Bundesverfassungsgericht beschäftigt sich mit den Eckregelsätzen

Im Folgenden ein Gastbeitrag von Silke Eggers (Referentin für Soziale Sicherung und Pflege der DAH Deutsche Aids-Hilfe) zur Frage der Rechtmäßigkeit der Eckregelsätze – mit Hinweisen dazu, wie Ansprüche gesichert werden können:

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat am 20. Oktober 2009 über die Rechtmäßigkeit der Eckregelsätze verhandelt. Es handelte sich um eine mündliche Verhandlung, es ist noch kein Urteil gesprochen. Dies wird erst für Anfang 2010 erwartet. Dabei geht es darum, gemäß Art. 100 GG zu prüfen, ob §§ 20 und 28 SGB II und damit die Bemessung und die Höhe der Regelleistungen für Erwachsene und Kinder mit dem Grundgesetz zu vereinbaren sind.

Obwohl die Vorlagenbeschlüsse die dem Bundesverfassungsgericht dazu vorliegen nur die Regelleistungen des SGB II betreffen, wird sich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auch auf die Regelleistungen des SGB XII auswirken. Das heißt, ein Urteil betrifft sowohl die Bezieher/innen von Leistungen nach dem SGG II (Hartz IV) als auch Bezieher/innen von Leistungen nach dem SGB XII, also Sozialhilfe oder Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsunfähigkeit.

Natürlich ist noch nicht gesagt, wie das Bundesverfassungsgericht entscheiden wird. Sollte es aber zu einer positiven Entscheidung kommen, gibt es verschiedene denkbare Möglichkeiten:

Das Bundesverfassungsgericht stellt fest:

* dass die Bemessung der Regelleistungen mit Wirkung für die Zukunft von der Bundesregierung zu korrigieren sind,
* dass die Bemessung mit Wirkung für die Vergangenheit zu korrigieren ist oder
* dass die Anrechnung des Kindergeldes auf die Regelleistung mit Wirkung für Vergangenheit/Zukunft neu geregelt wird.

Die Chance, dass ein Urteil vorsieht, dass Korrekturen der Regelleistungen rückwirkend vorgenommen werden ist nicht sehr groß, aber sie besteht. Sollte das passieren, werden die rückwirkenden Korrekturen nicht automatisch gewährt sondern müssen geltend gemacht werden. Das heißt konkret:

Es müssen jetzt und damit ist gemeint vor der Verkündung eines Urteils Überprüfungsanträge für die Vergangenheit gestellt werden und gegen laufende Bescheide muss Widerspruch einlegt werden.

Weitere Hintergurndinfos: (Infos von Tachesles e.V. siehe auch http://www.tacheles-sozialhilfe.de/aktuelles/2009/Rueckwirkend_Ansprueche_Sichern.aspx ):

„Im Sozialrecht gibt es die Besonderheit, dass bei falscher Rechts- oder Tatsachenanwendung und bei Bestandskraft des Bescheides (Widerspruchsfrist ist abgelaufen), der falsche Bescheid rückwirkend zugunsten der Betroffenen korrigiert werden muss. Zu Unrecht nicht erbrachte Leistungen sind dann bis zu vier Jahre rückwirkend nachzuzahlen (§ 44 Abs. 1 und Abs. 4 SGB X). Die Rücknahme eines falschen Bescheides (und damit die Nachzahlung) können Betroffene mit einem Überprüfungsantrag einleiten.

Wer sich also Ansprüche auf gegebenenfalls vorenthaltene Geldleistungen sichern will, muss jetzt handeln! Nach der Urteilsverkündung durch das BVerfG ist ein solcher Überprüfungsantrag nicht mehr möglich (§ 40 Abs. 1 S. Nr. 1 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 1 SGB III in Bezug auf das SGB II und § 79 Abs.2 BVerfGG in Bezug auf das SGB XII). Regulär verkündet das BVerfG immer drei bis vier Monate nach der Anhörung seine Entscheidung. Das ergibt ein Zeitfenster bis voraussichtlich Januar/Februar 2010. Personen die schon 2005 im Leistungsbezug waren, sollten jedoch bis zum 31. Dezember 2009 den Überprüfungsantrag einreichen, da dieser auf den 1. Januar 2005 zurückwirkt (§ 44 Abs. 4 SGB X). Wird der Antrag erst im Januar 2010 gestellt, wirkt er nur auf den 1. Januar 2006 zurück.

Und noch ein Tipp: Die ARGEn und JobCenter schmettern Überprüfungsanträge und Widersprüche gegen aktuelle Bewilligungsbescheide, die aufgrund des Verfassungsgerichtsverfahrens zu den Regelleistungen eingelegt werden, oft mit einem Standardtext ab. Bei Überprüfungsanträgen muss gegen einen ablehnenden Bescheid Widerspruch, bei ablehnenden Widerspruchsbescheiden muss Klage eingelegt werden, um die Verfahren offen zu halten. Werden solche Bescheide erst einmal rechtskräftig, sind rückwirkende Ansprüche ausgeschlossen! Wir empfehlen deshalb bei Anträgen, Widersprüchen und Klagen jeweils den Zusatz: „Hiermit beantrage ich, den Antrag/den Widerspruch/die Klage bis zur Entscheidung des BVerfG ruhend zu stellen.“

Also kurz zusammengefasst:
– Die Urteilsverkündung wird für Anfang des Jahres 2010 erwartet.
– Das Bundesverfassungsgericht beschäftigt sich nicht nur mit den Regelsätzen für Kinder sondern für Alle.
– Das Urteil hat Auswirkungen Leistungsbezieher von Leistungen nach SGB II und XII.
– Wenn das Urteil die Eckregelsätze für verfassungswidrig erklärt, bleibt immer noch die Frage ab wann die Regelung gilt, ob ab Urteil oder auch rückwirkend.
– Um sich Ansprüche auch rückwirkend zu sichern, wenn das Urteil denn dies erlauben sollte, muss vor Urteilsverkündung ein Antrag auf Überprüfung gestellt werden.
– Sollten rückwirkend Ansprüche möglich werden, ist ein Anspruch gesetzlich bis zu 4 Jahren rückwirkend möglich. Für alle die schon so lange Leistungen beziehen ist es daher wichtig den Antrag bis zum 31.12.2009 zu stellen, sonst gehen die Ansprüche für ein Jahr möglicherweise verloren.

Und was ist wenn der Überprüfungsantrag / der Widerspruch abgelehnt wird?
– In diesem Fall muss auf alle Fälle Widerspruch eingelegt werden damit die Ablehnung nicht rechtskräftig wird.
– Im Falle der Ablehnung des Widerspruchs muss Klage eingereicht werden
Tacheles hat Musterschreiben hierzu entwickelt, die über ihre Internetseite abzurufen sind.

Ein ganz herzlicher Dank an dieser Stelle an die Kollegen und Kolleginnen von Tacheles, für ihren tollen Service, der uns viel Arbeit abnimmt!

Weitere Infos und viel Hintergrundinformation sowie alle Musterschreiben sind zu finden auf der Internetseite von Tacheles:
http://www.tacheles-sozialhilfe.de/aktuelles/2009/Rueckwirkend_Ansprueche_Sichern.aspx oder
http://www.tacheles-sozialhilfe.de/

Dank an Silke Eggers für den Text!

siehe auch 09.02.2010: Hartz IV-Regelsätze verfassungswidrig – Bundesverfassungsgericht ordnet Neuregelung an