Mitte der 1980er Jahre. In Zeiten zunehmender Aids-Hysterie werden die Grundlagen deutscher Aids-Politik entwickelt – und die Deutsche Aids-Hilfe als Dachverband gegründet. Wie kam es dazu? Ute Canaris erinnert sich.
1984 / 1985 – die Aids-Krise verschärft sich, die öffentliche Aufmerksamkeit ebenfalls. Wie darauf reagieren? Welche Richtung soll die deutsche Aids-Politik nehmen? Diese und viele weitere Fragen bewegten damals nicht nur viele schwule Männer, sondern auch die Handelnden in der deutschen Gesundheitspolitik.
Während des Seminars „25 Jahre Deutsche Aids-Hilfe“ im Waldschlößchen berichtete Dr. Ute Canaris am 13.12.2008 aus dieser Zeit, aus den Gründungszeiten der Deutschen Aids-Hilfe – und über die Umstände des Zustandekommens einer Einbeziehung von Hautpbetroffenengruppen in staatliche Gesundheitspolitik.
Welches Bild von AIDS hatten die damals politisch Beteiligten, welche Berührungsängste? Wie kam es dazu, das die Politik bereit war, Schwule als Hauptbetroffene direkt in die Aids-Prävention einzubinden? Was hat der Staat von der Deutschen Aids-Hilfe erwartet?
Gründungs-Mythen aus den Zeiten des Entstehens der deutschen Aids-Politik, über Rainer Jarchow und Rita Süßmuth, Meinrad Koch und Manfred Steinbach, Heiner Geißler und Hans Halter – bis hin zur Frage, wie kam es eigentlich dazu, dass die Deutsche Aids-Hilfe, dass ein Bundesverband als Dachverband gegründet wurde („die DAH musste erfunden werden“, Rolf Rosenbrock).
[flashvideo file=“wp-content/uploads/Videos/Canaris2008121302.flv“ /]
(Video 15:59 Min, ca. 55,9 MB)
Ute Canaris (SPD) war bis 1985 Leiterin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) und in dieser Funktion maßgeblich mit beteiligt an der Etablierung einer aufklärerischen Aids-Politik in Deutschland.
Menschen der ersten Stunde des Zeitalters von AIDS haben schon mehrfach auf diversen Veranstaltungen über die Ereignisse dieser ersten Jahre berichtet und den Vorhang dessen gelüftet, wie Ministerialbürokratie und Schwule Selbsthilfe den Kontakt zueinander fanden. Ich habe es immer bedauert, dass bisher von diesen Reden keine Schrift-, Ton- oder Videodokumente erhalten blieben.
Fr. Dr. Canaris einen herzlichen Dank für ihre Erinnerungen an das politische und gesellschaftliche Klima der Gründungszeit der DAH.
Und Ondamaris einen großen Dank, nun endlich einmal O-Töne dokumentiert und breit zugänglich gemacht zu haben!
Die reine Wahrheit gibt es natürlich nicht und würde man alle wesentlichen Beteiligten fragen, entstünde ein je nach Perspektive in Einzelheiten sicherlich unterschiedliches Bild. Die wesentlichen Fakten stimmen aber in den Berichten von Rita Süßmuth und Elisabeth Pott, die ich gehört habe, und jetzt Ute Canaris, überein.
Im Jahrbuch 2007 der Deutschen AIDS-Hilfe berichtet übrigens Gerd Paul über die Gründungszeit der DAH, nachzulesen hier http://www.aidshilfe.de/media/de/Jahrbuch%20DAH%2007_08.pdf auf Seiten 7 – 10.
Aber zurück von der Historie zur Gegenwart.
Frau Dr. Canaris schildert, wie es anfangs klar um Primärprävention ging, also die Verhinderung der Ausbreitung von HIV und der Minderung der Infektionszahlen in der Statistik. Die DAH war gezielt als Bündnispartner für die PRIMÄR-Prävention angesprochen.
Aus Betroffenenperspektive interessiert es mich ebensosehr, zu erfahren, wie die Kooperation zwischen Ministerialbürokratie und Selbsthilfe sich hinsichtlich der SEKUNDÄR-Prävention entwickelt hat. Lief die nur zweitrangig nebenher?
Gerade im aktuellen Zeitalter von AIDS, in dem Menschen mit HIV und AIDS eben nicht nur kurz medizinisch und pflegerisch zu versorgen sind, bevor sie schnell versterben, sondern wo sie sehr viele Jahre weiterleben, muss der Sekundärprävention ein neuer, höherer Stellenwert beigemessen werden.
Die BZgA kann mit ihren wenigen Personalstellen im AIDS-Bereich offenbar nur die Primärprävention der Allgemeinbevölkerung stemmen.
Laut Ute Canaris saßen damals als glücklicher Umstand die richtigen Menschen an den richtigen Positionen.
Primärprävention reicht schon lange nicht mehr. Menschen mit HIV wollen und fordern als ihr Menschenrecht mehr diskriminierungsfreie Teilhabe am Leben!
Wer alles ist da nun in Deutschland für die Sekundärprävention – und damit auch die Lebensqualität von Menschen mit HIV und AIDS in der Gesellschaft (insbes. um aktiv gegen Diskriminierung, Stigmatisierung vorzugehen) – zuständig? Wer alles schreibt sich die Ent-Stigmatisierung und Ent-Diskriminierung nicht nur auf die eigenen Fahnen, sondern besitzt auch den starken Willen, die nötigen Ressourcen und die politische Macht, jenseits von schnell verschallten Sonntagsreden tatsächlich wirksam dahingehend aktiv zu werden?
@ termabox:
danke für das lob 🙂
nun, ich bemühe mich wenn interessante anlässe sind, ab und an im rechten augenblick die kamera dabei zu haben … auch, um aids-geschichte(n) zu dokumentieren …
und ich verspreche – es geht weiter, es folgen noch weitere videos …
Das Düsseldorfer Treffen 1985 im Flughafenhotel war geradezu konspirativ. Es ging um die Annäherung der bis damals gegründeten Aids-Hilfen, vor allem der DAH, die eine Strukturierung schwuler Interessen versuchte, und andererseits den recht hilflosen Ansätzen der Bundesregierung, in der Aids-Hysterie einen Handlungsansatz zu finden. Für die DAH war klar, dass nur durch die staatliche Unterstützung sowohl Finanzen als auch Autorität gewahrt werden. So wurden für das Treffen alle zur Verfügung stehenden Community-Fürsprecher mobilisiert, um dem Ministerium zu zeigen, dass die DAH der mitten in der Community stehende Partner ist, der damit die Basis und Autorität hat, in die Community zurück zu wirken.
Steinbach gab damals sein okay und das Geld floss. Die DAH musste sich mit diesem Staatsgeld umorganisieren und ist seither immer von der staatlichen Zuwendung abhängig.