Truvada ® – Chemotherapie für Gesunde? Wirklich?

Am 16. Juli 2012 hat die US-Arzneimittelbehörde FDA der Kombination der beiden Wirkstoffe Tenofovir und Emtricitabine (Truvada ®) die Zulassung für die Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP) in den USA erteilt.

Hierzu ein Gast-Kommentar von Udo Schüklenk. Udo ist Professor of Philosophy an der Queen’s University in Kingston, Ontario und Ontario Research Chair in Bioethics sowie Joint Editor-in-Chief BIOETHICS & DEVELOPING WORLD BIOETHICS.

Prof. Udo Schuklenk (Foto: privat)
Prof. Udo Schuklenk (Foto: privat)

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Truvada ® – Chemotherapie für Gesunde? Wirklich?

Die US-amerikanische ‚Food and Drug Administration‘ hat also Truvada® als HIV Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP) für den Markt zugelassen (http://www.fda.gov/NewsEvents/Newsroom/PressAnnouncements/ucm312210.htm). UNAIDS hat die Zulassung begrüßt, einige einflussreiche AIDS Hilfe Organisationen in den USA haben sich kritisch zu Wort gemeldet. Ich bin mir nicht sicher was ich von der FDA Entscheidung halten soll. Die Handlungsoption hier ist schließlich, völlig gesunden Menschen dauerhaft Chemotherapie zu verschreiben, damit sie sich gegen HIV besser schützen können. Kostenpunkt: bis zu 13.000 US-$ pro Jahr. Welche anderen Handlungsmöglichkeiten stünden Leuten zur Verfügung, die skeptisch sind, sowohl, was das Preisschild betrifft, als auch gegenüber der Idee, dass lebenslange Chemotherapie für Gesunde eine kluge Handlungsoption darstellt? Nun ja, da bleiben die altbewährten – aber eben nicht bei allen schrecklich beliebten – Kondome. Oder, wenn Du Sex mit jemandem hast, von dem Du weißt, dass er oder sie HIV-positiv ist, mach Dich schlau in Bezug auf die Frage, ob er oder sie HAART bekommt und wie es um die Viruslast bestellt steht. Wenn die Viruslast unter der Nachweisgrenze ist, ist das Risiko einer Ansteckung so niedrig, dass unklar ist, ob es die Schäden die die Chemotherapie über Dauer anrichten würde, wirklich wert sind. Naja, und dann gibt’s ja auch noch Post-Expositions-Prophylaxe (PEP). Wenn Du in einem Land wohnst, in dem die HIV Prävalenz sehr hoch ist, ist es eher sehr wahrscheinlich, dass Du in einem Entwicklungsland lebst. Das Gesundheitssystem Deines Landes sollte wahrscheinlich noch nicht einmal ernsthaft darüber nachdenken PrEP einzuführen, angesichts dessen, was das Medikament kostet pro Jahr, angesichts der vielen Menschen denen es dann verschrieben werden müsste, und angesichts der vielen anderen Krankheiten, die ebenfalls behandelt werden müssen mit den geringen Ressourcen die dem Gesundheitssystem Deines Landes zur Verfügung stehen.

Truvada®, das jedenfalls führt die Presseerklärung der FDA aus, ist hauptsächlich an Leuten getestet worden, die zu jenen Hochrisikogruppen gehören, die es der politisch korrekten Meinung zufolge ja nicht gibt. Also Leute, die viel kondomfreien Sex mit häufig wechselnden PartnerInnen haben, Leute, die Sex mit einem Sexpartner haben, von dem sie wissen, dass er HIV-positiv ist, sex workers etc. (Die Presseerklärung der FDA sagte nicht darüber aus, ob diejenigen, die wissentlich Sex mit HIV-infizierten hatten, Bescheid wussten über die Höhe der Viruslast der Infizierten.) Nehmen wir also den schlimmsten Fall an, vermuten wir dass sie nichts darüber wussten. Nun ja, falls Du also zu einer dieser Gruppen gehörst, Du also aus Gründen, die hier unwichtig sind, russisches Roulette spielst, wirst Du wahrscheinlich musterknabenhaft Deine Chemotherapie zu Dir nehmen, täglich. Wirklich? Ich vermute, dass die 42% Effizienz (im Vergleich mit der Plazebo-Kontrolle) damit zu tun hat, dass einige (viele?) Leute in diesen Bevölkerungsgruppen Probleme damit haben, dieses Medikament diszipliniert zu sich zu nehmen. Welche Auswirkungen das über Dauer hat für Medikamenten-Resistenzen bei HIV, ist unklar. Kein Wunder, dass eine der FDA-Auflagen ist, dass Virusisolate von Leuten, die sich infiziert haben, obschon sie – hin und wieder? – Truvada® nahmen, auf Medikamentenresistenz untersucht werden müssen. Natürlich weiß auch niemand so genau, welche Auswirkungen dieses Medikament bei schwangeren Frauen hat, deshalb muss Gilead, der Truvada® Produzent, weitere Daten sammeln während das Medikament auf dem Markt ist.

