Geschockte Patienten

Wie kann Mensch mit einer schweren Erkrankung umgehen? Sich als Opfer fühlen? Sich zum Opfer machen lassen? Zunehmend Selbständigkeit, Autonomie verlieren?

Patientendasein kann anders sein. „Geschockte Patienten“ will auf anderen Wegen unterstützen.
Das Projekt selbst berichtet über sich:

„Bei Christoph Schlingensief wurde Anfang 2008 Lungenkrebs diagnostiziert. Der bekannte und auch im Laufe seiner Krankheit weiterhin künstlerisch tätige Film- und Theaterregisseur verfolgt mit dieser Seite die Idee, ein kleines Netzwerk aufzubauen, das Patienten unterstützen soll, bei denen vor kurzem Krebs oder ALS diagnostiziert worden ist.“

Worum geht es? Um den Versuch, neu und anders mit Krankheit umzugehen. Um den Versuch, auch als schwer kranker Mensch Autonomie zu bewahren:

„Berichten Sie über sich, wenn Sie wollen!
Stehen Sie zu ihrer Krankheit – Schluss mit der Geheimniskrämerei!
Die Krankheit will über Sie bestimmen. Sie sind aber auch noch da! Zeigen Sie es!“

Krank, schwer krank – und dann Autonomie? Geht das? Ist das nicht ein Widerspruch?

„Ist Autonomie wirklich hilfreich für einen Menschen, der gerade erkrankt ist? Einige Besucher haben Zweifel angebracht. Wir wollen hier nicht missverstanden werden. Wir propagieren Autonomie nicht als DIE fertige Lösung, sondern wollen fragen wie Autonomie im Verlauf einer Krankheit wiederzugewinnen ist. Wir fordern unsere Besucher dazu auf sich in diesem Prozess gegenseitig zu unterstützen und bieten ihnen die Möglichkeit dazu an. Deswegen fragen wir auch nochmal deutlicher nach WEGEN ZUR AUTONOMIE.“

Und warum das Ganze? Schlingensief zitiert als Antwort den Philosophen Immanuel Kant:

„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines andern zu bedienen. Selbst verschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Muthes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen. Sapere aude! Habe Muth, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.“ (Immanuel Kant, 1784)

Das Projekt von Christoph Schlingensief ist derzeit noch im Aufbau begriffen.

krank und autonom – Geschockte Patienten

Krank und Autonom

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Happy Birthday Hunter Reynolds

Hunter Reynolds is back in Berlin. Der Künstler und Aids-Aktivist Hunter Reynolds ist nach langer Zeit wieder zurück in Berlin – und mit einem Werk in einer Gruppenausstellung zusehen.

Der us-amerikanische Künstler und Aktivist Hunter Reynolds ist für wenige Tage zurück in Berlin, der Stadt in der er Mitte der 1990er viele Jahre lebte und aktiv war.

Bekannt wurde Reynolds u.a. mit seiner Kunstfigur ‚Patina du Prey‘ und seinen Performances (u.a. Memorial Dress).

Hunter Reynolds, Berlin 18.07.2009
Hunter Reynolds, Berlin 18.07.2009

In seinem alter ego ‚Patina du Prey‘ und ihren Kleidern und Performances verleiht Hunter Reynolds, der selbst seit 25 Jahren mit HIV lebt, seit Anfang der 1990er den Gefühlen und Verlusten der Menschen mit HIV und Aids Ausdruck. Sein ‚Memorial Dress‘ (1993) z.B. besteht aus schwarzer Seide – bedruckt mit den Namen von 25.000 an den Folgen von Aids Verstorbenen.

„Eine Travestie der Trauer, Symbol des grenzenlosen Leids angesichts der von diesem grauenhaften Gesundheits-Desaster vernichteten Menschen“, beschrieb Frank Wagner (NGBK) 1993 die erste ‚Memorial Dress‘ – Performance in der NGBK Berlin.

Trauer, Verlust, Angst, Hoffnung – ‚Patina du Prey‘ verleiht ihnen Ausdruck, Gestalt.

Hunter Reynolds lebte in den 1990er Jahren lange Zeit in Berlin (u.a. als Stipendiat der Aids-Stiftung). In dieser Zeit hatte er zahlreiche Ausstellungen und Performances, u.a. in Berlin (NGBK), Köln, Hamburg, Polen, Niederlande. Ende der 90er kehrte Reynolds zurück nach New York.

