Bundessozial- gericht: Keine Übernahme der Zuzahlungen für Arzneimittel und der Praxisgebühren eines HIV-Infizierten in der gesetzlichen Krankenversicherung durch die Sozialhilfeträger

Der 50 Jahre alte HIV-infizierte Kläger, der neben einer Erwerbsunfähigkeitsrente Sozialhilfe (Hilfe zum Lebensunterhalt) bezog, musste erstmals im Jahr 2004 insgesamt 35,42 Euro und im Jahr 2005 ins­gesamt 41,50 Euro an Zuzahlungen zu Arzneimitteln und Praxisgebühren auf Grund von Gesetzes­änderungen im Bereich des Sozialgesetzbuchs Fünftes Buch ‑ Gesetzliche Krankenversicherung ‑ (SGB V) und des Sozialhilferechts selbst tragen; diese Beträge entsprachen der jährlichen Belas­tungsgrenze. Der Beklagte hat die Übernahme dieser Kosten abgelehnt; die Klage hatte weder beim Sozialgericht noch beim Landessozialgericht Erfolg.

Mit seiner Entscheidung vom 16. Dezember 2010 ‑ B 8 SO 7/09 R ‑ hat der 8. Senat des Bundes­sozialgerichts die Entscheidung des Landessozialgerichts zwar aufgehoben und die Sache an dieses Gericht zurück­verwiesen, weil ausreichende Feststellungen dazu fehlen, ob dem Kläger insgesamt ein höherer Sozialhilfeanspruch zusteht; bestätigt hat es jedoch die Entscheidung dieses Gerichts, dass der Kläger keinen Anspruch auf Übernahme von Zuzahlungen zu Arzneimitteln und Praxisgebühren (bis zur jährlichen Belastungsgrenze) besitzt, weil die entsprechenden Regelungen des SGB V, des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) und des ab 1. Januar 2005 geltenden SGB XII, die davon aus­gehen, dass diese Kosten vom Regelsatz erfasst werden, nicht verfassungswidrig sind.

Az.: B 8 SO 7/09 R W.Z. ./. Oberbürgermeister der Stadt Köln

(Medieninformation Bundessozialgericht Kassel Nr. 48/10)

Bundessozialgericht: Hygiene-Mehrbedarf für HIV-Positive

Ein HIV-positiver Kläger konnte sich vor dem Bundessozialgericht durchsetzen: der vom Träger der Grundsicherung abgelehnte Mehrbedarf für Hygien sei rechtens – zuständig sei allerdings der Träger der Sozialhilfe (hier: das Land Berlin). Über die konkrete Höhe des Mehrbedarfs muss nun eine Verwaltungsentscheidung befinden.

Das Gericht verurteilte den Träger der Sozialhilfe, „die Kosten des Hygienebedarfs des an AIDS erkrankten Klägers zu tragen“. Das Bundessozialgericht teilte in einer Pressemitteilung mit:

„Der 14. Senat des Bundessozialgerichts hat am 19. August 2010 in dem Verfahren B 14 AS 13/10 R entschieden, dass die Kosten des Hygienebedarfs eines an AIDS erkrankten Leistungsempfängers nach dem SGB II in vergangenen Zeiträumen vom Träger der Sozialhilfe und nicht vom Grundsiche­rungsträger zu tragen waren. In der Zukunft dürfte allerdings eine Zuständigkeit der SGB II-Leistungs­träger für Fälle wie den vorliegenden aufgrund der neuen Norm des § 21 Abs 6 SGB II bestehen.“

Allerdings ergänzte das Gericht:

„Hinsichtlich der Höhe des tatsächlich notwendigen Bedarfs des Klägers wird erst noch abschließend eine Verwaltungsentscheidung zu ergehen haben.“

Das Bundessozialgericht hatte sich in mündlicher Verhandlung am 19. August 2010 (9:30 Uhr) in einer Revision mit der folgenden Frage zu befassen

„Ist einem Hilfebedürftigen, der laufende Leistungen nach SGB 2 bezieht und der aufgrund einer Aids-Erkrankung einen dauerhaft erhöhten Bedarf an Hygienemitteln (Reinigungs-, Körperpflege und Desinfektionsmittel) hat, mangels Rechtsgrundlage im SGB 2 Hilfe in sonstigen Lebenslagen gem § 73 SGB 12 zu gewähren?“ (Quelle)

Ein 1968 geborener HIV-positiver Mann bezieht Rente sowie ergänzend Grundsicherung. Er beantragte 2007 beim Job-Center Berlin-Mitte, Mehrbedarf aufgrund von mit seiner HIV-Infektion in Zusammenhang stehende Mehraufwendungen für Hygienebedarf (Wäsche, Bettwäsche, Toilettenpapier etc.) anerkannt zu bekommen. Das Job-Center lehnte dies ab.