Vielleicht gibt es ja tatsächlich einen Markt für dieses Medikament. Ich frage mich allerdings, wie schlau es ist, sich täglich mit Chemotherapeutika zu versorgen um unsafe sex haben zu können. Wäre es nicht besser sie warteten, bis sie infiziert sind, und dann mit der Behandlung zu beginnen? Wird für Länder, in denen die HIV Prävalenz sehr hoch ist, ernstlich vorgeschlagen, dass eine sehr große Anzahl von sexuell aktiven Leuten damit beginnt, über viele viele Jahre hinweg Chemotherapeutika zu sich zu nehmen? All dies hat etwas Absurdes an sich.

Wie ich eingangs schon bemerkte, ich bin mir nicht sicher, was von dieser Logik zu halten ist. Permanente Chemotherapie für Gesunde als eine ‚für den „Fall der Fälle“ Strategie‘. Gute Nachrichten jedenfalls für die Aktionäre von Gilead, der Firma die Truvada® produziert. Sie verdienen gut daran, gesunde Menschen mit Chemotherapie zu ‚behandeln‘.

Fairerweise sollte ich hier einräumen, dass es natürlich nichts Außergewöhnliches ist, im Zusammenhang mit Präventionsmassnahmen Gesunde zu behandeln. Man denke nur an Grippeimpfstoffe, Hepatitis-B-Impfstoffe usw usf. Der Unterschied hier liegt darin, dass Gesunden lebenslang Chemotherapeutika verabreicht werden sollen. Das hat, im Vergleich zu dem was heute sonst üblich ist, eine deutlich neue Qualität und verlangt eine sorgfältigere und tiefergehende Diskussion des Für und Wider als das bis heute geschehen ist.

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Danke an Udo Schüklenk für den Gast-Kommentar!

Der Text ist die deutschsprachige Version eines Artikels, den Udo auf seinem Blog ‚Udo Schuklenk’s Ethx Blog‚ veröffentlicht hat: Truvada and HIV Pre-exposure Prophylaxis
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16 Gedanken zu „Truvada ® – Chemotherapie für Gesunde? Wirklich?“

  1. Wie ich eingangs schon bemerkte, ich bin mir nicht sicher, was von dieser Logik zu halten ist. Permanente Chemotherapie für Gesunde als eine ‘für den Fall der Fälle’ Strategie. Gute Nachrichten jedenfalls für die Aktionäre von Gilead, der F…irma die Truvada® produziert. Sie verdienen gut daran, gesunde Menschen mit Chemotherapie zu ‘behandeln’.

    Vielleicht gibt es ja tatsächlich einen Markt für dieses Medikament. Ich frage mich allerdings, wie schlau es ist, sich täglich mit Chemotherapeutika zu versorgen um unsafe sex haben zu können.

    endlich mal ein artikel eines autors der die dinge so sieht wie ich. ich habe schon angefangen zu glauben ob ich ausser hiv auch was am kopp hätt bzw ob ich ne wahrnehmungsstörung hätt . . .

    http://alivenkickn.wordpress.com/2009/12/10/hurra-hurra-die-anti-hiv-pille-is-bald-da/

    http://alivenkickn.wordpress.com/2010/11/30/warum-soviel-getose-um-die-prep/

    http://alivenkickn.wordpress.com/2012/07/17/hiv-medikament-truvada-in-den-usa-als-prep-von-der-fda-zugelassen/

  2. Vielleicht auch noch bedenkenswert: So lange die Wirksamkeit der PrEP nicht annähernd 100% erreicht, werden die meisten Infektionen nicht verhindert, sondern nur aufgeschoben. Das fällt in den (relativ kurzen) Studien vielleicht gar nicht so deutlich auf, bei einer 10- oder 20jährigen Nachbeobachtung wird man aber sehen, dass der tatsächliche Schutzeffekt drastisch geringer ausfällt, als die jetzigen Studiendaten vermuten lassen.