Für einige Tage ist Reynolds nun nach Berlin zurück gekehrt – auch, um hier seinen 50. Geburtstag zu feiern. Ein Werk von ihm ist derzeit in einer Ausstellung in der Galerie Rupert Goldsworthy zu sehen.

„Hunter Reynolds, alias Patina du Prey, sets his full stakes on this performative act of differentiation. He is happy to be different from the rest; to lie diagonally in the riverbed of the Mainstream; to feel a sense of belonging with the Others: the Queens, the Fags, the Perverse.“ (Frank Wagner über Hunter Reynolds, 1993)

weitere Informationen:
Hunter Reynolds
Hunter Reynolds – Memorial Dress 1993 – 2007 (Video)
Galerie Rupert Goldsworthy
Creative Time: Patina du Preys Memorial Dress
Visual Aids / TheBody: Patina du Prey’s Memorial Dress
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Me absolvo – Wer vergibt wem was, und was ist Sünde?

Im Rahmen der ‚Positiven Begegnungen 2009‘ fand vom 29.1. bis 1.2.2009 im Stuttgarter Rathaus auch die Ausstellung „Bilder eines Stigmas“ statt.

Eines der ausgestellten Objekte:

Me absolvo - Michèle Meyer
Me absolvo - Michèle Meyer
Me absolvo - Michèle Meyer
Me absolvo - Michèle Meyer
Me absolvo - Michèle Meyer
Me absolvo - Michèle Meyer
Me absolvo - Michèle Meyer
Me absolvo - Michèle Meyer

Me absolvo
(K)Ein Ort des Verweilens.
Michèle Meyer
Beichtstuhl, begehbares Objekt: Aussen Original Zustand Holz mit Intarsien, 17. Jahrhundert. Innen: Mit Stoff, Objekten, kleinen Bildern etc. ausgestattet.

Body Maps – unser positives Leben

In der TU Berlin ist seit gestern (27.11.2008) bis zum 19.12.2008 die Ausstellung „Unser positives Leben – Eine Ausstellung von Body Maps aus Afrika, Asien und Deutschland“ zu sehen (täglich außer sonntags 8:00 bis 21:00 Uhr). Gezeigt werden Body Maps aus Afrika, Asien und Deutschland.

Die Organisatoren teilen dazu mit:

„zum diesjährigen Welt-AIDS-Tag steht die Perspektive von Menschen, die mit HIV leben, im Vordergrund. Wir wollen den Betroffenen zuhören und sie verstehen, da sie der fachlichen Arbeit im HIV-Bereich ein Gesicht geben. Diesen Blickwinkel greift die von der GTZ initiierte Ausstellung „Unser positives Leben – eine Ausstellung von Body Maps aus Afrika, Asien und Deutschland“ auf, die zuvor in London zu sehen war. Innerhalb eines Workshops erarbeiteten HIV-positive Menschen aus Kenia, Indien und Thailand lebensgroße, sehr persönliche und ausdrucksstarke Selbstportraits, sogenannte Body Maps. Die Sammlung umfasst darüber hinaus Geschichten, Fotos und Zeichnungen.
Durch die künstlerisch-therapeutische Auseinandersetzung mit der Thematik werden sachliche Fakten mit persönlichen Geschichten und Lebenswelten angereichert. Diese „Erfahrbarkeit“ von HIV eröffnet neue Einblicke und fördert das Verständnis für Menschen, die mit dieser Krankheit leben.
Im Vorfeld der Ausstellungseröffnung findet in Berlin ein von der DAH organisierter Workshop statt, in dem deutsche Betroffene ebenfalls eine Body Map erarbeiten. So soll ein Austausch der Perspektiven Betroffener aus Partnerländern und aus Deutschland ermöglicht werden.“

Parallel zur Ausstellung „Unser positives Leben“ findet eine Filmreihe statt:
in der Technischen Universität Berlin, Hauptgebäude,
Straße des 17. Juni 135, in Raum H2038
Start am Freitag, den 28. November 2008, 18.00 bis 20.00 Uhr mit dem Film
MEMORY BOOKS – DAMIT DU MICH NIE VERGISST
Deutschland/Schweiz 2008, 94 Min., Regie: Christa Graf

In Uganda schreiben infizierte Eltern, meist sind es die Mütter, mit ihren Kindern so genannte Memory Books, Erinnerungsbücher. Im Bewusstsein der Krankheit setzen sie sich gemeinsam mit ihren Kindern mit dem bevorstehenden Tod auseinander
Die Regisseurin wird bei der Vorführung anwesend sein und für Fragen und Diskussion zur Verfügung stehen.

weitere Filme am 5., 12. und 19. Dezember.

