Berlin: Apotheker und Patienten – Millionenbetrug mit Aids-Medikamenten (akt.5)

In Berlin wurden ein Apotheker und sieben weitere Personen verhaftet wegen des Verdachts auf Abrechnungsbetrug in Millionenhöhe mit Aids-Medikamenten.

Gewerbsmäßigen Abrechnungsbetrug wirft die Staatsanwaltschaft Berlin mehreren Personen vor. Am heutigen 11. November 2010 sowie am vorangegangenen Mittwoch wurden insgesamt acht Haftbefehle vollstreckt, gegen einen Berliner Apotheker sowie sieben weitere Personen. Zudem wurden zehn Wohnungen in Berlin, Fulda und Kiel durchsucht. Zahlreiche weitere Ermittlungsverfahren sollen noch laufen.

Der 66-jährige Apotheker mit Sitz am Kurfürstendamm wird verdächtigt, zwischen 2007 und 2009 HIV-Medikamente mit gesetzlichen Krankenkassen abgerechnet zu haben, diese aber nicht den Patienten ausgehändigt zu haben.

Die beteiligten Patienten sollen sich -wie mit dem Apotheker verabredet- bei Ärzten (via „Ärzte-Tourismus“, Besuch mehrerer Ärzte) Rezepte für mehr Medikamente besorgt haben, als sie selbst benötigten. Die überzähligen Verordnungen ‚übernahm‘ der Apotheker, der die beteiligten Patienten dafür finanziell entlohnt haben soll. Insgesamt sollen über 50 HIV-Positive an den Betrügereien beteiligt sein.

Die Beteiligten wurden wegen Verdachts auf „gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs“ verhaftet. Mehrere ‚Luxus-PKWs‘ wurden beschlagnahmt.

Die Ermittler gehen von einem Schaden von etwa zehn Millionen Euro aus.

Erst vor wenigen Tagen hatte die Staatsanwaltschaft Trier in Zusammenarbeit mit dem Bundeskriminalamt wegen Verdachts auf illegalen Handel mit importierten Medikamenten, auch Aids-Medikamenten, 16 Wohnungen und Büros in Nordrhein-Westfalen und Zypern durchsucht.

Aktualisierung
14.11.2010:
Die Berliner Boulevard-Presse bezeichnet den betroffenen Apotheker inzwischen als „Gier-Apotheker“. Seine Apotheke ist inzwischen laut Hinweis-Schild „aus technischen Gründen“ geschlossen. Hans-Joachim D., wie die Berliner Presse seinen Namen angibt, schweigt nach Angaben der Staatsanwaltschaft bisher zu den Vorwürfen. Er befindet sich in Untersuchungshaft.
Die am Betrug beteiligten Patienten sollen 300 bis 400, in Einzelfällen bis 800 Euro pro Rezept erhalten haben. Den meisten der bisher verhafteten sieben beteiligten HIV-Positiven wurde inzwischen Haftverschonung gewährt, meist aus gesundheitlichen Gründen. Nur ein Kieler Patient befindet sich weiterhin in Untersuchungshaft.
Boulevard-Medien spekulieren inzwischen, auch Ärzte könnten in den betrug verwickelt sein.
Ein Sprecher der Techniker-Krankenkasse betonte, man sei auf das Verhalten des Apothekers bereits 2008 auf „Unregelmäßigkeiten“ aufmerksam geworden. Warum es dennoch bis Ende 21010 dauerte, bis der Betrug aufgedeckt wurde, sagte er nicht.
15.11.2010:
Die deutsche Aids-Hilfe verurteilt den Abrechnungsbetrug. Silke Klumb, Geschäftsführerin der DAH: „Betrug im Gesundheitswesen geht zu Lasten aller Versicherten und bringt eine ganze Branche zu Unrecht in Misskredit. Sie müssen zukünftig mehr Zuzahlungen entrichten, während illegal Millionen aus dem System gezogen werden. Wir fordern daher eine engere Zusammenarbeit zwischen Ärzten, Apothekern und Krankenkassen, um Betrugsversuchen unmittelbar begegnen zu können. Vor allem chronisch Kranke leiden darunter, wenn weniger Geld für die Versorgung zur Verfügung steht und auf lange Sicht eine Rationierung droht.“
30.03.2011:
Der betroffene Apotheker sowie acht weitere Mitbeschuldigte (Patienten) müssen sich in Kürze vor dem Berliner Landgericht verantworten. Der Apotheker sitzt seit November 2011 in Untersuchungshaft. Der entstandene Schaden soll sich auf nahezu elf Millionen Euro belaufen.
15.04.2011:
Die Verteidigung des Apothekers hat vor Gericht ein Geständnis angekündigt. Er sei von „einigen Herrschaften“ erpresst worden. Mitangeklagte HIV-Positive sollen laut ihrer Verteidigerin aus einer „Notsituation“ heraus gehandelt haben.

