Im Folgenden als Dokumentation die Rede von Tino Henn, Vorstandsmitglied der deutschen Aids-Hilfe, anlässlich der Eröffnung der ‚Positiven Begegnungen 2009‚.
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer,
liebe Freundinnen und Freunde,
im Namen des Vorstands der Deutschen AIDS-Hilfe e. V. heiße ich Sie herzlich willkommen zu den Positiven Begegnungen 2009.
„Positive Begegnungen“ – der Name dieser Konferenz zum Leben mit HIV, der größten Selbsthilfekonferenz in Europa, ist Programm: HIV-Positive begegnen anderen Menschen mit HIV, und sie begegnen ihrer sozialen Umwelt. Es geht bei dieser Veranstaltung darum, sich auszutauschen, sich selbst und andere zu hinterfragen und gemeinsam Strategien zu entwickeln, um ein möglichst gutes Leben mit HIV zu ermöglichen. Dazu gehört – getreu unserem Konzept der Strukturellen Prävention – ganz zentral, Strukturen zu verändern, die uns behindern, diskriminieren und stigmatisieren.
Was brauchen wir dafür? An erster Stelle Mut. Zum Beispiel den Mut, das Leben mit HIV und anderen „versteckten Behinderungen“ in die Öffentlichkeit zu tragen – etwa ins Stuttgarter Rathaus, mitten in die Schwabenmetropole. Lassen Sie mich an dieser Stelle der Stuttgarter Stadtverwaltung für ihre Gastfreundschaft unseren herzlichen Dank aussprechen und zugleich die Bürgermeisterin der Stadt Stuttgart des Referats für Soziales, Jugend und Gesundheit Frau Gabriele Müller Trimbusch herzlich willkommen heißen!
Mut gehört dazu, meine Damen und Herren – das war schon das Motto des zweiten Europäischen Positiventreffens, das 1988 in München stattfand. Mut, offen als Positiver auf die Straße zu gehen. Mut, Diskriminierung zu benennen und etwas dagegen zu tun.
Lassen Sie mich kurz auf zwei Themen eingehen, mit denen wir uns auf dieser Konferenz beschäftigen wollen, um gemeinsam und mit neuem Mut für unsere Interessen einzutreten: die Einschränkungen für HIV-Positive im Erwerbsleben und die soziale Sicherung für Menschen mit HIV und Aids.
Meine Damen und Herren, die Medikamente gegen HIV ermöglichen es vielen Positiven, über Jahre und Jahrzehnte gut mit dem Virus zu leben. Dennoch wird die Infektion häufig zum Problem für Beruf und Karriere. Da stellen sich Fragen wie „Erzähle ich meinem Arbeitgeber und den Kollegen davon?“, „Muss ich Nachteile befürchten?“, „Werden mich die Kollegen meiden oder sogar mobben?“ oder auf den ersten Blick nicht so präsente Fragen wie „Was passiert, wenn mich mein Arbeitgeber zu einem Auslandsaufenthalt zum Beispiel nach China schicken will, wo Menschen mit HIV, wie in einigen anderen Ländern auch, kaum ein Arbeitsvisum und manchmal gar keine Einreiseerlaubnis bekommen?“.
Sie sehen, es braucht viel Kraft, Selbstbewusstsein und Kreativität, um sich am Arbeitsplatz zu outen und sich dagegen zu wehren, ins Abseits geschoben zu werden. Und es braucht Arbeitsagenturen, Jobcenter, Arbeitgeber und Arbeitsmediziner, die mit gutem Beispiel vorangehen. Die für Menschen mit HIV und anderen chronischen Krankheiten oder Behinderungen diskriminierungsfreie Bedingungen schaffen. Es braucht Menschen und Organisationen, die weiterhin dafür kämpfen, dass Einreise- und Aufenthaltsbeschränkungen für Menschen mit HIV und Aids weltweit abgeschafft werden.
