Im Vorfeld des alljährlichen Welt-Aids-Tags am 1. Dezember werden demnächst wieder die Zahlen zu den HIV-Neudiagnosen in die Diskussion geraten. Was steckt hinter diesen Zahlen? Wie kommen sie zustande, und was sagen sie aus? Einige Hintergrund-Informationen …
HIV-Neudiagnosen
HIV-positive Testergebnisse müssen in Deutschland von Laboren und Ärzten pseudonymisiert an das Robert-Koch-Institut (RKI) gemeldet werden (Meldung gemäß §7(3) Infektionsschutzgesetz). Anhand der Pseudonymisierung werden Doppel-Meldungen (z.B. Labor und Arzt melden den gleichen Patienten an das RKI) weitgehend bereinigt.
Dies bedeutet: die Zahl der HIV-Neudiagnosen wird gezählt!
Die Zahl der HIV-Neudiagnosen wird vom RKI regelmäßig publiziert im ‚Epidemiologischen Bulletin‘ (z.B. der Jahresbericht ‚HIV-Infektionen und AIDS-Erkrankungen in Deutschland‘ 2007 im Epidemiologischen Bulletin Sonderausgabe A / 2008, 2. Mai 2008).
HIV-Infektion und HIV-Diagnose können zeitlich weit auseinander liegen. Aus diesem Grund erlaubt die Zahl der HIV-Neudiagnosen keinen direkten Rückschluss auf das aktuelle Infektionsgeschehen. Zudem wird die Zahl der HIV-Neudiagnosen z.B. beeinflusst von Faktoren wie das Meldeverhalten der Ärzte oder Angebot und Inanspruchnahme von HIV-Tests (ein massives Bewerben des HIV-Tests in Schwulenszenen einiger Städte führt z.B. fast ’natürlich‘ auch zu einem Anstieg der Tests und damit der Neudiagnosen).
Für Deutschland wurden dem RKI für das Jahr 2007 (Stand 01.03.2008) 2.752 neu diagnostizierte HIV-Infektionen gemeldet (für 2006: 2.643; Zunahme 2007 zu 2006: 4%). Die Zahl der HIV-Neudiagnosen publiziert das RKI im April (gesamt Vorjahr). Der bisher jeweils im Oktober vorgelegte Halbjahresbericht entfällt seit diesem Jahr; allerdings wird das RKI auch dieses jahr wieder ein Welt-Aids-Tag – Bulletin veröffentlichen (im November; siehe ‚HIV-Neuinfektionen‘).
Im Gegensatz zu HIV-positiven Testergebnissen (pseudonymisierte Meldepflicht) wird die Zahl der Aids-Erkrankungen und Aids-Todesfälle nur freiwillig weitergegeben und vom RKI in einem zentralen Fallregister ausgewertet.
Bei weitem nicht alle Staaten weltweit zählen ihre HIV-Neudiagnosen. Aus diesem Grund werden von internationalen Organisationen wie UNAIDS (der Aids-Organisation der Vereinten Nationen) oftmals keine Daten zu HIV-Neudiagnosen veröffentlicht.
HIV-Neuinfektionen
Das eigentliche Ziel der Überwachung von Infektionskrankheiten ist weniger das Zählen neuer Diagnosen, als das Erkennen aktueller Entwicklungen. Das aktuelle Infektionsgeschehen spiegeln die Zahlen der HIV-Neudiagnosen aus verschiedenen Gründen (s.o.) jedoch nicht direkt wieder.
Da es für die Zahl der HIV-Neuinfektionen keine Zahlen gibt (geben kann), kann diese nur geschätzt werden. Das RKI schreibt selbst hierzu: „Die Bestimmung der Anzahl der HIV-Neuinfektionen pro Zeiteinheit (HIV-Inzidenz) ist methodisch schwierig und aufwändig.“
Dies bedeutet: die Zahl der HIV-Neuinfektionen wird geschätzt!
Anlässlich des Welt-Aids-Tags 2007 berichtete das RKI im November 2007 über Stand und Entwicklung der HIV-Infektion in Deutschland und schätzte damals die Zahl der HIV-Neuinfektionen in Deutschland für das Jahr 2007 auf „etwa 3.000“ (Epidemiologisches Bulletin Nr. 47/2007).
Die Schätzung der HIV-Neuinfektionen 2008 wird das RKI etwa Ende November 2008 veröffentlichen.
HIV-Prävalenz
Die HIV-Prävalenz gibt die Gesamtzahl der lebenden HIV-Infizierten an.
Mitte der 1990er Jahre hatte sich in Sachen HIV-Prävalenz eine Art ‚Gleichgewichtszustand‘ etablierte: die Zahl der Aids-Neumanifestationen und -Todesfälle hielt sich in etwa die Waage mit der Zahl der HIV-Neuinfektionen. Die Einführung hochwirksamer Therapien beendete dieses ‚Gleichgewicht‘. Die Zahl der Aids-Neumanifestationen und -Todesfälle sinkt; seit etwa 2000 steigt zudem die Zahl der HIV-Neuinfektionen. Dies führt im Ergebnis dazu, dass seit 1995 die Zahl der mit HIV lebenden Menschen in Deutschland langsam zunimmt. Für Ende 2007 schätzt das RKI die Zahl der in Deutschland lebenden HIV-Positiven auf „um 59.000“ (Epidemiolog. Bulletin Nr. 47/2007, s.o.). Die Schätzung für 2008 wird etwa Ende November 2008 veröffentlicht werden.
