Zahl der HIV-Neuinfektionen sinkt – besonders stark bei Schwulen

Die Zahl der HIV-Neuinfektionen in Deutschland ist am Sinken, bereits seit dem Jahr 2007. Besonders stark ist der Rückgang der HIV-Neuinfektionen bei Schwulen. Dies teilte das Robert-Koch-Institut RKI heute (21.11.2011) mit.

2011 wird die Zahl der HIV-Neuinfektionen nach Angaben des Robert-Koch-Instituts in Deutschland auf insgesamt 2.700 geschätzt. Dieser Wert ergibt sich aufgrund einer neuen Berechnungs-Methodik und verbesserter Datenlage (s.u.). Die gesamten Angaben wurden veröffentlicht in der aktuellen Ausgabe des Epidemiologischen Bulletins (Nr. 46/2011). Das Robert-Koch-Institut RKI hat auf seinen Internetseiten zudem Daten für die einzelnen Bundesländer bereit gestellt.

2.700 HIV-Neuinfektionen 2011

Der neuen Berechnungs-Methodik zufolge werden für das Jahr 2011 nun 2.700 Neuinfektionen geschätzt (2.250 Männer und 450 Frauen). Der höchste Wert für HIV-Neuinfektionen lag nach dem neuen Modellierungsverfahren im Jahr 2006 bei rund 3.400 Infektionen und geht seitdem zurück.

Die Gesamtzahl der in Deutschland mit HIV oder AIDS lebenden Menschen beträgt 2011 etwa 73.000. Diese Zahl steigt seit Mitte der 1990er Jahre, da die Zahl der Neuinfektionen höher ist als die Zahl der Todesfälle. Für das Jahr 2011 werden etwa 500 Todesfälle bei HIV-Infizierten geschätzt (gesamt seit Beginn ca. 27.000).

Etwa 14.000Menschen in Deutschland leben mit einer HIV-Infektion, ohne von dieser zu wissen. Bei etwa 1.000 Menschen wurde 2011 eine HIV-Infektion diagnostiziert, die sich bereits in fortgeschrittenem Stadium befand.

Ungefähr 42.000 HIV-Positive in Deutschland erhalten derzeit antiretrovirale Therapie. Für die Gruppe der Männer mit diagnostizierter HIV-Infektion, die Sex mit Männern haben, schätzt das RKI den Anteil derjenigen, die antiretrovirale Therapie erhalten, auf 85 bis 90 Prozent.

Im ersten Halbjahr 2011 wird auch bei den HIV‐Diagnosen ein Rückgang sichtbar – vor allem bei Männern, die Sex mit Männern haben (MSM). Hochgerechnet auf das ganze Jahr 2011 werden 2.800 gemeldete und bestätigte Erstdiagnosen erwartet.

Die Zahl der HIV-Neuinfektionen ist nicht zu verwechseln mit der Zahl der HIV-Neudiagnosen (siehe „HIV-Neuinfektionen – Hintergrundinformationen„). Die Zahl der Neuinfektionen liegt mit 2.700 inzwischen niedriger als die der Neudiagnosen (2.800) – zurückzuführen darauf, dass inzwischen vermehrt HIV-Infektionen diagnostiziert werden, die bereits seit längerer Zeit bestehen.

Trendwende auch bei Schwulen

Die am stärksten von HIV betroffene Gruppe sind nach wie vor Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), 45.000 der in Deutschland mit HIV oder AIDS lebenden Personen gehören zu dieser Gruppe. 1.500 Schwule infizierten sich 2011 neu mit HIV.

Bereits seit 2007 geht die Zahl der Neuinfektionen bei MSM in Deutschland zurück. Dies zeigt sich inzwischen auch bei den HIV-Neudiagnosen:

„Für das Jahr 2011 zeigt sich auf der Grundlage der Entwicklung des ersten Halbjahres und in Fortsetzung einer sich bereits 2010 andeutenden Entwicklung ein klarer Rückgang der HIV-Neudiagnosen auch in der in Deutschland größten Betroffenengruppe der Männer, die Sex mit Männern haben (MSM). Damit ist nach einer mehrjährigen Plateaubildung bei der Gesamtzahl der HIV-Neudiagnosen zwischen 2007 und 2009 jetzt bei der Zahl der Neudiagnosen eine Trendwende zu erkennen“ (RKI).

Am deutlichsten zeigt sich der Rückgang der HIV-Neudiagnosen unter Schwulen bei denjenigen, die mit einer Infektion in frühem Stadium diagnostiziert werden.

