Selbsthilfe und Sponsoring stehen in einem Spannungsverhältnis. Einem potentiell gefährlichen Spannungsverhältnis, das insbesondere aus der Erwartung nach Nutzen für den Sponsor rührt. Besonders problemträchtig wird dieses Spannungsfeld, wenn es sich um Selbsthilfe und Gesundheit handelt – wie dies bei Aids-Hilfe oder Positiven-Selbsthilfe der Fall ist.
Sponsoring ist im Gegensatz z.B. zum Mäzenatentum nicht interessenfrei. Ein Mäzen unterstützt eine Organisation, ein Projekt ohne Forderung nach einer direkten Gegenleistung, insbesondere keine geschäftliche Nutzenerwartung. Genau dies ist ein wesentlicher Unterschied zum Sponsoring: bei Sponsoring erfolgen finanzielle Leistungen verbunden mit der Erwartung, eine Gegenleistung zu erhalten, die dem geschäftlichen Nutzen dient (z.B. einen Marketing-Nutzen).
Nicht erst seit Pharmakonzerne dazu übergegangen sind, Groß-Veranstaltungen wie CSDs zu sponsern, stellt sich die Frage, wie mit diesem Konflikt-Potential umgehen, nicht nur im Bereich von Aidshilfe und Positiven-Selbsthilfe, sondern auch im Bereich der Schwulen- und Lesbenorganisationen.
Wie weit darf Sponsoring gehen? Wie geht man mit Nutzenerwartungen des Sponsors um? Wo sind Grenzen? Ist ein ‚faires Gleichgewicht‘ zwischen einem Konzern mit all seinen (nicht nur Marketing-) Ressourcen und einer meist eher knapp ausgestatteten Selbsthilfe-Gruppe überhaupt möglich? Wie kann die Gratwanderung zwischen eigenen Bedürfnissen (i.d.R. finanzieller Natur) und Fragen wie Moral, Glaubwürdigkeit, Neutralität gelingen?
Die Fragen sind nicht neu; bisherige Versuche eine Antwort zu finden können helfen, das eigene Verhalten zu überprüfen und den eigenen Umgang mit Sponsoring zu verbessern. Eine Material-Sammlung:
Richtlinien und Informationen zum Umgang mit Pharma-Sponsoring aus dem Bereich der Selbsthilfe
BAG Selbsthilfe und Paritätischer Wohlfahrtsverband: Leitsätze der Selbsthilfe für die Zusammenarbeit mit Personen des privaten und öffentlichen Rechts, Organisationen und Wirtschaftsunternehmen, insbesondere im Gesundheitswesen (diese Leitsätze wurden auch von der DAH Deutschen Aidshilfe unterzeichnet)
Deutscher Aids-Hilfe: Leitsätze zur Zusammenarbeit mit der pharmazeutischen Industrie
BAG Selbsthilfe: Unabhängigkeit der Selbsthilfe: Monitoring- Ausschüsse legen 2. Jahresbericht vor
Der Paritätische: Sponsoring (pdf)
Deutsche Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen e. V.: Gemeinsame Empfehlung zur Förderung der Selbsthilfe, Überarbeitungs-Entwurf, 18.03.2010
„Selbsthilfegruppen: unabhängig trotz Industriesponsoring?“ Interview (2008) mit Professor Englert, Vorsitzender der Deutschen ILCO (html)
Informationen Dritter
Ersatzkassen und ihre Verbände (Hg.): Ungleiche Partner – Patientenselbsthilfe und Wirtschaftsunternehmen im Gesundheitssektor (pdf)
Dr. med. Kirsten Schubert, Prof. Dr. rer. nat. Gerd Glaeske: Einfluss des pharmazeutisch-industriellen Komplexes auf die Selbsthilfe, November 2006 (pdf)
Zeit 17.12.2006: Martina Keller: Patient gesucht – Pharmakonzerne entdecken Selbsthilfeorganisationen als lukrativen Vertriebsweg
Zeit 19.05.2005: Martina Keller: Pharmaindustrie – Geben und einnehmen
Erika Feyerabend: Problematische Partnerschaften – Selbsthilfegruppen
und die Pharmaindustrie, März 2005 (pdf)
Theodor-Springmann-Stiftung: „Korrupt oder korrekt: wie bleibt die Selbsthilfe unabhängig?“, Tagungsband zur Fachtagung am 27. April 2007 im Rathaus Schöneberg von Berlin (Bestellung)
Richtlinien und Informationen zum Umgang mit Pharma-Sponsoring aus dem Bereich der Pharma-Industrie
EFPIA (European Federation of Pharmaceutical Industries and Associations): Code of Practice on Relationships between the Pharmaceutical Industry and Patient Organisations, 05.10.2007 (pdf)
Verein „Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie e.V.“: FSA-Kodex zur Zusammenarbeit mit Patientenorganisationen („FSA-Kodex Patientenorganisationen“), 13.06.2008 (pdf)
Verband forschender Arzneimittel-Unternehmen 06.10.2003: Grundsätze des vfa bei der Zusammenarbeit mit Patienten-Selbsthilfegruppen
(Die Materialsammlung beruht in Teilen auf der Zusammenstellung „Selbsthilfe und Sponsoring“ der NAKOS Nationale Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen – danke an Silke Eggers für den Hinwies!)
Je mehr sich der Staat aus dem sozialen Bereich rauszieht, finanzielle Kürzungen zwecks Einsparungen stattfinden, umso mehr werden Pharmakonzerne versuchen ihren Einfluß durch Sponsoring auf der pers Ebene auszubauen . . .