HIV/Aids in Libyen: wenig Fakten und ein inszenierter Schau-Prozess

Nach Tunesien und Ägypten kämpfen auch in Libyen Tausende Bürger für ihre Freiheit. Libyen hat sich lange gerade gegenüber westlichen Staaten weitgehend abgeschirmt – auch zur Situation der HIV-Epidemie in dem nordafrikanischen Staat sowie zu Lebensrealitäten HIV-Positiver in Libyen ist nur wenig bekannt. Bekannt wurde Libyen eher mit dem inszenierten „HIV-Prozess“ gegen bulgarische Krankenschwestern.

Libyen ist seit dem Putsch von 1969 offiziell eine „Arabische Republik“ (offiziell bisher: Sozialistische Libysch-Arabische Volks-Dschamahirija). Gut 6,3 Millionen Menschen leben in dem nordafrikanischen Staat, der bis zu einer Gebietsreform aus den drei Provinzen Tripolitanien, Cyrenaika und Fessan bestand.

Den Vereinten Nationen zufolge ist Libyen mit einem ‚Human Development Index‘ von 0,755 (Human Development Report des UNDP ) das am stärksten entwickelte Land des afrikanischen Kontinents.

HIV und Aids in Libyen

Offizielle Daten zur Anzahl der mit HIV infizierten Menschen in Libyen sind kaum publiziert. UNAIDS schätzte 2005 die Prävalenz von HIV bei Erwachsenen in Libyen als ‚gering‘ (unter 0,2%) ein. Eine 2004/05 durchgeführte Seroprävalenz-Studie an 65.000 Personen habe eine Prävalenz von 0,13% (90 HIV-Infektionen) ergeben. 2008 habe das nationale libysche Zentrum für Infektionskrankheiten die Zahl von 11.152 HIV-Infektionen (kumulativ) genannt, davon 8.654 bei libyschen Staatsbürgern.

Haupt-Übertragungsweg von HIV ist in Libyen laut UNAIDS iv-Drogenkonsum. Der Anteil wird auf bis zu 90% geschätzt. Insbesondere  Haftanstalten seien ein Ausbreitungsraum der HIV-Infektion.

Eine im Rahmen von ‚Cablegate‘ von Wikileaks geleakte Depesche der Libyschen US-Botschaft vom 19.12.2008 geht davon aus, dass die tatsächlichen Zahlen HIV-Infizierter in Libyen deutlich höher seien. Dr. Muhammad Sammud, Leiter von Libyens HIV/Aids-Präventions-Programm, habe anlässlich des Welt-Aids-Tages (2008) als „seltenen Einblick in das libysche Gesundheitswesen“ 70.000 HIV-Infizierte als realistisch genannt. Iv-Drogenkonsum und „riskantes Sexualverhalten“ seien die Haupt-Übertragungswege. Aufgrund der Probleme, in Libyen belastbare Zahlen zu erhalten, könne die tatsächliche Zahl HIV-Infizierter noch höher liegen. Die ersten HIV-Infektionen in Libyen seien bereits 1985 bekannt geworden und zurück zu führen auf HIV-kontaminierte aus Europa importierte Blutprodukte.

Libyen habe, betont UNAIDS 2005, wie zahlreiche Staaten des Nahen Ostens und Nordafrikas, kein ausreichendes Monitoring-System für HIV. Dies betreffe insbesondere Bevölkerungsgruppen mit einem erhöhten HIV-Infektionsrisiko wie iv-Drogengebraucher/innen, Männer die Sex mit Männern haben (MSM) sowie Sexworker.

Seit Ende 2002 hat Libyen offiziell ein Nationales Aids-Programm. 2009 einigten sich Libyen und die Europäischen Union auf eine Kooperation im Aids-Bereich, in deren Rahmen unter Leitung der Liverpool School of Tropical Medicine ein Aids-Programm für das nordafrikanische Land entwickelt werden sollte. Dies wurde von der EU mit einer Million Euro unterstützt.