Geschätzte Zahl der Neuinfektionen (Linie) und von HIV-Neudiagnosen (Balken) bei Männern, die Sex mit Männern haben, 2001 – 2011, RKI 2011
Geschätzte Zahl der Neuinfektionen (Linie) und von HIV-Neudiagnosen (Balken) bei Männern, die Sex mit Männern haben, 2001 – 2011, RKI 2011

(Erläuterungen: dunkelblau = früher Diagnosezeitraum, hellblau = mittlerer Diagnosezeitraum, grau = später Diagnosezeitraum; durchgezogene Linie = Inzidenz, gestrichelte Linie = Inzidenz – Vertrauensbereich; Quelle: RKI)

Erfolgs-Faktoren – Stabiles Schutzverhalten, zielgerichtete Prävention, verändertes Test-Verhalten

Experten führen den Rückgang der Zahl der HIV-Neuinfektionen auf mehrere Faktoren zurück. Eine verstärkte und zudem auch vermehrt an der Zielgruppe schwuler Männer orientierte HIV-Prävention trägt hierzu ebenso bei wie ein verändertes Testverhalten: aufgrund vermehrter HIV-Tests werden HIV-Infektionen inzwischen vermehrt und früher festgestellt. Dies führt nicht nur dazu, dass die betroffenen Menschen früher Zugang zu medizinischer Betreuung und Therapie erhalten, sondern auch zu einem Rückgang der Infektiosität aufgrund wirksamer Therapie:

„Zu den wichtigsten Ursachen für diese positive Entwicklung gehören die intensivierte Prävention und die zunehmend frühere Diagnose und Behandlung HIV-Infizierter, die dann weniger infektiös für ihre Sexualpartner sind“, sagt Reinhard Burger, Präsident des Robert Koch-Instituts.

Besonders deutlich wird das veränderte Testverhalten bei schwulen Männern: So ist der Anteil der auf HIV getesteten schwulen Männer nach Angaben der Deutschen Aids-Hilfe DAH im Zeitraum 2007 bis 2010 von 64% auf 70% angestiegen, 61% der HIV‐negativen schwulen Männer haben sich in den letzten 12 Monaten testen lassen (Bochow 2011). Erfolge, die auch auf die Präventionsarbeit der Deutschen Aids-Hilfe zurück zu führen sind, insbesondere die Kampagne „ich weiss, was ich tu!“:

„Die Zunahme der Testbereitschaft und die Ergebnisse der hier dargestellten Analysen zum Verlauf der HIV-Epidemie bei MSM deuten darauf hin, dass der eingeschlagene Weg erfolgreich ist.“ (RKI)

Neben den erfreulichen Nachrichten enthält der RKI-Bericht auch einen Wermutstropfen: Die Zahl der Syphilis-Diagnosen in Deutschland steigt. Da die Syphilis die Übertragungswahrscheinlichkeit von HIV erhöht, könnte dies den Erfolg bei den HIV-Neuinfektionen wieder gefährden. Das RKI empfiehlt darum, in der HIV-Prävention noch mehr über Syphilis und andere sexuell übertragbare Infektionen aufzuklären.

Zur veränderten Methodik:

Die aktualisierte Schätzung zu Stand und Verlauf der HIV-Epidemie in Deutschland unterscheidet sich von früheren Schätzungen hauptsächlich dadurch, dass der Zeitabstand zwischen HIV-Infektion und HIV-Diagnose genauer in die Schätzungen einfließt. Für frühere Schätzungen musste vereinfachend davon ausgegangen werden, dass der Diagnosezeitpunkt dem Infektionszeitpunkt entspricht. Die neue Methode modelliert den tatsächlichen Verlauf der Epidemie sehr viel genauer, da der Infektionszeitpunkt jetzt auf Grundlage des klinischen Stadiums und der CD4-Zellzahl zum Zeitpunkt der HIV-Diagnose geschätzt werden kann. Bei einer HIV-Infektion verringert sich mit der Verschlechterung des Immunsystems die Anzahl der CD4 tragenden Immunzellen.

Zu den Auswirkungen des neuen Modells auf die Zahlen schreibt das RKI:

„Gegenüber dem bisherigen Modell zum Verlauf der HIV-Epidemie in Deutschland bringt das neue Modell folgende Veränderungen: Anstiege und Rückgänge von Neuinfektionen verschieben sich auf der Zeitachse in die Vergangenheit. Spitzenwerte von Neuinfektionszahlen können höher und die zeitliche Dauer von transienten Infektionswellen kann kürzer ausfallen als bisher angenommen, weil sich die Diagnose der dabei erfolgten Infektionen über längere Zeiträume ausdehnt.“

Aufgrund der neuen Methodik ist der aktuelle Wert nicht direkt mit den Schätzungen der vorangegangenen Jahre vergleichbar. Um eine Vergleichbarkeit mit vergangenen Perioden zu ermöglichen, wurden auch für die vorangegangenen Jahre die Daten nach der neuen Methodik neu ermittelt (Rückrechnung).

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siehe auch Kommentar „HIV-Neuinfektionen gehen zurück – Prävention lohnt sich, und Mythen bleiben Mythen

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weitere Informationen
Epidemiologisches Bulletin Nr. 46/2011
RKI 21.11.2011: Die Zahl der HIV-Neuinfektionen ist gesunken
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unsichere 20 Prozent

Einer von fünf Positiven, sprich 20% verwende nie Kondome, heißt es aufmerksamkeitsheischend in einem Bericht. Allein, die Schlagzeile bewegt sich auf dünnem Eis …

Wie mit Studien, der Interpretation ihrer Ergebnisse und der Berichterstattung darüber Manipulation betrieben werden kann, hat gerade TheGayDissenter aufgezeigt in seinen Artikeln über multiresistenten Staphylococcus aureus (MRSA), der bei Schwulen angeblich 13mal häufiger auftrete.

20% der Positiven immer unsafe? – auch die meist um Seriosität bemühte Site NAM titelte „einer von 5 HIV-positiven Patienten in New York gibt an, nie ein Kondom zu verwenden“ (Artikel in englischer Sprache).

20% aller Positiven verwendet nie ein Kondom – tut sich da ein neuer Skandal auf? Ein Fünftel? Aller New Yorker Positiven? Nie mit Gummi?

Wie kommen solche Zahlen zustande?
Blickt man ein wenig tiefer in die Veröffentlichung, relativiert sich das Bild schnell: interviewt wurden 198 (!) Patienten zweier (!) Kliniken im Rahmen einer Studie im Jahr 2004. Drei Viertel (!) der Teilnehmer waren Latinos; 36% (!) waren Männer, die Sex mit Männern haben (MSM).

Von diesen 198 Teilnehmern berichteten 65%, sie seien in den vier Wochen vor der Befragung sexuell aktiv gewesen. Von diesen (mit sexueller Aktivität in den vergangenen 4 Wochen) gaben insgesamt 19% an, sie würden niemals ein Kondom benutzen.
19%, tatsächlich beinahe ein Fünftel. Doch – was heißt das? 65% von 198 ergibt 129 Personen. Von diesen wiederum 19% = 24,5.

Die Zahlen bedeuten also: von 198 Studienteilnehmern gaben absolut 25 Männer und Frauen an, niemals beim Sex ein Kondom zu verwenden.

Schätzungen der CDC gehen für Ende 2005 von über 100.000 Menschen aus, die in New York mit HIV oder Aids leben.
Ob 198 bzw. 129 Personen für alle New Yorker HIV-Positiven repräsentativ sein können, ob diese zwei Kliniken (an denen die Befragung ja nur stattfand) tatsächlich ein Abbild der Situation in ganz New York sind, ob Zugehörigkeit zu ethnischen Gruppen, Altersverteilung, Geschlecht oder sexuelle Orientierung repräsentativ sind, all diese Fragen werden nicht einmal angesprochen.
Geschweige denn, dass hinterfragt wird, ob ein Interview mithilfe eines Computers denn tragbare Ergebnisse liefert, zumal wenn den Teilnehmern gesagt wird, die Ergebnisse würden ihrem Arzt mitgeteilt …

Aus diesen 25 Personen wird dann auf über Hunderttausend Positive geschlossen und die Schlagzeile gemacht, einer von fünf Positiven New Yorks verwende nie Komdome … wahrlich eine Schlagzeile auf dünnem Eis … die sicher nicht für weitere Argumentationen taugt. Und dennoch die Gefahr heraufbeschwört, genau hierfür benutzt zu werden.

Gerade in Zeiten in denen über neue Wege in der Prävention nachgedacht wird, sollte sorgsam mit Zahlen umgegangen werden. Und immer einmal wieder gerade bei sensationsheischenden Schlagzeilen geprüft werden, wie mit welchen Zahlen umgegangen wird.
Irgendwie erinnert mich das an den alten Satz, der mir schon in Statistik-Vorlesungen ständig um die Ohren flog. Sie wissen schon, „traue niemals einer Statistik, die du nicht selbst …“