AIDS und Armut – ein vernachlässigter Zusammenhang!

Im Folgenden als Dokumentation ein Text des ‚Netzwerk plus e.V. – Das bundesweite Netzwerk der Menschen mit HIV und Aids‘ zum Thema Aids und Armut:

Von HIV und Aids betroffen zu sein bedeutet, wie bei kaum einer anderen Infektionskrankheit, ein überdurchschnittliches Risiko, einen wirtschaftlichen Abstieg hinnehmen und von Sozialtransfer-Leistungen leben zu müssen.

Die Mehrzahl der Menschen mit HIV und Aids wird von der Krankheit in jungen Jahren getroffen, in denen Gesunde Vermögen aufbauen und für ihr Alter vorsorgen. Dank der verbesserten Lebenserwartung steigt auch die Zahl älterer Menschen mit HIV und Aids. Viele HIV-Positive werden bis an ihr Lebensende auf Hartz IV oder Grundsicherung angewiesen sein. Die Bemessung dieser Leistungen fällt jedoch immer rigoroser aus, trotz steigender Lebenshaltungskosten und immer neuer Kürzungen im Gesundheitssystem. Die Mehrbedarfszuschläge für Ernährung, Hygiene und Kondome sind – wenn sie denn überhaupt in Anspruch genommen werden – seit über zehn Jahren nicht mehr angehoben worden. Nicht einmal ein Inflationsausgleich wurde vorgenommen.

Angesichts dieser Lage verzichten viele Betroffene schon seit Jahren auf kleine Extras wie eine Reise oder eine besondere Anschaffung. Die überwiegende Mehrheit lebt allein. Zur Armut kommt dann oft noch die soziale Isolation hinzu. Wenige der Betroffenen haben die Energie, für ihre Bedürfnisse mit politischen Forderungen einzutreten.

Es gibt kaum genaue Zahlen darüber, wie stark Menschen mit HIV und Aids von materieller Not betroffen sind, aber sicher ist: Leben mit der HIV-Infektion geht häufig einher mit Armut und sozialer Ausgrenzung. Netzwerk plus erwartet deshalb von der Deutschen AIDS-Hilfe, dass sie sich künftig intensiver mit den wirtschaftlichen Folgen von HIV und Aids für die davon betroffenen Menschen befasst und darauf in der Öffentlichkeit stärker aufmerksam macht. Eine konkrete Hilfe wäre es beispielsweise, die Arbeit der regionalen Aidshilfen zur Linderung von sozialen Notlagen zu erfassen und zu dokumentieren.

Netzwerk plus: ‚lebensnahes Risikomanagement‘

Dokumentation einer Erklärung des Netzwerk plus zur Erklärung der Eidgenössichen Aids-Kommission (EKAF) in Sachen Infektiosität unter HIV-Therapie:

Netzwerk plus zum Thema Infektiosität von HIV-Positiven bei Viruslast unter der Nachweisgrenze

Beim Treffen von Netzwerk plus vom 29.02.-02.03.2008 im Waldschlößchen haben wir uns mit dem Thema „Strategien der Risikominderung“ und den aktuellen Veröffentlichungen der Eidgenössischen Kommission für Aidsfragen beschäftigt.

Die schweizerische Kommission unter Vorsitz ihres Präsidenten Prof. Dr. Pietro Vernazza hat u.a. festgestellt:

„Bei Menschen, die konsequent antiretrovirale Medikamente einnehmen, kann man im Blut kein aktives Virus mehr nachweisen.“ „Eine HIV-infizierte Person (…) ist sexuell nicht infektiös, d.h. sie gibt das HI-Virus über Sexualkontakte nicht weiter, solange folgende Bedingungen erfüllt sind:
– die antiretrovirale Therapie (ART) wird durch den HIV-infizierten Menschen eingehalten und durch den behandelnden Arzt kontrolliert;
– die Viruslast liegt seit mindestens sechs Monaten unter der Nachweisgrenze (d.h. die Viraemie ist supprimiert);
– es bestehen keine Infektionen mit anderen sexuell übertragbaren Erregern (STD).“