  3. Ich stimme in der Grundsatzfrage mit dem Tenor des Kommentars völlig überein … muss mich aber etwas am Kopf kratzen, warum – @ Leviathan – in dieser Phase schon Einzelkriegsschauplätze aufgemacht werden müssen. Es stimmt mich bedenklich, dass es auch in der positiven Community ein so destruktives Verhalten gibt und jedes Stück »Herrschaftswissen« dazu genutzt wird, andere herunterzuputzen, anstatt es ordentlich zu teilen, damit alle etwas davon haben. Ist »positiv« eigentlich komparativ? Gibt es »positiver« oder gar »am positivsten«?

    Mir stellt sich nämlich genauso die Frage, welchen Sinn es hat, zur Vorbeugung vor einer Krankheit dieselben Medikamente zu nehmen wie zu ihrer Behandlung? Wo ist dann – ketzerisch gefragt – der Vorteil des Negativ-Seins?

    Tatsache ist, dass beide Studien keine zufriedenstellenden Ergebnisse gebracht haben – Tatsache ist aber auch, dass die Studien etwas in Bewegung gesetzt haben. Und der Wunsch nach sorgfältiger und tiefergehender Betrachtung ist wohl nicht dazu angetan, den Untergang des Abendlandes zu befürchten …

  4. Herr Schüklenk, zukünftig bitte auch den Begriff Chemotherapie bei jeder Behandlung von Mikroorganismen verwenden, also z.B. auch bei einer Behandlung von Lues mit Antibiotika oder bei entzündeten Tonsillen, sonst könnte der Eindruck aufkommen, daß hier bewußt dieser Begriff benutzt wurde, um eine bestimmte Meinung zu positionieren.

    „Natürlich weiß auch niemand so genau, welche Auswirkungen dieses Medikament bei schwangeren Frauen hat (…)“

    Schlecht informiert, Herr Schüklenk. Es gibt sehr wohl schon Untersuchungen wie z.B. eine Auswertung des DART-Trials (1), außerdem sind sowohl Tenofovir (2), als auch Emtricitabin (3) von der FDA als „Pregnancy Category B“ klassifiziert; die als bevorzugte NRTIs während einer Schwangerschaft (4) empfohlenen Zidovudin (5) und Lamivudin (6) sind übrigens nur „Pregnancy Category C“. Generell ist die Datenlage von antiretroviralen Wirkstoffen während der Schwangerschaft aber leider etwas dürftig, so daß weitere Studien hier immer hilfreich sein können.

    Ansonsten ist Truvada generell als ART schon verfügbar. Man könnte es sich ggf. über Privatrezept bei willigen Ärzten also schon länger als nicht HIV-Infizierter besorgen. Da ist es mir lieber, es gibt entsprechende Studien, die die Wirkung als PrEP untersuchen, und in Folge entsprechende Zulassungen mit bestimmten Auflagen. Dann kann nämlich jeder die Hinweise im Beipackzettel lesen und entsprechend handeln, auch was die nötige Adhärenz angeht. Aktuell geht der Beipackzettel von Truvada natürlich nicht auf die Verwendung als PrEP ein, so daß hier viel eher das Risiko einer Infektion und/oder Resistenzen besteht, weil man Truvada als PrEP nach Gutdünken einnehmen müsste.

    Und zu den Kosten: Die FDA hat schon 2009 im Rahmen von PEPFAR generisches Truvada zugelassen (7), ansonsten sind generisches Emtricitabin und Tenofovir als Einzelsubstanzen in manchen Staaten zur Behandlung einer HIV-Infektion zugelassen und verfügbar. In den Industriestaaten wird es wohl wegen Patenten vor 2017 kein generisches Truvada geben (8). Beim Einsatz der Einzelsubstanzen als PrEP wäre dann eher die Frage, ob zwei Tabletten nicht die nötige Adhärenz verhindern würden.

    PS und off topic: Es wäre angenehmer zu lesen, wenn der Beitrag nicht durchgehend kursiv verfasst wäre, dies gilt auch für manch andere Beiträge im Blog.

