Kompetenznetz HIV/AIDS: Raus bevor’s ganz dicke kommt!

Seit Ende April 2011 ist das Kompetenznetz HIV/Aids Geschichte – was aber geschieht mit den Daten und Bio-Materialien der Tausenden HIV-Positiven, die an der HIV-Kohorte des Kompetenznetzes teilgenommen haben?

Dazu ein Gast-Kommentar von Carsten Schatz, Mitglied des Vorstands der Deutschen Aids-Hilfe und bald vielleicht erster offen HIV-positiver Landtags-Abgeordneter:

Kompetenznetz HIV/AIDS: Raus bevor’s ganz dicke kommt!

Alle Bemühungen um eine Fortführung der staatlichen Förderung des Kompetenznetzes HIV/AIDS und damit das Kompetenznetz selbst sind gescheitert. Mit dem Ende der Förderung Ende April dieses Jahres endet auch die Begleitung des Netzes durch die Deutsche AIDS-Hilfe (DAH). Damit fällt ein wichtiger Ansprechpartner für die Studienteilnehmer/innen weg. Der Patientennewsletter, für viele die einzige Informationsquelle, ist eingestellt. Alle Informationen für Teilnehmende sind nur noch über die Schwerpunktpraxis zu bekommen. Der Patientenbeirat wird seine Arbeit lediglich ehrenamtlich weiterführen. (Wer zahlt dann eigentlich für Treffen und Arbeit des Gremiums?) Soweit der unerfreuliche Stand der Dinge.

Informationen für die Teilnehmenden gibt es nur noch über die Schwerpunktpraxen

Die Mitgliederversammlung des Kompetenznetzes hat beschlossen, die Arbeit vorerst trotz allem weiterzuführen, weil noch wichtige Studien laufen. Ich bin kein Wissenschaftler und möchte daher keine Aussagen zur Wichtigkeit dieser Studien treffen. Allerdings hat auch niemand versucht, mir diese Wichtigkeit nahe zu bringen. Fakt ist: Bis 2016 sollen Daten und Bio-Material der Teilnehmenden zentral an der Uni Bochum gelagert werden.

Der Patientenbeirat und die DAH haben an alle Teilnehmenden einen Brief geschrieben und in neutralem Ton die Möglichkeiten des Umgangs mit der Situation dargestellt:

– Nichts unternehmen. Die Daten und Proben stehen dann der Forschung bis zur Vernichtung 2016 zur Verfügung.

– Aussteigen. Die DAH bietet dazu ein Formular zum Download an, dies dem Arzt aushändigen. Die Daten werden gelöscht, das Bio-Material sofort vernichtet.

Ich persönlich plädiere ganz klar für Variante zwei. Raus, bevor’s ganz dicke kommt!

Carsten Schatz (Foto: DAH)
Carsten Schatz (Foto: DAH)

In der Gründungsphase des Kompetenznetzes habe ich im Vertrauen auf die Teilnahme der Deutschen AIDS-Hilfe im Patientenbeirat und auf die unabhängige Förderung des Staates für diese Arbeit vielen Menschen mit HIV/Aids zugeraten, sich zu beteiligen.

Schon Ende 2006 wurde der erste Skandal bekannt, Daten von Teilnehmenden waren ohne deren Einverständnis ins Ausland übermittelt worden. Dort unterliegen sie nicht dem Datenschutzstandard, den wir aus Deutschland gewohnt sind.

Schlampige Dateneingabe, mangelnde Kommunikation, falsches Vertrauen ins Arzt-Patient-Verhältnis

Mitte 2007 die nächste Hiobsbotschaft: Rund die Hälfte der ursprünglich „in die Kohorte Eingeschleusten“ (immer diese Fachwörter) fiel aus dem Netz heraus, weil bei der Dateneingabe grobe Fehler passiert waren. Informationen an die Teilnehmenden? Fehlanzeige!

Viele haben mich damals gefragt, warum sie nicht benachrichtig würden. Leider konnte ich ihnen ad hoc keine Antwort geben. Erst nach mühevoller Netzrecherche konnte ich mir das Informations-Desaster erklären: Der Patientenbeirat hatte keinen direkten Kontakt zu den Teilnehmenden – der lief im Wesentlichen über die beteiligten Arztpraxen und Behandlungszentren. Welches Interesse aber hat eine Praxis, den Patienten im Wartezimmer mitzuteilen: „Übrigens, wegen schlampiger Dateneingabe sind wir bei diesem wichtigen Forschungsprojekt nicht mehr dabei.“

An noch einem weiteren Punkt führt uns das Kompetenznetz zur Frage nach dem Arzt-Patienten-Verhältnis. Wir sollten unser Wissen ernst nehmen und nicht so tun, als ob hier alles im Lot wäre. Auf der einen Seite schulen und trainieren wir zurecht Patientinnen und Patienten, weil es für die meisten Menschen mit HIV/Aids schwierig ist, beim Arzt Probleme und Fragen loszuwerden. Da können wir doch nicht auf der anderen Seite den Leuten sagen: Bezüglich des Kompetenznetzes klärt mal einfach alles mit eurem Arzt!

Die Daten sind nicht vor Beschlagnahmung geschützt, während mancher Staatsanwalt “Virenschleudern” verfolgen möchte

Hier hatte das Netz von Beginn an einen Konstruktionsfehler. Ich habe mich damit beruhigt, dass die Leute sich an die DAH und den Patientenbeirat wenden konnten. Da das jetzt weitgehend wegfällt, sage ich ganz klar: Schluss. Jetzt raus!

Punkt zwei: Die Daten sind nicht vor Beschlagnahmung geschützt, zum Beispiel im Zuge von Strafverfahren. Das hat sowohl eine von uns in Auftrag gegebene Studie als auch eine Stellungnahme des Deutschen Ethikrates zur Sicherheit von Human-Bio-Banken deutlich gemacht. Solange Staatsanwälte in Deutschland herumlaufen, die meinen, über die juristische Verfolgung von „Virenschleudern“ Prävention betreiben zu können, halte ich bereits die Sammlung dieser Daten für hoch prekär – aus welchem Grund auch immer sie erfolgt.

Und wieder: Wir haben damals den Beteiligten Wissenschaftler/innen und Ärzt/inn/en gesagt: Kämpft mit uns für eine Änderung dieser Situation. Ich habe bislang aus dieser Richtung nichts vernommen, meine Hoffnung auf mehr hält sich in Grenzen. Dass die Daten nun an einem Ort gelagert werden sollen statt wie bisher dezentral, macht sie in ihrer Gesamtheit sogar noch leichter zugänglich.

Wir müssen die Dinge nun also selbst in die Hand nehmen. Die Daten und das Biomaterial müssen nachweisbar vernichtet werden. Mit anderen Worten: Schluss. Jetzt raus!

Die Aids-Hilfe hat sich überschätzt, als sie beschloss, den Tiger zu reiten

Punkt drei ist ein Punkt der Selbstkritik. Ich glaube, die Aids-Hilfe und ihr Umfeld haben sich überschätzt, als sie beschlossen, den Tiger zu reiten. Wie im Beitrag von Bernd Vielhaber angedeutet, hat das Kompetenznetz immer mit unterschiedlichen Interessen zu ringen gehabt, Spannungen gab es zum Beispiel zwischen klinischen Forschern und niedergelassenen Ärzten. Die einen haben hier gezogen, die anderen dort, von unten wurde geschoben und oben sind die Leute weggerannt.

Wir hatten in dieser Situation oft das Gefühl, fast die einzige Akteurin zu sein, die noch am Erfolg des Gesamtprojektes interessiert ist. Während es anderen oft um Kohle und Einfluss ging, haben wir versucht, die Interessen von Menschen mit HIV/Aids zu vertreten. Diesen Auftrag haben wir aber zu oft auf dem Altar der Abwägung und der Diplomatie geopfert.

In Zukunft würde uns in diesem Spiel unser wichtigster Mitspieler fehlen: die Bundesregierung. Als Finanzier ist sie der Öffentlichkeit Rechenschaft schuldig und durch politischen Druck beeinflussbar. Dieses Korrektiv steht nicht mehr zur Verfügung. Die Interessen der Menschen mit HIV/Aids klar und deutlich zu vertreten bedeutet darum abermals: Schluss. Jetzt raus!

Wir brauchen in Zukunft eine offene Diskussion, vorher aber eine klare Botschaft: Jetzt aussteigen!

Das Kompetenznetz ist ein wichtiges Kapitel in der Geschichte von HIV in Deutschland, daran ändert auch sein Scheitern nichts. Durch die Verschickung von Daten ins Ausland sind Fragen des Datenschutzes immerhin in den Fokus der Debatte gerückt. Es wurden Diskussionen über den Sinn von Studien geführt und Diskussionen über Interessenvertretung von Menschen mit HIV/Aids geführt.

Ich hoffe, dieser Prozess ist noch nicht beendet, denn wir brauchen diese Lektionen für die nächsten Auseinandersetzungen. Dazu gehört für mich auch, nicht hinter verschlossenen Türen zu kungeln, sondern Debatten in der Öffentlichkeit zu führen – zum Beispiel auf den Internetseiten der DAH.

Bevor wir aber weiter historisieren und diskutieren, brauchen wir eine klare Botschaft an die Menschen mit HIV/Aids in Deutschland, die den Aids-Hilfen vertrauen. Die lautet meines Erachtens: Nehmt die Dinge in die eigene Hand. Druckt den Antrag auf Löschung der Daten und Vernichtung des Biomaterials aus, und wenn ihr Fragen habt, wendet euch an Vertraute oder eure Aids-Hilfe. Legt die ausgefüllte Erklärung eurem Arzt/eurer Ärztin vor. Steigt aus!

bleiben oder gehen? Datenschutz nach dem Ende des Kompetenznetz HIV/Aids (akt.)

Seit Ende April 2011 ist es Geschichte, das ‚Kompetenznetz HIV/Aids‘, und mit ihm letztlich auch die HIV-Kohorte. Oder doch nicht? Was geschieht mit all den gespeicherten Daten der Tausenden Studien-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer? Und was mit den Tausenden Bio-Materialien (z.B. Gewebe- und Blut-Proben)?

Schon zu Zeiten seines Bestehens waren immer wieder Vorwürfe nicht ausreichenden Datenschutzes oder laxen Umgangs mit Teilnehmer-Daten laut geworden. Wie geht es nun weiter, nach dem offiziellen ‚Aus‘?

