Kompetenznetz HIV: die problematische Rolle der DAH

Die Doppelrolle der DAH im Kompetenznetz HIV als Interessenvertretung und Projektbeteiligter erscheint konfliktträchtig. Kann eine Organisation, die tief in die Strukturen eingebunden ist, andererseits kritisch ihre Rolle als Interessenvertretung wahrnehmen?

Nach Teil 1 „Kompetenznetz HIV – der steigende Einfluss der Pharmaindustrie“ nun Teil 2 der Gedanken zum Kompetenznetz HIV/Aids – „Kompetenznetz HIV: die problematische Rolle der DAH“:

Das Kompetenznetz HIV/Aids bezeichnet (in seiner Image-Broschüre „Kompetenznetz HIV/Aids – Das Virus hat viele Gesichter. Die Forschung auch.“) als eines seiner Ziele auch den „vertikalen Wissenstransfer zu … den Betroffenen“. „Beratung und Unterstützung der Betroffenen“ sei „von entscheidender Bedeutung für den Erfolg der HIV-Therapien“, heißt es an anderer Stelle.

Die Rolle der Deutschen Aids-Hilfe im Kompetenznetz HIV

Die Deutsche Aids-Hilfe ist Interessenvertretung der Menschen mit HIV und Aids. Die Deutsche Aids-Hilfe ist (in Gestalt ihres Medizin-Referenten) Mitglied des Steering Committees des Kompetenznetzes HIV.

Zudem existiert ein ‚Patientenbeirat‘ über den die DAH selbst schreibt:

„Die Interessen von Menschen mit HIV und AIDS im Kompetenznetz durchzusetzen, ist nicht nur das Anliegen von AIDS-Hilfen. In Zusammenarbeit mit engagierten Positiven hat die DAH im Kompetenznetz einen Patientenbeirat etabliert… „

Doch die Rolle der Deutschen Aids-Hilfe (DAH)  im Kompetenznetz HIV ist noch eine weitere: sie ist auch Auftragnehmer, Projektbeteiligter im Kompetenznetz HIV. Das Kompetenznetz-HIV – Projekt „Patientennetzwerk: Stärkung der Patientenkompetenz in der Behandlung von HIV/AIDS durch vertikale Vernetzung zwischen dem Kompetenznetz HIV/AIDS und HIV-infizierten Patienten“ wird von der DAH geleitet und durchgeführt.

Die DAH hat damit eine vielschichtige Doppel-Rolle im Kompetenznetz HIV/Aids: Einerseits ist ihr Anliegen die Interessenvertretung von Menschen mit HIV und Aids – hierzu hat sie u.a. Sitz und Stimme im Leitungsgremium des Netzes. Parallel aber ist sie auch Auftragnehmer des Kompetenznetzes, realisiert selbst Projekte, die aus Kompetenznetz-Mitteln finanziert werden.

Diese Doppelrolle der DAH als Interessenvertretung und Projektbeteiligter erscheint zutiefst konfliktträchtig. Es  stellt sich die Frage, wie eine Organisation, die gleichzeitig tief in die Strukturen eingebunden ist, andererseits auch kritisch ihre Rolle als Interessenvertretung wahrnehmen will.

Muss oder zumindest sollte eine Organisation, die die Interessen von Patienten vertritt, zu diesem Ziel Mitglied einer Organisation sein, die eben die Forschung an jenen Patienten koordiniert und durchführt?

Die Antwort liefert das Kompetenznetz HIV vielleicht selbst.
Schon die Bezeichnung des Zieles „vertikaler Wissenstransfer zu den Betroffenen“ zeigt deutlich, dass dem Kompetenznetz in der Zusammenarbeit mit Patienten, mit Menschen mit HIV und Aids (und ihrer Organisation, der DAH) wohl gedanklich ein Top-Down-Ansatz vorschwebt. Informationen werden gezielt nach unten vermittelt – an einen Fluss in umgekehrter Richtung, gar einen wechselseitig befruchtenden Austausch scheint (wohl nicht nur sprachlich) über ausgelagerte Beiräte hinaus nicht gedacht.
Die DAH – mehr als nur ’schmückendes Beiwerk‘, das sich in Verhandlungen mit Bundesregierung und Sponsoren gut macht, ansonsten aber eher lästig ist?

Diese Art Informationstransfer jedoch setzt sicherlich keine Mitgliedschaft von Betroffenen-Organisationen im Kompetenznetz voraus – Wissensvermittlung, zumal im hier formulierten Verständnis, kann leicht über Medien, Veranstaltungen etc. organisiert werden und erfordert keine institutionelle Einbindung.

Ein Beispiel mag die problematischen Folgen verdeutlichen:
Dass innerhalb von Projekten des Kompetenznetzes HIV Daten an die Pharmaindustrie gegeben werden, zumal pseudonymisiert (und eben nicht anonymisiert) beruhigt nicht sehr. Eine kritische und engagierte Interessenvertretung wäre gerade hier (genauso wie generell beim Datenschutz-Konzept und dessen praktischer Umsetzung) wünschenswert.
Gerade hier ist zu fragen, ob die DAH auf der Seite des Kompetenznetzes als Mitlgied und Projektpartner an diesem Vorgang beteiligt sein sollte – oder ob eine wirksame Vertretung von Patienteninteressen insbesondere in derart gestalteten Fällen von besonders starkem Patienteninteresse (wie der Weitergabe von Informationen, Daten oder Biomaterial) nicht eher eine außenstehenden, nicht in die Struktur eingebundene Position erfordert.

Die DAH ist im Kompetenznetz HIV/Aids in einer schwierigen, spannungsbeladenen Rolle. Sie ist im Kompetenznetz eben nicht nur Interessenvertretung der Menschen mit HIV und Aids, sondern andererseits gleichzeitig auch Auftragnehmer eben jenes Kompetenznetzes.

Eine Mitgliedschaft im Kompetenznetz ist für die Interessenvertretung von Positiven nicht nur nicht notwendig, sie ist -wie obiges Beispiel verdeutlichen mag- auch nicht sinnvoll – im Gegenteil, in Konfliktsituationen erweist sie sich potenziell als schädlich, da sie ein wirksames und kraftvolles Beziehen der Patienten-Perspektive und Vertreten ihrer Interessen behindert.

Angesichts dieser Doppelrolle, aber auch angesichts der zunehmenden Konfliktfelder (wie dem deutlich steigenden Einfluss der Pharma-Industrie im und auf das Kompetenznetz HIV) wird deutlich: eine wirksame Interessenvertretung von Menschen mit HIV und Aids ist nicht möglich, wenn die Deutsche Aids-Hilfe selbst stark in dieses Kompetenznetz eingebunden ist, mit all den resultierenden Sachzwängen, Interessenausgleichen, Machtspielen und Hierarchien.

Die DAH sollte prüfen, ob sie ihre derzeitige problembeladene Doppelrolle im Kompetenznetz aufgibt und sich auf wirksame Vertretung von Patienteninteressen konzentriert. Für eine Rolle als schmückendes Beiwerk hingegen sollte sie sich zu schade sein.

Wenn die DAH tatsächlich im Kompetenznetz HIV/Aids die Interessen von Menschen mit HIV und Aids wirksam vertreten will, sollte sie dies von einer Position unabhängiger Stärke tun – von außen.