Vom 15. bis 19. März 2010 fand nach Jahren voll Diskussionen und hohr Schranken die erste ‚Libysche Aids Konferenz‘ in Benghasi statt, veranstaltet von der ‚Baylor College of Medicine International Pediatric AIDS Initiative‘ des US-amerikanischen ‚Texas Children’s Hospital‘).

Antiretrovirale Behandlung steht laut ‚Country report‘ allen libyschen Staatsbürgern, die darum bitten, unentgeltlich zur Verfügung. Sie erfolge über die Zentral-Pharmazie des libyschen ‚National Center for Infectious Diseases Prevention and Control‘ (NIDCC). Zahlen, wie viele HIV-Positive in Libyen derzeit antiretrovirale Therapie erhalten, sind nicht bekannt.

Das United Nations Development Program UNDP veranstaltet ‚Empowerment Programme‘ für HIV-positive Frauen und Mädchen in Libyen (unterstützt u.a. von der niederländischen Regierung). Es gibt im Aids-Bereich eine einzige Nicht-Regierungs-Organisation in Libyen: die 2002 gegründete ‚Association to Care for Infected Children‘. Sie setzt sich laut UNAIDS in Zusammenarbeit mit dem Libyschen Roten Halbmond insbesondere in gegen Stigmatisierung und Diskriminierung HIV-infizierter Kinder.

Für besondere internationale Aufmerksamkeit sorgte jahrelang der ‚HIV-Prozess‘ in Libyen:

Der „HIV-Prozess“ – Libyen gegen bulgarische Krankenschwestern

Fünf bulgarische Krankenschwestern (Kristijana Waltschewa, Nasja Nenowa, Walentina Siropulo, Walja Tscherwenjaschka und Sneschana Dimitrowa) und der palästinensischstämmige Arzt Aschraf al-Hajuj (seit Juni 2007 mit bulgarischer Staatsangehörigkeit) wurden von der libyschen Staatsanwaltschaft beschuldigt, hunderte libyscher Kinder in der Kinderklinik des Zentralkrankenhauses ‚El-Fateh‘ in Benghazi vorsätzlich mit HIV infiziert zu haben. Über insgesamt acht Jahre und mehrere Schauprozesse zog sich die Affäre hin.

Die Angeklagten wurden schließlich zum Tode verurteilt. Internationale Proteste waren die Folge. Zahlreiche Staaten und internationale Organisationen forderten die Freilassung der Inhaftierten. 2007 wurden die Todesstrafen in lebenslange Freiheitsstrafen umgewandelt, nachdem ‚Entschädigungszahlungen‘ an die betroffenen Familien geleistet worden waren. Die Verurteilten wurden am 24. Juli 2007 nach Bulgarien ausgeflogen und dort vom bulgarischen Staatspräsidenten umgehend begnadigt.

Kurz nach der Freilassung bestätigte Gaddafis Sohn Saif al-Islam al-Gaddafi einem Bericht des ‚Spiegel‘ zufolge, dass die Festgenommenen misshandelt und politisch missbraucht worden seien. Zudem sei der Prozess eine Inszenierung gewesen – die Kinder seien schon vor Ankunft des Arztes und der Krankenschwestern aus Bulgarien mit HIV infiziert gewesen.

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weitere Informationen:
UNAIDS: UNGASS Country Progress Report – Libyan Arab Jamahiriya, 31.05.2010, Reporting period: January 2008–December 2009 (pdf)
EU-Kommission 02.09.2009: EU and Libya to develop HIV/AIDS strategy
SpON 09.08.2007: Bulgarische Krankenschwestern – Gaddafi-Sohn bestätigt Folter und Schauprozess
Baylor College of Medicine 17.03.2010: BIPAI hosting first Libyan national HIV/AIDS conference
Liverpool School of Tropical Medicine 03.08.2009: A National HIV/AIDS Strategy for Libya
UNDP 24.11.2010: Dutch Government contributes to UNDP Libya Projects on HIV/AIDS and Gender Equality
The Telegraph 31.01.2011: US-Depesche „HIV infection rates in Libya may be significantly higher than previously estimated
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