Das ‚Aus‘ des Kompetenznetzes ist keineswegs, wie vermutet werden könnte, das ‚Aus‘ für Speicherung der seit über sieben Jahren gesammelten Daten und Bio-Materialien Tausender HIV-Positiver. Denn, so informiert die Deutsche Aids-Hilfe:

„Die Mitgliederversammlung [des Kompetentznetzes HIV/Aids; d.Verf.] beschloss deshalb, die Daten und das Biomaterial vorerst nicht zu vernichten, sondern weiterhin zugänglich zu halten.

Auf Betreiben des Patientenbeirates und der Deutschen AIDS-Hilfe hat das Steering Committee ein verbindliches Schlussdatum festgelegt, das sich streng an der Einwilligungserklärung der Studienteilnehmer orientiert: Spätestens zum 30.06.2016 werden alle Daten und das gesamte Biomaterial vernichtet.“

Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer sollten inzwischen über das Ende des Kompetenznetzes HIV/Aids informiert worden sein, müssten die „Information an alle Studienteilnehmenden des Kompetenznetzes HIV/AIDS über das Ende der Förderung der HIV-Kohorte“ erhalten haben (Link siehe unten).

In dieser „Information an alle Studienteilnehmenden des Kompetenznetzes HIV/AIDS über das Ende der Förderung der HIV-Kohorte“ von Kompetenznetz HIV/Aids und Deutscher Aids-Hilfe (offiziell datiert auf den 28. April 2011), der allen Teilnehmern zugehen sollte, heißt es u.a.

„Sofern Sie Ihrem Arzt nichts anderes mitteilen, werden ihre Daten und ihr Biomaterial jetzt noch bis Juni 2016 aufbewahrt. …
Unberührt davon bleibt Ihr Recht, auch jetzt schon eine Vernichtung Ihrer Daten und des Biomaterials zu verlangen.“

Für Teilnehmer, die eine Löschung ihrer Daten / Vernichtung ihrer Bio-Materialien wünschen, informiert der Brief

„teilen Sie Ihrem Arzt mit, dass Sie die Vernichtung Ihrer Daten und Ihres Biomaterials wünschen. Einen entsprechenden Vordruck können Sie ab Mitte Mai 2011 [geplant: hier ab 20. Mai 2011; d.Verf.] auf der Website www.aidshilfe.de herunterladen. Den ausgefüllten Vordruck händigen Sie Ihrem Arzt/Ihrer Ärztin aus. Auf Wunsch erhalten Sie eine Löschungsbestätigung.“

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Aktualisierung 25. Mai 2011, 07:30 Uhr: Die Deutsche Aids-Hilfe hat inzwischen das ‚Formular zum Ausstieg‘ veröffentlicht.
In einer Reihe von Beiträgen setzen sich auf dem DAH-Blog Autoren mit dem Für und Wider eines Ausstiegs oder Verbleibens in der Kohorte auseinander – die Beiträge sind unter „weitere Informationen“ verlinkt.

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Die umfangreichen Daten Tausender HIV-positiver Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Kompetenznetzes ebenso wie Tausende Proben von Bio-Materialien sollen weiterhin gespeichert werden. Obwohl das Kompetentznetz nicht mehr existiert, obwohl es keine Förderung für irgendwelche Arbeiten mehr gibt.

Daten und Bio-Materialien, die nicht einmal anonymisiert, sondern nur pseudonymisiert sind. Dies bedeutet, sie sind mit einer Nummer codiert, über die letztlich eine Re-Identifikation des konkreten Teilnehmers möglich ist.

Die Speicherung nach dem ‚Aus‘ soll zudem in Strukturen erfolgen, in denen die Deutsche Aids-Hilfe als mögliche Vertreterin der Interessen HIV-Positiver seit 1. Mai 2011 nicht mehr beteiligt ist.

Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Kompetenznetzes sollen sich eindringlich überlegen, ob sie in diesen Strukturen weiterhin noch ihre Daten und Bio-Materialen gespeichert haben wollen – oder ob sie eine Löschung verlangen.

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weitere Informationen:
DAH-Blog 17.05.2011: Kompetenznetz HIV/AIDS 1 | Das Ende nach 18,6 Millionen Euro
Information an alle Studienteilnehmenden des Kompetenznetzes HIV/AIDS über das Ende der Förderung der HIV-Kohorte (pdf)
DAH-Blog 18.05.2011: Kompetenznetz HIV/AIDS 2 – Die Hoffnung stirbt zuletzt
DAH-Blog 19.05.2011: Kompetenznetz HIV/AIDS 3 – Kohorte der Kohorte wegen?
DAH-Blog 20.05.2011: Kompetenznetz HIV/AIDS 4 – Setzen, sechs!
Kompetenznetz HIV/AIDS 5: Raus bevor’s ganz dicke kommt!
DAH-Blog 24. Mai 2011: Kompetenznetz HIV/AIDS 6 – Was nun?
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Kompetenznetz HIV und HIV-Kohorte: wie weiter mit Daten und Bio-Materialien nach dem Aus?

Am 30. April 2011 endete die finanzielle Förderung des ‚Kompetenznetzes HIV‘ endgültig.  Mit dem ‚Aus‘ für das Kompetenznetz steht auch die umfangreiche Sammlung an Daten der teilnehmenden HIV-positiven Patientinnen und Patienten sowie der gesammelten Bio-Materialien wie Blut- und Gewebeproben vor einer ungewissen Zukunft.

Wie geht es weiter mit Daten und Bio-Materialien HIV-Positiver, die im Rahmen des Kompetenznetzes HIV gesammelt wurden?

Im aktuellen ‚HIV-Report‘ informiert die Deutsche Aids-Hilfe kurz:

„Um laufende Forschungsvorhaben abschließen zu können und Wissenschaftlern die Möglichkeit zu geben, noch einige Jahre mit dem bereits gesammelten Material zu forschen, plant das Kompetenznetz
die Daten und das Biomaterial bis Juni 2016 aufzubewahren. Macht eine solch lange Datenhaltung überhaupt Sinn, wenn nur noch „alte Daten“ verwaltet werden? Wie sicher sind die Daten und das Biomaterial, wenn es keine bezahlte Verwaltungsstruktur mehr gibt? Sollen Studienteilnehmer weiter teilnehmen oder ihre Einverständniserklärung
besser zurückziehen?. Die DAH wird im Mai ausführlich und kritisch über die Entwicklungen im Kompetenznetz auf „blog.aidshilfe.de“ und über „HIVreport.de“ berichten und diesen Fragen nachgehen.“

Teilnehmern der HIV-Kohorte bzw. des Kompetenznetzes wird empfohlen, das Thema aufmerksam zu verfolgen. Jede/r sollte genau überlegen, ob er/sie seine eigenen persönlichen Daten und Bio-Materialien wie Blut- und Gewebeproben auch nach dem ‚Aus‘ für das Kompetenznetz HIV weiterhin speichern lassen möchte, oder ob er/sie eine Löschung der Daten sowie Vernichtung der Bio-Materialien im eigenen Interesse für sinnvoller hält.

ondamaris wird weiter berichten …

HIV-Kohorte vor dem Aus? Was wird aus Daten und Biomaterial Tausender HIV-Positiver? (akt.)

Steht die HIV-Kohorte des  Kompetenznetzes HIV/Aids absehbar vor dem ‚Aus‘ ? Die Frage stellt sich, was mit den umfangreichen Daten und vor allem Biomaterialien von mehreren Tausend HIV-Positiven geschieht.

Seit 2002 existiert das Deutsche Kompetenznetz HIV/Aids. Zur Durchführung seiner Forschungen hat das Kompetenznetz eine umfangreiche Patienten-Kohorte. In dieser werden zu 8.200 HIV-positiven Patienten (ursprünglich: über 16.000 Patienten) pseudonymisiert Daten zu Infektionsverlauf, Medikamenten, Erkrankungen etc. gespeichert, aber auch Biomaterialien wie Blut- und Gewebeproben.

Die Förderung des Kompetenznetzes HIV / Aids selbst läuft aus. Die Zukunft der HIV-Kohorte ist mehr als fraglich.

Das Kompetenznetz HIV bemühte sich, nachdem absehbar war, dass es selbst keine weitere Forschungs-Förderung erhält, um andere Wege der Förderung für sich bzw. die HIV-Kohorte. Im Mittelpunkt der Bemühungen stand unter anderem das ‚Deutsche Zentrum für Infektionsforschung‘ (DZI), das auf Veranlassung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) derzeit gegründet wird.

Das Kompetenznetz HIV bemühte sich, über das DZI direkt selbst vom BMBF gefördert zu werden. Nach mehreren Gesprächen zeichnete sich jedoch schon Ende 2010 ein Scheitern dieser Bemühungen ab, eine direkte Förderung des Kompetenznetzes über diesen Weg schien nicht möglich. Ein entsprechender Antrag wurde nicht berücksichtigt.

In weiteren Gesprächen liefen anschließend Bemühungen um indirekte Förderung über das DZI. Sie hatten ein „Andocken“ der HIV-Kohorte des Kompetenznetzes HIV an das DZI bzw. die HIV-Arbeitsgruppe des DZI (Leitung Prof. Dr. Kräusslich, Direktor des Departments Infektiologie am Universitätsklinikum Heidelberg) oder ein Mitgliedsinstitut und so eine indirekte Förderung der HIV-Kohorte zum Ziel. Diese Konstruktion scheint eine der letzten Chancen, die HIV-Kohorte weiterhin zu fördern – mit fraglichen Erfolgsaussichten, entscheidende Gespräche sollen Ende vergangener Woche stattgefunden haben.

Damit stellt sich aus Sicht der Teilnehmer an der HIV-Kohorte des Kompetenznetzes – der HIV-positiven Patientinnen und Patienten – die entscheidende Frage, wie es weiter geht in Sachen Datenschutz.

Was geschieht mit den bereitgestellten Daten, Krankengeschichten, und vor allem auch Biomaterialien? Von allen Teilnehmern wurden umfangreiche Daten erhoben, z.B. zum Infektionsverlauf zu 8.200 (ursprünglich über 16.000) HIV-Positiven, mit bis zu 560 verschiedenen Einzel-Angaben. Zudem wurden in Material-Banken über 46.000 Blutproben und über 14.000 DNA-Proben gespeichert.

Umgangreiche persönliche Daten und Materialien – deren Verbleib und weitere Verwendung nun dringend einer Klärung bedürfen.

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Aktualisierung 17.01.2011, 14:15:
Prof. Kräusslich (Sprecher der HIV-Arbeitsgruppe im geplanten DZI) teilte auf Anfrage mit, über ‚mögliche Interaktionen zwischen dem Kompetenznetz und der HIV-Kohorte sowie dem geplanten DZI‘ sei ’noch nichts entschieden‘. Kräusslich verwies auf den entsprechenden Antrag, der Anfang März gestellt und im April begutachtet werde.
Das DZI soll nach Planungen des BMBF kurzfristig (bis Jahresmitte) realisiert werden. Innerhalb des Gesamtantrags DZI wird auch der HIV-Bereich beantragt. Partner des DZI sind Braunschweig / Hannover, Gießen, Hannover, Heidelberg, Köln / Bonn, München, und Tübingen. Die Partner Braunschweig / Hannover sowie Köln / Bonn sowie Heidelberg sind auch Mitglieder der Arbeitsgruppe HIV.

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weitere Informationen:
Bekanntmachung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zur Errichtung eines Deutschen Zentrums für Infektionsforschung
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Biobank des Kompetenznetzes HIV/AIDS gehört zu den ersten sechs vernetzten Biobanken

Deutschland verfügt über zahlreiche Biobanken mit tausenden von Serum-, DNA und Gewebe-Proben zu den unterschiedlichsten Krankheitsbildern. Die Suche nach den passenden Materialproben für das jeweilige Forschungsprojekt ist derzeit jedoch noch mühsam. Das neue Projekt-Vermittlungsportal „P2B2“ wird jetzt die interdisziplinäre Forschung wesentlich erleichtert: Durch die neue Infrastruktur und Organisation der Materialbanken wird externen Forschern der Kontakt zu den ersten sechs großen Biobanken Deutschlands ermöglicht. Die Biobank des Kompetenznetzes HIV/AIDS an der Ruhr-Universität Bochum wurde aus über 70 Biobanken des Registers ausgewählt und stellt mit 80.000 Proben die größte Bank.

Die Biobank des Kompetenznetzes HIV/AIDS umfasst zurzeit 56.327 Serum-Proben, 16.292 DNA-Proben und 1.468 Gehirn-Rückenmarksflüssigkeits-Proben, 5.080 Gewebe-Proben HIV-infizierter Patienten und ist damit die insgesamt größte Biobank im Projekt. Der Zugang zu diesem Schatz wird nun allen Forschern erleichtert.

Das Fraunhofer Institut für Biomedizinische Technik (IBMT) und die Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung (TMF e.V.) starten die neue Initiative zunächst mit sechs Biobanken. Nach und nach sollen dann alle großen Biobanken erschlossen werden, die im BMBF-geförderten Deutschen Biobanken-Register der TMF e.V. unter http://www.biobanken.de registriert sind. Das Projekt-Portal verbessert nicht nur die Benutzerfreundlichkeit; es werden auch gemeinsame Qualitätsstandards entwickelt und gesichert. Ziel ist es, bis September 2011 alle deutschen Biobanken in die einheitliche Infrastruktur zu integrieren und den barrierefreien Austausch von anonymisierten Materialproben unter Berücksichtigung aller anerkannten ethischen und rechtlichen Standards zu ermöglichen. Das neue nationale Biobanken-Register wird neben den Kontaktdaten, Kerninformationen in deutscher und englischer Sprache über alle Biobanken in Deutschland enthalten, wodurch ein effektiver und strukturierter Zugang zu dieser nationalen Wissenschaftsressource möglich wird.

„Die TMF e.V. und das Know-how des IBMT bieten uns in Deutschland eine hervorragende Basis, die bei uns vorhandenen wertvollen Biobank-Ressourcen öffentlich zugänglich zu machen, ohne die Vertraulichkeit unserer Patienten oder unserer wissenschaftlichen Arbeit zu gefährden“ begründet Prof. Norbert Brockmeyer (RUB-Klinikum und Sprecher Kompetenznetz HIV/AIDS; TMF-Vorstand) das Vertrauen der Wissenschaftler in die neue Infrastruktur.

(Pressemitteilung idw)

ClinSurv – Klinische Surveillance der HIV-Erkrankung

Nicht nur in der HIV/Aids-Kohorte des Kompetenznetz HIV/Aids werden Daten über HIV-Positive gesammelt. Auch das Robert-Koch-Instiut RKI sammelt – in der „Klinischen Surveillance der HIV-Erkrankung“ (ClinSurv).

Das RKI schreibt über ClinSurv

„Um valide Aussagen zur Demographie der in klinischer bzw. ambulanter Betreuung befindlichen HIV-Patienten, ihrer Therapie und den weiteren Verlauf der Erkrankung treffen zu können, wurde 1999 das Projekt „Klinische Surveillance der HIV-Krankheit (ClinSurv HIV) initiiert. Dabei werden in ihrem Umfang begrenzte Daten von allen HIV-Patienten erhoben, die in an dem Projekt teilnehmenden klinischen Zentren behandelt werden.“

Die Datenerhebung ist anders als in der HIV-Kohorte des Kompetenznetzes geregelt (ClinSurv: anonymer Identifikations-Code; HIV-Kohorte des Kompetenznetzes: psyeudonymisierte Daten):

„Die Daten werden in einer verbindlich vorgegebenen einheitlichen Struktur lokal erhoben. … Die teilnehmenden Zentren senden halbjährlich die anonymisierten Daten an das RKI.“

Anders als im Kompetenznetz HIV ist rechtlich aufgrund einer Ausnahmegenehmigung keine Einverständniserklärung (informed consent) der betroffenen Patienten der teilnehmenden Zentren erforderlich, „da die Daten anonymisiert sind und nur ein kleiner, klar umrissener Datensatz erfasst wird“.

Die ClinSurv-Kohorte umfasst die Daten von weit über 10.000 HIV-Positiven (30.6.2004: 10.681 Patienten; 31.12.2008: 14.382 Patienten). Teilnehmende Institutionen bei ClinSurv sind insbesondere die großen HIV-Behandlungszentren an Universitätskliniken in Deutschland.

weitere Informationen:
RKI: Klinische Surveillance der HIV-Erkrankung (ClinSurv)
DAH aktuell 13.08.2009: HIV-Kohorte vor dem Aus?
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HIV-Kohorte: Datenschutz bei Weiterführung im Zentrum für Infektionsforschung gewährleistet? (akt. 2)

Wird die Patienten-Kohorte des Kompetenznetz Aids am neu einzurichtenden Zentrum für Infektionsforschung weitergeführt? Was bedeutet dies für die Wahrung der Patienten-Interessen?

Seit 2002 existiert das Deutsche Kompetenznetz HIV/Aids. Zur Durchführung seiner Forschungen hat das Kompetenznetz eine umfangreiche Patienten-Kohorte. In dieser werden zu 8.200 HIV-positiven Patienten pseudonymisiert Daten zu Infektionsverlauf, Medikamenten, Erkrankungen etc. gespeichert, aber auch Biomaterialien wie Blut- und Gewebeproben.

Die Zukunft des Kompetenznetz HIV ist nach Auslaufen der Bundesförderung gefährdet – und damit auch die HIV-Kohorte mit ihrer umfangreichen Daten- und Biomaterial-Sammlung (siehe Gast-Kommentare „Deutsche HIV-Kohorte bald bei der Seuchenkontroll-Behörde?“ und „Die Hoffnung stirbt zuletzt: Das Kompetenznetz HIV/Aids und die Politik„).

Um eine Weiterführung der HIV-Kohorte zu sichern, sind entsprechende Maßnahmen erforderlich. Das Kompetenznetz plant nun, sich -um die Kohorte zu sichern- als Partner im neu zu errichtenden ‚Deutschen Zentrum für Infektionsforschung‘ DZI zu bewerben.

Das Forschungsministerium (das das Zentrum für Infektionsforschung initiiert) spricht in seiner Öffentlichkeitsarbeit ausschließlich von einer Zusammenarbeit von Universitätsklinika bzw. Wissenschaftlern. Patienten sind einzig Subjekte der Forschung, Patienten-Organisationen werden als Beteiligte des Zentrums nicht genannt.

Entsprechend werden Sorgen geäußert, ob für den Fall einer Integration der HIV-Kohorte in das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung die Interessen von Menschen mit HIV/Aids, insbesondere der Schutz von Daten und Biomaterial der beteiligten Patient/innen weiterhin gewährleistet sind.

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung BMBF hatte erst am 5. Mai 2010 die Bildung eines ‚Deutschen Zentrums für Infektionsforschung‘ bekannt gegeben. Es soll eine „langfristig angelegte, gleichberechtigte Partnerschaften von außeruniversitären Forschungseinrichtungen und Universitäten mit Universitätsklinika“ sein. Es soll „vorhandene Kompetenzen [bündeln] und … so einen maßgeblichen Beitrag zur Schließung von Wissenslücken und zur Verbesserung von Prävention, Diagnose und Therapie“ leisten.

„Berechtigt zur Teilnahme am Wettbewerb als Partner im Deutschen Zentrum für Infektionsforschung sind staatliche und nicht-staatliche Universitäten mit Universitätsklinika, außeruniversitäre Forschungseinrichtungen sowie mit diesen verbundene Dritte. Die Partner können sich einzeln oder als regionaler Verbund bewerben.“

„Anträge zur Teilnahme am Wettbewerb [sind] bis 31. August 2010 … vorzulegen.“ Standorte und Themen des DZI sollen Ende 2010 nach einer Begutachtung durch unabhängige Experten feststehen, die Gründung soll in der ersten Hälfte 2011 erfolgen. Projektträger des Zentrums für Infektionsforschung ist für das BMBF das DLR Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt.

Die Finanzierung des Kompetenznetz HIV ist derzeit bis zum Auslaufen der Förderung per 31.08.2010 gesichert. Eine kostenneutrale Laufzeitverlängerung bis Ende April 2011 wird beantragt.
Das Kompetenznetz und die HIV-Kohorte waren immer in der Kritik, insbesondere auch wegen Datenschutz-Bedenken. Erst jüngst hatte ein von der Deutschen Aids-Hilfe in Auftrag gegebenes Gutachten gezeigt, dass eine Beschlagnahme von Patientenakten nicht ausgeschlossen ist.

Update 10.07.2010: Das Kompetenznetz kann kostenneutral bis April 2010 weitergeführt werden. Die eigentlich bis August 2010 bewilligten Mittel dürfen nun bis April 2011 verwendet werden.
Das Kompetenznetzt HIV beteiligt sich an der Ausschreibung zum Deutschen Zentrum für Infektionsforschung. Auch die Installierung und Finanzierung einer Patientenvertretung sei dabei berücksichtigt.

weitere Informationen:
Kompetenznetz HIV/Aids
5. Mai 2010: Bekanntmachung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zur Errichtung eines Deutschen Zentrums für Infektionsforschung
BMBF Faktenblatt „Deutsches Zentrum für Infektionsforschung (DZI)“ (pdf)
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DAH-Gutachten zum Datenschutz: Beschlagnahme von Patientenakten nicht ausgeschlossen

„Patientenakten können unter Umständen auch vor Gericht verwertet werden“ – zu diesem Schluss kommt ein von der Deutschen Aids-Hilfe (DAH) in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten.

Zu diesem Rechtsgutachten und seinen wesentlichen Aussagen ein Gastbeitrag von Steffen Taubert. Der Autor ist Wissenschaftlicher Projektkoordinator bei der Deutschen AIDS-Hilfe.

Als im April dieses Jahres No-Angels-Sängerin Nadia Benaissa verhaftet wurde, war der Schock in der HIV-Community und den Aidshilfen groß. Der vage Vorwurf, sie habe mindestens einen ihrer Partner mit HIV-infiziert, löste eine öffentliche Hetzjagd aus.

Mehr als ein halbes Jahr danach sind drängende Fragen noch immer unbeantwortet: Wie war es möglich, dass die Medien so unverblümt den HIV-Status einer Person veröffentlichten? Musste die Sängerin tatsächlich zur Klärung der genauen Zusammenhänge medienwirksam in einem Nachtclub verhaftet werden? Und vor allem: Wurden im Ermittlungsverfahren Krankenunterlagen beschlagnahmt, die doch gesetzlich besonders geschützt sind? Oder haben Ärzte diese Unterlagen freiwillig herausgegeben?

Die letzten beiden Frage beunruhigen vor allem Menschen mit HIV. Die meisten gingen bislang davon aus, dass ihre Daten beim Arzt auf Grund der ärztlichen Schweigepflicht vor Beschlagnahmung und „freiwilliger Herausgabe“ geschützt seien. Um zu klären, wie sicher Patientenakten tatsächlich vor staatlichen Zugriff sind, hat die Deutsche AIDS-Hilfe beim Juristen und Kriminologen Kai Bammann ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben. Das Ergebnis liegt nun vor.

Bammann kommt in seiner Expertise zu dem Urteil, dass Patientenakten zwar grundsätzlich nicht beschlagnahmt werden dürfen, es aber einige Ausnahmesituationen gibt, in denen Staatsanwälte oder Polizei durchaus Zugriff auf die enthaltenen Informationen nehmen können.

Rechtliche Grundlage des Zeugnisverweigerungsrechtes ist der Paragraf 53 der Strafprozessordnung (StPO). Es gilt nicht nur für Ärzte, sondern auch für Psychotherapeuten, Anwälte und einige andere Berufsgruppen. Zudem regelt der Paragrafen 203 des Strafgesetzbuches (StGB) die Verschwiegenheitspflicht von Berufsgruppen, die im Rahmen ihrer Arbeit Kenntnis von schützenswerten personenbezogenen Daten erhalten. Neben Ärzten, Psychologen und Juristen sind hier unter anderem Ehe- und Jugendberater, Berater für Suchtfragen, staatlich anerkannte Sozialarbeiter und Sozialpädagogen genannt. Dazu gehören auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Aidshilfen.

Staatsanwaltschaft und Polizei können nicht ohne gewichtigen Grund auf Patientenakten zugreifen. Auch die neue Möglichkeit der Onlinedurchsuchung hat diesen Grundsatz offenbar nicht aufgeweicht. Wird allerdings ein Ermittlungsverfahren gegen einen Arzt geführt, dürfen auch Patientenakten oder elektronische Patientendateien beschlagnahmt werden. Das kann zum Beispiel passieren, wenn gegen den Arzt ein Verdacht auf Abrechnungsbetrug vorliegt.

Finden die Ermittler in diesen Akten nun Hinweise auf Rechtsverletzungen wie Drogenhandel, illegalen Aufenthaltsstatus oder – bei HIV-Positiven – ungeschützten Sex, könnten diese Informationen eventuell zu Ermittlungsverfahren gegen die Patienten genutzt werden.

Ein anderes Szenario besteht, wenn ein Arzt oder Berater Kenntnis von einer (geplanten) Straftat erhält. Hier kann der Arzt selbst tätig werden, wenn er im Rahmen von Nothilfe beziehungsweise Notstand (§§ 32 ff. StGB) den Eindruck hat, dadurch Schaden von einem anderen Menschen abzuwenden. Ob das Nothilfeverhalten eines Arztes tatsächlich gerechtfertigt ist, muss im Streitfall im Nachhinein ein Gericht klären.

Eine weitere Problematik ergibt sich in Bezug auf Forschungsdaten. Werden Daten für Studien oder Befragungen außerhalb der normalen Behandlung erhoben, unterliegen diese Informationen keinem besonderen Schutz, insbesondere keinem Zeugnisverweigerungsrecht. Aus diesem Grund forderte der nationale Ethikrat schon vor Jahren die Einführung eines „Forschungsgeheimnisses“. Die Deutsche AIDS-Hilfe schloss sich dieser Forderung an und kommunizierte diese im Vorfeld der letzten beiden Bundestagswahlen an die politischen Parteien. Ähnliche Forderungen erheben auch Datenschutzbeauftragte. Leider gibt es hier jedoch noch keine positive Entwicklung.

Und noch ein weiteres juristisches Problem beschreibt Bammann in seinem Gutachten: Es dreht sich um die Frage, ob Beweise aus unrechtmäßig durchgeführten Beschlagnahmen von Gerichten verwendet werden dürfen. Der Paragraf 160a der StPO scheint hier Möglichkeiten zu eröffnen. Bammann beschreibt die Lage so: „Kurz gefasst lässt sich festhalten: ein Verstoß gegen das Beschlagnahmeverbot hat zunächst einmal ein Verwertungsverbot zur Folge. […] Dieses Verwertungsverbot kann [aber] entfallen, wenn nachträglich das Beschlagnahmeverbot wegfällt – dann dürfen die Unterlagen verwendet werden, auch wenn die Beschlagnahme zunächst unzulässig war.“

Laut Paragrafen 160a StPO gibt es außerdem bei unzulässigerweise beschlagnahmten Unterlagen kein absolutes Verwertungsverbot mehr. Das Gericht muss sich mit der Frage auseinandersetzen, was höher wiegt: das staatliche Interesse an der Aufklärung einer Straftat oder das Recht des Einzelnen auf umfassenden Schutz seiner Daten. Nur dort, wo höchstpersönliche Lebensbereiche betroffen sind, gilt auch weiterhin ein absoluter Schutz. Wie dies anzuwenden und auszulegen ist, wird aber erst die Zukunft zeigen, da Paragraf 160a StPO noch relativ neu und nicht unumstritten ist.

Bammann befragte für das Gutachten auch Landesärztekammern über bisherige Fälle. Das Ergebnis: Beschlagnahmen kommen zwar vor, scheinen aber nach wie vor eher selten zu sein. Der Rechtsexperte weist allerdings darauf hin, dass die Landesärztekammern möglicherweise nicht über alle Vorgänge informiert sind.

Wie können sich Ärzte verhalten, wenn die Polizei in ihrer Praxis auftaucht? Wichtig ist vor allem, Ruhe zu bewahren und die Schweigepflicht auch tatsächlich einzuhalten, soweit das möglich ist.
Erfahren Patienten, dass sensible, medizinische Informationen ohne ihre Zustimmung an Polizei, Staatsanwaltschaft oder Presse weitergeben wurden, können sie Strafanzeige gemäß Paragraf 203 StGB stellen. Hier können regionale Aidshilfen Unterstützung bieten.

Letztlich sollte es jedoch darum gehen, dass Ärzte und Patienten sich gemeinsam gegen Strömungen stellen, den Schutz der Privatsphäre auszuhöhlen. Ein vertrauensvolles Arzt-Patientenverhältnis, das Grundlage jeder guten HIV-Therapie ist, baut sich nur dann auf, wenn keine Informationen aus solchen Gesprächen an Dritte gelangen.

In diesem Zusammenhang gilt es von Politik zu fordern, Unklarheiten bei der Umsetzung des Paragrafen 160 StPO schnellstmöglich zu ändern, Regelungen eines umfassend Forschungsgeheimnisses einzuführen.

Der Fall Nadja Benaissa zeigt außerdem: Nicht zuletzt kommt es darauf an, eine Kultur der Anwendung bestehenden Rechts einzufordern.

Dieser Text wurde erstveröffentlicht im DAH-Blog DAH-Gutachten zum Datenschutz: Beschlagnahme von Patientenakten nicht ausgeschlossen. Vielen Dank an Steffen Taubert für das Einverständnis zur Veröffentlichung auf ondamaris!

weitere Informationen:
Beschlagnahme und Beschlagnahmeschutz von Patientenakten insbesondere im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen. Rechtsgutachten Dr. Kai Bammann, Berlin, November 2009 (pdf)
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Die Hoffnung stirbt zuletzt: Das Kompetenznetz HIV/Aids und die Politik

Die Zukunft der HIV-Kohorte des Kompetenznetzes HIV/Aids ist unsicher – ein Gast-Kommentar von Siegfried Schwarze (Projekt Information, München):

In der Medizin sind Kohorten, also die Sammlung von Behandlungsdaten zu einer bestimmten Erkrankung über längere Zeit, ein unverzichtbares Mittel um Forschungshypothesen für klinische Studien aufzustellen. Im HIV-Bereich gibt es mehrere große Kohorten, darunter vor allem die schweizerische „Swiss Cohort“ mit mehr als 15.000 Patienten, aus der immer wieder hochrangige wissenschaftliche Veröffentlichungen gewonnen werden.

Bis vor einigen Jahren war Deutschland, was HIV-Kohorten anbelangte, Entwicklungsland. Zwar erfasste jedes größere Behandlungszentrum die Daten seiner Patienten mehr oder weniger systematisch, aber eine Zusammenarbeit oder gemeinsame Auswertung der Daten gab es immer nur kurzfristig und projektbezogen.

