Kleine Kohorte

Aus dem Kompetenznetz HIV ist seit Wochen Erstaunliches zu vermerken: die HIV-Kohorte, die schon aufgrund von Datenschutz-Problemen in die Kritik geriet, soll drastisch verkleinert werden.

Derzeit umfasst die HIV-Kohorte nach mühevollem Start in den vergangenen Jahren jetzt die Datensätze von weit über 16.000 Patienten (andere Quellen sprechen von 14.000). Nun, so ist zu hören, soll sie auf ‚Empfehlung‘ von Gutachtern drastisch verkleinert werden – auf bald nur noch 8.000 Patienten. Auch die Zahl der beteiligten Zentren solle reduziert werden. Zudem solle die so entstehende ’neue Kohorte‘ zukünftig geschlossen sein – neue Patienten sollen nach Etablierung nicht mehr eingeschlossen werden.

Die ‚Eindampfung‘ der Kohorte mag Gründe haben, Gründe sowohl wissenschaftlicher als auch finanzieller Natur. Die Datensätze der über 16.000 eingeschleusten Patienten waren nicht alle von gleich guter Qualität. Doppelte Datensätze, Datensätze mit nur wenig Angaben und Ähnliches minderten die Qualität, schränkten die Auswertbarkeit ein. (Daten zur Kohorte Stand Dezember 2006 hier)

Dennoch – Fragen stellen sich. Die Kohorte sei das ‚Rückgrat des Kompetenznetzes‘, ist auf seinem Internetangebot zu lesen.
Die Größe der Kohorte (‚ein enormer Anteil der in Deutschland in Behandlung befindlichen HIV-Positiven‘) war bisher eines der gern für die Kohorte ins Feld geführten Argumente. Nun nicht mehr?
Und – eine geschlossene Kohorte wird für die Zukunft eine sich ständig verkleinernde Kohorte bedeuten. Patienten wechseln den Arzt, wechseln den Wohnsitz, beenden aus eigenem Entschluss die Teilnahme, versterben oder gehen dem ‚Followup‘ aus sonstigen Gründen verloren. Welche Relevanz können Aussagen aus einer kleineren, ständig schrumpfenden Kohorte haben?

Nebenbei – die kleine Schweiz hat seit 1988 (!) eine HIV-Kohorte, die (bei Kosten von jährlich ca. 3,5 Mio. sFr.) gute Studiendaten produziert. An 5 Universitäten und 2 Kantonsspitälern wurden bisher über 14.500 HIV-Positive in die Kohorte eingeschlossen (Bericht über die Swiss HIV Cohort als pdf hier, aktuelle Daten auf der Site der Kohorte unter ’state of the cohort‘)

Der Aufbau der deutschen HIV-Kohorte wurde seit Juni 2002 mit beträchtlichen öffentlichen Geldern finanziert.
Eine Reduzierung von über 16.000 Patienten auf 8.000 Patienten bedeutet eine Reduzierung auf weniger als die Hälfte. Wurden für über 8.000 Patienten Daten vergeblich eingegeben, Biomaterialien vergeblich abgenommen und eingelagert? Die Kosten, die vor Ort, bei Ärzten und in Kliniken, dafür entstanden, wurden ihnen erstattet. Mittel, die nun vergeblich investiert wurden?

Doch neben der Frage einer effizienten Verwendung öffentlicher Mittel stellen sich noch weitere Fragen. Scheiden die ‚weg-reduzierten‘ Patienten aus der Kohorte aus? Werden die Patienten, deren Daten in der Kohorte nicht mehr verwendet werden, über ihr Ausscheiden und/oder den neuen Status informiert? Werden Daten und Biomaterial der betroffenen Patienten sicher vernichtet? Und, die Fragen, die sich aus den Datenschutz-Problemen Ende 2006 ergaben stehen auch größtenteils noch im Raum …

Die Verkleinerung der deutschen HIV-Kohorte – ist sie ein Schritt zu einer neuen erfolgreicheren Zukunft? Oder wird hier ein einstiges vermeintliches Renommier-Projekt still und leise auf elegantem Weg einer baldigen Entsorgung entgegen geführt?

Pikanterweise ist zu hören, dass einige der auch an Kompetenznetz und HIV-Kohorte beteiligten Forscher parallel damit beschäftigt sein sollen, selbst (mit noch weniger Patienteninformation) eine eigene Kohorte aufzubauen – vermutlich nicht gerade ein Vertrauensbeweis in die ’neue‘ HIV-Kohorte.

2 Gedanken zu „Kleine Kohorte“

  1. Hi Ulli,

    in der achso gelobten britischen Gendatenbank gibt es viele falsche Daten.

    Dass sich in der deutschen Kohorte ebenfalls viele falsche, doppelte oder nicht korrekte Daten finden ist logisch, aber eine Reduzierung um die Hälfte stimmt mich nachdenklich.

    Hier wurden anscheinend sinnlos Daten gesammelt, die nun als Datenmüll nutzlos herumliegen.

    Ein korrekte Löschung wird nicht stattfinden, und irgendwann findet dann ein Redakteur die Daten und setzt sie ins Netz…*ggg

    Ein Skandal ist vorprogrammiert – fragt sich nur wann? Zudem ist es eine Verschwendung von Geldern, die woanders sinnvoller eingesetzt werden könnten.

    lg kalle

  2. @ kalle:
    die reduzierung wirft auch bei mir fragen auf. unter anderem nach dem umgang mit den daten und bio-materialien derjenigen patienten, die nicht mehr in der kohorte sind. ob in der reduzierung eine verschwendung von geldern liegt? nun ja, es ist an anderen, das zu beurteilen …
    lg ulli

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