Das Sozialgericht Berlin lehnte eine diesbezügliche Klage gegen den Träger der Grundsicherung (Job-Center Berlin-Mitte) ab. Es verurteilte jedoch den Träger der Sozialhilfe (Land Berlin), den Hygiene-Mehrbedarf gemäß § 73 SGB XII zu gewähren (Aktenzeichen der Vorinstanz Sozialgericht Berlin: SG Berlin – S 94 AS 2311/08 -).

Beide, Grundsicherungsträger wie auch Sozialhilfeträger, gingen in Revision. § 73 sei nur für besondere Bedarfslagen zuständig, der Kläger führe jedoch allgemeine Symptome einer Aids-Erkrankung an, die bei fast jedem Aids-Kranken aufträten.

weitere Informationen:
Bundessozialgericht: Sozialhilfeträger zuständig für den Hygienebedarf eines an AIDS erkrankten Leistungsempfängers der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II)
Bundesozialgericht B 14 AS 13/10 R
Sozialticker 02.08.2010: Bundessozialgericht – Terminvorschau Nr. 44/10
DAH 20.08.2010: Bundessozialgericht: Hygienemehrbedarf für HIV-Positiven rückwirkend anerkannt
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Keine Immunglobuline bei Aids

Immunglobuline können bei Aids wie auch bei multipler Sklerose nicht zulasten der Gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden. Dies entschied das Bundessozialgericht in Kassel.

Weder bei Patienten mit HIV-bedingter Immunschwäche noch bei Patienten mit Multipler Sklerose können Immunglobuline auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) eingesetzt werden. Ärzte, die dennoch verordnen, müssen Regress leisten. Klagen eines Onkologen sowie eines Neurologen aus Berlin wurden vom Bundessozialgericht abgewiesen.

Zahlreiche weitere Fälle der Verordnung von Immunglobulinen sind auf unteren Instanzen anhängig – oftmals aufgrund der Verordnung von Immunglobulinen bei Aids.

Für die Indikationen MS und Aids seien Immunglobuline nicht zugelassen (sog. ‚off-label-use‘), begründete das Bundessozialgericht. Ein off-label-use zulasten der GKV ist nach einem Urteil des ersten Senats des BSG nur zulässig, wenn es sich um eine besonders schwere Krankheit handelt, keine weiteren Therapien verfügbar sind sowie eine begründete Aussicht auf Erfolg besteht.

Der 6. Senat des Bundessozialgerichts entschied in einem schon vor der Vorinstanz Landessozialgericht Berlin-Potsdam verhandelten Fall, in dem es um die Frage des Regresses wegen von einem Arzt verordneter Immunglobuline ging.

Bundessozialgericht Kassel
Az.: B 6 KA 6/09 R (AMS) und B 6 KA 24/09 R (MS)

weitere Informationen:
Ärzteblatt 21.05.2010: Keine Immunglobuline bei Aids und MS
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Gericht: Kasse muss Lipodystrophie- Behandlung zahlen

Erst auf dem Weg einer Eil-Entscheidung konnte ein 44jähriger HIV-infizierter Mann erreichen, dass die Krankenkasse eine Behandlung massive Fettverteilungsstörungen aufgrund antiretroviraler Therapie (Lipodystrophie) übernimmt. Nun wurde die Kasse auch im Hauptverfahren vom Hessischen Landessozialgericht zur Kostenübernahme verpflichtet.

Nach mehreren Medikamentenresistenzen konnte der 44jährige Mann bereits vor einigen Jahren eine Kombitherapie beginnen, die seinen Zustand deutlich verbesserte. Er erlitt jedoch massive Fettverteilungsstörungen (Lipodystrophie) verbunden mit einer Gewichtszunahme von 13kg. Erhebliche organische Gesundheitsstörungen (starke Rückenschmerzen, Kurzatmigkeit, Einschränkung der Bewegungsfähigkeit) waren die Folge.

Die Fettverteilungsstörungen sollten mit dem Medikament Serostim® behandelt werden. Serostim® ist seit 1996 in den USA zugelassen zur Behandlung von Aids-Wasting, während die Europäische Medikamentenbehörde EMEA im April 2003 die Zulassung von Serostim® ablehnte.

Wasting ist ein starker Gewichtsverlust, üblicherweise u.a. im Rahmen von Aids. Studien mit Serostim® haben in den vergangenen Jahren jedoch auch Anhaltspunkte dafür gegeben, dass die Substanz dazu geeignet sein könnte, übermäßige Fettansammlungen im Bauchbereich (Lipodystrophie) zu behandeln.

