Information oder Des-Information?

Die Pharmaindustrie bemüht sich bereits jetzt intensiv um Ärzte, und startet immer neue Initiativen, um auch den Zugang zu Patienten zu erhalten. Findet hier Information statt, oder Desinformation? Wie weit reicht der Einfluss der Pharmaindustrie? Und wie kann damit umgegangen werden? Themen, mit denen sich eine Veranstaltung der Berliner Ärztekammer am 7. Mai 2008 befasste. Hauptredner: Peter Mansfield, Arzt in Australien und Mitbegründer von ‚Healthy Scepticism‘.

Peter Mansfield, Mitbegründer von Healthy ScepticismPeter Mansfield sprach auf einer Podiumsveranstaltung der Ärztekammer Berlin zum Thema „Der Einfluss der Pharmaindustrie auf Arzt und Patient“ am 7. Mai in Berlin. Anlass der Veranstaltung war insbesondere auch eine Initiative der EU-Kommission, der Pharmaindustrie leichteren Zugang zu Patienten zu ermöglichen (siehe ‚Information oder Werbung?‚).

Als Ziel der Veranstaltung formulierten die Veranstalter „Bislang waren Patientinnen und Patienten bei rezeptpflichtigen Medikamenten vor der direkten Werbung der pharmazeutischen Hersteller weitgehend geschützt. Das will die Europäische Kommission jetzt ändern … Die Veranstalter halten es für an der Zeit, sich mit dem Einfluss der Pharmaindustrie in einem breiteren Kontext auseinanderzusetzen … Die Veranstaltung soll nicht bei einer Kritik der bestehenden Verhältnisse stehen bleiben, sondern Raum für eine breite Diskussion bieten, was sich im Interesse von Arzt und Patient ändern muss.“

Information oder Werbung?‚ – diese Frage stellt sich immer wieder bei Initiativen der Pharmaindustrie, die auf eine Ausweitung des Kontakts zwischen Pharmaindustrie und Patienten zielen. Dieser direkte Patienten-Kontakt ist der Pharmaindustrie bisher verwehrt – nicht unbegründet. In §10(1) des Heilmittelwerbegesetzes heißt es

„Für verschreibungspflichtige Arzneimittel darf nur bei Ärzten, Zahnärzten, Tierärzten, Apothekern und Personen, die mit diesen Arzneimitteln erlaubterweise Handel betreiben, geworben werden.“

Dr. Günther Jonitz, Präsident Berliner ÄrztekammerDie Pharmaindustrie möchte nicht nur Patienten ‚informieren‘ über ihre Medikamente, sie möchte am liebsten direkt die ‚Informationshoheit‘ oder ‚Direkt-Beeinflussung‘? …
Die Veranstaltung der Ärztekammer fand also in einem großen thematischen Spannungsfeld statt.

Schon Dr. Jonitz (Ärztekammer Berlin) hatte in seiner Begrüßung an Kant und dessen Definition von Aufklärung erinnert (’sich des eigenen Verstandes bedienen, nicht wiederholen was andere einem vorbeten‘).

Prof.Dr. Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen ÄrzteschaftÄrzte wie auch Patienten profitieren von einem größeren Abstand zur Pharmaindustrie, betonte Prof. Ludwig. Die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft lehne den EU-Richtlinien-Vorschlag kategorisch ab, das Werbe- und Informationsverbot müsse bestehen bleiben. Insbesondere betonte Ludwig, das Primärinteresse und Maxime ärztlichen Handelns müsse immer das Wohl des Patienten bleiben, Sekundärinteressen (von Karriere bis finanziellen Vorteilen) dürften nicht in den Vordergrund treten.

Nach der Einleitung durch Prof. Wolf-Dieter Ludwig (Arzneimittelkommission der Deutsche Ärzteschaft) sprach Dr. Peter Mansfield über ‚Influence of the Pharmaceutical Industry on the Practice of medicine‘. Mansfield ist Gründer und Direktor von Healthy Sceptizism (Motto: improving health by reducing harm for misleading drug promotion).

