Positiventreffen – Freiraum solidarischen Miteinanders

In der vergangenen Woche war ich einige Tage auf einem Positiventreffen. Über das ich mit einigen persönlichen Gedanken berichten möchte – und vielleicht ein wenig von ihrem Zauber zumindest erahnbar machen.

Positiventreffen, das heißt zunächst einfach: eine Gruppe HIV-positiver Menschen trifft sich für einige Zeit an einem Ort, um gemeinsam etwas zu unternehmen. Bei den Bundesweiten Positiventreffen (es gibt auch andere, z.B. landesweite) ist dieser Ort das Waldschlößchen, ein Tagungshaus in der Nähe von Göttingen.

Für 4 oder 5 Tage treffen sich ca. 40, 50 HIV-Positive, als schwuler Mann, positive Frau, als frisch mit HIV-Diagnostizierter oder Langzeitpositiver, als junger Spund oder älterer Mann. Informieren sich über neue medizinische Themen, politische  oder sozialrechtliche Fragen, sprechen über ihr Leben in Stadt oder Land, nutzen Angebote zu Information, Diskussion, Erfahrungsaustausch, Kunst oder Entspannung.

Doch Positiventreffen sind mehr als ’nur‘ Wiedersehen, Entspannung und Informationsvermittlung.

Positiventreffen, das heißt  nicht Frontalbespaßung, heißt nicht ‚die da‘ und ‚ihr‘, sondern heißt 4 oder 5 Tage lang ‚wir‘. Das Miteinander verschiedener Menschen, Biographien, Lebenskonzepte, Alters- oder Betroffenengruppen. Jeder ist Experte seines Lebens, und zusammen sind wir Fachleute unserer Interessen. Zwar sind eine Reihe Referenten der Treffen ‚echte Profis‘, Fachleute auf ihrem Gebiet, zwar werden die Treffen professionell organisiert und geplant. Aber – die Treffen sind ‚wir‘, die Teilnehmer bestimmen letztlich das Programm, seine Gestaltung und Inhalte.

Erfahrungen, und der wechselseitige Austausch dieser Erfahrungen stehen oft im Mittelpunkt. Gemeinsamkeit erfahren, Solidarität leben und erleben. Jeder bringt seine Ideen, Erfahrungen ein, und erlebt die anderer Teilnehmer. Im Miteinander entwickeln sich neue Ideen, Anregungen auch für das eigene Leben, den eigenen Alltag mit HIV. Anregungen, die oftmals weiter tragen, über das Treffen hinaus wirken.
Getragen wird dieses miteinander vom ‚wir‘, von der Bereitschaft zu Geben und Nehmen der Teilnehmer. Nicht jeder, nicht jederzeit, aber das ‚wir‘ der TeilnehmerInnen in der Gesamtheit. Hätte die Mehrzahl der Teilnehmer eine ausgeprägte Konsum-Haltung, würden zu viele Positive Aufmerksamkeit, Ideen, Erfahrungen, Zuwendung anderer Teilnehmer nur nehmen, nicht aber auch anderen geben – die Treffen würden schnell ihr Herz verlieren, ihren Zauber, und bald zu einem x-beliebigen Aufeinandertreffen sich informieren wollender Menschen werden. Im Miteinander, im Geben und Nehmen aller liegt eines der Geheimnisse des Zaubers der Positiventreffen.

Das Waldschlößchen im Schnee (Foto: Wolfgang Vorhagen)
Das Waldschlößchen im Schnee (Foto: Wolfgang Vorhagen)

Dieses Miteinander ist eine der Besonderheiten der Positiventreffen. Ein weiteres Geheimnis der Positiventreffen wird von einigen Teilnehmern umschrieben mit Begriffen wie ‚Freiraum‘, ‚geschützter Raum‘ oder ‚Labor‘. Eine Atmosphäre, ein Klima von gegenseitigem Respekt, Achtsamkeit, Aufmerksamkeit. Keine Konkurrenz, keine Hahnenkämpfe, kein Auslachen oder Ausgrenzen. Stattdessen Aufmunterung, Unterstützung, gegenseitiges Halt-Geben. Atmosphäre und Gefühle, die es ermöglichen, auch auf Glatteis zu gehen, sich auszuprobieren, sich zu riskieren. Wege anzutasten, Schritte auf Wegen zu gehen, die vorher vielleicht nicht einmal gesehen wurden.
Ein Freiraum, in dem es möglich wird, anderes zu denken, ausgetretene Pfade zu verlasen. Vielleicht einmal Dinge im eigenen Leben anders zu sehen. Ach, so kann ich das auch machen? So fühlt sich das an? So gehst du damit um? Deine Erfahrungen heißen ja vielleicht auch, dass … Und so manches Mal steht im nachhinein der Gedanke daneben ‚hätt‘ ich das doch schon früher gemacht‘.

Erfahrungen machen, gemachte Erfahrungen weitergeben, austauschen, neue Ideen und Möglichkeiten entdecken, leben – das ist für mich einer der Kerngedanken der Positiventreffen. In geschütztem Raum einmal auch anders sein können, Schranken fallen lassen, Grenzen überwinden können,  Ausprobieren – getragen auch von Aufmerksamkeit und Achtsamkeit der Gruppe, von Zuneigung, Respekt und gegenseitiger Unterstützung.

Dazu kommt natürlich noch viel mehr – ein wundervolles Haus (nein, drei, seit das neue Gästehaus fertig ist), eine traumhafte Landschaft, die ob Sommer ob Winter zu langen Spaziergängen lockt, eine gesunde und leckere Küche, eine Sauna, und -besonders bei den längeren Positiventreffen- die tolle Party am letzten Abend, gemeinsam feiern, träumen, tanzen zur tollen Musik von Christian (DJ flat c.).

Und wenn man dann tief in der Nacht mit dem besten M. aller Zeiten und drei Teilnehmern zusammen sitzt, denen man vorher kaum nahe gekommen ist, um bei Kerzen, Wein und Bier zur Gitarre zu singen – dann geschieht manchmal auch ein Wunder, eines dieser kleinen Waldschlößchen-Wunder.

Aufgewühlt und erschöpft, müde sitze ich nach 5 intensiven Tagen am nächsten Nachmittag im Zug, zudem ein wenig beschämt und glücklich ob des Gefühls, wieder einmal auf unerwartete Weise neue, bereichernde Erfahrungen gemacht zu haben …

Die Bundesweiten Positiventreffen werden veranstaltet vom Verein Positiv e.V. in Kooperation mit der Akademie Waldschlößchen und mit Unterstützung durch die Deutsche Aids-Hilfe. Jährlich finden mehrere Treffen im Waldschlößchen statt. Menschen mit HIV sind auf diesen Treffen immer willkommen. Informationen zu den Themen der Treffen und Anmelde-Möglichkeiten hier.
Jetzt ist eine gute Zeit, sich für die Treffen 2009 anzumelden – sehen wir uns? 🙂

Nachtrag 28.11.2008:
Gerade auch junge Menschen mit HIV erleben Positiventreffen als befreiend: „Es ist befreiend, mit Menschen zu reden, denen man nicht groß was erklären muss, die gleich wissen, was man meint. Es ist schön, jemanden Witze machen und lachen zu hören, der das Virus schon zwanzig Jahre in sich trägt“, meint ‚Oliver‘ in einem Artikel der WZnewsline vom 27.11.2008.

25 Jahre Deutsche Aids-Hilfe

Veranstaltungs-Hinweis des Tagungshauses Waldschlösschen:

25 Jahre Deutsche AIDS-Hilfe
12. – 14. Dezember 2008

Die Deutsche AIDS-Hilfe ist eine der ältesten Kooperationspartnerinnen der Akademie Waldschlösschen, mit der uns viel Geschichte verbindet. Schon früh begann die erfolgreiche Zusammenarbeit und ist bis heute sichtbar in vielen gemeinsamen Seminarprojekten – z.B. den bundesweiten Positiventreffen zusammen mit Positiv e.V., einem Teil der Fortbildungen für Haupt- und EhrenamtlerInnen in Aidshilfen oder einzelnen Veranstaltungen für schwule Männer.

25 Jahre Deutsche AIDS-Hilfe haben viel Geschichte und viele Geschichten mit sich gebracht, begleitet und geprägt vom Wandel der gesellschaftlichen Wahrnehmung von HIV und Aids: Auf die stürmisch bewegte Phase der Aids-Hysterie Mitte der achtziger Jahre folgten Jahre der Etablierung von Aidshilfe, in der der Seegang spürbar ruhiger wurde, bis wir schließlich in den letzten Jahren angesichts der zunehmenden Gelassenheit im Umgang mit der Infektion mit einem neuen Phänomen konfrontiert wurden: dem wachsenden Desinteresse in der Gesellschaft, aber auch in den Zielgruppen der Prävention. Ungeachtet dessen wissen wir alle um die Vielschichtigkeit des Geschehens und um die unendliche Geschichte der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, die den Beratungsalltag von Aidshilfe prägt.

Lange nicht alle Aspekte dieser Geschichte können im Rahmen dieses Seminars berücksichtigt werden. Vor dem Hintergrund der zentralen Themen und Schwerpunkte der Arbeit der Akademie Waldschlösschen wollen wir den Fokus vor allem auf zwei inhaltliche Schwerpunkte legen – die Bedeutung von Aids und Aidshilfe für schwule Männer und für die Schwulenbewegung sowie auf die Selbsthilfe von Menschen mit HIV und Aids. Wir wollen aber auch einen Blick auf die weiteren Perspektiven der Arbeit und der Aufgaben von Aids- und Selbsthilfe werfen.

• Prävention in Bildern… Anhand von DAH-Plakaten wollen wir die Veränderungen in der Prävention aber auch der Bilder schwulen Lebens und schwuler Sexualität diskutieren.
Referent: Rainer Schilling, langjähriger Leiter des Schwulenreferates der Deutschen Aids-Hilfe, Berlin

• Aids und die Schwulen – In diesem Workshop wollen wir uns mit den Folgen von Aids für die Schwulen, ihre Sexualität und für die Schwulenbewegung beschäftigen. Dabei werfen wir auch die Frage auf, welche Definitionsmacht Aids-Hilfe hinsichtlich der Sexualität von schwulen Männern in den vergangenen 25 Jahren hatte oder für sich beansprucht hat. Welche Folgen hat Aids für die gesellschaftliche Integration von Schwulen gespielt? Wie weit ist der Abbau der „Diskriminierungstatbestände“ tatsächlich gediehen?
Leitung: Dr. Dirk Sander, jetziger Leiter des Schwulenreferates der Deutschen Aids-Hilfe, Berlin

• „Hilf dir selbst“ – die Selbsthilfe von Menschen mit HIV/Aids und die Rolle der Aids-Hilfe steht in einem weiteren Workshop im Mittelpunkt. Wir wollen zurückblicken auf über 25 Jahre Selbsthilfe: Was hatte es mit der „Koalition der Uneinsichtigen“ auf sich? Welche Rolle spielte Act up? Welche Bedeutung haben „positive Medien“? Welche Veränderungen hat das Selbstbild von HIV-Positiven im Laufe der vergangenen 25 Jahre erfahren? In wieweit hat Aidshilfe zur Professionalisierung von Selbsthilfe beigetragen? Und dann die aktuell wieder diskutierte Frage: Primär- und Sekundärprävention unter einem Dach – geht das?
Leitung: Michael Bohl, seit 1992 Mitarbeiter (Positivenreferent und Projektleiter der Beratungsstelle) der Aids-Hilfe Frankfurt/M

• Talkrunde: Aidshilfe – Blick zurück und nach vorne… Geschichten vom Anfang und von den ersten Kooperationen mit dem staatlichen Gesundheitswesen, von der Entwicklung gemeinsamer Strategien und von unseren politischen Mit- und Gegenspielern: Wir wollen wichtige Ereignisse und Eckpunkte in der Geschichte von Aids-Hilfe Revue passieren lassen, um dann die Brücke zu schlagen zu den grundlegenden Veränderungen der Aids-Arbeit und den weiteren Perspektiven.
Gäste:
Bernd Aretz, langjähriger Aktivist in Aids-Zusammenhängen, Offenbach;
Michael Bohl, seit 1992 Mitarbeiter (Positivenreferent und Projektleiter der Beratungsstelle) der Aids-Hilfe Frankfurt/M;
Dr. Ute Canaris, 1982-1985 Leiterin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, 1985-1987 zuständig im Bundesgesundheitsministerium für die staatlichen Aids-Programme, Stiftungsratsmitglied der Deutschen Aids-Stiftung, Neuss;
Dr. Gerd Paul, Vorstandsmitglied der Deutschen Aids-Hilfe von 1985-87, Berlin;
Dr. Rolf Rosenbrock, Prof. für Sozialwissenschaft und Gesundheitspolitik, Mitglied des Nationalen Aids-Beirates und der Aids-Enquetekommission, Berlin;
angefragt: Prof. Dr. Rita Süßmuth, Gesundheitsministerin von 1985-88, Bundestagspräsidentin von 1988-1998, Mitglied des Stiftungsbeirates der Akademie Waldschlösschen, Berlin
Moderation: Prof. Dr. Martin Dannecker, Sexualwissenschaftler, Berlin

• Wie geht´s weiter…? Werfen wir einen Blick auf die zukünftigen Herausforderungen und die Rolle der Aidshilfe in der Gesundheitsförderung, auf das „Neue Aids“, die Prävention in Zeiten nicht mehr nachweisbarer Viruslast, auf die weitere Normalisierung von Aids und den Folgen für Aids- und Selbsthilfe. Das sind einige Themen des Vortrags und der Diskussion, die uns am Sonntagvormittag beschäftigen werden.
Referent: Dr. med. Dr. phil. Stefan Nagel, Facharzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Psychoanalytiker, Dresden

Veranstaltungsleitung:
Klaus Stehling, Dipl.Pol., Geschäftsführer des Landesverbandes der hessischen Aids-Hilfen, Frankfurt
Wolfgang Vorhagen, Dipl. Päd., päd. Mitarbeiter der Akademie Waldschlösschen, Gleichen
Ulli Klaum, Geschäftsstelle VNB Göttingen

Akademie Waldschlösschen Va-Nr. 8208
Veranstaltungsbeginn ist am Freitag, 12.12.08 um 18 Uhr,
das Ende am Sonntag, 14.12.08 um 14.30 Uhr
Kostenbeitrag: 50 EUR
Direkt-Link zur online-Anmeldung hier

Die Veranstaltung findet in gemeinsamer pädagogischer Zusammenarbeit mit dem VNB – Landeseinrichtung der Erwachsenenbildung und in Kooperation mit der
Bundeszentrale für politische Bildung statt.

Schwule Sexualität und S/M

Veranstaltungshinweis des Tagungshauses Waldschlösschen:

Schwule Sexualität und S/M

Seminar für schwule Männer mit Interesse an S/M

Sadomasochismus ist eine der vielen Spielarten von Sexualität, die gerade in der schwulen Szene mehr und mehr offen ausgelebt wird.

Dabei sind die Vorlieben, Rollen, Fetische und Inszenierungen sehr vielfältig. Das Spiel mit den sexuellen S/M-Vorlieben hat dabei viele Reize, wird aber auch immer noch gesellschaftlich und auch in Teilen der Schwulenszene mit Gewalt und Unterdrückung assoziiert und entsprechend abgewertet.

Schwule Männer mit S/M-Vorlieben sind zu diesem Wochenendseminar eingeladen, um sich mit den eigenen Phantasien und dem Ausleben ihrer S/M-Vorlieben zu beschäftigen und auch die Fragen anzusprechen, die sie in diesem Zusammenhang beschäftigt und interessiert – so z.B. auch hinsichtlich der eigenen Biographie, der Identität als schwuler S/M-ler und des bisherigen Auslebens der Leidenschaften und Vorlieben. Neben einem Erfahrungsaustausch geht es auch um die Auseinandersetzung mit der persönlichen Einstellung zu der eigenen Sexualität. Dabei gibt das Seminar auch einen Einblick zu aktuellen sexualwissenschaftlichen Theorien zu „Normalität“ und „Perversion“.

Schwule Sexualität und S/M – Seminar für schwule Männer mit Interesse an S/M
Waldschlösschen,  10.-12. Oktober 2008
VA-Nr. 8201 (Direktlink zur Anmeldung)
Freitag 18 Uhr bis Sonntag 14.30 Uhr
Martin Dannecker, Wolfgang Vorhagen
200,- EUR

Ich weiss was ich tu! (akt.)

‚Silence = Death‘?
oder:
Ich weiss was ich tu!

Die Eidgenössische Aids-Kommission für Aids-Fragen (EKAF, Bern/Schweiz) hat am 30. Januar 2008 ein Statement veröffentlicht, demzufolge Positive un­ter er­folgreicher The­rapie (Viruslast mind. 6 Monate nicht nachweisbar) ohne sexuell übertragbare Infek­tionen „sexuell nicht infektiös“ sind. Zuvor war die­ser Sachverhalt bereits seit Jah­ren auf wissenschaftlichen Konferenzen disku­tiert worden.

Die Deutsche Aids-Hilfe bemüht sich seitdem um eine eigene Stellungnahme, auch in Zusammenarbeit mit Robert-Koch-Institut und Bundeszentrale für ge­sundheitliche Aufklärung. Bisher ist es leider ergebnislos bei dem Bemühen ge­blieben.

Wir begrüßen das Statement der EKAF und die breite Information der Öffent­lichkeit, sowie die daraus resultierende breite Debatte.
Die Stellungnahme der EKAF bedeutet für Menschen mit HIV und Aids und ihre Part­ner, dass
– ein tabuisiertes Thema, die (eigene) HIV-Infektion, enttabuisiert und wieder Thema von Gesprächen wird.
– sich die Wahrnehmung von Positiven verändert, wieder mehr der Realität annähert.
Positive weniger als Gefahr erlebt, Toleranz und Teilhabe steigen werden.
auch das Selbstbild von Positiven sich verändert, normalisieren kann.
die juristische Bewertung sich verändern wird.
Zudem wird durch die Veröffentlichung der EKAF die Kluft zwischen Präventi­ons-Bot­schaften und Lebenspraxis geringer. Aidshilfe gewinnt so auch wieder eine größere Nähe an die Lebensrealität der Menschen und Glaubwürdigkeit ih­rer Kampagnen zu­rück.

Wir fordern:

Information
Die Stellungnahme der EKAF sowie die verfügbaren Daten sind vorurteilsfrei und offen für jeden verständlich zu kommunizieren. Wissen darf nicht instru­mentalisiert werden. Verschweigen ist Ausdruck von Mißtrauen. Information vorzuenthalten ist unethisch.
Jeder Positive (& jeder Partner von Positiven) hat ein Recht auf Infor­mation über die Chancen und Risiken, die das EKAF-Statement für seine Le­benssituation be­deuten.

Keine Informations-Willkür
Die derzeitige Situation, dass nur ausgewählte Patienten bei ausgewählten Ärz­ten die Chancen des EKAF-Statements erfahren und umsetzen können, ist zy­nische Doppel­moral und unerträgliche Zensur.
Wir fordern Information statt scheinbar wohlmeinender Klientelisierung. Nie­mand hat das Recht zu entscheiden, wer ‚mündig genug‘ für diese Informatio­nen ist, und wer nicht.

Sich den veränderten Realitäten stellen
Will Prävention nicht vollends unglaubwürdig werden, muss sie sich den ver­änderten Realitäten aktiv stellen – statt durch Schweigen oder fehlende In­formation die Ent­stehung neuer Mythen zu begünstigen. Weiteres Schweigen vergrößert nur den bereits angerichteten Schaden.

Mut zur eigenen Haltung
Aidshilfe hat (ihrem Leitbild zufolge) das Ziel, dass „jeder Einzelne informiert, selbst­bestimmt und verantwortungsvoll mit dem Risiko von HIV und Aids um­gehen kann“. Die durch die EKAF aufgeworfenen Fragen, Information und dar­aus resultie­renden Botschaften gehören zu den Kern-Aufgaben der DAH. Die DAH hat die hierfür er­forderlichen Kompetenzen und fachkundigen Mitarbeiter. Die DAH ist nicht Interessen­vertreter einer Gesundheits-Bürokratie, sondern ihrer Mit­gliedsorganisationen sowie der Menschen mit HIV und Aids und ihrer Partner.
Es ist höchste Zeit, dass die DAH jetzt wieder den Mut zu eigener Haltung zurück gewinnt!

Wissenslücken schließen
Diejenigen Punkte, zu denen Dissens zwischen den Beteiligten besteht, müs­sen eben­falls klar und öffentlich benannt werden. Es reicht nicht, mantrahaft das Fehlen von Daten und Evidenz zu wiederholen. Wo Datenlücken bestehen (wie scheinbar bei der Beurteilung des Übertragungsrisikos bei Analverkehr oder der Auswirkung verschiede­ner STDs) fordern wir Datenlücken zu schlie­ßen, entsprechende Studien sind zu konzipieren und durchzuführen. Hier ist auch das Kompetenznetz HIV gefordert.

Gleichheit im Maßstab
Risiken dürfen nicht mit zweierlei Maß gemessen werden. Der Grad an Evidenz, der für die Aussagen zur Kondomverwendung reichte, muss auch für Aussagen zur In­fektiosität bei erfolgreicher Therapie (ohne STDs) genügen. Der Beweis einer Abwe­senheit von Risiko ist nicht möglich!
Kaum jemand bezweifelt, dass eine erfolgreiche Therapie mit Viruslast unter der Nach­weisgrenze die Infektiosität mindestens so stark senkt wie die Benut­zung von Kondo­men. „Wirksame Therapie ohne STDs“ ist mindestens genauso effektiv wie Kondome. Dies muss auch laut gesagt werden! Diejenigen Punkte des State­ments, zu denen weitgehender Konsens auch zwischen Forschern und Prävention be­steht (z.B. Oral-, Vaginalverkehr) sind entsprechend offen zu kommunizieren statt sie weiterhin zu ver­schweigen.

Wissen darf nicht instrumentalisiert werden!

Erfolgreiche Therapie ohne STDs kann auch safer Sex sein!

AutorInnen:
Michèle Meyer, Präsidentin LHIVE
Michael Jaehme
Matthias Hinz
Ulrich Würdemann

Erstunterzeichnende Personen und Organisationen:

Engelbert Zankl, Achim Teipelke, Wolfgang Vorhagen, Peter Smit (Amsterdam), Claudius A. Meyer, Frank Wieting, Bernd Aretz, Hermann Jansen, Birgit Krenz, Olaf Lonczewski, Gaby Wirz, Guido Kissenbeck, Werner Heidmeier, Konstantin Leinhos, Rolf Ringeler, Sven Karl Mai, Michael Bohl, Wolfgang Fannasch, Norbert Dräger, Felix Gallé, Dr. Axel Hentschel, Prof. Dr. Martin Dannecker, Rainer Wille, Wolfgang Richter, Stefan Schwerin, Bernard George, Carsten Schatz, Claudia Fischer-Czech, … u.a.
(Erstunterzeichnung war nur möglich am Rand der DAH-“Ethikkonferenz“ und des 126. Positiventreffens.)

– „positiv e.V.“, Projekt bundesweite Positiventreffen, Mitglied der DAH;
– „LHIVE“ – Organisation der Menschen mit HIV/Aids in der Schweiz;
– das „126. Bundesweite Positiventreffen“ in der Akademie Waldschlösschen mit 60 TeilnehmerInnen;

Wer diese Forderungen unterstützen möchte, kann dies gern per Kommentar oder Email (Kontakt-Formular) machen.

Die Resolution jetzt auch hier direkt als pdf zum Download (rechte Maustaste Ziel speichern unter).

Netzwerk plus: ‚lebensnahes Risikomanagement‘

Dokumentation einer Erklärung des Netzwerk plus zur Erklärung der Eidgenössichen Aids-Kommission (EKAF) in Sachen Infektiosität unter HIV-Therapie:

Netzwerk plus zum Thema Infektiosität von HIV-Positiven bei Viruslast unter der Nachweisgrenze

Beim Treffen von Netzwerk plus vom 29.02.-02.03.2008 im Waldschlößchen haben wir uns mit dem Thema „Strategien der Risikominderung“ und den aktuellen Veröffentlichungen der Eidgenössischen Kommission für Aidsfragen beschäftigt.

Die schweizerische Kommission unter Vorsitz ihres Präsidenten Prof. Dr. Pietro Vernazza hat u.a. festgestellt:

„Bei Menschen, die konsequent antiretrovirale Medikamente einnehmen, kann man im Blut kein aktives Virus mehr nachweisen.“ „Eine HIV-infizierte Person (…) ist sexuell nicht infektiös, d.h. sie gibt das HI-Virus über Sexualkontakte nicht weiter, solange folgende Bedingungen erfüllt sind:
– die antiretrovirale Therapie (ART) wird durch den HIV-infizierten Menschen eingehalten und durch den behandelnden Arzt kontrolliert;
– die Viruslast liegt seit mindestens sechs Monaten unter der Nachweisgrenze (d.h. die Viraemie ist supprimiert);
– es bestehen keine Infektionen mit anderen sexuell übertragbaren Erregern (STD).“

Die Veröffentlichungen aus der Schweiz haben auch in Deutschland eine kontroverse Diskussion über das Thema Infektiosität von HIV-Positiven bei Viruslast unter der Nachweisgrenze ausgelöst.
Selbst wenn dennoch ein Restrisiko bleibt, wie auch ein dokumentierter Fall aus Frankfurt zeigt, so ist gesichert, dass unter den o.g. Bedingungen die Wahrscheinlichkeit einer HIV-Übertragung äusserst gering ist und sich im Rahmen allgemeiner Lebensrisiken bewegt.
Wir begrüßen die Veröffentlichung aus der Schweiz. Für Menschen mit HIV und Aids ist diese Information eine Erleichterung und eine konkrete Verbesserung ihrer Lebenssituation und -perspektiven. Sie entlastet sero-diskordante Partnerschaften gleich welcher sexuellen Orientierung von Ängsten und Schuldgefühlen. Sie erleichtert in allen Zusammenhängen den Umgang mit HIV.
Erfreulich ist, dass längst bekannte, bislang aber nur hinter vorgehaltener Hand weitergegebene Tatsachen, nun auch von offizieller Seite benannt werden und damit ein Tabu durchbrochen wird.
Für die Zukunft wünschen wir uns, dass weitere Diskussionen in Deutschland zu diesem Thema ebenfalls evidenzbasiert, von sachlichen Argumenten getragen und auf der Grundlage eines humanistischen Menschenbildes geführt werden. Wir halten es nicht für legitim, dass diese Debatte unterdrückt wird, mit dem Argument angeblicher intellektueller Defizite von Teilen der Zielgruppen der Prävention.
Wir fordern daher, dass die Erkenntnisse ohne Vorbehalte breit kommuniziert werden,
– um irrationale Ängste vor HIV-positiven Menschen abzubauen;
– das leichtere Sprechen über HIV zu ermöglichen und die Isolation vieler HIV-Positiver aufzubrechen;
– weil die Wahrheit nicht unterdrückt werden kann;
– weil informierte Menschen eher rational handeln können.
Es muss dringend dafür gesorgt werden, dass – unter Beteiligung der Betroffenen – Standards für die Beratung durch Ärzte und psychosoziale Beratungsstellen formuliert werden, damit Ratsuchende individualisierte sachgerechte Informationen über das Thema Sexualität bei Viruslast unter der Nachweisgrenze erhalten.

Die bisherigen Präventionsbotschaften für flüchtige sexuelle Begegnungen behalten ihre Gueltigkeit. Damit Prävention in Zukunft glaubwürdig ist, müssen die Botschaften im Sinne eines lebensnahen Risikomanagements ergänzt und differenziert werden. Wenn Prävention HIV-positive Menschen als Partner behalten will, dann darf sie sie nicht wider besseres Wissen funktionalisieren, um Ängste hochzuhalten und zu schüren.
In den Fokus der Prävention geraten nun frisch infizierte Menschen, die ihre Infektion unwissentlich weitergeben können. Mythen von der Gefährlichkeit der Großstadt, von der Sicherheit ländlicher Räume und des eigenen Bettes müssen durch eine offene Kommunikation entzaubert werden. Ein sorgsamer, respektvoller Umgang miteinander muss befördert werden.

Weiterhin wird es zukünftig um Therapietreue und die überzogenen Ängste vor den Nebenwirkungen der Therapien sowie um Fragen der sexuellen Gesundheit insgesamt gehen. Testermutigung erhält eine neue Bedeutung, weil eine erfolgreich therapierte HIV-Infektion neue Perspektiven ermöglicht.

Die TeilnehmerInnen des Netzwerktreffens.

Göttingen, 02.03.2008

HIV/Aids: Repressive Maßnahmen behindern die Prävention

Resolution des 120. bundesweiten Positiventreffens im Waldschlösschen bei Göttingen
HIV/Aids: Repressive Maßnahmen behindern die Prävention

Die laufende Debatte über die Bewertung der HIV- Neudiagnosen und bessere Strategien, die Zahl der Neuinfektionen möglichst gering zu halten, ist mit geprägt von Missverständnissen, Aufgeregtheiten und strafrechtlichen Bedrohungsszenarien.
Menschen mit HIV und Aids fordern, zu einer an Fakten und wissenschaftlichen Erkenntnissen orientierten, seriösen Debatte zurück zu kehren!

Das Robert-Koch-Institut stellt fest, dass die Zahl der neu diagnostizierten HIV-Infektionen in der BRD im internationalen Vergleich weiterhin äußerst niedrig ist. Das deutliche Nein zu einer repressiven Seuchenstrategie ist also in Deutschland erfolgreich.

Durch Forschung und Erfolge der Medizin wissen wir heute, dass HIV sich schon unbehandelt schwer überträgt und bei erfolgreicher Behandlung die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung wohl auszuschließen ist. Das Schweizer Bundesamt für Gesundheit ordnet deshalb den ungeschützten Geschlechtsverkehr eines erfolgreich Therapierten in die selbe Risikokategorie ein wie Zungenküsse – weltweit ist kein einziger Fall einer Übertragung bekannt.

Repressive Maßnahmen behindern die Prävention
Die internationale Forschung und die WHO gehen davon aus, dass Strafrecht im Bereich einvernehmlicher Sexualität schädlich für die Prävention ist.
Aus der Forschung ist gesichert, dass ein nennenswerter Teil der Infizierten (es werden etwa 50% geschätzt) um ihre Infektion nicht weiß. Das Wissen um eine HIV- Infektion kann in Deutschland strafrechtliche Folgen haben, und zwar unabhängig davon ob Sexualpartner infiziert wurden oder werden konnten.
Der möglicherweise hochinfektiöse HIV-Infizierte, der nicht von seiner Infektion weiß und sich für „negativ“ hält, ist beim Sex rechtlich auf der sicheren Seite.
Der wissende, gut behandelte und damit wahrscheinlich nicht mehr infektiöse Positive läuft dagegen Gefahr, wegen „versuchter gefährlicher Körperverletzung“ vor dem Richter zu landen.
Diese absurden rechtlichen Konsequenzen können die Entscheidung zum Test beeinflussen, und dadurch HIV-infizierte Menschen von einer wirksamen Therapie fernhalten.

Es besteht außerdem ein deutliches Missverhältnis zwischen dem Aufwand, der einerseits betrieben wird, theoretische Restrisiken (z.B. angebliche Gefährlichkeit des sog. Lusttropfens) öffentlich hochzuhalten, und andererseits der unzureichenden tatsächlichen Bereitschaft, real etwas gegen leicht vermeidbare HIV Infektionen zu tun.
Spritzentausch in den Vollzugsanstalten zu verweigern und gleichzeitig die Strafbarkeit der Übertragung von Erkrankungen zu fordern ist ethisch nicht nachvollziehbar.

Es ist unethisch, durch die Diskussion den falschen Eindruck zu verstärken, die wissenden HIV-Infizierten seien der Motor der Epidemie, statt durch das öffentliche Ansprechen auch entlastender Faktoren (wie der Bedeutung der Viruslast) die Kommunikation über HIV im sexuellen Umgang zu erleichtern.

Die Ärzteschaft, das Robert Koch Institut, die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und die Aids-Hilfen sind gefordert, sich – orientiert am Beispiel der Schweiz – öffentlich zu Risikoeinschätzungen und Risikominimierungsstrategien zu äußern. Die Medien, auch die schwulen, sind gefordert, nicht den dumpfen Bestrafungswünschen und -fantasien nachzugeben.

Grundlage von Aufklärung und seriösem Journalismus – wie auch von qualifizierten Gerichtsentscheidungen – sollten wissenschaftliche Erkenntnisse und Einschätzung der maßgeblichen Institutionen sein, z.B. des bundeseigenen Robert-Koch-Instituts.

Es ist nicht hinnehmbar, dass in dem unterstützenswerten Bestreben, Kondome an den Mann zu bringen, die von ihrer Infektion wissenden Positiven gegen alle epidemiologischen Erkenntnisse als Bedrohungspotential funktionalisiert werden.
Nicht hinnehmbar ist auch, dass immer wieder die Aufkündigung des Solidarsystems in den Raum gestellt wird.

Wir fordern Politikerinnen und Politiker in Bund und Ländern, Akteurinnen und Akteure in Wissenschaft, Justiz, Medien und der queer communities auf, den Dialog mit uns zu führen, anstatt über uns zu reden.

Wir werden die Debatte nicht stumm verfolgen. Wir wollen uns als HIV-positive und an Aids erkrankte Menschen einbringen und unsere Interessen selbstbewusst artikulieren.

Statt Repression und Hysterie fordern wir die Rückkehr zur Sachlichkeit.

(Verabschiedet am 20.Juni 2007 von den Teilnehmer/innen des 120. bundesweiten Positiventreffens im Waldschlösschen bei Göttingen)