Die gesundheitspolitische Erfolgsmeldung von heute besteht für Patienten in einer Abwesenheit, einem Fehlen – einem (zeitweisen) Rückzug.
Eigentlich hatte der Günther Verheugen (SPD), EU-Kommissar für Unternehmen und Industrie und Vizepräsident der EU-Kommission, heute in Brüssel einen Gesetzentwurf vorlegen wollen. Einen Gesetzentwurf für mehr Patientensicherheit in Europa.
Mehr Patientensicherheit in Europa – das klingt vernünftig, hört sich nach einem begrüßens- und unterstützenswerten Projekt an.
Doch Verheugens Projekt war nicht gerade „frei von Nebenwirkungen“.
Ganz im Gegenteil. In seinem Gesetzesentwurf verbarg sich unter anderem auch das Vorhaben, Pharmaunternehmen in begrenztem Maß direkt an Patienten gerichtete Werbung für Medikamente zu erlauben. Wobei, Verheugen nennt dies -ähnlich wie die Pharmaindustrie- ‚Information‘.
Geht es um Information oder Werbung? Geht es um Information oder Desinformation?
Viele Experten, auch Vertreter von Patientengruppen sowie Ärzteorganisationen erwarten von ‚Informationen‘ der Pharmaindustrie nicht gerade ein interessen-neutrales Unterfangen, erst recht nicht wenn es direkt an Patienten gerichtet ist.
In Deutschland gilt bisher, dass Werbung für verschreibungspflichtige Medikamente bei Patienten / Verbrauchern verboten ist. Ein Direktwerbeverbot, das Pharmahersteller jedoch immer wieder bereits heute trickreich zu unterlaufen versuchen.
Ein Werbeverbot, dass jedoch alles andere als grundlos ist. Medikamente sind nicht ein x-beliebiges zu bewerbendes und konsumierendes Wirtschaftsgut – sie sind Heilmittel für Menschen, die erkrankt sind, und sie sind bekanntermaßen oftmals nicht frei von Risiken und Nebenwirkungen.
Gefragt ist satt die Risiken verschweigender, verharmlosender, schönfärbender Medikamenten-Werbung vielmehr unabhängige Arzneimittel-Information, sind korrekte, interessenneutrale Arzneimittel-Informationen im Internet und über andere Medien und Kanäle.Dass die Pharmaindustrie diese interessenneutralen Inforamtionen bereit stellt, darf mit Fug und Recht bezweifelt werden.
Schon ein Blick auf die Arzneimittel-‚Information‘ in den USA (wo Medikamenten-Werbung breit erlaubt ist) zeigt, welche Auswüchse uns drohen, würde sich Verheugens Vorschlag durchsetzen. Dort klettern gelegentlich strunzige junge Männer munter auf höchste Gipfel, selbstverständlich gut gebaut, muskulös und sonnengebräunt – und dass alles ‚völlig positiv‘, dank xxx, diesem tollen Aids-Medikament.
Die Folgen? Gerade auch im Aids-Bereich klagen Patienten- wie auch Präventionsorgansiationen seit langem über Aids-Medikamenten-Werbung, die HIV und Aids verharmlose. Patienten suggeriere, es sei doch eigentlich gar nicht so schlimm, sich mit HIV zu infizieren, ein, zwei Pillen am Tag, und schon gehe es wieder aufwärts …
Dennoch, Günther Verheugen beharrtt trotz aller bereits im Vorfeld geäußerten Proteste auf seinem Vorhaben, Werbung zuzulassen. Warum? Wessen Interessen vertritt Verheugen?
Verheugen ist EU-Kommissar für Unternehmen und Industrie.
Nicht etwas EU-Kommissar für Patienten und Verbraucher.
Womit die Interessenlage bezeichnet sein dürfte.
Günther Verheugen war bereits 2006 als ‚Preisträger‘ für den „Worst EU Lobby Award“ nominiert – für „die Einrichtung von unausgewogenen Expertengruppen, die vor allem den Interessen großer Unternehmen dienen“ (pdf).
Verheugens Projekt ist heute nicht auf der Tagesordnung der EU-Kommission. Es wurde kurzfristig zurückgezogen, nachdem schon ein Mitte vergangener Woche vorgelegter Richtlinien-Entwurf zu massiven Protesten von verschiedensten Seiten kam.
Der zeitweise Rückzug Verheugens ist zu begrüßen. Wichtig bleibt, dass der Protest gegen Arzneimittel-Werbung für Patienten aufrecht erhalten bleibt – und dass auch die Bundesregierung ihre ablehnende Haltung beibehält und weiterhin in Brüssel deutlich macht.
Nachtrag 15.11.2008: „Günter Verheugen bleibt bei seinen Plänen zur Aufhebung des Werbeverbots“, berichtet das Deutsche Ärzteblatt.
Nachtrag 25.11.2008: Verheugens Haltung ist auch in der EU-Kommission in der Kritik. Die EU-Gesundheitskommissarin Androulla Vassiliou soll zukünftig für den Pharmabereich zuständig sein, wird gefordert (berichtet Stationäre Aufnahme)