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    1 http://www.plosmedicine.org/article/info:doi/10.1371/journal.pmed.1001217
    2 http://www.aidsinfo.nih.gov/guidelines/html/3/perinatal-guidelines/197/tenofovir-disoproxil-fumarate–viread–tdf-
    3 http://www.aidsinfo.nih.gov/guidelines/html/3/perinatal-guidelines/194/emtricitabine–emtriva–ftc-
    4 http://www.aidsinfo.nih.gov/guidelines/html/3/perinatal-guidelines/155/general-principles-regarding-use-of-antiretroviral-drugs-during-pregnancy
    5 http://www.aidsinfo.nih.gov/guidelines/html/3/perinatal-guidelines/199/zidovudine–retrovir–azt–zdv-
    6 http://www.aidsinfo.nih.gov/guidelines/html/3/perinatal-guidelines/195/lamivudine–epivir–3tc-
    7 http://www.accessdata.fda.gov/scripts/cder/drugsatfda/index.cfm?fuseaction=Search.Label_ApprovalHistory#apphist
    8 http://aids.emedtv.com/truvada/generic-truvada.html

  5. @matthias, bei leviathan kannste nix machen . . . diese art andere abzukanzeln dafür ist er ist bekannt . . . mit sicherheit repräsentiert er NICHT die community. 😉

  6. Wenn es bei mangelhafter Adhärenz trotz Pilleneinnahme zur Infektion kommt (was in den Studien übrigens gar nicht so selten war), ist eine Resistenzentwicklung zumindest sehr wahrscheinlich. D.h., wenn der Patient dann eine Therapie braucht, fällt Truvada als Backbone schon mal weg. Und falls sich eine K65R-Mutation entwickelt hat, kann man Kivexa auch gleich vergessen…

  7. »Eine PrEP könnte bei bestimmten Bevölkerungsgruppen allerdings ökonomisch vorteilhaft sein, wenn man’s mit den Kosten von ART und Folgekosten einer HIV-Infektion vergleicht«

    Sorry, das klingt jetzt für mich aber danach, dass es ökonomisch vorteilhafter ist, sich von einem Gebraucht- denn von einem Neufahrzeug überfahren zu lassen. Wenn die »Hochrisikogruppe« schon bei fünf Sexualpartnern pro Jahr beginnt …. welche Erfahrungswerte stecken denn hinter einem solchen Unsinn?

    Und zum Thema »Herrschaftswissen« sei angemerkt: Fremde Links veröffentlichen kann jeder; sie zu interpretieren und sich daraus eine Meinung zu bilden, die man zur Diskusson stellt, ist da schon ungleich schwieriger … Aber bitte sehr: Jeder nach seiner Façon …

  8. @ Matthias Gerschwitz
    Du machst doch gerade einen „Einzelkriegsschauplatz“ auf, denn der Vorwurf von „Herrschaftswissen“ nicht zu teilen erschließt sich mir nicht, du brauchst nur die Links anzuklicken, um die entsprechenden Informationen zu erhalten.

    „Wo ist dann – ketzerisch gefragt – der Vorteil des Negativ-Seins?“

    Der Vorteil liegt weiterhin darin, daß bei einem HIV-Negativen die HI-Viren selbst keine Schäden im Körper angerichtet haben und auch nicht anrichten können, weil sie nicht vorhanden sind.

    Abgesehen davon wird keiner gezwungen, nun mit einer PrEP zu beginnen, nur weil er ein riskantes Sexualverhalten pflegt. Eine PrEP könnte bei bestimmten Bevölkerungsgruppen allerdings ökonomisch vorteilhaft sein, wenn man’s mit den Kosten von ART und Folgekosten einer HIV-Infektion vergleicht: http://forumhiv.de/viewtopic.php?f=14&t=3984

    @ Ondamaris

    Das ändert nichts daran, daß normal gesetzter Text ab einer gewissen Länge einfacher zu lesen ist.

  9. Die Grundfrage ist doch, ob eine dauerhafte Medikamentation als Präventionsinstument erstens überhaupt sinnvoll ist und zweitens im konkreten Fall überhaupt taugt. Bei einem Schutzeffekt von 44% kann man doch zweitens doch schon verneinen. Für die Präventionsarbeit ist es von daher auch völlig kontraproduktiv, wenn jetzt der Eindruck erweckt wird, es gäbe eine medikamentösen, zuverlässigen Schutz vor einer HIV-Infektion.
    Zudem besteht natürlich die Gefahr, dass HIV auf Truvada resistent reagiert und dann zur Behandlung von HIV-Infektionen ausscheidet. Die Entscheidung der FDA finde ich von daher nicht nachvollziehbar.