Dann kam die „Kompetenznetzinitiative“ der Bundesregierung. 2002 waren Kompetenznetze auf einmal die tollste Erfindung seit dem Plastikstrohhalm. Im Bereich HIV wurde das Kompetenznetz HIV/Aids aus dem Boden gestampft und mit ihm eine Kohortendatenbank. Ein Grundgedanke beim Aufbau des Netzwerks war es, in Deutschland die industrieunabhängige Forschung zu fördern. Heraus kam eine weltweit ziemlich einmalige Struktur, in der sich die gesamte „HIV-Community“ aus niedergelassenen Ärzten, Klinikärzten, Grundlagenforschern, Sozialwissenschaftlern und Patientenvertretern wiederfindet. Damit schien auch eine erfolgreiche Eingliederung in internationale Projekte machbar.
Allerdings hatte Deutschland aufgrund der dezentralen Struktur seines Gesundheitswesens einen entscheidenden Wettbewerbsnachteil: Jede Praxis, bzw. jede Klinik kann aus einem breiten Angebot verschiedener Software-Systeme auswählen, die praktisch alle zueinander inkompatibel sind. Nun gibt es zwar die Möglichkeit, entsprechende Datenschnittstellen zu schaffen, aber diese Programme sind sehr komplex und müssen zudem ständig angepasst werden – ging also nicht, da zu teuer. Einzige Alternative: Die Ärzte müssen alle Daten doppelt erfassen. Einmal für sich selbst, einmal für’s Kompetenznetz. Wie man sich leicht vorstellen kann, ist die Eingabe von Datensätzen mit über 100 Einzeldaten pro Patient schon bei wenigen Patienten ein solcher Aufwand, dass der Arzt diese Aufgabe an (zusätzliches) Personal delegieren muss. Und das kostet Geld. Im Jahr 2007 wurde die Kohorte dann von ihrem eigenen Erfolg eingeholt: Bei mehr als 16.000 Patienten war absehbar, dass das Geld, das vom Staat von Förderperiode zu Förderperiode spärlicher floss, nicht mehr ausreichen würde. Nicht zuletzt auf massiven Druck der fördernden Ministerien wurde die Kohorte schließlich auf etwa 8.000 Patienten verkleinert.

Doch damit war das Problem der Finanzierung nicht gelöst, denn von Anfang an war klar, dass die Förderung durch den Staat am 31.08.2010 endgültig auslaufen würde. Dieser Zeitpunkt rückt immer näher und bis jetzt ist kein tragfähiges Konzept für die weitere Finanzierung des Kompetenznetz HIV/Aids in Sicht. Vielfache Anstrengungen sind für die finanzielle Sicherstellung des Kompetenznetz HIV/Aids unternommen worden doch bisher trägt davon keine. So ist auch die Möglichkeit, die Finanzierung durch eine Stiftung sicherzustellen, nur dann umsetzbar, wenn bei allen Beteiligten (und bei denjenigen, die von der Forschung und den Daten des Kompetenznetzes möglicherweise profitieren) der Wille besteht, das Kompetenznetz zu erhalten. 50 Millionen Euro würden als Stiftungskapital gebraucht um mit den Kapitalerträgen die Kohorte am Laufen zu halten. Bisher gibt es trotz vieler Gespräche wenig Hoffnung, diese finanzielle Einlage (auch befristet, wenn das Kompetenznetz nicht erfolgreich arbeitet) zu realisieren. Momentan braucht der Staat offenbar jeden Cent um marode Banken zu sanieren und Wahlgeschenke zu finanzieren.

Der Patientenbeirat und die Deutsche Aidshilfe haben sich in einer Briefaktion an zahlreiche deutsche Politiker und Entscheidungsträger gewandt, mit der Bitte, das Kompetenznetz nicht einfach so sterben zu lassen. Immerhin hat es den Steuerzahler bereits etwa 17 Millionen Euro gekostet. Und die Daten in der Datenbank sowie die eingefrorenen Blut- und Gewebeproben sind für die Forschung von unschätzbarem Wert. Anders als in anderen Studiendesigns muss eine Kohorte über viele Jahre fortgeführt werden, um aussagekräftige Daten zu erhalten und diese sinnvoll analysieren und publizieren zu können (Zum Vergleich: Die Schweizer Kohorte hat über 10 Jahre dafür gebraucht!). Das Kompetenznetz hat gerade aufwendig die Kohortendaten in ihrer Qualität aufgewertet. Erste Veröffentlichungen der Daten auf Kongressen und in Artikeln finden gerade statt, die Kohorte wird nach vergleichsweise kurzer Zeit sichtbar. Jetzt, wo die Kohorte anfängt, Früchte zu tragen, wäre es der unsinnigste Zeitpunkt, ihre Fortführung einzustellen.

In den Antwortschreiben (so denn überhaupt eine Antwort kam…) wurde angedeutet, dass die Kohorte unter der Aufsicht des Robert-Koch-Instituts (RKI) fortgeführt werden könnte. Dies kann und darf aber keine Lösung sein, denn zum einen ist damit die Frage der Finanzierung immer noch offen (wenn man das nötige Geld dem RKI gibt, könnte man es auch gleich dem Kompetenznetz geben), zum anderen ist der Transfer hochsensibler Daten von 8.000 Patienten an die Bundesseuchenbehörde (nichts anderes ist das RKI) aus Datenschutzgründen nicht akzeptabel. Sollte dieses schlimmstmögliche Szenario eintreffen, würde der Patientenbeirat alle Patienten in der Kohorte dazu aufrufen, ihre Einwilligungserklärung zu widerrufen. Dann müssten die Daten gelöscht und die Blut- und Gewebeproben vernichtet werden.

Doch glücklicherweise werden noch andere Alternativen erwogen. So könnte die Kohortendatenbank auch bei wissenschaftlichen Gesellschaften wie der Helmholtz-Gesellschaft oder bei den Fraunhofer-Instituten eine neue Heimat finden. Da in Deutschland Großforschungseinrichtungen im Rahmen der diversen „Eliteförderungen“ und „Exzellenzinitiativen“ immer noch vergleichsweise großzügig unterstützt werden, sind diese Gesellschaften finanziell recht komfortabel ausgestattet und könnten den Erhalt der Kohorte langfristig sicherstellen. Denkbar und aus
Sicht des Patientenbeirats das „kleinste Übel“ wäre die Angliederung der Kohorte an eine solche oder eine vergleichbare Struktur, die es auch im Umfeld von Universitäten gibt. Die einfachste und billigste Lösung wäre es sicherlich, die aufgebauten Strukturen des Kompetenznetzes weiter zu nutzen.

Eines ist klar: Wenn wir das Kompetenznetz einfach so gegen die Wand fahren, verliert Deutschland auf lange Zeit die Chance, in der HIV-Forschung mit vorne dabei zu sein. Der Einsatz der Ärzte und Forscher und nicht zuletzt auch der Patienten wäre umsonst gewesen und HIV-Forschung wäre nur noch mit Mitteln der Pharmaindustrie möglich.

Soweit darf es nicht kommen!

S. Schwarze

Deutsche HIV-Kohorte bald bei der Seuchenkontroll-Behörde?

Die Zukunft der HIV-Kohorte des Kompetenznetzes HIV/Aids ist unsicher – ein Gast-Kommentar von Bernd Vielhaber:

Seit 2002 hat existiert das deutsche Kompetenznetz HIV/AIDS (www.kompetenznetz-hiv.de). Das Markenzeichen des Kompetenznetzes ist seine Patientenkohorte, in der der Infektionsverlauf von aktuell 8.200 HIV-Infizierten pseudonymisiert und mit hoher Qualität dokumentiert wird. Zu den halbjährlich aktualisierten Daten gehören bis zu 560 verschiedene Items – unter anderem Laborbefunde, Art und Menge der Medikamente sowie Begleiterkrankungen. Zur Kohorte gehören auch Materialbanken, in denen mehr als 46.000 Blut- und 14.000 DNA-Proben eingelagert sind.

Nach Begutachtung durch ein internationales Expertengremium hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) dem nationalen Forschungsverbund für eine dritte Förderperiode bis September 2010 insgesamt 3,6 Millionen Euro zugebilligt. Das Netzwerk benötigt zirka 2,5 Millionen Euro jährlich, um die in Deutschland geschaffene neue Qualität der AIDS-Forschung, mit der Translationsforschung als Alleinstellungsmerkmal des Netzes, durch eigene Projekte zu gewährleisten und auszubauen.

Zum Vergleich ein Blick ins Ausland: Eine dem Kompetenznetz ähnliche Struktur in Frankreich (ANRS) wird mit 45 Millionen Euro pro Jahr unterstützt. Und die HIV – Forschung in Großbritannien erhält ein Budget, das höher ist als das der Netze Frankreichs und Deutschlands zusammen.

Das BMBF sperrt sich gegen die Weiterfinanzierung und betreibt derzeit die Verlagerung der Kohorte und der Materialbank an das Robert-Koch-Institut (RKI).

Das ist in mehrfacher Hinsicht „bemerkenswert“.

Das RKI hat eine eigene HIV-Kohorte (ClinSurv). Eine Zusammenarbeit oder gar Zusammenlegung der beiden Kohorten ist in der Vergangenheit vom stellvertretende Leiter der Abteilung Infektionsepidemie des RKI (Osama Hamouda) immer mit dem Hinweis verweigert worden, die Datenstrukturen der beiden Kohorten seien zu unterschiedlich, der Aufwand sei viel zu groß und man habe keine personelle Ressourcen.

Aufgrund einer Ausnahmegenehmigung darf die ClinSurv-Kohorte betrieben werden, ohne das die eingeschleusten Patienten(inn)en wissen, dass sie eingeschleust worden sind und ohne dass sie eine Einverständniserklärung unterschreiben mussten.

Das RKI ist die staatliche Seuchenkontrollbehörde.

Anfang Juli 2009 hat das RKI verschiedene Forschungsprojekte ausgeschrieben. Der folgende Text ist dieser Ausschreibung entnommen und macht deutlich, in welche Richtung das RKI zu denken scheint:

„Die epidemiologische Krebsregistrierung in Deutschland hat sich gerade in den letzten Jahren wesentlich verbessert. Seit kurzem sind in allen Bundesländern die gesetzlichen Grundlagen für eine flächendeckende bevölkerungsbezogene Krebsregistrierung geschaffen worden. Die Daten epidemiologischer Krebsregister ermöglichen es, die Effektivität von Präventions- und Früherkennungsprogrammen zu bewerten. Dabei bilden relative Überlebensraten ein geeignetes Maß, um die Überlebensaussichten nach der Diagnose einer Krebskrankheit auf Bevölkerungsebene zu beschreiben. Überlebensraten können jedoch nur zur Bewertung der Effektivität des Gesundheitswesens bei der Bekämpfung von Krebserkrankungen herangezogen werden, wenn die Qualität der Daten gewährleistet ist. Gerade für die neu etablierten Krebsregister stellt die Prüfung der Datenqualität eine wichtige Aufgabe dar. Hinsichtlich der Berechnung des Überlebens von Krebspatientinnen und -patienten bildet die Verlässlichkeit, mit der der Vitalstatus der Erkrankten festgestellt werden kann, einen wichtigen Einflussfaktor. Erfahrungsgemäß sind die Überlebensraten umso höher, je ungenauer der Kenntnisstand des Krebsregisters hinsichtlich des Vitalstatus der registrierten Krebspatientinnen und -patienten ist.

