HIV-Zwangstest : Bundesregierung: kein Handlungsbedarf, präventiv-polizeiliche Befugnis nicht vorhanden (akt.)

„Eine zwangsweise durchgeführte Testung auf HIV und Hepatitis stellt einen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit und ggf. auch in die körperliche Unversehrtheit nach Artikel 2 Absatz 1 und 2 des Grundgesetzes (GG) dar. … Grundrechtseingriffe sind nur aufgrund eines Gesetezs und im Rahmen der Verhältnismäßigkeit zulässig.“ Dies betont die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke zu HIV-Zwangstests.

Das Bundesland Sachsen-Anhalt plant die Einführung der Möglichkeit von Zwangstests auf HIV und Hepatitis (siehe ondamaris 13.7.2012: Bald HIV-Zwangstest in Sachsen-Anhalt möglich? und ondamaris 6.8.2012: Geplanter HIV Zwangstest in Sachsen-Anhalt – die Haltung der Parteien).

Die Bundesregeriung betont in ihrer (unter Federführung des Bundesinnenministeriums entstandenen) Antwort auf die Kleine Anfrage:

„Eine präventiv-polizeiliche Befugnis nach dem Bundespolizeigesetz zur zwangsweisen Testung von Infektionskrankheiten besteht nicht.“

Sie sehe zudem keinen seuchenrechtlichen Regelungsbedarf auf Bundesebene.

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Barbara Höll, Lesben – und Schwulenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion DIE LINKE, die die Kleine Anfrage auf den Weg gebracht hat: „Die Antwort der Bundesregierung auf meine Kleine Anfrage ist eine Ohrfeige für die Landesregierung Sachsen-Anhalts„.

Höll betont, die Bundesregierung sage eindeutig, dass sie „keinen Handlungsbedarf sieht für die Einführung von Zwangstest in das Polizeigesetz und argumentiert wohlweislich mit dem grundgesetzlichen Schutz der körperlichen Unversehrtheit und dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung„. Höll weist zudem darauf hin, dass „dem BKA [Bundeskriminalamt, d.Hg.] aus den letzten 10 Jahren kein Fall einer Infektion bekannt [ist]. Damit sollte der Gesetzgeber in Sachsen- Anhalt das Polizeigesetz in dieser Form nicht verabschieden.“

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Aktualisierung
18.10.2012, 17:00: Martin Pfarr; Landessprecher des LSVD Sachsen-Anhalt, erklärte angesichts der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage in einer Pressemitteilung: „Die Stellungnahme der Bundesregierung lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Sie bringt damit die Grundgesetzwidrigkeit der in Sachsen-Anhalt geplanten Regelungen zum Ausdruck und rügt damit indirekt Innenminister Holger Stahlknecht (CDU). Der LSVD Sachsen-Anhalt bedankt sich bei Bundesregierung für diese notwendige Klarstellung. Den unmissverständlichen Worten des Bundesinnenministeriums ist nichts hinzuzufügen. Die Landesregierung hat nun keine andere Wahl als ihre Pläne fallen zu lassen.“

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weitere Informationen:
Kleine Anfrage „Zur Einschränkung der Selbstbestimmung bei HIV- und Hepatitis-C-Infektionen im Rahmen von polizeilichen Maßnahmen“, Fraktion DIE LINKE, BT-Drs 17/10830 (Kleine Anfrage) (pdf)
Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Barbara Höll u.a. der Fraktion DIE LINKE „Zur Einschränkung der Selbstbestimmung bei HIV- und Hepatitis-C-Infektionen im Rahmen vopn polizeilichen Maßnahmen“, BT-Drs 17/10971 (Antwort)
DAH 18.10.2012: Bundesregierung: HIV-Zwangstests verstoßen gegen Grundrechte
queer.de 18.10.2012: Bundesregierung: HIV-Zwangstests verfassungswidrig
LSVD Sachsen-Anhalt 18.10.2012: Bundesregierung zur geplanten HIV-Zwangstestung
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Frankreich: bald generell HIV-Test?

Steht Frankreich vor einem Wechsel seiner Aids-Politik? Ein neuer, von der Tageszeitung ‚Libération‘ enthüllter Plan von Gesundheitsministerin Bachelot empfiehlt HIV-Tests für die gesamte Bevölkerung.

HIV-Tests stellen einen Schwerpunkt dar im neuen „Aids-Plan 2010 bis 2014“ der französische Gesundheitsministerin Bachelot. Der Plan wurde am 6. oktober 2010 von der französischen Tageszeitung ‚Libération‘ in einem Artikel enthüllt.

„Dies ist ein Kampf, der mich schon mein ganzes Leben begleitet. Ich habe nicht vor, einen weiteren nutzlosen Plan vorzulegen“, kommentierte Gesundheitsministerin Roselyne Bachelot:

„C’est un combat qui a accompagné toute ma vie. Je n’allais pas faire un énième plan qui ne serve à rien.“

Im Mittelpunkt des neuen Plans: ein HIV-Test der gesamten französischen Bevölkerung, allerdings auf freiwilliger Basis.

„Wir haben heute die Möglichkeit, die HIV-Epidemie zu stoppen“, erklärte Bachelot. „6 oder 7.000 Neu-Infektionen jedes Jahr sind einfach nicht hinnehmbar.“

Für einige Bevölkerungsgruppen, darunter insbesondere Homosexuelle, will Bachelot ein „besonders offensives Screening“ vorschlagen. Hierzu sollen schon in Kürze mehr als zehn „Community-Test-Zentren“ eingerichtet werden.

Ab Dezember sollen mit einer Informations-Kampagne alle Mitarbeiter im Gesundheitswesen sensibilisiert werden.

Teile des Aids-Plans waren bereits im Umfeld der Welt-Aids-Konferenz in Wien bekannt geworden, auch dass der Schwerpunkt auf HIV-Tests liegen solle. Der Aids-Plan beruht unter anderem auf den Empfehlungen eines Berichts von France Lert und Gilles Pialoux; dort wurde der Einsatz von HIV-Tests „als Mittel der Prävention“ empfohlen.

Zur Finanzierung des Aids-Plans stünden für den Zeitraum von fünf Jahren insgesamt eine Milliarde Euro zur Verfügung, so Bachelot.

