Das Risiko, HIV auf eine bisher nicht mit HIV infizierte Person beim Sex zu übertragen wird durch effektive antiretrovirale Therapie um 96% reduziert. Dieses Ergebnis einer US-Studie wird von UNAIDS als ‚Durchbruch für eine neue Prävention‘ gesehen.
Die Studie zielte darauf ab herauszufinden, ob ein sofortiger Therapiebeginn im Vergleich zu einem späteren Therapiebeginn geeignet ist, das Risiko einer HIV-Übertragung auf den HIV-negativen Partner zu senken. Zudem sollte der etwaige Nutzen für die HIV-infizierte Person selbst bestimmt werden.
Die Studie HPTN 052 untersuchte 1.763 sero-differente Paare (ein Partner HIV-negativ, ein Partner HIV-positiv). Die weit überwiegende Mehrzahl der untersuchten Paare war heterosexuell (97%). Die Positiven (mit CD4-Werten zwischen 350 und 500 zu Studienbeginn) wurden in zwei Gruppen eingeteilt, eine Gruppe mit sofortigem Beginn einer antiretroviralen Therapie, die andere Gruppe mit Therapiebeginn ab einer CD4-Zellzahl von 250 oder Aids-definierenden Erkrankungen. Die Studie fand an 13 Zentren in Afrika, Asien und Amerika statt.
In der zweiten Gruppe (Therapiebeginn später) traten unter 877 Paaren 27 HIV-Übertragungen auf (Übertragung innerhalb des jeweiligen Paares durch genetische Untersuchungen bestätigt). In der Gruppe mit sofortigem Therapiebeginn kam es zu einer (1) HIV-Übertragung.
Die Forscher folgerten, eine sofortige antitretrovirale Behandlung hochgradig den nicht infizierten Partner vor einer HIV-Übertragung schütze:
„The DSMB [Data and Safety Monitoring Board; d.Verf.] concluded that initiation of ART by HIV-infected individuals substantially protected their HIV-uninfected sexual partners from acquiring HIV infection, with a 96 percent reduction in risk of HIV transmission.“
Sie werteten dies als eindeutigen Hinweis, dass ein früherer Therapiebeginn das Übertragungs-Risiko senke:
„This is the first randomized clinical trial to definitively indicate that an HIV-infected individual can reduce sexual transmission of HIV to an uninfected partner by beginning antiretroviral therapy sooner.“
Die Forscher unterbrachen die ursprünglich bis 2015 geplante Studie. Beteiligte Ärzte und Patienten werden über die Ergebnisse informiert, auch allen HIV-Positiven in der Gruppe mit späterem Therapiebeginn werden antiretrovirale Medikamente angeboten.
Dr. Anthony Fauci, Direktor des NIAID National Institute of Allergy and Infectious Diseases (das die Studie finanzierte), betonte die Studie zeige, dass ein früherer Therapiebeginn einen wesentlichen Einfluss auf die Reduzierung der HIV-Übertragung haben könne:
„Previous data about the potential value of antiretrovirals in making HIV-infected individuals less infectious to their sexual partners came largely from observational and epidemiological studies. This new finding convincingly demonstrates that treating the infected individual — and doing so sooner rather than later — can have a major impact on reducing HIV transmission.“
Auch die HIV-positiven Partner profitierten von früherem Therapiebeginn, so die Studie – es seien signifikant weniger Erkrankungen aufgetreten.
UNAIDS bezeichnete die Studienergebnisse in einer Stellungnahme als „bahnbrechend“. Michel Sidibé, Generaldirektor von UNAIDS; sagte dies stelle eine Revolution für die Prävention dar und mache antiretrovirale Therapie zu einer neuen Präventions-Möglichkeit („treatment as prevention“) mit Priorität. Nun müsse sichergestellt werden, dass Paare die Möglichkeit hätten, antiretrovirale Therapie als eine Präventionsmethode zu nutzen – und dass sie Zugang (zu den Medikamenten) hätten:
„This breakthrough is a serious game changer and will drive the prevention revolution forward. It makes HIV treatment a new priority prevention option.
Now we need to make sure that couples have the option to choose Treatment for Prevention and have access to it.“
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Aktualisierung
12.05.2011, 23:00: „Auch gleichgeschlechtlicher Paare brauchen jetzt dirngend Antworten, kommentiert Oriol R. Gutierrez Jr., Direktor beim US-Positiven-Magazin POZ die Aussage der Forscher, Ergebnisse ihrer Studie ließen sich nicht ohne weiteres auf Schwule übertragen. Für sie liefere die jetzige Studie Hoffnungen, aber keine wissenschaftlichen Beweise.
13.05.2011, 09:00: In einer Stellungnahme betonte NIAID-Direktor Fauci, dass die bisherigen Erkenntnisse zur Senkung des HIV-Übertragungsrisikos durch wirksame Therapie aus Beobachtungs- und epidemiologischen Studien stammten. Nun sei nachgewiesen, dass eine Behandlung des Individuums, und zudem eine frühzeitige, einen wesentlichen Einfluss auf die Reduzierung des HIV-Übertragungsrisikos haben könne.
18:30: Armin Schafberger, Medizin-Referent der Deutschen Aids-Hilfe, kommentiert „Sie [Menschen mit HIV; d.Verf.] haben nun Gewissheit, dass die Therapie ihre Partner zuverlässig schützt. Das haben wir zwar schon gewusst, die Studie untermauert dieses Wissen aber nun mit klaren Zahlen.“
14.05.2011, 08:30: Die Ergebnisse der Studie werden Einfluss auf die neuen Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation WHO haben, äußert WHO-Generaldirektorin Margaret Chan laut SZ.