Während der Eröffnungsveranstaltung der Ausstellung am 26. November betonte Christiane Paul, Schauspielerin und nationale Botschafterin des Welt-Aids-Tages, die Ausstellung könne jeder auch zum Anlass nehmen, sich zu fragen welchen Beitrag er/sie selbst gegen Ausgrenzung und für einen anderen Umgang mit Aids leiste.

Hier einige Eindrücke von den ausgestellten Body Maps sowie der Eröffnungs-Veranstaltung am 26.11.2008:

Bonbons statt ‚dfg‘

Statt einem Vortrag über Porno stehe ich heute vor einem Stapel Bonbons.Torres03 Eigentlich – ja eigentlich hatte ich heute zum Symposium „Post Porn Politics“ in der Volksbühne gehen wollen. Die Lecture „Poor guys do it better“ hören, untertitelt „Ethnic gay pornography and class“. Vielleicht auch noch Bruce LaBruce mit seiner Presentation (und sicher rhetorisch gemeinten Frage) „But is it art?“.
„Poor guys“ ist jedoch leider auf morgen verschoben, den Ersatz-Vortrag über „Penis-Ersatz“ muss ich mir wirklich nicht antun, erst recht nicht für 6,-€ Eintritt.

Spontan fahre ich stattdessen zum Hamburger Bahnhof (für die nicht-Berliner Leser: der ehemalige Bahnhof ist seit 10 Jahren Museum für Moderne Kunst). Die Felix Gonzalez-Torres Retrospektive hatte ich mir doch eh ansehen wollen,warum nicht jetzt.

Gleich am Eingang: ein riesiges Quadrat goldfarben eingepackter Bonbons. Einige Besucher stehen irritiert davor, andere belustigt. Ein kleiner Junge nervt seine Mutter offensichtlich damit, eines der Bonbons zu wollen. „Halt den Mund, das ist Kunst“, höre ich sie sagen.

Felix Gonzalez-Torres, US-amerikanischer Konzept-Künstler, starb 1996 an den Folgen von Aids. Die NGBK, die einige seiner Werke schon Ende der 80er Jahre erstmals in Deutschland zeigte (im Rahmen der Ausstellung „Vollbild Aids“), veranstaltet eine umfassende Retrospektive.

Torres02Eine Vielzahl Arbeiten aus Werk- Gruppen erwarten mich: „candy pills“ neben „stacks“, Stapel von Postern in unlimitierter Auflage. Puzzle-Bilder, Lichterketten, Fotografien und Schrift-Arbeiten auf den Museumswänden.
Häufig: das Nebeneinander des Banalen und des Intensiven, des Alltäglichen und des Außerordentlichen, des Privaten und des Öffentlichen. Blutwerte und Krieg in einem fernen Land. In erschreckender, irritierender Dichte, Aufeinanderfolge.

Die Auseinandersetzung mit Aids ist dabei immer wieder Thema seiner Arbeiten, sei es in den Bonbon-Bergen, Fotografien oder Wort-Arbeiten. Die Geschichte hinter den Kunstwerken wird nicht erzählt, es bleibt Aufgabe des Besuchers sie sich zu erschließen.

Vielen Besuchern allerdings scheint das kaum zu gelingen, habe ich das Gefühl. Sie schlendern durch die Ausstellung, klauben Plakate zusammen und naschen Bonbons (auch der kleine Junge kommt bald doch noch auf seine Kosten) – nutzen jedoch kaum die in einem abgetrennten Bereich (dem „Archiv“) bereitgestellten Hintergrund-Informationen.

Torres04 So erfahren sie wahrscheinlich nicht, was hinter den Lichterketten steckt (O-Ton: ‚Das ist aber hübsch, wollen wir das bei uns auch so machen im Treppenhaus?‘). Nichts über die Explosion von Information und gleichzeitige Implosion von Bedeutung. Oder dass eine 60-Watt-Birne genau die gleiche Wärmemenge abstrahlt wie ein menschlicher Körper. Dass einer der Bonbon-Berge („untitled“, (Ross), 1991) zu Ausstellungsbeginn gut 79 Kilogramm wog, was dem Gewicht seines verstorbenen Lovers Ross entspricht.