Peter Mansfield, Mitbegründer Healthy ScepticismAm Beispiel des Antidepressivums Paroxetin zeigte Mansfield eindrücklich, welche Studienergebnisse wie zustande kommen, selektiv verwendet oder unterdrückt und von Pharmaindustrie wie zu Marketingzwecken eingesetzt werden können. Dieses Beispiel zeige eindrücklich, wo das Problem liege: Korruption spiele seiner Ansicht nach im Bereich der Pharmaindustrie nur eine untergeordnete Rolle. Bedeutender sei vielmehr das ‚misleading‘ – wenn (in diesem Fall) besten Gewissens Ärzte glaubten, das Richtige zu tun, und doch Schaden zufügten. Oder allgemeiner, etwas für richtig, zutreffend zu halten, obwohl es falsch sei oder wissenschaftliche Belege (Evidenz) fehlten.

Besonders groß sei die Gefahr dieses ‚misleading‘, wenn es auf Ärzte treffe, die sich selbst überschätzten. Eine Eigenschaft, die bei Ärzten nicht selten zu sein scheint: einem Sonderheft des American Journal of Medicine zu diesem Thema zufolge beträgt die Häufigkeit von Fehldiagnosen bei allen Ärzten 15% – bei Ärzten, die sich ‚absolut sicher‘ in ihrer Diagnose wähnten, hingegen 40% (SZ Nr. 109/2008). Entsprechend zeigten auch US-Studien, so Mansfield, dass Ärzte, die glaubten nicht (von Pharma-Marketing) beeinflusst zu sein, tatsächlich (nach in der Studie gemessenen Indikatoren) in ihrem Verhalten beeinflusst waren.

Aber nehmen Ärzte diese Beeinflussung wahr? Mansfield stellte Daten vor. Auf die Frage ‚Wie weit beeinflussen Pharmareferenten ihr Verschreibungsverhalten?‘ antworteten nur 1% der befragten Ärzte mit ’sehr stark‘, 38% ‚ein wenig‘ und 61% ‚gar nicht‘. Stellte man jedoch die Frage, welchen Einfluss Pharmareferenten auf das Verschreibungsverhalten der werten ärztlichen Kollegen habe, so ergaben sich 51% ’sehr viel‘, 33% ‚ein wenig‘ und nur 16% ‚keinen Einfluss‘. Selbst- und Fremdwahrnehmung klaffen bemerkenswert auseinander – ‚the illusion of unique invulnerability‘.

PinocchioAllerdings sei das Problem der Wege der Einflußnahme von Pharmaindustrie nicht leicht zu verstehen. Pinocchio habe man beim Lügen an der langen Nase erkannt – bei der Pharmaindustrie sei das schwieriger, so Mansfield.

Wichtig sei es, den fehlleitenden Informationen eine Wahrheit gegenüber zu stellen. Was sei diese Wahrheit?
Mansfield definierte sie als ‚die Wahrheit, die ganze Wahrheit, nichts als die Wahrheit, und keine fehlleitenden Informationen‘.

Leider, so Mansfield mit verschmitztem Lächeln, kenne er trotz jahrelanger Suche bisher keine Marketingmaßnahme, keine Anzeige der Pharmaindustrie, die diesem Wahrheits-Anspruch gerecht werde.

Peter Mansfield, Mitbegründer von Healthy ScepticismMarketinganstrengungen der Pharmaindustrie bestehen aus einem Bündel von Maßnahmen. Hierzu gehören neben der ‚Kontaktpflege‘ verschiedenster Art zu Ärzten oder dem ‚disesase mongering‘ (Erfinden von Krankheiten) und der Einflussnahme auf Behandlungs-Leitlinien auch die Beeinflussung von Patienten sowie von Patientenorganisationen und Selbsthifegruppen. Dessen sollten sich Patientenvertreter bei Kontakten mit der Pharmaindustrie immer bewusst sein. Auch Patientenvertreter und -organisationen sollten versuchen, sich unabhängig von Interessen (nicht nur der Pharmaindustrie, auch von Verbänden) zu machen. Größere Distanz sei manchmal hilfreich.

Und des Risikos des Einflusses von Pharma-Marketing sollte sich auch der bei ‚Selbsthilfe‘ und Selbsthilfe-Internetangeboten Unterstützung suchende Patient bewusst werden. Eine gesunde Skepsis sei oftmals angebracht.
Denn die Pharmaindustrie sponsort reichlich und ausgiebig ‚Selbsthilfegruppen‘ – nicht immer sind diese dann inhaltlich völlig ’selbständig‘ in ihrer Meinung. Dies kann gehen z.B. bis zu Angeboten wie ‚www.selbsthilfe.de‘ – einer Site, die ein Loblied der Selbsthilfe singt, die jedoch über eine Freidersdorfer Firmenadresse nach Angaben von BuKo Pharma dem Bundesverband der pharmazeutischen Industrie gehören soll.

Was tun?
Mansfield wies zunächst auf Initiativen hin, in denen Ärzte versuchen, sich Pharma-Vorteilseinflüssen zu entziehen (’nofreelunch‘, in Deutschland MEZIS – ‚mein Essen zahl‘ ich selbst‚). Einer der Schlüsselfaktoren sei die Erkenntnis, dass ein zu hohes Maß an Selbstzufriedenheit / Vertrauen in die eigenen hohen Fähigkeiten eher empfänglich mache für Einflussnahmen. Ist eine totale Verweigerungshaltung (kein Kontakt mit PharmaberaterInnen) ein Weg? Mansfield zeigt sich skeptisch und erinnert an die Erfahrung der Aids-Prävention. Dort sei die ‚totale Lösung‘ (Abstinenz, kein Sex) gescheitert, Lösungen haben sich aufgezeigt, nachdem man akzeptiert habe, dass Menschen Sex haben, um ihnen Wege aufzuzeigen, wie sie diesen ’safer‘ haben können.

Als wichtige Konsequenz wies Mansfield darauf hin, dass es darauf ankomme, statt ‚interessen-geleitetem Geld‘ der Pharmaindustrie ’neutrales Geld‘ zur Verfügung zu stellen für Forschung, Patienten-Information etc. Hier sei der Staat mehr als bisher gefordert.

Weitere Informationen:
Healthy Sceptizism
Prof. Ludwig empfahl besonders einen Untersuchungsbericht des britischen House of Commons „the influence of the pharmaceutical industry“, als pdf verfügbar hier.

Die ‚Initiativgruppe Studienregister‘ versucht (trotz Protesten seitens der Pharmaindustrie), ein von Beginn an öffentlich zugängliches nationales Register für klinische Studien aufzubauen – ein Baustein dabei, die Gefahr einer Unterdrückung unliebsamer Informationen zu reduzieren (Aufruf als pdf hier).
Weitere (insbes. auch im Aids-Bereich interessante) Studien-Register u.a. ATM, clinicaltrials.gov, EudraCT european clinical trials database, clinical studies nih, sowie Register des Int. Pharma-Verbands ifpma. Auch Pharmakonzerne wie GSK, Boehringer Ingelheim oder BMS haben Studienregister online.

Neben nofreelunch und MEZIS strebt auch ‚The Prescription Project‘ eine größere Unabhängigkeit von Ärzten von der Pharmaindustrie an.

Einen Ansatz von freiwilliger Regelung versucht der Verein ‚Freiwillige Selbstkontrolle der Arzneimittelindustrie‘ (FSA) mit seinem ‚Pharmakodex‚ (der sich gelegentlich als ‚zahnloser Tiger‚ zu erweisen scheint).
Einige Pharmakonzerne veröffentlichen immerhin, in welchem Umfang sie welche Patientengruppierungen unterstützen – wie z.B. GSK für 2006 (als pdf hier) und Roche (Beträge ab 3.000€ pro Organisation und Jahr, als pdf hier).