Libération 06.10.2010: Sida : vers le dépistage général (kostenpflichtig)
Yagg 06.10.2010: Le dépistage généralisé au cœur du nouveau plan sida de Roselyne Bachelot
Gilles Pialoux et France Lert: „Prévention et réduction des risques dans les groupes à haut risque vis-à-vis du VIH et des IST“ (pdf)
Aids 06.10.2010: Alors que Roselyne Bachelot annonce les bonnes feuilles du futur plan national VIH, les députés de la majorité renvoient les malades mourir dans leur pays
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‚Ich war noch niemals in New York …‘ (akt.)

„Ich war noch niemals in New York“ – vom US-Einreiseverbot für Menschen mit HIV und Aids können Positive ein Lied singen. Die EU soll das jetzt ändern.

Die EU-Kommission soll bei den USA durchsetzen, dass EU-Bürger mit HIV-Infektion bei der Einreise in die USA nicht mehr diskriminiert werden, fordern EU-Parlamentarier. Gespräche zwischen EU und USA finden morgen statt.

Bereits seit langem wird das de facto bestehende Einreiseverbot der USA für Menschen mit HIV und Aids kritisiert. Die EU-Kommission hingegen hat bisher nicht sehr viel unternommen, um auf nicht-diskriminierende Einreiseregelungen der USA für HIV-Positive hinzuwirken.

Nun jedoch fordern britische Politiker, die EU solle das Thema auf die Agenda ihrer Gespräche mit den USA setzen. Insbesondere solle das Einreiseverbot auch beim für morgen (13.3.2008) angesetzten Treffen der Justiz- und Sicherheits-Minister von EU und USA behandelt werden.

Baroness Sarah Ludford, Mitglied des Europaparlaments (Liberal Democrats) äußerte gegenüber pinknews „die EU sollte mit einer gemeinsamen Stimme nicht nur für die Visa-Freiheit bei Reisen in die USA für die Bürger aller ihrer 27 Mitgliedsstaaten eintreten, sondern auch dafür, dass dies auf nicht-diskriminierende Art erfolgt.“
Sie betonte weiter „die Regierunsgchefs sollten nicht tolerieren, dass ihre HIV-positiven Bürger zusammen mit Kriminellen eingesperrt oder wie moderne Aussätzige behandelt werden.“

Ludford erklärte, sie wolle zusammen mit anderen Kollegen im EU-Parlament eine Petition einbringen, mit der die EU-Kommission aufgefordert werden soll, die Reisefreiheit für HIV-Positive in die USA in das Verhandlungs-Mandat mit aufzunehmen.

Das Thema Einreiseverbot für HIV-Infizierte ist zudem Thema auf der Sitzung des US-Senats am kommenden Freitag. Dort wird ein Antrag der Senatoren John Kerry und Gordon Smith behandelt. Sie hatten zusammen mit der kalifornischen Abgeordneten Barbara Lee einen Gesetzentwurf eingebracht, den ‚HIV Non-Discrimination in Travel and Immigration Act‘.

Erst jüngst hatte die EU von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt mit dem ‚Department of Homeland Security‘ (DHS) der USA eine Vereinbarung getroffen, nach der die USA Zugriff auf die Daten von Flugpassagieren erhalten, u.a. auch über deren sexuelle Orientierung. Das DHS besteht darauf, diese Daten auch zur Seuchenbekämpfung einsetzen zu können.

Zwar planen die USA seit einer Ankündigung aus dem Weißen Haus im Dezember 2006 eine Lockerung des HIV-Einreiseverbots. Die bisher vorgeschlagenen neuen Regelungen, die das ‚Department of Homeland Security‘ im Herbst 2007 als Entwurf vorgelegt hatte, sind jedoch bei Politikern, Experten und Aktivisten auf breite Kritik und Ablehnung gestoßen.

Erst jüngst hatte die Aids-Organisation der Vereinten Nationen UNAIDS ein ‚Task Team‘ eingesetzt, das sich mit HIV-bedingten Reisebeschränkungen befassen und für deren Abschaffung einsetzen soll.

Nachtrag 15.03.2008: der Antrag ‚HIV Non-Discrimination in Travel and Immigration Act‘ hat im US-Senat am Donnerstag die Zustimmung des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten erhalten und wird nun dem gesamten US-Senat zur Beratung vorgelegt. [via 365gay.com]

Netzwerk plus: ‚lebensnahes Risikomanagement‘

Dokumentation einer Erklärung des Netzwerk plus zur Erklärung der Eidgenössichen Aids-Kommission (EKAF) in Sachen Infektiosität unter HIV-Therapie:

Netzwerk plus zum Thema Infektiosität von HIV-Positiven bei Viruslast unter der Nachweisgrenze

Beim Treffen von Netzwerk plus vom 29.02.-02.03.2008 im Waldschlößchen haben wir uns mit dem Thema „Strategien der Risikominderung“ und den aktuellen Veröffentlichungen der Eidgenössischen Kommission für Aidsfragen beschäftigt.

Die schweizerische Kommission unter Vorsitz ihres Präsidenten Prof. Dr. Pietro Vernazza hat u.a. festgestellt:

„Bei Menschen, die konsequent antiretrovirale Medikamente einnehmen, kann man im Blut kein aktives Virus mehr nachweisen.“ „Eine HIV-infizierte Person (…) ist sexuell nicht infektiös, d.h. sie gibt das HI-Virus über Sexualkontakte nicht weiter, solange folgende Bedingungen erfüllt sind:
– die antiretrovirale Therapie (ART) wird durch den HIV-infizierten Menschen eingehalten und durch den behandelnden Arzt kontrolliert;
– die Viruslast liegt seit mindestens sechs Monaten unter der Nachweisgrenze (d.h. die Viraemie ist supprimiert);
– es bestehen keine Infektionen mit anderen sexuell übertragbaren Erregern (STD).“

Die Veröffentlichungen aus der Schweiz haben auch in Deutschland eine kontroverse Diskussion über das Thema Infektiosität von HIV-Positiven bei Viruslast unter der Nachweisgrenze ausgelöst.
Selbst wenn dennoch ein Restrisiko bleibt, wie auch ein dokumentierter Fall aus Frankfurt zeigt, so ist gesichert, dass unter den o.g. Bedingungen die Wahrscheinlichkeit einer HIV-Übertragung äusserst gering ist und sich im Rahmen allgemeiner Lebensrisiken bewegt.
Wir begrüßen die Veröffentlichung aus der Schweiz. Für Menschen mit HIV und Aids ist diese Information eine Erleichterung und eine konkrete Verbesserung ihrer Lebenssituation und -perspektiven. Sie entlastet sero-diskordante Partnerschaften gleich welcher sexuellen Orientierung von Ängsten und Schuldgefühlen. Sie erleichtert in allen Zusammenhängen den Umgang mit HIV.
Erfreulich ist, dass längst bekannte, bislang aber nur hinter vorgehaltener Hand weitergegebene Tatsachen, nun auch von offizieller Seite benannt werden und damit ein Tabu durchbrochen wird.
Für die Zukunft wünschen wir uns, dass weitere Diskussionen in Deutschland zu diesem Thema ebenfalls evidenzbasiert, von sachlichen Argumenten getragen und auf der Grundlage eines humanistischen Menschenbildes geführt werden. Wir halten es nicht für legitim, dass diese Debatte unterdrückt wird, mit dem Argument angeblicher intellektueller Defizite von Teilen der Zielgruppen der Prävention.
Wir fordern daher, dass die Erkenntnisse ohne Vorbehalte breit kommuniziert werden,
– um irrationale Ängste vor HIV-positiven Menschen abzubauen;
– das leichtere Sprechen über HIV zu ermöglichen und die Isolation vieler HIV-Positiver aufzubrechen;
– weil die Wahrheit nicht unterdrückt werden kann;
– weil informierte Menschen eher rational handeln können.
Es muss dringend dafür gesorgt werden, dass – unter Beteiligung der Betroffenen – Standards für die Beratung durch Ärzte und psychosoziale Beratungsstellen formuliert werden, damit Ratsuchende individualisierte sachgerechte Informationen über das Thema Sexualität bei Viruslast unter der Nachweisgrenze erhalten.

Die bisherigen Präventionsbotschaften für flüchtige sexuelle Begegnungen behalten ihre Gueltigkeit. Damit Prävention in Zukunft glaubwürdig ist, müssen die Botschaften im Sinne eines lebensnahen Risikomanagements ergänzt und differenziert werden. Wenn Prävention HIV-positive Menschen als Partner behalten will, dann darf sie sie nicht wider besseres Wissen funktionalisieren, um Ängste hochzuhalten und zu schüren.
In den Fokus der Prävention geraten nun frisch infizierte Menschen, die ihre Infektion unwissentlich weitergeben können. Mythen von der Gefährlichkeit der Großstadt, von der Sicherheit ländlicher Räume und des eigenen Bettes müssen durch eine offene Kommunikation entzaubert werden. Ein sorgsamer, respektvoller Umgang miteinander muss befördert werden.

Weiterhin wird es zukünftig um Therapietreue und die überzogenen Ängste vor den Nebenwirkungen der Therapien sowie um Fragen der sexuellen Gesundheit insgesamt gehen. Testermutigung erhält eine neue Bedeutung, weil eine erfolgreich therapierte HIV-Infektion neue Perspektiven ermöglicht.

Die TeilnehmerInnen des Netzwerktreffens.

Göttingen, 02.03.2008

sexuelle Gesundheit Berlin 6: Ausblick und mögliche Konsequenzen

Welche Entwicklungen zeichnen sich zum Thema sexuelle Gesundheit in Berlin ab? Welche Konsequenzen könnten erforderlich werden? Einige Ideen:

Die Zahl der Menschen, die insgesamt in Berlin mit HIV leben, wird auch in den kommenden Jahren weiter steigen.
Neben der Zahl an HIV-Neuinfektionen wird der Zuwachs sich schon daraus ergeben, dass Menschen mit HIV aufgrund verbesserter Therapien durchschnittlich länger leben. Zudem verlegen HIV-Infizierte aus anderen Regionen Deutschlands ihren Wohnsitz nach Berlin, da hier die Lebens- und oft auch Versorgungssituation für HIV-Infizierte als besser empfunden wird.

Zudem wird das durchschnittliche Alter der HIV-Positiven, die in Berlin leben, weiter ansteigen – schon aufgrund der durch bessere medikamentöse Therapie gesteigerten Lebenserwartung. Zudem infizieren sich zunehmend auch Menschen in höherem Lebensalter mit HIV.

Neben HIV treten für die Frage sexueller Gesundheit bei Männern, die Sex mit Männern haben, auch weitere sexuell übertragbare Infektionen wieder mehr in den Vordergrund – sowohl für HIV-positive als auch HIV-negative Männer. Gerade auch angesichts jüngster Stellungnahmen, die betonen es liege ‚keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs‚ vor, kommt Information und Testangeboten zu sexuell übertragbaren Erkrankungen eine starke Bedeutung zu.

Diese und weitere Veränderungen werden Auswirkungen auf das System der öffentlichen Gesundheit in Berlin haben, aber auch auf die jeweiligen Szenen (die z.B. auf eine zunehmende Zahl älterer Menschen teils kaum vorbereitet scheinen).

Eine rein auf HIV/Aids-Prävention ausgerichtete Präventions- und allg. Gesundheitspolitik in Berlin könnte den sich verändernden Rahmenbedingungen schon bald nicht mehr gerecht werden. Die Prävention sexuell übertragbarer Infektionen und generell das Thema reproduktive Gesundheit könnte größere Aufmerksamkeit erfordern. Zudem wird angesichts des höheren Lebensalters bei Menschen mit HIV auch die Frage anderer Erkrankungen (wie Krebs) zunehmend Bedeutung gewinnen.

Es müssen ausreichend niedrigschwellige, anonyme und kostenlose Untersuchungsmöglichkeiten (neben HIV gerade auch auf Syphilis) zur Verfügung stehen.
Auch das RKI kommt in der Auswertung der KABaSTI-Studie ((Quelle: Ergebnisse der KABaSTI-Studie, in Epidemiologisches Bulletin Nr. 23/2007)) zu dem Schluss, der öffentliche Gesundheitsdienst solle „vor allem in Großstädten seine Beratungs- und Testangebote für HIV und STI stärker auf besonders vulnerable Bevölkerungsgruppen fokussieren und nach Möglichkeit versuchen, durch seine Angebote Zugangsbarrieren zu reduzieren – in Zusammenarbeit mit Selbsthilfegruppen besonders betroffener Bevölkerungsgruppen … Ein solches Angebot sollte möglichst kostenlos, anonym und mehrsprachig sein“. Derzeitige Einschränkungen im Öffentlichen Gesundheitsdienst und den Aids- und STI-Beratungsangeboten dürften hier eher kontraproduktiv wirken.

Konsequenzen kann aber auch jeder schwul lebende Mann, jeder Mann der Sex mit Männern hat, ziehen: ‚man‘ sollte überlegen, sich auf die wichtigsten sexuell übertragbaren Infektionen (besonders auch Syphilis) sowie auf Hepatitis C regelmäßig untersuchen zu lassen – sie sollten möglichst zur Routine-Untersuchung (’schwuler Gesundheits-Check‘) gehören. Wo möglich (Hepatitis B!) sollte eine Impfung erwogen werden.

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Dieser Artikel ist Teil der Serie „Sexuelle Gesundheit in Berlin“:
Intro
Teil 1: HIV / Aids in Berlin
Teil 2: HIV-Neuinfektionen in Berlin
Teil 3: Syphilis in Berlin
Teil 4: Hepatitis C in Berlin
Teil 5: Berlin im Vergleich mit Hamburg und Köln
Teil 6: Ausblick und mögliche Konsequenzen

sexuelle Gesundheit Berlin 3 – Syphilis in Berlin (akt.)

Immer wieder gehen Artikel durch die Homo-Gazetten – ‚Syphilis-Welle in …‘. Aber wie sieht die Realität in Zahlen für Berlin aus?

Für die Jahre von 2001 bis 2007 schwankt die Zahl der in Berlin gemeldeten Syphilis-Fälle zwischen gut 300 und annähernd 700 pro Jahr. Ein Höhepunkt in diesem Zeitraum war das Jahr 2004 mit 663 Fällen, seitdem sinken die zahlen wieder (2007 bisher 362 für Berlin gemeldete Fälle).

Syphilis in Berlin 2001 bis 2007, absolutSyphilis in Berlin 2001 bis 2007, relativBei der Verteilung der Fälle nach Risiken fällt ein vergleichsweise hoher Anteil an Männern die Sex mit Männern haben (MSM) auf. Inzwischen entfallen 80% aller Syphilis-Fälle auf diese Gruppe.
Für eine vergleichsweise große Gruppe (2007 immer noch 14,1%) liegen zudem keine Angaben zum Infektionsrisiko vor. Auch in dieser Gruppe dürften sich noch Fälle aus der Gruppe MSM ‚verbergen‘.

Wie bei HIV ist dabei folgendes zu beachten: es handelt sich um Melde-Zahlen, die keine direkten Aussagen über den Infektionszeitpunkt zulassen. Zudem beziehen sich sämtliche RKI-Daten auf den Wohn- bzw. gewöhnlichen Aufenthaltsort, nicht den Ort der Infektion (ein Kölner, der sich bei einem Wochenend-Besuch in Berlin mit Syphilis infiziert, sich aber an seinem Wohnort Köln behandeln lässt, würde als ‚Kölner Fall‘ registriert werden) sowie den Diagnosezeitraum basierend auf dem Diagnosemonat, nicht auf den Infektions-, Erkrankungs- oder Meldezeitraum.
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Risikogruppe 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007
unbek. 138 185 153 150 100 92 57
hetero 22 26 32 54 20 36 24
MSM 158 262 429 457 445 443 323
MTCT 0 0 0 2 0 0 0
gesamt 318 473 614 663 565 571 404
Anteil relativ
unbek. 43,4% 39,1% 24,9% 22,6% 17,7% 16,1% 14,1%
hetero 6,9% 5,5% 5,2% 8,1% 3,5% 6,3% 5,9%
MSM 49,7% 55,4% 69,9% 68,9% 78,8% 77,6% 80,0%
MTCT 0,0% 0,0% 0,0% 0,3% 0,0% 0,0% 0,0%

Tab.: gemeldete Syphilis-Fälle Berlin nach Risikogruppen, 2001 bis 2007 ((Quelle: Robert Koch-Institut: SurvStat, http://www3.rki.de/SurvStat, Datenstand: 05.02.2008))

Ein Teil der gemeldeten Syphilis-Fälle sind dabei keine erstmaligen Infektionen, sondern Re-Infektionen (erneute Syphilis-Infektion nach vorheriger erfolgreich behandelter Syphilis).
Das RKI hat bereits bei der Beurteilung der Situation 2006 darauf hingewiesen, dass der Anteil der gemeldeten Syphilis-Fälle, der vom Arzt als Re-Infektion eingeordnet werde, in den Großstädten Berlin, Hamburg, München, Köln und Frankfurt bei 50% liege ((Syphilis in Deutschland im Jahr 2006 und Trends seit 2001, in: Epidemiologisches Bulletin 29/2007, als pdf online hier)). Das RKI vermutet, dass hinter der hohen Rate an Reinfektionen auch in steigendem Umfang unzureichend behandelte Syphilis-Fälle (gerade auch bei gleichzeitiger HIV-Infektion) verbergen könnten.

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Zahlen von 500, gar über 600 Syphilis-Fällen pro Jahr in Berlin mögen auf den ersten Blick enorm hoch erscheinen. Ein Blick in die jüngere Geschichte relativiert dies vielleicht ein wenig.

Syphilis Fälle Berlin 1971 - 2005Wie die nebenstehende Abbildung des RKI deutlich macht, waren Ende der 1970er Jahre weitaus höhere Syphilis-Fallzahlen in Berlin zu vermelden (bis zu annähernd 1.400 Fällen im Jahr 1978). Dies soll die aktuellen Fallzahlen nicht verharmlosen, wohl aber in ihrer Höhe einordnen helfen. (Grafik (c) RKI ((Quelle: Meldungen von Syphilis in Berlin 1971 bis 2005, www.rki.de)) ).

Annähernd 1.400 Fälle von Syphilis wurden in Berlin Ende der 1970er Jahre gemeldet (gesamt, knapp 1.000 bei Männern). Damals wurden Spitzenwerte der Inzidenz von Syphilis bei Männern in Berlin von über 110 Fälle pro 100.000 Einwohnern erreicht. Altersmäßiger Schwerpunkt war auch damals schon die Gruppe der 30- bis 40Jährigen.
Ein starker Rückgang der Syphilis-Fallzahlen folgte dann Ende der 1980er Jahre bis Ende der 1990er Jahre, vermutlich auch in Folge der Aids-Krise. Zu einem erneuten Anstieg der Fallzahlen kam es ab dem Jahr 2000 (vermutlich 1997/98 von Hamburg ausgehend ((Aktuelle Syphilis-Situation in Deutschland, 15. Mai 2003 RKI, online als pdf hier)) ).
Bei den Zahlen ist allerdings zu berücksichtigen, dass ab 2001 mit dem Infektionsschutzgesetz eine Labor-Meldepflicht für Syphilis eingeführt wurde ((gemeldet werden vom Labor Geburtsmonat und -jahr sowie die ersten drei Stellen der Postleitzahl des Patienten)).

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Nach einem Höhepunkt 2004 sinken in den letzten Jahren die Zahlen der Syphilis-Fälle in Berlin. Allerdings ist der Anteil der MSM inzwischen auf über 80% der Fälle gestiegen.
Ein nennenswerter Anteil der Syphilis-Meldungen bezieht sich auf Re-Infektionen – Fälle von erneuter Infektion mit Syphilis. Sie könnten gerade auch bei gleichzeitig bestehender HIV-Infektion auch Hinweis auf ggf. nicht ausreichend therapierte frühere Infektionen sein.

Aktualisierung 05.02.2008: Stand Datenabfrage 05.02.2008

Dieser Artikel ist Teil der Serie „Sexuelle Gesundheit in Berlin“:
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Teil 1: HIV / Aids in Berlin
Teil 2: HIV-Neuinfektionen in Berlin
Teil 3: Syphilis in Berlin
Teil 4: Hepatitis C in Berlin
Teil 5: Berlin im Vergleich mit Hamburg und Köln
Teil 6: Ausblick und mögliche Konsequenzen

sexuelle Gesundheit Berlin 2 – HIV-Neuinfektionen in Berlin

In Berlin fanden im Jahr 2007 ca. 460 HIV-Neuinfektionen statt (ca. 400 bei Männern, ca. 60 bei Frauen). Zu 88% fanden die HIV-Neuinfektionen bei Männern statt, die Sex mit Männern haben, zu 11% durch heterosexuelle Kontakte und zu 1% durch iv-Drogengebrauch. ((Quelle: „HIV/AIDS in Berlin – Eckdaten“, Epidemiologische Kurzinformation des Robert-Koch-Instituts, Stand Ende 2007, als pdf online hier))

Was führt zu dieser Zahl an Neu-Infektionen, besonders in der Gruppe der Männer die Sex mit Männern haben?

„Der Hauptgrund für steigende Infektionszahlen bei Schwulen liegt nach Einschät­zung Michael Bochows … darin, dass ein Zehntel der Schwulen häufig Risiken eingeht und zu­gleich immer mehr Schwule mit HIV leben.“ ((„Die neue Bochow-Studie: safer Sex besser als gedacht“ in: Siegessäule extra Welt-Aids-Tag 2007, S.5))

Wie groß ist diese Gruppe, die ‚häufig Risiken eingeht‘?
„Insbesondere der Anteil der für die Dynamik von sexuell übertragenen Infek­tionen beson­ders relevanten Teilnehmer mit sehr hohen Partnerzahlen ist in den letzten 9 Jahren rückläufig und lag zuletzt bei 7% (bezogen auf MSM ab 25 Jahren in Großstädten; bei Jüngeren … ist dieser Anteil noch deutlich niedri­ger“. ((Bochow et al.: Wie leben schwule Männer heute (2007), S.10))
Dies gilt scheinbar auch für Berlin: „7% der Befragten aus Berlin … geben an, im Jahr vor der Befragung mit mehr als 50 un­terschiedlichen Partnern Sex gehabt zu haben. Die durchschnittlich höchsten Partnerzahlen haben MSM zwischen 30 und 44 Jahren“. ((Bochow et al.: Wie leben schwule Männer heute (2007), S.5))

Neben dem Merkmal ‚hohe Partnerzahl‘ bemerkt Bochow noch ein weiteres:
„Ungeschützter Analverkehr ist – insbesondere bei HIV-positiven MSM – in ho­hem Maße mit diesem Konsummuster [häufiger oder regelmäßiger Konsum von Party­drogen] verbun­den.“ ((Bochow et al.: Wie leben schwule Männer heute (2007), S.10)) Diesen hohen Anteil kann eine RKI-Studie (s.u.) allerdings nicht bestätigen.

Doch es scheint auch Informations-Defizite zu geben: Die Chancen z.B., die eine erfolgreiche Therapie auch zur Reduzierung des Infekti­onsrisikos bietet, sind bisher nur wenig bekannt: „95% aller Befragten – und auch 95% aller HIV-positiven Teilnehmer – [geben an, der Aus­sage; d.Verf.] … dass das Virus unter antiretroviraler Therapie nicht mehr übertragen wer­den kann, nicht zuzustim­men.“ ((Bochow et al.: Wie leben schwule Männer heute (2007), S.7))

Interessante Ergebnisse, wie und warum sich Menschen in Berlin heute mit HIV infizieren, hat eine Pilotstudie des Robert-Koch-Instituts (RKI) geliefert.
Im Rahmen einer vom Bundesgesundheitsministerium finanzierten Pilotstudie hat das RKI Daten zu Wissen, Einstellungen und Verhalten von Menschen untersucht, bei denen eine frische HIV-Infektion festgestellt wurde. Die Pilotstudie wurde in Berlin durchgeführt (und wird aufgrund der Ergebnisse der Pilotstudie jetzt als reguläre Studie über drei Jahre (ab November 2007) bundesweit fortgesetzt).

Untersucht werden konnten 123 Personen und ihre Daten (= 26% der HIV-Neu-Diagnosen im Untersuchungszeitraum in Berlin). 90% von ihnen waren Männer die Sex mit Männern haben (MSM). 67% der MSM in der Studie gehörten zur Gruppe der 21- bis 29Jährigen. Über 50% hatten sich vor dem jetzigen positiven Testergebnis bereits früher auf HIV testen lassen.
Das Wissen zum aktuellen Stand der HIV-Epidemie sowie zu HAART (hochwirksame antiretrovirale Therapie) war bei den in der Studie untersuchten MSM gut.

Als vermutetes Infektionsereignis wurde von den MSM in der Studie zu 46% anonyme sexuelle Kontakte angegeben, 17% sexueller Kontakt mit dem festen Partner oder Bekannten (15%) sowie 7% bei einer neuen Beziehung.

Über 90% der teilnehmenden MSM gaben an, in den letzten 9 Monaten vor dem Test ungeschützten Sex gehabt zu haben (80% oral, 60% anal). 19% gaben dabei an, ungeschützten Sex mit einem Partner gehabt zu haben, von dem sie wussten, dass er HIV-positiv ist.

Der häufigste Grund, im konkreten Fall kein Kondom zu verwenden (von dem 90% angaben, es immer dabei zu haben), lag in der subjektiven Risiko-Einschätzung. Die am häufigsten genannten Gründe dabei: „ich glaubte, dass für mich kein Ansteckungsrisiko bestand“, „ich hoffte, es würde schon nichts passieren“, „ich ging davon aus, dass mein Partner nicht HIV-infiziert sein kann“ sowie „ich dachte nicht, dass bei dem, was wir machten, ein Übertragungsrisiko bestand“. Hingegen gaben nur 6% Alkohol und/oder Drogen als beteiligt an, 17% Probleme bei der Kondombenutzung (Erektionsprobleme) sowie ebenfalls 17%, die Entscheidung ob ein Kondom verwendet wird an den Partner delegiert zu haben.

Die untersuchten MSM hatten ein recht gutes Wissen über mögliche Infektionsrisiken. Allerdings wurden auch einige Fehl-Wahrnehmungen von Risiken deutlich: lediglich 60% meinten z.B. , eindringender Analverkehr (‚aktive‘ Rolle) ohne Kondom sei ein Risiko, und nur 55% meinten dies bei aufnehmendem Analverkehr (‚passive‘ Rolle) ohne Ejakulation.

Ein zusammenfassender Bericht über die Ergebnisse der Pilotstudie findet sich im Epidemiologischen Bulletin des RKI (Ausgabe 01/2008).

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In der RKI-Studie waren zu einem besonders hohen Anteil junge MSM der Altersgruppe von 21 bis 29 Jahren betroffen (wesentlich höher als in den gesamten Falldaten, siehe HIV/Aids in Berlin).
Zur Frage, ob Drogenkonsum bei ungeschütztem Analverkehr eine wesentliche Rolle spielt, liegen scheinbar widersprüchliche Einschätzungen vor.
Offensichtlich scheint allerdings zu sein, dass Informations-Defizite vorliegen und subjektive Risiko-Einschätzungen z.T. unzutreffend getroffen werden. Selbst bei allgemein gut informierten MSM gibt es Fehl-Einschätzungen von Risiken in konkreten Situationen (Analverkehr aufnehmend / eindringend). Zudem ist die Bedeutung einer wirksamen Therapie für die Infektiosität scheinbar nur unzureichend bekannt.
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Dieser Artikel ist Teil der Serie „Sexuelle Gesundheit in Berlin“:
Intro
Teil 1: HIV / Aids in Berlin
Teil 2: HIV-Neuinfektionen in Berlin
Teil 3: Syphilis in Berlin
Teil 4: Hepatitis C in Berlin
Teil 5: Berlin im Vergleich mit Hamburg und Köln
Teil 6: Ausblick und mögliche Konsequenzen

sexuelle Gesundheit in Berlin 1: HIV / Aids in Berlin (akt.)

Ende des Jahres 2007 lebten ca. 10.400 Menschen mit HIV in Berlin, davon 9.500 Männer, 900 Frauen und 30 Kinder. Etwa 8.000 der 10.400 Berliner HIV-Positiven gehören zur Gruppe der Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), ca. 1.200 sind DrogengebraucherInnen, etwa 450 stammen aus sog. Hochprävalenz-Regionen und ca. 700 haben sich über heterosexuelle Kontakte infiziert. ((Quelle: „HIV/AIDS in Berlin – Eckdaten“, Epidemiologische Kurzinformation des Robert-Koch-Instituts, Stand Ende 2007))

Etwa 250 in Berlin lebende Menschen erkrankten 2007 neu an Aids, 210 davon Männer. Etwa 100 HIV-Infizierte verstarben 2007 in Berlin. ((Quelle: „HIV/AIDS in Berlin – Eckdaten“, Epidemiologische Kurzinformation des Robert-Koch-Instituts, Stand Ende 2007))

Die Gesamtzahl der HIV-Infizierten in Berlin seit Beginn der HIV-Epidemie beträgt ca. 14.700. Etwa 6.300 von ihnen sind seit Beginn der Epidemie an Aids erkrankt; etwa 4.300 an den Folgen von Aids verstorben. ((Quelle: „HIV/AIDS in Berlin – Eckdaten“, Epidemiologische Kurzinformation des Robert-Koch-Instituts, Stand Ende 2007))

gemeldete HIV-Fälle Berlin 2001 - 2007Die Gesamtzahl der gemeldeten HIV-Fälle in Berlin liegt nach einem Anstieg von 2001 bis 2004 seit einigen Jahren auf nahezu gleichbleibendem Niveau. Bei den Zahlen für 2007 (derzeitiger Datenstand 4.2.2008) ist zu berücksichtigen, dass noch Nachmeldungen erfolgen werden, die endgültigen Zahlen also etwas höher als hier dargestellt liegen könnten.

Wichtig bei allen Zahlen: dargestellt wird für den Diagnose-Zeitraum, nicht den Infektions-, Erkrankungs- oder Melde-Zeitraum.

Wie verteilen sich diese Gesamtzahlen der HIV-Infektionen in Berlin auf die einzelnen ‚Risikogruppen‘?

Risikogruppe 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007
unbek. 38 35 59 46 39 46 40
Blut 0 0 0 0 0 0 0
hetero 14 25 21 33 35 42 28
iv Drogen 11 10 5 5 4 4 5
MSM 124 136 203 264 282 272 301
MTCT 1 2 0 3 3 0 0
Hochpräv. 12 17 22 18 26 26 15
gesamt 200 225 310 369 389 390 389

Tab.1 gemeldete HIV-Fälle Berlin nach Risikogruppen ((Quelle (auch für alle im weiteren verwendeten Zahlen): Robert Koch-Institut: SurvStat, http://www3.rki.de/SurvStat, Datenstand: 04.02.2008))

gemeldete HIV-Fälle Berlin 2001 - 2007 nach Risikogruppen relativ Bei der Analyse der Anteile, die die einzelnen Infektionswege an der Gesamtzahl der für Berlin gemeldeten Fälle haben (siehe nebenstehende Grafik), fällt auf, dass der Anteil des Infektionsweg „Männer die Sex mit Männern haben“ (MSM; in der Grafik brauner Bereich der Säulen) im letzten Jahr anstieg. 2007 betrug der Anteil der MSM an den gesamten gemeldeten HIV-Fällen in Berlin 77% (2006: 70%; 2005: 72,5%, 2004: 71,5%).
Der Anteil der durch iv-Drogengebrauch übertragenen HIV-Infektionen hingegen ist seit Jahren auf einem niedrigen Niveau.

In welchem Alter infizieren sich Menschen mit HIV? Die RKI-Daten beantworten diese Frage nicht (sie bilden nicht Infektionen, sondern Meldungen von Diagnosen ab) – sie geben aber Aufschluss darüber, in welchem Lebensalter Menschen sind, deren HIV-Infektionen gemeldet werden.

gemeldete HIV-Fälle Berlin 2001-2007 nach Altersgruppen relativgemeldete HIV-Fälle MSM Berlin 2001-2007 nach Altersgruppen relativNoch 2001 stellte die Gruppe der 30-39jährigen (in beiden Grafiken Säulenbereich hellblau) den mit Abstand größten Anteil der gemeldeten HIV-Fälle (Grafik links: 53,5% bei allen Fällen ; Grafik rechts: 56,5% bei MSM).
Seitdem hat der Anteil der Altersgruppe 40 bis 49 Jahre deutlich zugelegt (2001: 15,5% alle, MSM 14,5%, 2007: 26,5% alle, MSM 24,6%), gesunken ist der Anteil der Altersgruppe 30-39 (2001: 53,5% alle, MSM 56,5%, 2007: 32,1% alle, MSM 34,9%). Die Altersgruppe 21-29 Jahre (in beiden Grafiken gelber und unterer grüner Bereich) stieg von 18,5% (alle) bzw. 20,1% (MSM) im Jahr 2001 auf 26,2% (alle) bzw. 26,6% (MSM) im Jahr 2007.

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Etwa 59.000 Menschen leben Ende 2007 in Deutschland mit HIV. Circa 10.400 von ihnen allein in Berlin – damit hat die Stadt einen Anteil von 17,6%. An der Gesamtbevölkerung der BRD von 2,35 Mio. hat Berlin mit 3,404 Mio. Einwohnern (beides Ende 2006) nur einen Anteil von 4,13%.
Das bedeutet, dass in Berlin über das Vierfache der aufgrund des Bevölkerungsanteils zu erwartenden Zahl an HIV-Positiven lebt.
Den größten Anteil der jährlich gemeldeten neuen HIV-Fälle stellen mit deutlich über 70% Männer die Sex mit Männern haben. Allein 30% der HIV-Fälle bei MSM werden bei Männern in der Altersgruppe der 40- bis 49Jährigen diagnostiziert. Gleichzeitig steigt der Anteil der Diagnosen in der Altersgruppe der 21- bis 29Jährigen.

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Aktualisierung 04.02.2008: Daten aktualisiert auf Abfrage-Stand 04.02.2008

Dieser Artikel ist Teil der Serie „Sexuelle Gesundheit in Berlin“:
Intro
Teil 1: HIV / Aids in Berlin
Teil 2: HIV-Neuinfektionen in Berlin
Teil 3: Syphilis in Berlin
Teil 4: Hepatitis C in Berlin
Teil 5: Berlin im Vergleich mit Hamburg und Köln
Teil 6: Ausblick und mögliche Konsequenzen

sexuelle Gesundheit in Berlin

Berlin ist die Stadt in Deutschland mit den meisten Menschen mit HIV-Infektion. Auch über Wellen von Syphilis- oder Hepatitis-C-Infektionen in Berlin wird hin und wieder berichtet. Andererseits ist Berlin bekannt für seine auch in sexueller Hinsicht breite und variantenreiche Bandbreite an Möglichkeiten – und auch Zielort diversen Fremdenverkehrs, der auch eben diese sexuellen Freiheizten sucht.

Wie sieht es aus mit der sexuellen Gesundheit in Berlin, insbesondere für Männer, die Sex mit Männern haben?
Ist Berlin wirklich „Bad Bareback“, wie einige schwule Touristen gerne kolportieren? Und wie sieht es mit den (gesundheitlichen) Konsequenzen aus?

Ab morgen unternehme ich in einer kleinen Reihe Versuche einer Annäherung an das Thema sexuelle Gesundheit schwuler Männer in Berlin. Dabei geht es zunächst darum, als Diskussionsgrundlage die Fakten soweit bekannt zusammenzustellen.