Die Krankenkasse des 44jährigen Mannes (AOK Hessen) lehnte die Behandlung mit dem Medikament jedoch ab. Die Beweislage für eine Wirksamkeit sei nicht ausreichend, zudem sie das Medikament in Deutschland und Europa nicht zugelassen.

Der Patient klagte jedoch und gewann im März 2003 vor dem Sozialgericht Kassel. Im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutz-Verfahrens wurde die Kasse zur Kostenübernahme verurteilt.  Der Mann wurde 2003 bis 2005 behandelt – erfolgreich, die Fettansammlungen bildeten sich fast völlig wieder zurück.

Das Hauptsache-Verfahren allerdings lief weiter. Am 15. Januar 2009 verurteilte das Hessische Landessozialgericht (AZ L 1 KR 51/05) die Kasse zur Kostenübernahme. Das Urteil wurde am 12. März 2009 veröffentlicht.

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Das Hessische Landessozialgericht dazu:

„Leidet ein gesetzlich Krankenversicherter an einer lebensbedrohlichen Erkrankung, für die eine anerkannte medizinische Behandlung nicht zur Verfügung steht, kann er die Versorgung mit einem nicht zugelassenen Medikament beanspruchen. Voraussetzung ist allerdings, dass sich der Versicherte in einer notstandsähnlichen Situation befindet und dass eine Abwägung von Nutzen und Risiken für die Versorgung spricht.“

Das Landessozialgericht führte weiter aus:

„Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verstoße die Verweigerung einer neuen medizinischen Behandlungsmethode gegen das Grundgesetz, wenn eine lebensbedrohliche Erkrankung vorliege, für welche eine anerkannte Behandlung nicht zur Verfügung stehe. Bei einer notstandsähnlichen Situation sei dies auf Arzneimittel übertragbar.“

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, Revision wurde zugelassen.

weitere Informationen:
Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 15.01.2009
Hessisches Landessozialgericht 12.03.2009: Anspruch eines HIV-Erkrankten auf Versorgung mit Serostim
FAZ.net 12.03.2009: Kasse muss im Notfall nicht zugelassene Arznei bezahlen
HIV-i-base Oktober 2003: US approves and Europe rejects Serostim (recombinant growth hormone) for treatment of HIV-related wasting

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Pillen-Kosten zumutbar

Es ist zumutbar, dass Patienten die Kosten für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel selbst tragen müssen. Dies entschied das Bundessozialgericht.

Seit dem sogenannten GKV-Modernisierungs-Gesetz (Text pdf; GKV = Gesetzliche Krankenversicherung) sind nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel von der Kostenerstattung durch die gesetzlichen Krankenkassen ausgeschlossen.

Die Kosten für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel, auch ‚over-the-counter-Artikel‘ (OTC) genannt, müssen seitdem in der Regel die Versicherten selbst tragen. Ausnahmen hiervon sind möglich, wenn ein OTC-Arzneimittel ein Standardmittel zur Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung ist. Es wird in diesem Fall ausnahmsweise durch den gemeinsamen Bundesausschuß (G-BA) in die sog. ‚OTC-Ausnahmeliste‘ oder auch ‚OTC-Übersicht‘ der Arzneimittel-Richtlinie (jeweiliger Text sowie Hinweise zum Antragsverfahren hier) aufgenommen – nur für hier aufgenommenen nicht verschreibungspflichtige Medikamente tragen die gesetzlichen Krankenversicherungen auch weiterhin die Kosten.

Der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung verstoße gegen das Grundgesetz sowie gegen europäisches Recht, meinte ein Kläger.

Nein, dem ist nicht so, entschied vor kurzem das Bundessozialgericht in Kassel (Az. B1 KR 6/08 R).
Der Preis derartiger Arzneimittel belaufe sich im Durchschnitt auf ca. elf Euro. Dies sei eine zumutbare Belastung, urteilten die Richter (siehe Medieninformation des Bundessozialgerichts). Zudem verstoße der Ausschluss nicht gegen europäisches Recht, dies habe der Europäische Gerichtshof bereits entschieden.

Im konkreten Fall ging es um den Ausschluss des Arzneimittels „Gelomyrtol forte®“. Der Kläger leidet an einer chronischen Emphysem-Bronchitis. Er wollte die Kosten für dieses Arzneimittel auch weiterhin von der Techniker Krankenkasse erstattet bekommen.

Der Kläger erwägt Presseberichten zufolge eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht.