HIV ist ein Virus, kein Verbrechen!

Ist Kriminalisierung von HIV, von HIV-Positiven ein geeignetes Mittel, die HIV-Infektionszahlen zu senken? Einige Beiträge angesichts der Verhaftung einer Sängerin wegen HIV-Übertragung erwecken den Eindruck. Was ist HIV – ein Verbrechen? Oder ein Virus?

Der Fall einer Sängerin, die wegen des Verdachts verhaftet wurde, einen Sex-Partner mit HIV infiziert zu haben, geht breit durch die Medien. Mancher Artikel, einige Berichte wägen ab, argumentieren, überlegen. Viele hingegen spitzen zu, überzeichnen, kaprizieren sich auf vermeintliche Horror-Geschichten. Einige benutzen eine Sprache, die eher von Terrorbekämpfung bekannt ist, reden von Virusschleuder, Todesengel oder Biowaffe. Manche schwingen die ganz große Keule, phantasieren von ‚lebenslang‘ oder fordern Verschärfung des Rechts, mehr Kriminalisierung.

Worum geht es?
Ist HIV ein Virus?
Oder ein Verbrechen?
Kriminalisierung – was bedeutet das bei HIV, und was sind ihre Konsequenzen?

Justitia
Justitia - nicht immer ohne Ansehen der Person?

Kriminalisierung von Positiven

In zahlreichen Staaten häufen sich Urteile gegen HIV-Positive. In manchen Staaten wird gar eine Verschärfung des Strafrechts gefordert. Die Kriminalisierung von HIV scheint immer breiteren Raum zu gewinnen – aber ist sie ein probates Mittel? Mit Justitia gegen Positive?

„HIV ist ein Virus, kein Verbrechen!“, betonte Edwin Cameron auf der XVII Internationalen Aids-Konferenz in Mexiko am 8. August 2008 in seiner Rede „Criminal Statutes and Criminal Prosecutions in the Epidemic: Help or Hindrance?“. Er forderte eine ‚Kampagne gegen Kriminalisierung‘.
Edwin Cameron ist Richter am Supreme Court of Apeal in Südafrika. Er lebt offen HIV-positiv und ist u.a. Autor des Buches „Witness to AIDS“ (deutsch: ‚Tod in Afrika – mein Leben gegen Aids‘).

In Deutschland wendet sich u.a. auch Pro Familia gegen Kriminalisierung. „Es gibt deutliche Hinweise darauf, dass Kriminalisierung ein Klima des Leugnens, der Verheimlichung und der Angst schafft und damit einen Nährboden für kontinuierliche und schnelle Ausbreitung von HIV“, betonte der Bundesverband Pro Familia Ende November 2008.

Und auch UNAIDS, die Aids-Organisation der Vereinten Nationen, betont (policy paper „Criminalization of HIV Transmission“, pdf) das Strafrecht sei nicht dazu geeignet, die HIV-Übertragungsrate zu senken. Es gebe keinerlei Evidenz dafür, dass mit einer breite Anwendung des Strafrechts bei der HIV-Infektion HIV-Übertragungen verhindert werden könnten. Vielmehr müssten die allgemeinen Menschenrechte auch für HIV-Positive gewahrt werden. Zudem empfiehlt UNAIDS HIV-Tests und vertrauliche Beratungsangebote.

Kriminalisierung hingegen wird – z.B. nach der (von der Deutsche Aids-Hilfe kritisierten) Verhaftung einer Sängerin – von interessierter Seite gelegentlich auch hierzulande gefordert, eine Verschärfung des Strafrechts angemahnt. So bezeichnet der Osnabrücker Strafrechts-Professor Arndt Sinn HIV-Positive im Interview mit der FR (17.04.2009) als „Gefährdungspotenzial“ und fordert die Einführung eines „Gefährdungstatbestands“.

Folgen der Kriminalisierung der HIV-Infektion

Wenn nun angesichts des Falles der Verhaftung einer Sängerin von manchen Stellen eine verschärfte Kriminalisierung gefordert wird – welche Folgen mag diese haben?

Die gesellschaftlichen Folgen, die aus zunehmender Kriminalisierung resultieren, hat u.a. der Sozialwissenschaftler Prof. Dr. Rolf Rosenbrock beschrieben:

„Ich bin immer davon ausgegangen, dass diese polizeistaatlichen Vorstellungen, mit Gewalt könne man das Risiko in der Bevölkerung auf Null bringen, in totalitären Wahnphantasien enden.“ (Rolf Rosenbrock, „Entscheidend ist die Kommunikation, in Deutsche Aids-Hilfe (Hg.): Jahrbuch 2007/2008)

Und die Folgen für Aids-Prävention und die Vermeidung von HIV-Neuinfektionen?

Nur eine Person, die weiß, dass sie HIV-positiv ist, kann strafrechtlich belangt werden. Welche ‚Anreize‘ setzt dann eine zusätzliche Kriminalisierung?

Bizarre Folgen hätte eine Verschärfung der strafrechtlichen Bedrohung von HIV-Positiven, darauf weisen Kritiker hin: Nicht-Wissen wird wieder attraktiver als Wissen, nicht zuletzt aus Angst vor Repression – mit all seinen Konsequenzen.

Wer nicht weiß, dass er HIV-Positiv ist, weiß sich sicher vor strafrechtlicher Bedrohung, angesichts seines Nicht-Wissens. Auch wenn er sich beim Sex unsafe verhält, er mag sich selbst gefährden, ist aber von rechtlichen Folgen (einer Gefährdung Dritter) sicher.

Dies kann zu gravierenden Konsequenzen führen. Bereits jetzt, so zeigen zahlreiche Studien, ist ein Großteil der HIV-Neuinfektionen auf Personen zurück zu führen, die selbst bisher nichts von ihrer eigenen HIV-Infektion wissen. Die Zahl der ungetesteten HIV-Positiven, sie dürfte steigen durch zunehmende Kriminalisierung, warnen Präventionsexperten.

Und, ergänzen Behandler, wer nicht von seinem Status als HIV-Positiver weiß, bekommt keine entsprechende medizinische Betreuung, keine Behandlung, keine antiretrovirale Therapie. Ist nicht nur als nicht behandelter Positiver infektiöser, sondern vor allem selbst im Risiko einer Verschlechterung seines Gesundheitszustands, einer Verschlechterung seiner späteren Behandlungsmöglichkeiten, eines vorzeitigen Todes.

Nicht von seinem HIV-Status zu wissen, kann potenziell ein Risiko sein. Für die eigene Gesundheit (als HIV-Infizierter, der von seiner eigenen Infektion nicht weiß), aber auch für die öffentliche Gesundheit insgesamt.

Nicht von seinem HIV-Status zu wissen wird wieder attraktiv, wenn Positive noch mehr als bisher stigmatisiert, kriminalisiert werden.

Die Kriminalisierung der HIV-Infektion erschwert Prävention, verschlechtert die medizinische Situation Betroffener und riskiert eine Verschlechterung der epidemiologischen Situation.
Und damit geht es in der aktuellen Debatte um weit mehr als ’nur‘ den‘ Staatsanwalt in meinem Bett‚ – es geht darum, ob die Aids-Bekämpfung in Deutschland weiterhin auf Aufklärung, Information, Selbstbestimmung und Verantwortung  setzt und damit erfolgreich ist. Oder ob populistische Impulse von Boulevard-Presse und Präventions-Nicht-Experten zu einem Rollback führen.

Dies, darauf weisen Kritiker hin, ist die bizarre, bestürzende Konsequenz von Vorschlägen à la Sinn. Sie warnen vor rechtspolitischem Populismus mit drastischen Public-Health-Konsequenzen.

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Es ist zu hoffen, dass verbale Geisterfahrten und journalistische Amokläufe der vergangenen Tage sich bald wieder legen (oder der nächsten Sau zuwenden, die durch das mediale Dorf getrieben wird). Debatten über eine Weiterentwicklung und Optimierung von HIV-Prävention sind oft sinnvoll, manchmal erforderlich. Gerade das Statement der Deutschen Aids-Hilfe (‚HIV-Therapie und Prävention‚) zur Frage der Präventionsmethode ‚Viruslast unter Nachweisgrenze‘ zeigt, dass diese Debatten auch geführt werden. Allerdings ist diesen Debatten statt aufgeregter Platitüden und auflagengeilem Populismus eher ein Klima von konstruktivem Dialog, Nachdenklichkeit und zielorientiertem Handeln förderlich.

In der Diskussion über HIV und Strafrecht wird gerne unterschlagen, dass in Deutschland wie auch in unseren europäischen Nachbarstaaten bereits seit Jahren Rechtsvorschriften existieren, die u.a. regeln wie zu verfahren ist, wenn eine Person einer anderen Schaden für Leib und Leben zufügt. Diese allgemeinen Regelungen können auch auf HIV angewendet werden – und werden es auch, wie gelegentliche Prozesse, ein aktuelles Urteil in Kanada und eine aktuelle Studie (Pärli 2009) zeigen. Es gibt keinerlei Hinweise, dass diese bestehenden rechtlichen Regelungen nicht ausreichen.

Wo sie im bestehenden Recht Lücken sehen, erklären und begründen die Kriminalisierungs-Befürworter nicht. Weswegen ein Sonder-Recht besser als allgemein gültige Vorschriften sein sollte, ebenfalls nicht.

Und die Folgen, die solcherlei Verschärfungen haben könnten?
Über potenzielle Folgen für HIV-Prävention, für HIV-Positive, für die Entwicklung der Infektionszahlen machen sie sich oftmals scheinbar keine Gedanken. Oder doch?  Schielen sie schon auf die steigenden Zahlen, um dann zum nächsten Schlag ausholen zu können?

So laufen die Apologeten einer zunehmenden Kriminalisierung Gefahr, sich als Brandstifter zu betätigen, als Brandstifter einer Verschlechterung der Situation von HIV-Positiven, vor allem aber auch als Apologeten einer Verschlimmerung der HIV-Epidemie in Deutschland. Und mittelfristig zu einem ‚law-and-order-Staat, zu ‚old-school- Public Health‘, zu Gauweilereien und anderen längst in ihrem Versagen als untauglich erkannten Konzepten.

Polizeistaatliche Vorstellungen weisen nicht nur -wie Rosenbrock treffend betont- den Weg in totalitäre Wahn-Phantasien. Sie gefährden auch die Erfolge, die 25 Jahre Aids-Prävention in Deutschland erreicht haben. Erfolge, die nicht mutwillig und leichtsinnig riskiert werden sollten.

Erfolgreiche Aids-Bekämpfung braucht nicht mehr, sie braucht weniger Kriminalisierung!

siehe auch
ondamaris 26.01.2009: Zehn Gründe, die gegen die Kriminalisierung von HIV-Exposition oder -Übertragung sprechen
Ärztezeitung 21.04.2009: Aids ist kein Verbrechen
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2 Gedanken zu „HIV ist ein Virus, kein Verbrechen!“

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