität abgeglichen … nur hier sind die Grundlagen, auf deren Basis entschieden wird, mittlerweile nicht nur überholt, sondern sogar als objektiv falsch anzusehen.

  3. guter artikel carsten.

    @matthias zu deinem zweiten teil deiner antwort . . so langsam habe ich den verdacht das in den köpfen der entscheidungsträger in der politk ein bild über uns vorherrscht das von schuld, sühne, vorurteilen und uneinsichtigkeit als auf neuesten erkenntnissen basiert und geprägt ist. sie wollen nicht. die öffetnlichen auftritte sind ein reine alibifunktion auf der basis das man dem publich health gedanken rechnung trägt. es ist also eine zwingende notwendigkeit – prävention so wie sie bei uns finaziert und somit unterstützt wird . . zähneknirschend.

    im innersten der meisten politiker sind wir für sie das letzte vom letzten – personae non gratae . . . also weg mit uns. wäre es anders dann hätten wir in unseren politiker reihen eine hillary clinton – siehe ihre rede in genf – ban ki moon – siehe seine eröffnungsrede anläßlich des Human Rights Council in Geneva am 7. märz – UN debate on violence and discrimination against lesbian, gay, bisexual and transgender.

  4. @matthias

    ja, esgeht um den fall von 1988. BGH Entscheidung vom 04.11.1988 (1 StR 262/88) wer es raussuchen möchte. ein skandal ersten ranges.

  5. hallo Carsten,

    letztlich ist der „Bayerische Maßnahmenkatalog“ keine Erfindung des Herrn Gauweiler,
    sondern er wollte schlicht die Regelungen der deutschen Seuchengesetzgebung zur
    Anwendung bringen.

    Und diese sehen in der Tat (wie in allen anderen Staaten der westlichen Welt auch)
    Zwangstests und namentliche Meldepflicht der Träger von „gefährlichen Krankheiten“ vor.
    Sie greifen damit in das Vertrauensverhältnis von Arzt und Patient ein und in Extremfällen
    ermöglichen die Seuchengesetze aller Länder für Infizierte die Verhängung der Quarantäne.

    Rita Süßmuth hat damals als kluge Politikerin erkannt, dass die Antwort auf die Bedrohung
    durch AIDS keine medizinische, sondern eine gesellschaftliche sein muss:

    „wenn sich ALLE schützen, hat AIDS keine Chance“.

    Wie hätte man im Sinne einer unmittelbaren Gefahrenabwehr möglichst viele potentielle
    Gefahrenquellen ermitteln und stilllegen können ohne Ausgrenzung und Diskriminierung
    zumindest in Kauf nehmen und die Krankheit damit in den Untergrund zu drängen ?

    Und dies ist der Punkt, der in den Gerichtsentscheidungen der letzten Jahre leider nicht
    gesehen wird. Fatalerweise wird hier einzig auf die Gefährdung des anderen abgestellt,
    ohne in Rechnung zu ziehen, dass eine HIV Infektion trotz unserer heutigen Therapie-
    möglichkeiten eine Krankheit ist, die höchst stigmatisert und angststifftend ist.

    Die Metapher von AIDS besitzt in den Diskursen über diese Krankheit eine massive Wirksamkeit:
    AIDS ist die Strafe für abweichendes Verhalten von den Regeln der AIDS-Prävention, aber AIDS
    bedroht eben auch die „unschuldigen“. Dieser eigentliche Widerspruch ist damit die „Stärke“ von
    AIDS.

    Er erlaubt es die Krankheit als etwas zu betrachten, was sich „anfällige Andere“ mit ihren
    unnatürlichen Leidenschaften wie Homosexualität oder Drogenkonsum zuziehen. Aber
    gleichzeitig ist es natürlich auch die „potentielle“ Krankheit eines jeden.

    Und da ist es natürlich mehr als nur einleuchtend, dass sich professionelle Scharfmacher
    die Gelegenheit nicht entgehen lassen können, die eine sexuell übertragbare Krankheit
    mit tödlichem Ausgang rhetorisch bietet.

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