Die Veröffentlichungen aus der Schweiz haben auch in Deutschland eine kontroverse Diskussion über das Thema Infektiosität von HIV-Positiven bei Viruslast unter der Nachweisgrenze ausgelöst.
Selbst wenn dennoch ein Restrisiko bleibt, wie auch ein dokumentierter Fall aus Frankfurt zeigt, so ist gesichert, dass unter den o.g. Bedingungen die Wahrscheinlichkeit einer HIV-Übertragung äusserst gering ist und sich im Rahmen allgemeiner Lebensrisiken bewegt.
Wir begrüßen die Veröffentlichung aus der Schweiz. Für Menschen mit HIV und Aids ist diese Information eine Erleichterung und eine konkrete Verbesserung ihrer Lebenssituation und -perspektiven. Sie entlastet sero-diskordante Partnerschaften gleich welcher sexuellen Orientierung von Ängsten und Schuldgefühlen. Sie erleichtert in allen Zusammenhängen den Umgang mit HIV.
Erfreulich ist, dass längst bekannte, bislang aber nur hinter vorgehaltener Hand weitergegebene Tatsachen, nun auch von offizieller Seite benannt werden und damit ein Tabu durchbrochen wird.
Für die Zukunft wünschen wir uns, dass weitere Diskussionen in Deutschland zu diesem Thema ebenfalls evidenzbasiert, von sachlichen Argumenten getragen und auf der Grundlage eines humanistischen Menschenbildes geführt werden. Wir halten es nicht für legitim, dass diese Debatte unterdrückt wird, mit dem Argument angeblicher intellektueller Defizite von Teilen der Zielgruppen der Prävention.
Wir fordern daher, dass die Erkenntnisse ohne Vorbehalte breit kommuniziert werden,
– um irrationale Ängste vor HIV-positiven Menschen abzubauen;
– das leichtere Sprechen über HIV zu ermöglichen und die Isolation vieler HIV-Positiver aufzubrechen;
– weil die Wahrheit nicht unterdrückt werden kann;
– weil informierte Menschen eher rational handeln können.
Es muss dringend dafür gesorgt werden, dass – unter Beteiligung der Betroffenen – Standards für die Beratung durch Ärzte und psychosoziale Beratungsstellen formuliert werden, damit Ratsuchende individualisierte sachgerechte Informationen über das Thema Sexualität bei Viruslast unter der Nachweisgrenze erhalten.

Die bisherigen Präventionsbotschaften für flüchtige sexuelle Begegnungen behalten ihre Gueltigkeit. Damit Prävention in Zukunft glaubwürdig ist, müssen die Botschaften im Sinne eines lebensnahen Risikomanagements ergänzt und differenziert werden. Wenn Prävention HIV-positive Menschen als Partner behalten will, dann darf sie sie nicht wider besseres Wissen funktionalisieren, um Ängste hochzuhalten und zu schüren.
In den Fokus der Prävention geraten nun frisch infizierte Menschen, die ihre Infektion unwissentlich weitergeben können. Mythen von der Gefährlichkeit der Großstadt, von der Sicherheit ländlicher Räume und des eigenen Bettes müssen durch eine offene Kommunikation entzaubert werden. Ein sorgsamer, respektvoller Umgang miteinander muss befördert werden.

Weiterhin wird es zukünftig um Therapietreue und die überzogenen Ängste vor den Nebenwirkungen der Therapien sowie um Fragen der sexuellen Gesundheit insgesamt gehen. Testermutigung erhält eine neue Bedeutung, weil eine erfolgreich therapierte HIV-Infektion neue Perspektiven ermöglicht.

Die TeilnehmerInnen des Netzwerktreffens.

Göttingen, 02.03.2008