Ein Arbeitgeber, der mit gutem Beispiel vorangeht, ist die Daimler AG, und deshalb freue ich mich sehr, Herrn Dr. Norbert Otten, Leiter Politische Aussagen und Public Policy, heute als unseren Gast begrüßen zu können. Wir danken der Daimler AG für die eben überreichte Spende von 5000,- €.
Bereits 1991 hat das Unternehmen erstmals eine Richtlinie zur Nicht-Diskriminierung infizierter Mitarbeiter verabschiedet. Im Jahr 2005 wurde eine konzernweite Richtlinie eingeführt, in der sich das Unternehmen gegen die Diskriminierung von Menschen mit HIV und Aids ausspricht, Betroffenen Vertraulichkeit zusichert und sich für Präventionsmaßnahmen einsetzt. HIV/Aids wird bei der Daimler AG als chronische Krankheit behandelt. Ein Beispiel, das hoffentlich Schule macht – dafür setzen wir uns ein.
Mut und Engagement, meine Damen und Herren, brauchen wir auch für das zweite von mir genannte Thema, das uns immer drängender beschäftigt: Die soziale Sicherung von Menschen mit HIV hat sich in den letzten Jahren deutlich verschlechtert. Hierzu trugen und tragen viele Faktoren bei. Zum Beispiel:
die Einführung von Hartz IV,
die Verschlechterungen bei den Erwerbsminderungsrenten,
die sehr niedrigen Rentenerhöhungen,
die Streichung bisher gewährten Mehrbedarfs.
Die Gesundheitsreformen, die Änderungen im SGB, besonders das Hartz-IV-Gesetz und dessen Folgen, haben besonders für sowieso schon niedrige Einkommensbereiche wie Bezieher von Hartz IV und von Grundsicherung negative Auswirkungen. Mit großer Sorge, häufig auch mit Wut und Empörung, beobachten wir diese Veränderungen. Der Sozialstaat gerät immer stärker unter Druck. Die Folge: überall in Deutschland lebt ein nennenswerter Anteil der Menschen mit HIV in Armut oder nahe an der Armutsgrenze. Die Deutsche AIDS-Hilfe wird sich daher verstärkt dafür einsetzen, dass sich Sozialleistungen endlich am realen Bedarf orientieren und nicht noch weiter gekürzt werden. Wir appellieren an die Politikerinnen und Politiker und an das Bundesministerium für Gesundheit und das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, die Weichen für einen sozialen Schutz von Menschen mit HIV oder anderen chronischen Erkrankungen zu stellen. Bei den diesjährigen, aber auch den zukünftigen Wahlen werden wie sie an ihren Taten messen.
Ohne das jahrzehntelange Engagement von vielen Einzelnen stünden wir jetzt nicht hier, wären wir nicht so weit. Jeder, der sich engagiert und mitmacht, ist Vorbild für andere innerhalb der Community. Und die Selbsthilfebewegung von Menschen mit HIV und Aids, die selbstbestimmt und selbstverantwortlich handeln, ist oft Vorbild für andere. Darauf können wir stolz sein, und darauf sind wir auch weiterhin angewiesen. Denn nur so und nur gemeinsam können wir die Herausforderungen, die auf uns zukommen, meistern. Und davon wird es auch in Zukunft mehr als genug geben.
Ich danke allen, die an der Vorbereitung dieser Konferenz mitgewirkt haben: der Vorbereitungsgruppe, den Helferinnen und Helfern in Stuttgart, unserem Ehrenmitglied Laura Halding-Hoppenheit, der AIDS-Hilfe Stuttgart, den Küchenkräften und nicht zuletzt den Kolleginnen und Kollegen in der Bundesgeschäftsstelle in Berlin.
Meine Damen und Herren, liebe Freunde, ich wünsche uns allen, dass wir miteinander ins Gespräch kommen, Ideen entwickeln, Dinge anstoßen und mit Mut, Entschlossenheit und Kraft nach Hause zurückkehren. Mögen die Positiven Begegnungen uns viele positive Begegnungen bringen!