  10. Udo Schuklenks Text ist ein Kommentar, eine Meinung, will meiner Meinung nach auch zu Recht auf ungeklärte Fragen hinweisen und vor übereilter Aktion warnen. Die penetrante Verwendung von „chemotherapy“ soll vermutlich des Lesers Aufmerksamkeit wecken und deutlich machen, dass es sich bei Truvada nicht um „Smarties“ handelt – haken wir es einfach als stilistisches Mittel ab, mag man es gut finden oder nicht, Der Text ist und will kein wissenschaftlicher Beitrag sein und Udo benennt ja auch seine eigene Unsicherheit („I am not sure what to make of this, to be honest“).

    Ich kann Udo zuzustimmen, zumindest wenn es um die Bedenken zur Einnahme hochwirksamer Medikamente durch vermeintlich Gesunde geht. Auch die Frage, für wen eine PrEP überhaupt in Frage kommen könnte – nämlich nur für Menschen in den sog. Industrieländern – ist berechtigt.

    Was mir aber fehlt und daher will ich diesen Punkt einbringen: die Frage oder sogar der Hinweis, ob bzw. dass die Zulassung oder alleine schon die grundsätzliche Befürwortung einer PrEP auch ein Eingeständnis einer gescheiterten Präventionsstrategie in den sog. Industrieländern ist.

    Die PrEP mag bei hoher Einnahmetreue und Abwesenheit anderer Möglichkeiten einen guten individuellen Schutz bieten. Aber ich befürchte, dass Technokraten die PrEP auch als grundsätzliche Maßnahme zur Eindämmung der HIV-Pandemie verstehen oder missverstehen werden. Daher sollte man auch vorsichtig mit der ökonomischen Betrachtung einer PrEP sein.

    Welche Auswirkungen wird eine zugelassene PrEP auf die Finanzierung anderer immer noch dringend notwendiger Präventionsmaßnahmen und entsprechender Organisationen haben? Inwieweit werden die Adressaten der Präventionsbotschaften noch zuhören?

    Und was ich auch nicht weiß: inwieweit betrachtet und bewertet eine FDA oder EMA überhaupt solche Argumente, oder stützt sie sich für ihre Entscheidung nur auf die „hard facts“, also reine medizinische Wirksamkeit und Gefahren der Einnahme? Aber selbst wenn es auch für Europa zu einer Zulassung der Truvada-PrEP kommen sollte: was zugelassen ist, muss ja noch lange nicht verschrieben werden. Hier ist Udo völlig zuzustimmen: “ We should take our time to discuss the pro’s and con’s of such a prevention strategy carefully, instead of diving headlong into it“. Das heißt aber auch ehrlich bisherige Präventionsstrategien zu hinterfragen.

    Ach ja, die „positive Community“: ich glaube nicht, dass es sie gibt. Vielleicht gab es sie einmal – damals vor zwanzig Jahren. Sie wird heute doch eher von denen beschworen, die meinen dass sie wüssten, welche Ausrichtung diese Community hat oder haben sollte.

  11. @ Siegfried Schwarze

    Das Problem mangelhafter Adhärenz ist aber unter ART und sogar bei anderen Sachen wie z.B. Antibiotikagaben auch gegeben, manche hören eben auf, was einzunehmen, sobald es ihnen subjektiv besser geht; Begriffe wie Chemiekeule oder Chemotherapie helfen da auch nicht gerade weiter, um für eine erforderliche Therapietreue zu sorgen.
    Eben deshalb finde ich es ja wichtig, daß man bei einer PrEP eben für diesen Zweck eine Zulassung hat mit entsprechenden Bedingungen und Hinweisen in den Beipackzetteln, die dann auch vom verschreibenden Arzt hervorzuheben sind.
    Wenn man nun sagt, Beipackzettel liest eh keiner, dann ist dies allerdings ein generelles Problem und darf kein Argument sein, einen Wirkstoff nicht zu zulassen.

    @ Matthias Gerschwitz

    Schöner Trollversuch auf deinem “Einzelkriegsschauplatz”, auf den ich nun nicht eingehen werde.