Warum sind kaum Daten für Schwule produziert worden? „Wir hätten uns eine große Zahl von Männern als Versuchspersonen gewünscht, aber sie waren einfach nicht interessiert“, zitiert die NYT Myron Cohen von der University of North Carolina in Chapel Hill.
Und welche Folgen hat die Studie? Michel Sidibé, UNAIDS-Generaldirektor: „Die Unterscheidung zwischen Behandlung und Vorbeugung ist nicht real“
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weitere Informationen:
HIV Prevention Trials Network 12.05.2011: Initiation of Antiretroviral Treatment Protects Uninfected Sexual Partners from HIV Infection (HPTN Study 052) (pdf)
UNAIDS 12.05.2011: Groundbreaking trial results confirm HIV treatment prevents transmission of HIV
aidsmap 12.05.2011: Treatment as prevention works: randomised study shuts 3 years early after showing 96% reduction in risk of transmission
poz and proud 12.05.2011: Bevestiging
poz 12.05.2011: Study: ARV Treatment Reduces HIV Transmission 96 Percent
SpON 12.05.2011: Schutz vor HIV – Medikamente senken Aids-Ansteckungsrisiko
POZ Blogs / Oriol R. Gutierrez Jr. 12.05.2011: Same-Sex Serodiscordant Couples Need Answers
New York Times 12.05.2011: Early H.I.V. Therapy Sharply Curbs Transmission
Advocate 12.05.2011: HIV: Early Treatment Could Reduce Partner Transmission
NIAID 12.05.2011: Treating HIV-infected People with Antiretrovirals Protects Partners from Infection
DAH 13.05.2011: Antiretrovirale Therapie schützt hoch effektiv vor HIV-Übertragung
alivenkickin 13.05.2011: „Therapie als Prävention? Ja!“ . . . Ohne Druck, Ohne Zwang
Pietro Vernazza 12.05.2011: EKAF-Statement durch randomisierte Studie bestätigt
SZ 13.05.2011: Früher Medikamenteneinsatz schützt Partner vor HIV
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Was bedeutet die Aussage “Die Unterscheidung zwischen Behandlung und Vorbeugung ist nicht real”???
Ich lese den Satz nochmal und nochmal und verstehe ihn nicht.
Die Aussage der Studie ist doch wohl, dass ein frühzeitiger (!) Beginn einer HAART das Risiko um die genannten 96% reduziert, nicht eine effektive Therapie. Frühzeitig heißt: Beginn nicht erst bei 250 CD4-Zellen/mm^3 so wie die bei Studienbeginn noch gültige WHO-Empfehlung lautete, sondern schon bei deutlich höheren Werten. Mittlerweile hat die WHO den Schwellenwert ja auch schon vor diesem Studienergebnis auf 350 Zellen/mm^3 erhöht. Insofern kann ich den Jubel „HIV-Positive und HIV-Negative sowie Ungetestete dürfen sich freuen, über eine neue hochwirksame Möglichkeit, das Risiko von HIV-Übertragungen deutlich zu senken.“ nicht nachvollziehen. Es ist keine neue Möglichkeit, es hat sie schon immer zumindest in den sog. Industriestaaten gegeben.
Anders sieht es wohl schon alleine aus Kostengründen in den sog. Entwicklungsländern aus. Hier stimme ich der Forderung „antiretrovirale Therapie muss weltweit zu bezahlbaren Konditionen verfügbar sein“ zu. Das bedeutet erst einmal das Wissen um den Vorteil eines frühen HAART-Beginns in die Köpfe der Entscheider in den entsprechenden Gremien zu bringen. Die WHO scheint ja schon auf dem richtigen Weg zu sein. Und dann ist es zwingend erforderlich, dass Generika auch der neuesten Wirkstoffgenerationen für die sog. Entwicklungsländer zur Verfügung stehen oder zumindest eine Art Quersubvention erfolgt. Ansonsten nützt auch das schönste Studienergebnis nichts.
Noch eine Marginalie: Ich befürchte, dass dieses Studienergebnis – so wie das EKAF-Statement – nun als Berechtigung für ungeschützten Geschlechtsverkehr ohne Information des Anderen auch bei ONS angesehen wird.
Aha. Also bezieht sich die Aussage auf eine infizierte Person und gemeint ist, dass eine (frühzeitig) begonnene HAART sowohl eine Behandlung als auch allgemeine Prävention darstellt. (Interpretiere ich das jetzt richtig?)
Na gut. Worin ich die Gefahr dieser Aussage sehe ist, dass einige ultrakonservative bis reaktionäre Politiker auf die Idee kommen könnten, HIV-positive zum Wohle der Volksgesundheit zwangsbehandeln zu lassen.
Die allgemeine Euphorie kann ich auch nicht so ganz teilen, allerdings aus einem anderen Grund: Ein Infektionsrisiko von 4% ist doch immer recht hoch. Statistisch gesehen würde man sich demnach bei jedem 25. Mal Sex anstecken. Als sicheren Schutz würde ich das nicht bezeichnen.
@ dr. nihil:
stimmt, bei 96% schutz bleiben 4% – mit denen man umgehen muss, risiko-management
allerdings – kondome bieten auch nicht 100% schutz, auch die verwendung von kondomen beinhaltet ein „rest-risiko“
deswegen geht es ja auch um „safer sex“ (den komparativ), nicht um „safe sex“ („die absolute sicherheit“)