Wie viele Menschen haben sich in Berlin mit HIV infiziert? Wie viele sind an Aids erkrankt? Welche Gruppen sind am stärksten vertreten?
Teil 1: HIV / Aids in Berlin

Wie viele Menschen infizieren sich in Berlin jährlich neu mit HIV? Aus welchen Gruppen? Was könnten Gründe für steigende Infektionszahlen in einigen Gruppen sein?
Teil 2: HIV-Neuinfektionen in Berlin

Wie hat sich die Zahl der Syphilis-Infektionen in Berlin in den letzten Jahren entwickelt? Und wie die der Fälle von Hepatitis C?
Teil 3: Syphilis in Berlin
Teil 4: Hepatitis C in Berlin

Ist Berlin wirklich ‚der Sündenpfuhl der Republik? Wie steht Berlin beim Thema sexuelle Gesundheit da im Vergleich zu anderen Metropolen?
Teil 5: Berlin im Vergleich mit Hamburg und Köln

Lassen sich aus den Zahlen und Analysen Anhaltspunkte finden, wie sich die zukünftige Situation entwickeln, welche Anforderungen potenziell
Teil 6: Ausblick und mögliche Konsequenzen

Dieser Artikel ist Teil der Serie „Sexuelle Gesundheit in Berlin“:
Intro
Teil 1: HIV / Aids in Berlin
Teil 2: HIV-Neuinfektionen in Berlin
Teil 3: Syphilis in Berlin
Teil 4: Hepatitis C in Berlin
Teil 5: Berlin im Vergleich mit Hamburg und Köln
Teil 6: Ausblick und mögliche Konsequenzen

Nebenbei, das Thema ’sexuelle Gesundheit‘ umfasst selbstverständlich mehr als die wenigen hier behandelten Themen (die z.B. ‚F‘ wie Filzläuse, Feigwarzen bis ‚T‘ wie Tripper umfassen). Allerdings ist gerade die ortsspezifische Datenlage hier wesentlich schwieriger, so dass ich mich im ersten Angang auf diese Themen beschränkt habe.


Wer positiv ist fliegt raus

„Wer HIV-positiv ist, fliegt raus“ – das gibt es heute nicht mehr?

Doch, doch, und ganz offen.

Viele HIV-Positive leben gut ohne Therapien oder können ihre Infektion erfolgreich antiretroviral behandeln lassen.
Und – sie wollen arbeiten. Oder sie müssen, z.B. schon aus ökonomischen Gründen.

Wenn da nicht Arbeitgeber wären, die dem im Wege stünden.
Wie zum Beispiel die Lufthansa. „Die wohl härteste Eingangsuntersuchung“ rühmt die ‚Financial Times‘ die Einstellungsuntersuchungen der Lufthansa für Piloten. Und

„wer beispielsweise HIV-positiv ist, fliegt raus.“

Nun hat die Lufthansa, soweit ich mich erinnere, in der Vergangenheit immer begründet, das Risiko eines HIV-positiven Piloten im Cockpit sei einfach zu groß, z.B. bei neurologischen Problemen.

Da mag man sich fragen, ob dies inzwischen (z.B. angesichts besserer Therapie- und Untersuchungs- Möglichkeiten) wirklich noch so generell gilt. Ob wegen HIV wirklich jeder HIV-positive Pilot nicht tragbar ist.
Und vor allem – warum ihnen nicht einfach ein anderer Job, z.B. am Boden, angeboten werden kann, statt sie an die Luft zu setzen.

Wir leben 2007 …
Und die Arbeits-Bedingungen als HIV-Positiver sind immer noch alles andere als ’normal‘.

Nein, Diskriminierung gibt es ja überhaupt nicht mehr …

Müssen sich Bewerber als Stewardess eigentlich auch immer noch auf HIV testen lassen?

Nur zur Erinnerung: schon vor vielen Jahren war das Verhalten der Lufthansa Anlass für einige ACT UP – Aktionen (wie z.B. Die-Ins) …

Nachtrag 12.10., 12:19: hierzu passt auch gut die Geschichte, die Sabine heute gepostet hat „What We Can’t Talk About“. 20% der HIV-infizierten Dänen und Däninnen behalten ihre Diagnose für sich. Ob das in Deutschland so viel anders ist ?

Gesundheit: weitere Rückwärtsrollen …

Die Zahl der Fälle, in denen gegen Positive juristisch vorgegangen wird, steigt. In Großbritannien, wo eh schon zahlreiche Positive verurteilt wurden, ist nun ein weiteres Urteil bekannt geworden.

Ein 38jähriger Italiener wurde in Glasgow wegen bewusster Übertragung von HIV und Hepatitis C verurteilt. Ihm wurde vorgeworfen seine frühere Freundin infiziert zu haben, indem er bewusst keine Kondome verwandte.
Erstmals erfolgte damit in Großbritannien eine Verurteilung auch aufgrund einer Infektion mit Hepatitis C, wie Aidsmap berichtet.

Eine fahrlässige oder vorsätzliche Infektion mit HIV ist auch in Deutschland bereits seit langem strafbar. Auch erfolgen Verurteilungen wegen HIV-Infektion, i.d.R. mit der Anklage der fahrlässigen Körperverletzung.

Dennoch planen Politiker, unter ihnen mit federführend der CDU-Obmann im Gesundheitsausschuß Jens Spahn (26), eine weitere Verschärfung der Gesetzeslage: ein Gesetz gegen fahrlässige HIV-Verbreitung befindet sich auf dem parlamentarischen Weg (derzeit in den Ausschüssen).

Spahn ist auch beteiligt an der ablehnenden Haltung der CDU-Bundestagsfraktion zur Heroin-Abgabe an Schwerstabhängige. Es gehe darum, keine harte Droge zu enttabuisieren oder zu legalisieren, so Spahn (z.B. gegenüber N24 oder via Tagesspiegel, außerdem sei eine Heroin-Therapie zu teuer. Spahn stellt sich damit selbst gegen Politiker aus der eigenen Partei, die an erfolgreichen Modellprojekten beteiligt sind und auf deren Fortführung dringen.

Spahn, der u.a. auch Mitglied der ‚Kerntechnischen Gesellschaft‘ und des ‚Förderkreises deutsches Heer‘ ist, der auch an der umstrittenen parteiübergreifenden Initiative ‚Generationen- Gerechtigkeit‘ einiger Jung-Parlamentarier beteiligt war, als weiteres Anzeichen dafür, wie Aids- und Gesundheitspolitik insgesamt nach und nach in immer konservativeres Fahrwasser gerät?