  12. Was mir aber fehlt und daher will ich diesen Punkt einbringen: die Frage oder sogar der Hinweis, ob bzw. dass die Zulassung oder alleine schon die grundsätzliche Befürwortung einer PrEP auch ein Eingeständnis einer gescheiterten Präventionsstrategie in den sog. Industrieländern ist.

    Das die strukturelle Prävention in Deutschland wie auch in anderen Ländern in Europa funktioniert dürfte wohl außer Frage stehen. Selbst in Thailand funktioniert sie. Man muß aber immer am Ball bleiben. DAs ist eine Realität.

    Die Panik die sich immer wieder in den Köpfen Vieler breit macht kommt daher das sie nicht in der Lage sind hinzuhören. Wenn das RKI z.b. schreibt „ein leichter Anstieg . .Zunahme“ dann ist sofort Panik angesagt. Da kann ich nur sagen lesen, lesen und nochmals lesen . .notfalls solange bis man es versteht. ach und vor allen Dingen „Kopf frei“.

    Wer sich einigernaßen mit den HIV Medikamenten auskennt der weiß was mit der Methapher “ Chemaotherapy“ gemeint ist. wenn nicht . .da nützen auch Erklärungen nichts. Vielleicht sollte Solcher sich mal ne Packung HIV Medikamente an Stelle von Nimm 2 oder irgend nem anderen Drops kaufen und diese Tabletten nur mal so aus Spaß einnehmen. Vielleicht kommt er dann dahinter was damit gemeint ist.

    Ach ja, diese Antwort bezieht sich auf Dich @Flaneur . . .

  13. @Leviathan. Thanks for your thoughtful comments. I am a bit surprised about your concerns re pregnant women. You conclude that our knowledge is somewhat ‚duerftig‘. Not much different from what I noted.

    On my own blog a local HIV clinician noted (after agreeing with me), ‚The additional factor, which in my mind is also very important, is the long term toxicity of antiviral therapies when used in a prophylactic manner. Although we have come a long way with respect to toxicity, these drugs are not completely benign, and rarely may be associated with severe adverse outcomes such as renal failure. I am not aware that monitoring of such is also being planned.‘

    The studies you cite haven’t been of sufficient length to determine what the long-term consequences of prophylactic use will be for folks who take them for the rest of their lives. In order to conclude that they would be better off taking such drugs would one not have to compare how they would fare against infected people taking antiretrovirals for the rest of their lives? Equally, how much worse off would be those who would not have got infected anyway and who ended up taking this drug for decades?

    FWIW, I know quite a few clinicians in high HIV prevalence areas who have stopped taking PEP after needlestick injuries altogether, simply because they are not prepared to accept the side effects of PEP medication. Truvada (however you choose to classify it) falls into the same category of medication. Admittedly the HIV infection probability for needle stick injuries is likely lower than those for folks in particular high-risk groups.

    I do think various commentators are rightly concerned about the question of how successful current prevention efforts are. I’m not sure, even after reading your notes, Leviathan, that Truvada has been demonstrated to be a reasonable answer for people in certain risk groups.

  14. Muß man Gesunde unbedingt mit Medikamenten vollstopfen und die Nebenwirkungen in Kauf nehmen?

  15. Hey Jens,

    nun ja, es kommt drauf an..

    zunächst muss man mal festhalten, dass wir uns auf dieser welt nichts
    sehnlicher wünschen als eine wirksame waffe im kampf gegen die AIDS
    pandemie. allem voran einen impfstoff.

    die PreP ist kein Impfstoff, dennoch lohnt es sich hier einmal genauer –
    nämlich kritisch – hinzusehen.

    und bei serodiskordanten paaren mit kinderwunsch mag die Prep gewiss
    eine kluge option sein, „on top“ zu einer guten therapie des positiven partners.

    und eine mögliche option in gewissen hoch risiko gruppen ist die prep auch,
    nur sollte man hier genauer hinschauen.

    aber man muss Udo und seinem klugen artikel schlicht zustimmen:
    so lange wir nicht in der lage sind alle HIV positiven weltweit mit medikamenten
    zu versorgen ist es weit hinter der grenze des moralisch erträglichen gesunde
    menschen prophylaktisch mit Prep zu versorgen.

    so lange wir keinen impfstoff zu verfügung haben bleibt die antwort gegen AIDS
    eine soziale und nicht eine medizinische.

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