In der Arbeitsgruppe „Überlebenszeitanalysen“ der „Gesellschaft der epidemiologischen Krebsregister in Deutschland e.V.“ (GEKID) ist die Notwendigkeit erkannt worden, die Erfassung aller Todesfälle unter den registrierten Krebskranken in den Krebsregistern näher zu untersuchen und gegebenenfalls zu verbessern. Dazu soll der Vitalstatus der im Register erfassten Patientinnen und Patienten mittels der Einwohnermeldeämter im Rahmen einer (kostenpflichtigen) Meldeauskunft überprüft werden. Um die Gesamtkosten für die einfachen bzw. erweiterten Meldeauskünfte zu begrenzen, ist die Bildung von Patientenstichproben denkbar oder die Konzentration auf einzelne, stellvertretende Entitäten mit guten/schlechten Prognosen. Die letztlich entstehenden Kosten sind jedoch nicht vollständig aus den laufenden Budgets der Krebsregister finanzierbar. Das beabsichtigte Projekt sollte sowohl die Finanzierung dieser Aufgaben ermöglichen als auch die übergreifende Auswertung der Ergebnisse unterstützen.
Die bisher berechneten Überlebensraten fallen günstig aus, wenn unterstellt wird, dass alle Krebskranken, über deren Ableben nichts bekannt ist, überlebt haben. Die Überlebensraten fallen deutlich schlechter aus, wenn nur diejenigen als Überlebende angesehen werden, die nach positiver Auskunft des Einwohnermeldeamts am alten oder einem neuen Wohnort gemeldet und nicht zwischenzeitlich verstorben sind. Erst die nach zusätzlichen Informationen neu berechneten Überlebensraten werden Klarheit über die wahren Verhältnisse schaffen. Erst dann kann der Einfluss unterschiedlicher Mortalitätserfassung in den einzelnen Registern auf die Ergebnisse abgeschätzt werden. Dadurch sind letztlich relative Überlebensraten für Deutschland realisierbar, die nicht nur – wie bisher – allein auf den Daten des saarländischen Krebsregisters basieren, sondern auf Krebsregisterdaten aus weiteren (möglichst allen) Regionen Deutschlands.“

Da frage ich mich dann doch, ob nicht eine Einführung der namentlichen Meldepflicht über die Hintertür zu befürchten ist.

Aus meiner Sicht ist eine Überführung der Kohorte und der Materialbank des Kompetenznetzes HIV/AIDS an das Robert-Koch-Institut völlig inakzeptabel.

Das BMBF hat – so die Einschätzung der an den Gesprächen Beteiligter – überhaupt keine Vorstellung davon, dass gerade für Menschen mit HIV und AIDS eine derartige Bedrohung ihrer Anonymität nicht hinnehmbar ist und geht davon aus, dass die Transition problemlos und ohne Widerstand über die Bühne geht.

Ich schlage daher vor, dem BMBF sehr deutlich Grenzen zu setzen. Dazu habe ich (in Anhang) einen Musterbrief formuliert, den jede/r Patient/in die/der in der Kohorte ist, seiner einschleusenden Ärztin/seinem einschleusenden Arzt ausgefüllt zuschicken kann, um deutlich zu machen, dass wir einer solchen Verlagerung keinesfalls zustimmen.

Bernd

Musterbrief zum Download als rtf hier

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HIV-positiv und kein Geld – schlechte Chancen, auch gesundheitlich

Menschen mit HIV, die nur ein niedriges Einkommen verfügbar haben, verfügen mit hoher Wahrscheinlichkeit über einen schlechteren Gesundheitszustand. Was international seit längerem bekannt ist, gilt auch in Deutschland – wie jüngst vorgestellte Daten erneut zeigen.

Menschen mit HIV sind häufig sozial benachteiligt, haben ein höheres Risiko ökonomisch schlechter Lebensbedingungen – und ein hohes Risiko, auch aufgrund des niedrigen Einkommens zusätzlich gesundheitlich schlechter gestellt zu sein. Dies zeigen auch neuere Studiendaten wieder – auch für Deutschland.

Anhand von Daten der HIV-Kohorte des Kompetenznetzes HIV wurde untersucht, in welchem Zusammenhang in Deutschland der ökonomische Status (verfügbares Einkommen) und die gesundheitliche Situation von HIV-Positiven stehen.

Die Autoren stellten anhand der Daten von 2.045 Patienten (die in ihrer Zusammensetzung repräsentativ für die Gesamt-Kohorte waren) fest, dass sowohl der CDC-Status (eine international angewendete Aids-Einteilungs-Skala der US-Gesundheitsbehörden) als auch die Zahl der CD4-Zellen (auch T-Helferzellen genannt) signifikant in Beziehung zum verfügbaren Einkommen stehen: nur 30% der Positiven mit einem verfügbaren Einkommen unter 1.000€ monatlich befanden sich im Stadium A (dem mildesten der Skala), 23,8% im Stadium B und 43% im Stadium C. 60,4% der Positiven in dieser Einkommensgruppe hatten weniger als 200 CD4-Zellen – im Vergleich zu nur 6% bei Positiven mit einem Einkommen über 2.500€.

Die Autoren dieser Studie folgerten, dass der in Deutschland festgestellte deutlich schlechtere Gesundheitszustand bei HIV-Positiven mit niedrigem Einkommen die Ergebnisse anderer Studien zu diesem Thema bestätige. Zudem werde deutlich, dass besonders in dieser Patientengruppe ein großer Bedarf an besserer Therapie und Behandlung bestehe.

Besonders betroffen vom Thema niedriges Einkommen sind HIV-positive Frauen – auch in Deutschland. Eine Befragung des Netzwerks Frauen und Aids (der u.a. aufgrund der geringen Zahl an Teilnehmerinnen (84 auswertbare Fragebögen) leider nur eine begrenzte Aussagekraft zukommt) zeigte, dass 54% der Frauen ihren Lebensunterhalt mit weniger als 1.000€ bestreiten. 25% der Frauen hatten Kinder, die Hälfte davon alleinerziehend. Auffällig seien, so sie Autorinnen, die schlechte Beschäftigungslage sowie schlechte Einkommenssituation der Befragten – trotz überwiegend guter schulischer Ausbildung.

Entsprechend stellt sich auch die Antrags-Situation bei der deutschen AIDS-Stiftung dar: im Jahr 2007 wurden 3.742 Anträge auf Einzelfallhilfe gestellt, die insgesamt 4.269 Personen betrafen. Die Stiftung bewilligte Mittel in Höhe von 1,88 Mio. €, davon gut 50% für Einzelfallhilfen.

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siehe auch:
Deutsche Aids-Stiftung: weniger Geld für HIV-Positive
Unterlassene Hilfeleistung – Lässt die Aids-Stiftung Positive im Stich?
Hilfe für die bedürftigsten Menschen mit HIV sichern – die Hilfsaktivitäten der Deutschen AIDS-Stiftung

weitere Informationen:
Klaus Jansen et al.: „Clinical outcome of HIV-positive patients (PLWHA) having different income status: results of an analysis on basis of the KompNet cohort“, 1. SÖDAK 2009 abstract OSD/5
Gaby Wirz et al.: „HIV und AIDS und Arbeit / Beschäftigung – Situation HIV-positiver Frauen in Deutschland“, 1. SÖDAK 2009 abstract P120
Matthias Stoll et al.: „Optimierung einer zielgerichteten, subsidären Einzelhilfe durch die Deutsche AIDS Stiftung (DAS) durch eine Vernetzung mit Daten aus dem kompetenznetz HIV/AIDS“, 1. SÖDAK 2009 abstract P104(PW)
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Kompetenznetz HIV: die problematische Rolle der DAH

Die Doppelrolle der DAH im Kompetenznetz HIV als Interessenvertretung und Projektbeteiligter erscheint konfliktträchtig. Kann eine Organisation, die tief in die Strukturen eingebunden ist, andererseits kritisch ihre Rolle als Interessenvertretung wahrnehmen?

Nach Teil 1 „Kompetenznetz HIV – der steigende Einfluss der Pharmaindustrie“ nun Teil 2 der Gedanken zum Kompetenznetz HIV/Aids – „Kompetenznetz HIV: die problematische Rolle der DAH“:

Das Kompetenznetz HIV/Aids bezeichnet (in seiner Image-Broschüre „Kompetenznetz HIV/Aids – Das Virus hat viele Gesichter. Die Forschung auch.“) als eines seiner Ziele auch den „vertikalen Wissenstransfer zu … den Betroffenen“. „Beratung und Unterstützung der Betroffenen“ sei „von entscheidender Bedeutung für den Erfolg der HIV-Therapien“, heißt es an anderer Stelle.

Die Rolle der Deutschen Aids-Hilfe im Kompetenznetz HIV

Die Deutsche Aids-Hilfe ist Interessenvertretung der Menschen mit HIV und Aids. Die Deutsche Aids-Hilfe ist (in Gestalt ihres Medizin-Referenten) Mitglied des Steering Committees des Kompetenznetzes HIV.

Zudem existiert ein ‚Patientenbeirat‘ über den die DAH selbst schreibt:

„Die Interessen von Menschen mit HIV und AIDS im Kompetenznetz durchzusetzen, ist nicht nur das Anliegen von AIDS-Hilfen. In Zusammenarbeit mit engagierten Positiven hat die DAH im Kompetenznetz einen Patientenbeirat etabliert… „

Doch die Rolle der Deutschen Aids-Hilfe (DAH)  im Kompetenznetz HIV ist noch eine weitere: sie ist auch Auftragnehmer, Projektbeteiligter im Kompetenznetz HIV. Das Kompetenznetz-HIV – Projekt „Patientennetzwerk: Stärkung der Patientenkompetenz in der Behandlung von HIV/AIDS durch vertikale Vernetzung zwischen dem Kompetenznetz HIV/AIDS und HIV-infizierten Patienten“ wird von der DAH geleitet und durchgeführt.

Die DAH hat damit eine vielschichtige Doppel-Rolle im Kompetenznetz HIV/Aids: Einerseits ist ihr Anliegen die Interessenvertretung von Menschen mit HIV und Aids – hierzu hat sie u.a. Sitz und Stimme im Leitungsgremium des Netzes. Parallel aber ist sie auch Auftragnehmer des Kompetenznetzes, realisiert selbst Projekte, die aus Kompetenznetz-Mitteln finanziert werden.

Diese Doppelrolle der DAH als Interessenvertretung und Projektbeteiligter erscheint zutiefst konfliktträchtig. Es  stellt sich die Frage, wie eine Organisation, die gleichzeitig tief in die Strukturen eingebunden ist, andererseits auch kritisch ihre Rolle als Interessenvertretung wahrnehmen will.

