Erst auf dem Weg einer Eil-Entscheidung konnte ein 44jähriger HIV-infizierter Mann erreichen, dass die Krankenkasse eine Behandlung massive Fettverteilungsstörungen aufgrund antiretroviraler Therapie (Lipodystrophie) übernimmt. Nun wurde die Kasse auch im Hauptverfahren vom Hessischen Landessozialgericht zur Kostenübernahme verpflichtet.
Nach mehreren Medikamentenresistenzen konnte der 44jährige Mann bereits vor einigen Jahren eine Kombitherapie beginnen, die seinen Zustand deutlich verbesserte. Er erlitt jedoch massive Fettverteilungsstörungen (Lipodystrophie) verbunden mit einer Gewichtszunahme von 13kg. Erhebliche organische Gesundheitsstörungen (starke Rückenschmerzen, Kurzatmigkeit, Einschränkung der Bewegungsfähigkeit) waren die Folge.
Die Fettverteilungsstörungen sollten mit dem Medikament Serostim® behandelt werden. Serostim® ist seit 1996 in den USA zugelassen zur Behandlung von Aids-Wasting, während die Europäische Medikamentenbehörde EMEA im April 2003 die Zulassung von Serostim® ablehnte.
Wasting ist ein starker Gewichtsverlust, üblicherweise u.a. im Rahmen von Aids. Studien mit Serostim® haben in den vergangenen Jahren jedoch auch Anhaltspunkte dafür gegeben, dass die Substanz dazu geeignet sein könnte, übermäßige Fettansammlungen im Bauchbereich (Lipodystrophie) zu behandeln.
Die Krankenkasse des 44jährigen Mannes (AOK Hessen) lehnte die Behandlung mit dem Medikament jedoch ab. Die Beweislage für eine Wirksamkeit sei nicht ausreichend, zudem sie das Medikament in Deutschland und Europa nicht zugelassen.
Der Patient klagte jedoch und gewann im März 2003 vor dem Sozialgericht Kassel. Im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutz-Verfahrens wurde die Kasse zur Kostenübernahme verurteilt. Der Mann wurde 2003 bis 2005 behandelt – erfolgreich, die Fettansammlungen bildeten sich fast völlig wieder zurück.
Das Hauptsache-Verfahren allerdings lief weiter. Am 15. Januar 2009 verurteilte das Hessische Landessozialgericht (AZ L 1 KR 51/05) die Kasse zur Kostenübernahme. Das Urteil wurde am 12. März 2009 veröffentlicht.
Das Hessische Landessozialgericht dazu:
„Leidet ein gesetzlich Krankenversicherter an einer lebensbedrohlichen Erkrankung, für die eine anerkannte medizinische Behandlung nicht zur Verfügung steht, kann er die Versorgung mit einem nicht zugelassenen Medikament beanspruchen. Voraussetzung ist allerdings, dass sich der Versicherte in einer notstandsähnlichen Situation befindet und dass eine Abwägung von Nutzen und Risiken für die Versorgung spricht.“
Das Landessozialgericht führte weiter aus:
„Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verstoße die Verweigerung einer neuen medizinischen Behandlungsmethode gegen das Grundgesetz, wenn eine lebensbedrohliche Erkrankung vorliege, für welche eine anerkannte Behandlung nicht zur Verfügung stehe. Bei einer notstandsähnlichen Situation sei dies auf Arzneimittel übertragbar.“
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, Revision wurde zugelassen.
weitere Informationen:
Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 15.01.2009
Hessisches Landessozialgericht 12.03.2009: Anspruch eines HIV-Erkrankten auf Versorgung mit Serostim
FAZ.net 12.03.2009: Kasse muss im Notfall nicht zugelassene Arznei bezahlen
HIV-i-base Oktober 2003: US approves and Europe rejects Serostim (recombinant growth hormone) for treatment of HIV-related wasting
…
.