Was für ein bezaubernder, metaphysisch anmutender Gedanke. Ich nehme ein Bonbon, mit dem Lutschen wird Ross, wird ein Stück von Gonzalez-Torres‘ Kunstwerk Teil von mir. Das Kunstwerk wird so einerseits immer weniger im Verlauf der Ausstellung – doch auch wieder nicht. Den Anweisungen des Künstlers folgend (‚endloser Vorrat‘) ist spätestens mit jeder neuen Ausstellung ein neuer Bonbon-Berg vorhanden.
Verschwinden und Unmöglichkeit des Verschwindens gleichzeitig.
Was für ein Umgang mit Trauer Erinnern Verlust.

Nachspiel: steht ansonsten eher „Bitte nicht berühren“ auf den Schildern im Museum, gern auch mit Ausrufezeichen, finde ich hier einen anderen Hinweis:

Torres01

Das achte Feld

Ein riesiger ‚David‘ blickt vor dem Museum Ludwig über den Rhein. Eine pinkfarbene, neun Meter hohe Skulptur des Künstlers Hans-Peter Feldmann weist schon von weitem den Weg zur Ausstellung „Das achte Feld“.
achtes Feld

Innen drin: Lass einmal deine herkömmlichen Vorstellungen außer Acht, gehe auf die Reise. Experimentiere, probiere aus. Alles ist möglich, nur nicht „das Normale“. Dazu scheint die Ausstellung „Das achte Feld“ ihre Besucher aufzufordern.

Als erstes unter den „großen“ der deutschen Kunstmuseen wagt das Kölner Museum Ludwig eine umfassende Schau künstlerischer Auseinandersetzung mit Formen sexuellen Begehrens jenseits des Hetero-Mainstreams.

Der Titel der Ausstellung, das „achte Feld“, spielt dabei an auf das Schachspiel: rückt ein Bauer auf das achte Feld vor, kann er sich in jede andere Spielfigur verwandeln, auch in eine Dame – die stärkste Spielfigur im Schach. Dieser Wandel, der Bauer wird Dame, der Schwache wird zum Starken – die Ausstellungsmacher haben diesen „Geschlechterwechsel“ auf die Kunst übertragen und als Metapher verwendet für alle Möglichkeiten der Sexualität, die „außerhalb“ des heterosexuellen Mainstreams liegen, von Homo- bis Inter- und Transsexualität, Gender und Transgender, Queer und Travestie.

Die Ausstellung zeigt auf mehreren Etagen strukturiert in thematischen Feldern über 250 Werke von 80 Künstlern, darunter bekannte wie David Hockney oder Andy Warhol, aber auch für den ein oder anderen vielleicht erst zu entdeckende Künstler wie Piotr Nathan, Kaucylia Brooke oder Sunil Gupta.

Sehr intensiv haben mich selbst (wieder einmal) die Fotografien Nan Goldins berührt – besonders (auch: wieder) das Triptychon eines schwulen Paares, einer von beiden an Aids erkrankt; sowie eine Installation aus Klappen-Türen und Fotografien, die das Spannungsfeld zwischen dem Suchen nach schnellem Sex und der Sehnsucht nach Nähe thematisiert.
Einer meiner ersten Gedanken hinterher, nach Verlassen der Ausstellung: jetzt kommen Homosexualitäten schon ins (Kunst-) Museum. Ist das jetzt ein Fortschritt? Oder ein weiterer Hinweis auf die (selbst gewählte) Selbstauflösung des Schwulseins?

Das achte Feld – Leben und Begehren in der Kunst seit 1960
Museum Ludwig, Köln
noch bis 12. November 2006
weitere Informationen: Museum Ludwig

Zur Ausstellung ist ein Band mit Erzählungen erschienen („Feldforschung“, im Eintrittspreis der Ausstellung enthalten; erhältlich auch in der Edtion Suhrkamp): Thomas Meinecke berichtet anhand einzelner Exponate über historische Ereignisse, erzählt Geschichten und Geschichtchen von und zu Kunstwerken, Tief- und Vordergründiges, erweitert mit seiner ‚Feldforschung‘ diese Studie sexuellen Begehrens.