Muss oder zumindest sollte eine Organisation, die die Interessen von Patienten vertritt, zu diesem Ziel Mitglied einer Organisation sein, die eben die Forschung an jenen Patienten koordiniert und durchführt?

Die Antwort liefert das Kompetenznetz HIV vielleicht selbst.
Schon die Bezeichnung des Zieles „vertikaler Wissenstransfer zu den Betroffenen“ zeigt deutlich, dass dem Kompetenznetz in der Zusammenarbeit mit Patienten, mit Menschen mit HIV und Aids (und ihrer Organisation, der DAH) wohl gedanklich ein Top-Down-Ansatz vorschwebt. Informationen werden gezielt nach unten vermittelt – an einen Fluss in umgekehrter Richtung, gar einen wechselseitig befruchtenden Austausch scheint (wohl nicht nur sprachlich) über ausgelagerte Beiräte hinaus nicht gedacht.
Die DAH – mehr als nur ’schmückendes Beiwerk‘, das sich in Verhandlungen mit Bundesregierung und Sponsoren gut macht, ansonsten aber eher lästig ist?

Diese Art Informationstransfer jedoch setzt sicherlich keine Mitgliedschaft von Betroffenen-Organisationen im Kompetenznetz voraus – Wissensvermittlung, zumal im hier formulierten Verständnis, kann leicht über Medien, Veranstaltungen etc. organisiert werden und erfordert keine institutionelle Einbindung.

Ein Beispiel mag die problematischen Folgen verdeutlichen:
Dass innerhalb von Projekten des Kompetenznetzes HIV Daten an die Pharmaindustrie gegeben werden, zumal pseudonymisiert (und eben nicht anonymisiert) beruhigt nicht sehr. Eine kritische und engagierte Interessenvertretung wäre gerade hier (genauso wie generell beim Datenschutz-Konzept und dessen praktischer Umsetzung) wünschenswert.
Gerade hier ist zu fragen, ob die DAH auf der Seite des Kompetenznetzes als Mitlgied und Projektpartner an diesem Vorgang beteiligt sein sollte – oder ob eine wirksame Vertretung von Patienteninteressen insbesondere in derart gestalteten Fällen von besonders starkem Patienteninteresse (wie der Weitergabe von Informationen, Daten oder Biomaterial) nicht eher eine außenstehenden, nicht in die Struktur eingebundene Position erfordert.

Die DAH ist im Kompetenznetz HIV/Aids in einer schwierigen, spannungsbeladenen Rolle. Sie ist im Kompetenznetz eben nicht nur Interessenvertretung der Menschen mit HIV und Aids, sondern andererseits gleichzeitig auch Auftragnehmer eben jenes Kompetenznetzes.

Eine Mitgliedschaft im Kompetenznetz ist für die Interessenvertretung von Positiven nicht nur nicht notwendig, sie ist -wie obiges Beispiel verdeutlichen mag- auch nicht sinnvoll – im Gegenteil, in Konfliktsituationen erweist sie sich potenziell als schädlich, da sie ein wirksames und kraftvolles Beziehen der Patienten-Perspektive und Vertreten ihrer Interessen behindert.

Angesichts dieser Doppelrolle, aber auch angesichts der zunehmenden Konfliktfelder (wie dem deutlich steigenden Einfluss der Pharma-Industrie im und auf das Kompetenznetz HIV) wird deutlich: eine wirksame Interessenvertretung von Menschen mit HIV und Aids ist nicht möglich, wenn die Deutsche Aids-Hilfe selbst stark in dieses Kompetenznetz eingebunden ist, mit all den resultierenden Sachzwängen, Interessenausgleichen, Machtspielen und Hierarchien.

Die DAH sollte prüfen, ob sie ihre derzeitige problembeladene Doppelrolle im Kompetenznetz aufgibt und sich auf wirksame Vertretung von Patienteninteressen konzentriert. Für eine Rolle als schmückendes Beiwerk hingegen sollte sie sich zu schade sein.

Wenn die DAH tatsächlich im Kompetenznetz HIV/Aids die Interessen von Menschen mit HIV und Aids wirksam vertreten will, sollte sie dies von einer Position unabhängiger Stärke tun – von außen.

Kompetenznetz HIV – der steigende Einfluss der Pharmaindustrie

Das Kompetenznetz HIV/Aids sucht neue Wege der Finanzierung. Ein begehrter ‚Partner‘: die Pharmaindustrie, deren Einfluss im Kompetenznetz zunehmend steigt.

Das Kompetenznetz HIV/Aids sucht neue Wege der Finanzierung. Ein begehrter ‚Partner‘: die Pharmaindustrie, deren Einfluss im Kompetenznetz zunehmend steigt.

Es ist ruhiger geworden in den letzten Monaten um das Kompetenznetz HIV/Aids. Noch 2006 und 2007 wurde intensiv über laxen Umgang mit Patientendaten, über Kohortenstudie und Datenschutz-Probleme diskutiert, und Ende 2008 über die ominöse ‚Rektalstudie‘.

Inzwischen herrscht weitgehend Ruhe beim Thema ‚Kompetenznetz‘. Eine Ruhe, aus der man schließen könnte, alle Probleme seien gelöst, alle offenen Fragen beantwortet.

Doch – die Debatten wurden noch nicht zuende geführt. Viele Fragen sind noch offen. Und neue Fragen hinzu gekommen. Nicht nur interne wie die des Datenschutzes, sondern auch extern – die nach den Partnern. Besonders die nach der Rolle der Pharma-Industrie im Kompetenznetz HIV/Aids.

Heute „Kompetenznetz HIV – der steigende Einfluss der Pharmaindustrie“, am Freitag folgt der zweite Teil zur Frage, welche Rolle die DAH im Kompetenznetz hat.

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Die neue Rolle der Pharmaindustrie im Kompetenznetz HIV/Aids

Im Jahr 2008 hat das Kompetenznetz eine organisatorische Änderung erfahren, die zukünftig weitreichende Konsequenzen haben könnte: erstmals wurden Pharmaunternehmen aufgenommen.

Hierzu wurde das Konstrukt einer ‚Fördermitgliedschaft‘ neu eingeführt.
2008 wurden bereits die Pharmakonzerne Abbott und MSD Mitglied mit einem jährlichen ‚Förderbeitrag‘ in Höhe von je 10.000€, 2009 wurden zudem Boehringer Ingelheim und Essex als ‚Fördermitglied‘ aufgenommen.

Doch der Arm der Pharma-Industrie reicht inzwischen weiter hinein in das Kompetenznetz HIV. Nicht nur in Form von ‚Fördermitgliedschaften‘ ist die Pharmaindustrie beteiligt, sondern seit Kurzem auch direkt finanziell in Projekte und die Nutzung von Ergebnissen eingebunden:

Zum Kompetenznetz-Projekt ‚Resistenzdatenbank‘ vermeldet das Kompetenznetz selbst Ende 2008:

„Nun konnte das Kompetenznetz selbst mit der Firma Virco einen Partner finden, der das Projekt mitfinanziert.“

Virco, ein 1995 gegründetes Unternehmen, das Verfahren zur Interpretation von Resistenztests entwickelt und anbietet, ist ein Teil des 1994 gegründeten Unternehmens Tibotec (u.a. HIV-Medikamente Prezista®, Intelence®). Tibotec wiederum ist (über Janssen-Cilag) seit April 2002 Bestandteil des internationalen Pharmakonzerns Johnson & Johnson.

Der Preis für die Unterstützung Vircos?

„Als Gegenleistung für die Finanzierung der Resistenzdatenbank erhält Virco die pseudonymisierten Sequenzdaten sowie einen eingeschränkten Satz relevanter klinischer Daten“, berichtet ‚Kompl@t‘, der Newsletter des Kompetenznetzes.

Die Pharmaindustrie ist also inzwischen weit mehr als „nur“ Fördermitglied, die Pharmaindustrie gelangt vielmehr längst in der Rolle eines bedeutenden Finanziers von Projekten. Zudem partizipiert sie direkt an den Ergebnissen.

Diese Entwicklung vollzieht sich nicht grundlos. Hintergrund dieser Entwicklungen ist das Bemühen des Kompetenznetzes HIV, den Anteil der Drittmittel-Förderung auszubauen.

Dieses Bemühen des Kompetenznetzes HIV/Aids um Drittmittel war notwendig geworden, nachdem der Bund ankündigte, nach Ablauf der dritten Förderperiode 2010 keine weiteren öffentlichen Mittel bereit zu stellen. Zwar enthielt erst jüngst ein Antrag der FDP-Bundestagsfraktion (21. Januar 2009) zur Aids-Forschung auch einen Appell, die zukünftige Förderung des Kompetenznetzes durch das Forschungsministerium sicherzustellen. Diesem Begehren wird derzeit aber nur geringe Aussicht auf erfolg eingeräumt.

Angesichts der Mittel-Situation wird die Pharmaindustrie zukünftig ein noch begehrterer Partner des Kompetenznetzes HIV werden. Ein Partner, der weit mehr sein wird als nur Fördermitglied. Ein Partner, der wesentlich zur Finanzierung des Kompetenznetzes HIV beitragen wird. Ein Partner, der zunehmend an den Ergebnissen der Projekte teilhaben wird. Und ein Partner, der zunehmend versuchen dürfte, auch auf die Ausrichtung des Kompetenznetzes und seiner Forschungsprojekte Einfluss zu nehmen.

Dies ist eine Entwicklung, die sicher auch die Bundesregierung verursacht durch ihr Beharren auf einem Auslaufen der öffentlichen Förderung.
Es ist jedoch in jedem Fall eine Entwicklung, die so nicht im Interesse der Menschen mit HIV und Aids sein dürfte. Ein stärkerer Einfluss der Pharmaindustrie dürfte immer auch bedeuten, dass Interessen an kommerzieller Verwertbarkeit der Ergebnisse stärkere Bedeutung gewinnen. Dass dies nicht unbedingt Patienteninteressen entspricht, zeigen allein schon die zahlreichen Beispiele von Substanzen, deren Erforschung nicht oder nur unter äußerst erschwerten Umständen möglich war – weil eine Patentierbarkeit unmöglich, eine lukrative kommerzielle Verwertung unwahrscheinlich war – obwohl eine Erforschung im Interesse von HIV-Positiven gewesen wäre.

Ein Kompetenznetz HIV/Aids, in dem die Pharmaindustrie eine immer stärkere Rolle einnimmt – kann das im Interesse von Menschen mit HIV sein? Und wie müssten, sollten sie sich daran beteiligen – oder nicht?

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Teil 2 am Freitag, 27.2. beschäftigt sich mit der Rolle der DAH im Kompetenznetz

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FDP fordert neuen Aids-Aktionsplan

Die Bundestags-Fraktion der FDP fordert die Bundesregierung auf, einen neuen Aktionsplan HIV/Aids zu erstellen. Insbesondere solle die HIV- und Aids-Forschung voran getrieben werden.

Die Parlamentskorrespondenz des Bundestags hib berichtet,

„Die Bundesregierung solle daher besonders die medizinische und biomedizinische Grundlagenforschung als Basis für die Entwicklung neuer Therapieverfahren unterstützen. Dies solle im Rahmen eines nationalen Gesundheitsforschungsprogramms „nachhaltig und intensiv“ geschehen. Ein Hauptaugenmerk müsse stärker als bislang auf die Entwicklung von Therapieformen zur Heilung der Krankheit gerichtet werden“.

Zudem fordert die FDP in ihrem Antrag vom 21. Januar 2009, das ‚Kompetenznetz HIV/Aids‘ solle weiterhin vom Forschungsministerium gefördert werden.

‚HIV/Aids-Forschung vorantreiben‘
Antrag Deutscher Bundestag FDP-Fraktion
Drucksache 16/11673 (pdf)

Die ‚Rektalstudie‘ – ist eine Studie zur HIV-Übertragung bei Analverkehr sinnvoll und notwendig? (akt.)

Braucht es eine Studie, die HIV-Konzentration im Darm und Übertragungsrisiken am Menschen untersucht? Und wenn ja, wie kann diese so konzipiert werden, dass Studienteilnehmer keine Risiken eingehen? Die ‚Rektalstudie‚ sieht sich kritischen Fragen ausgesetzt.

Worum geht es?
Auslöser der Debatte um das Thema ‚Infektiosität und Analschleimhaut‘ ist das Statement der EKAFkeine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs„.
In ihrem Statement sagt die EKAF klar “das Risiko einer HIV-Übertragung beim Sex ohne Kondom unter vollständig supprimierter Viruslast ist deutlich geringer als 1:100.000. Das verbleibende Restrisiko lässt sich zwar wissenschaftlich nicht ausschließen, es ist aber nach Beurteilung der EKAF und der beteiligten Organisationen vernachlässigbar klein.”

Im Statement der EKAF wird nicht unterschieden zwischen Vaginal- und Analverkehr. Und dennoch kaprizierte sich von Anbeginn an genau auf diese Frage ein großer Teil der Debatte: können Daten für die HIV-Transmission bei Vaginalverkehr auf Analverkehr übertragen werden?

Die Schweizer reagierten früh auf diesbezügliche Fragen und Vorwürfe. Schon bald hat Prof. Hirschel präzisiert:

“Wenn man keine Studien hat, muss man auf den Verstand ausweichen. Es gibt keinerlei gute biologische Gründe, die erklären könnten, warum die vaginale Transmission sich von der rektalen Transmission unterscheiden soll.”
Und ob das Übertragungs-Risiko zwischen analem und vaginalem Verkehr nicht doch unterschiedlich sein könne?
Vielleicht, aber die verfügbaren Daten von nicht behandelten Patienten zeigen, dass die Risiken vergleichbar sind.”

Die Datenlage ist bisher tatsächlich scheinbar schlecht. Es gibt kaum Studien über die Konzentration von HIV in der Darmschleimhaut, sowie über die Auswirkungen erfolgreicher Therapie hierauf. Ob diese schlechte Datenlage allerdings überhaupt für die Diskussion relevant ist, ist auch angesichts der Erwiderungen von Prof. Hirschel fraglich.

Das Kompetenznetz HIV (Leitung: Prof. Brockmeyer, Bochum) schaltete sich ein. Und plant nun eine Studie. Die so genannte „Rektalstudie„. Ziel dieser Studie soll es sein, die Virusbelastung der Darmschleimhaut auch bei mechanischer Beanspruchung (mittels eines Dildos) zu untersuchen.
Auf dem Internetangebot des Kompetenznetz HIV ist die Studie nicht verzeichnet.
Eine Vor-Studie hierzu rekrutiert allerdings bereits Teilnehmer.
Und der Vorstand der DAH setzt sich kritisch mit der Studie auseinander.

An die Studie könnten viele Frage gestellt werden – und sie müssen gestellt werden, auch zum Schutz der potenziellen Teilnehmer.
So bleibt zunächst zu klären, was die Rationale einer solchen Studie ist und sein kann. Wie relevant ist das Thema dieser Studie tatsächlich für die weitere Diskussion und Entscheidung über Konsequenzen aus dem EKAF-Statement?
Ist sie tatsächlich erforderlich? Gelten die Begründungen von Prof. Hirschel nicht, oder warum werden sie als nicht ausreichend betrachtet?
Kann eine Studie zur rektalen Transmission überhaupt in einer Konstellation durchgeführt werden, die ethisch vertretbar ist? In der die Studienteilnehmer nicht unnötig gefährdet werden? Ist die Studie vertretbar und verantwortbar?
Wie sieht die Patienteninformation aus? Waren Patienten-Organisationen, Menschen mit HIV daran beteiligt?
War oder ist Aidshilfe oder Aidshilfe-Mitarbeiter an dieser Studie beteiligt? Wann, wer, in welchem Umfang?
Hinterfragenswert auch die Vor-Studie, die bereits rekrutiert. Was wird hier konkret untersucht? Wie informiert sind die Studienteilnehmer?

Fragen über Fragen – umso erstaunlicher, dass diese Studie in aller Stille vorbereitet und konzipiert wurde. Und dass die Vorstudie bereits Patienten rekrutiert.

Davon abgesehen könnte man auf den Gedanken kommen, dass mit der Rektalstudie Schein-Aktionismus betrieben wird. Wird hier eine Schein-Debatte geführt, die von den wichtigen Fragen im Zusammenhang mit dem EKAF-Statement und möglichen Konsequenzen daraus nur ablenkt, eine Auseinandersetzung damit verzögern soll?

Nachtrag
24.012.2009: Auf Initiative des Vorstands der Deutschen Aids-Hilfe haben VertreterInnen des Patientenbeirats sowie DAH-Mitgliedsorganisationen eine Vereinfachung der Studie sowie einen Verzicht auf vorherige Stimulation vorgeschlagen.

Kleine Kohorte

Aus dem Kompetenznetz HIV ist seit Wochen Erstaunliches zu vermerken: die HIV-Kohorte, die schon aufgrund von Datenschutz-Problemen in die Kritik geriet, soll drastisch verkleinert werden.

Derzeit umfasst die HIV-Kohorte nach mühevollem Start in den vergangenen Jahren jetzt die Datensätze von weit über 16.000 Patienten (andere Quellen sprechen von 14.000). Nun, so ist zu hören, soll sie auf ‚Empfehlung‘ von Gutachtern drastisch verkleinert werden – auf bald nur noch 8.000 Patienten. Auch die Zahl der beteiligten Zentren solle reduziert werden. Zudem solle die so entstehende ’neue Kohorte‘ zukünftig geschlossen sein – neue Patienten sollen nach Etablierung nicht mehr eingeschlossen werden.

Die ‚Eindampfung‘ der Kohorte mag Gründe haben, Gründe sowohl wissenschaftlicher als auch finanzieller Natur. Die Datensätze der über 16.000 eingeschleusten Patienten waren nicht alle von gleich guter Qualität. Doppelte Datensätze, Datensätze mit nur wenig Angaben und Ähnliches minderten die Qualität, schränkten die Auswertbarkeit ein. (Daten zur Kohorte Stand Dezember 2006 hier)

Dennoch – Fragen stellen sich. Die Kohorte sei das ‚Rückgrat des Kompetenznetzes‘, ist auf seinem Internetangebot zu lesen.
Die Größe der Kohorte (‚ein enormer Anteil der in Deutschland in Behandlung befindlichen HIV-Positiven‘) war bisher eines der gern für die Kohorte ins Feld geführten Argumente. Nun nicht mehr?
Und – eine geschlossene Kohorte wird für die Zukunft eine sich ständig verkleinernde Kohorte bedeuten. Patienten wechseln den Arzt, wechseln den Wohnsitz, beenden aus eigenem Entschluss die Teilnahme, versterben oder gehen dem ‚Followup‘ aus sonstigen Gründen verloren. Welche Relevanz können Aussagen aus einer kleineren, ständig schrumpfenden Kohorte haben?

Nebenbei – die kleine Schweiz hat seit 1988 (!) eine HIV-Kohorte, die (bei Kosten von jährlich ca. 3,5 Mio. sFr.) gute Studiendaten produziert. An 5 Universitäten und 2 Kantonsspitälern wurden bisher über 14.500 HIV-Positive in die Kohorte eingeschlossen (Bericht über die Swiss HIV Cohort als pdf hier, aktuelle Daten auf der Site der Kohorte unter ’state of the cohort‘)

Der Aufbau der deutschen HIV-Kohorte wurde seit Juni 2002 mit beträchtlichen öffentlichen Geldern finanziert.
Eine Reduzierung von über 16.000 Patienten auf 8.000 Patienten bedeutet eine Reduzierung auf weniger als die Hälfte. Wurden für über 8.000 Patienten Daten vergeblich eingegeben, Biomaterialien vergeblich abgenommen und eingelagert? Die Kosten, die vor Ort, bei Ärzten und in Kliniken, dafür entstanden, wurden ihnen erstattet. Mittel, die nun vergeblich investiert wurden?

Doch neben der Frage einer effizienten Verwendung öffentlicher Mittel stellen sich noch weitere Fragen. Scheiden die ‚weg-reduzierten‘ Patienten aus der Kohorte aus? Werden die Patienten, deren Daten in der Kohorte nicht mehr verwendet werden, über ihr Ausscheiden und/oder den neuen Status informiert? Werden Daten und Biomaterial der betroffenen Patienten sicher vernichtet? Und, die Fragen, die sich aus den Datenschutz-Problemen Ende 2006 ergaben stehen auch größtenteils noch im Raum …

Die Verkleinerung der deutschen HIV-Kohorte – ist sie ein Schritt zu einer neuen erfolgreicheren Zukunft? Oder wird hier ein einstiges vermeintliches Renommier-Projekt still und leise auf elegantem Weg einer baldigen Entsorgung entgegen geführt?

Pikanterweise ist zu hören, dass einige der auch an Kompetenznetz und HIV-Kohorte beteiligten Forscher parallel damit beschäftigt sein sollen, selbst (mit noch weniger Patienteninformation) eine eigene Kohorte aufzubauen – vermutlich nicht gerade ein Vertrauensbeweis in die ’neue‘ HIV-Kohorte.