12 Gedanken zu „Information oder Des-Information?“

  1. Wahrheit? Welche Wahrheit? Mansfield’s, Ludwig’s, Deine, meine? Einflußnahmen wird es immer geben, wenn Geld im Spiel. Man könnte die Pharmaindustrie verstaatlichen, aber das wäre wohl noch schlechter, als die gegenwärtige (bzw für die nächste Zukunft befürchtete) Situation.

  2. @ TheGayDissenter:
    um welche wahrheit es geht? zumindest um eine, die nicht oder möglichst wenig interessengeleitet ist.

    ein (fiktives, aber realitätsnahes) beispiel: eine firma, die ein medikament zugelassen bekommen möchte (für die anwendung am menschen, auf kosten der kassen) muss dazu studien durchführen und die ergebnisse einreichen.
    um die zulassung zu bekommen, verschweigt diese firma negative studienergebnisse (oder einfach die ganze studie, die die negativen ergebnisse brachte, zb nebenwirkungen oder todesdfälle)
    die substanz wird zugelassen, die kassen zahlen … und nach einiger zeit erkranken die ersten menschen an den nebenwirkungen … alles auf kosten der kassen

    das beispiel soll zeigen, es gibt faktoren für eine annäherung an wahrheit – hier zb dass vorhandene informationen nicht verschwiegen werden dürfen

    ich will nicht sagen, dass die gegenwärtige situation schlecht ist – aber sie kann verbessert werden

    und – dieses beispiel ist zwar fiktiv, aber bei weitem nicht aus der luft gegriffen … da gäbe es geschichten zu erzählen …

  3. Nun, das Problem mit den Studien ließe sich lösen, indem die Studien unter staatlicher, besser aber unter unabhängiger Aufsicht durchgeführt würden.

    Was sicherlich verbesserungswürdig ist, ist das Haftungsrecht. Will sagen, die Pharmahersteller – und sicher auch die Ärzte – müssten viel mehr in die Pflicht genommen werden, wenn Medikamente in Umlauf gebracht werden, die Hinsichtlich ihrer Wirkungen nicht ausreichend erprobt sind.

  4. @ TheGayDissenter:
    studien nur unter staatlicher kontrolle – eine alte forderung, leider lief der liberalisierungs-zug die letzten jahre hier in eine andere richtung. inzwischen gibt es (siehe register) erste bemühungen zu korrigieren.

    was das in verkehr bringen nicht ausreichend erprobter medikamente angeht – schwierig schwierig. ich sehe das tendenziell auch so – aber wie viele menschen hätten aids nicht überlebt, wenn zunächst weiter studien durchgeführt worden wären, statt medikamente die leben retten schnell verfügbar zu machen?
    keine einfache materie, das 😉

  5. In Deinem letzten Absatz geht es um den ‚aufgeklärten‘ Patienten.

    Zunächt einmal sollte in Patient erwarten, dass er zuverlässig und mit erprobten Medikamenten versorgt wird, ohne sich selber groß darum kümmern zu müssen. Du sprichst die Fälle an, in denen der Patient nicht darauf vertrauen kann, probat behandelt zu werden, weil entsprechende Methoden nicht zur Verfügung stehen. Warum sollte ein umfassend informierter Patient dann nicht auch unerprobte Medikamente bekommen? Das ist aber kein ‚in Umlauf bringen‘, sondern eine Einzelfallentscheidung.

  6. @ TheGayDissenter:
    na ja – im fall von aidsmedikamenten ende der 80er anfang der 90er wurden diese nach studien an sehr wenigen patienten (damals wohl berechtigterweise) zugelassen – aus reiner not. zugelassen für jeden (positiven) – auch die nicht oder wenig informierten. das waren zulassungen, keine einzelfallentscheidungfen

  7. Nun gut, die Situation war insofern eine Besondere, als keine erprobten Alternativen zur Vergügung standen.

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