Diese Schätzung beinhaltet auch die so genannte ‚Dunkelziffer‘ (diejenigen Menschen, die noch nichts von ihrer HIV-Infektion wissen).
HIV-Inzidenz
Die HIV-Inzidenz gibt die Zahl der HIV-Neudiagnosen pro Zeiteinheit an (s.o.).
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Nachtrag
03.12.2008: Bei den Daten zur HIV-Prävalenz ist zu beachten, dass diese nicht direkt zwischen den Jahren vergleichbar sind. Das Robert-Koch-Institut hat die Zahl der HIV-Infektionen in den 1990er Jahren im Jahr 2008 neu berechnet und nachkorrigiert. Dadurch wurden die Zahlen nach oben korrigiert – diese erhöhten Zahlen sind in die Zahlen zur Prävalenz 2008 mit eingeflossen. Aus diesem Grund fällt die Prävalenz 2008 höher aus als die Prävalenz 2007.
Hallo Ondamaris
Sehr gut weil dank Deiner Erklärungen verständlich geschriebener Artikel.
Zitat
HIV-Infektion und HIV-Diagnose können zeitlich weit auseinander liegen. Aus diesem Grund erlaubt die Zahl der HIV-Neudiagnosen keinen direkten Rückschluss auf das aktuelle Infektionsgeschehen.
Zitat
Das dürfte u.a. einer der Gründe sein warum die tatsächliche Zahl derer die mit dem HIVirus leben weitaus höher ist. Was mich sehr wunderte war ein kurzes Gespräch während „HIV im Dialog“ mit einer Ärztin (aus einer Schwerpunktpraixs in Berlin ) im Fahrstuhl auf dem Weg zu ihrem Thema – Workshop. Sie sagte u.a. anderem das es in und im Umland von Berlin ca 50.000 HIV Positive gibt. Ob es stimmt kann ich natürlich nicht beurteilen – schon deshalb nicht weil ich nicht vom Fach – Arzt, Berater/Sozialarbeiter in einer Aidshilfe etc bin. Was mich allerdings wundert ist das. das RKI es vermeidet das Wort „Dunkelziffer in Zahlen ausgedrückt“ aus/anzusprechen.
Insofern trifft der Satz „Dies bedeutet: die Zahl der HIV-Neuinfektionen wird geschätzt!“ nur auf die gemeldeten Daten zu. Die geschätzte Zahl dürfte, wenn man sich tatsächliche auf das Terrain „des Schätzens“ begeben würde, um ein vielfaches höher liegen. Oder ist mir da ein Denkfehler unterlaufen . . . ?
@ Dennis:
das wesen dcer dunkelziffer ist, dass es etwas scherer ist, sie zu erleuchten ;-))
und ja, kleiner denkfehler. im passus zur prävalenz (im text oben) findest du, dass die schätzung von „um 59.000“ in d lebende menschen mit hiv auch die sog. dunkelziffer mit beinhaltet
@ termabox:
das rki benutzt die formulierung „Zahl der Personen, die mit einer HIV-Infektion leben (HIV-Prävalenz)“ – das sollte die dunkleziffer mit einschließen.
ich hatte dazu auch eine fundstelle – muss aber noch suchen … 😉
“ bzgl HIV-Prävalenz schreibst du: „Diese Schätzung beinhaltet auch die so genannte �Dunkelziffer� “
Ist das tatsächlich so? Ich dachte, in dieser Zahl sind nur die über die Laborsberichtspflicht gemeldeten Fälle enthalten. Die Dunkelziffer müsse extra draufgerechnet werden müssen.
Es gibt ja auch unterschiedliche EINSCHÄTZUNGEN über die Höhe der Dunkelziffer. Mir hat sich aus Berichten ein Wert von 30% eingeprägt.“
@ termabox:
nachtrag in sachen dunkelziffer:
von den 59.000 HIV-prävalenz in d: 30.000 personen mit haart, 10.000 personen mit diagnose aber noch ihne haart, und 19.000 personen noch ohne diagnose (bericht dah / std-kongress mailand 2008)
letzteres dürfte doch wohl die „dunkelziffer“ sein …
@ ondamaris:
das ist aber erstaunlich: 3/4 aller bekannten HIV-Positiven sind unter HAART? So viele??
Und mit den modernen HIV-Medikamenten ist es – laut mehreren Ärzten – heute möglich, bei 99% der HIV+ die Viruslast unter die Nachweisgrenze zu bringen, vorausgesetzt, sie nehmen die Pillen einigermaßen regelmäßig.
Und da sagen die EKAF-Kritiker: es betrifft nur eine „sehr kleine Gruppe der HIV-Positiven“.
Es ist immer gut, Fakten zu kennen. 🙂
@ termabox:
ich hab die zahlen wie gesagt aus dah (die dort auf rki verweisen) zitiert. vielleicht lohnt eine nachfrage dort? so rein zur sicherheit … 😉