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weitere Informationen:
Polizeipräsident Berlin 11.11.2010: Haftbefehle und Durchsuchungen wegen gewerbsmäßigen Abrechnungsbetrugs zum Nachteil von Krankenkassen
RBB 11.11.2010: Abrechnungsbetrug mit HIV-Medikamenten
Berliner Morgenpost 11.11.2010: Millionen-Betrug mit HIV-Medikamenten fliegt auf
DAH 15.11.2010: Deutsche AIDS-Hilfe verurteilt Abrechnungsbetrug mit HIV-Rezepten
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2 Gedanken zu „Berlin: Apotheker und Patienten – Millionenbetrug mit Aids-Medikamenten (akt.5)“

  1. Ich kenne noch Zeiten, in denen neue, erfolgversprechende Medikamente, illegal aus den USA per Diplomatengepäck geschmuggelt oder über „Studien“ ins Land gebracht wurden…

    Aber das hier ist nur WIEDERLICH!

    „zwischen 2007 und 2009 HIV-Medikamente mit gesetzlichen Krankenkassen abgerechnet zu haben, diese aber nicht den Patienten ausgehändigt zu haben“

  2. Die Apotheke am Kurfürstendamm unweit des Café Kranzler galt im Charlottenburger Kiez schon seit längerer Zeit als Anlaufpunkt für Drogenabhängige. Schon frühmorgens vor Geschäftsbeginn wurde sie häufig von auffällig nervösen „Kunden“ belagert. http://www.morgenpost.de/berlin/article1448652/Berliner-Apotheker-betruegt-mit-Rezepten.html

    Man sollte es nicht nur unter dem Aspekt HIV Medis sehen sondern, falls es sich bewahrheiten sollte, unter dem Aspekt der Drogenabhängigkeit. Drogenabhängigkeit bedingt die Beschaffung finanzieller Mitel um den täglichen Bedarf – Konsum sicherzustellen. Es gab schon immer den einen oder anderen Apotheker der sich dieses Umstandes bewußt war und seinen Teil dazu beigetragen hat. Ob ein Apotheker gefälschte Rezepte für verschreibungspflichtige Schlaftabletten oder sonstige verschreibungspflichtige Medikamente „annahm“. die Versuchung die Situation drogenabhängiger Menschen auszunützen gab es schon immer.

    Insofern steht die Frage im Raum ob eine staatlich kontrollierte Abgabe von Heroin – auch unter diesem Aspekt – sinnvoll wäre. Hier tut sich die Politik auf allen Ebenen kommunaler wie besonders auch auf Regierungsebene mehr als nur schwer. Insofern darf man dem Staat auch einen Teil an der Verantwortung der gegenwärtigen Situation anlasten.

    Beschaffungskriminalität, die Versuchung wie in diesem Fall jetzt ans Tageslicht gekommen, wäre von vornherein wenn nicht gelöst so doch minimiert, würde man Abhängige ohne wenn und aber versorgen.

    Drogenabhängigkeit wie auch die Beschaffung der Mittel um die Sucht zu finanzieren ist Alltag – ist eine Realität. Eine Realität die sich die politisch Verantwortlichen gerne verschließen, nicht bereit sind in „menschenwürdiger Art und Weise“ zu lösen.

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