treatment as prevention : 75% aller Klinik-Ärzte in den USA würden Aids-Medikamente frühzeitig zur Prävention verschreiben

treatment as prevention – Aids-Medikamente bei HIV-Positiven frühzeitig eingesetzt aus Gründen der HIV-Prävention, dies ist in den USA ein wenig umstrittener Gedanke: drei Viertel aller US-Klinikärzte waren in einer Studie bereit, HIV-Positiven mit einem HIV-negativen Partner frühzeitig Aids-Medikamenmte zu verschreiben aus Gründen der Prävention (und nicht aus medizinischen Gründen).

Dies ergab eine 2010 und 2011 durchgeführte Studie an 165 Medikamente verordnenden Ärzten an HIV-Kliniken in der Bronx, in New York sowie in Washington. Die Internet-Befragung der in der HIV-Behandlung sehr erfahrenen Ärzte (durchschnittlich 13 Jahre HIV-Behandlungs-Erfahrung) ergab, dass nahezu alle (95%) zustimmten, dass frühzeitige antiretrovirale Behandlung die HIV-Ausbreitung in einer Community zurückdrängen könne, da HIV-Positive weniger infektiös seien. 92% gaben an, sie würden heutzutage Medikamente verordnen, wenn die Gesundheit des Patienten dies erfordere und der Patient dazu bereit sei.

79% gaben allerdings auch an, sie seien geneigt eine HIV-Therapie früher (als wenn der CD4-Wert unter 500 fällt) zu beginnen, falls der Patient ein Verhalten berichte, das ein erhöhtes Übertragungsrisiko beinhalte. 75% gaben an zu frühzeitiger Therapie bereit zu sein, falls der Patient einen HIV-negativen Partner habe. 47% befürchteten allerdings auch, dies könne zu Resistenzen führen, 52% wiesen auf die Nebenwirkungen hin. 30% äußerten die Befürchtung, frühzeitige Therapie könne zur Übertagung rsistener Viren auf den Partner führen.

In Deutschland ist die Haltung zu Therapie aus Gründen der Prävention ( treament as prevention ) in Abwägung zur Frage des individuellen Nutzens für den HIV-Positiven zurückhaltender. Der Nationale Aids-Beirat hatte am 1. März 2012 in einer Stellungnahme (siehe ondamaris 05.04.2012: Der Nationale AIDS-Beirat positioniert sich zur Prävention von HIV mit antiretroviralen Medikamenten) betont

„Der NAB betont, dass jede Entscheidung für eine Therapie zum Zweck der Reduktion der Infektiosität nur von Menschen mit HIV selbst getroffen werden darf. Die Empfehlung für einen Therapiebeginn darf nicht von Public-Health Interessen, sondern muss von den Interessen und Bedürfnissen des Individuums geleitet werden.“

Prof. Rolf Rosenbrock, Mitglied des Nationalen Aids-Beirats und Vorsitzender des ‚Paritätischen‘ (Gesamtverband) äußerte in einem Interview (siehe ondamaris 11.05.2012: „Therapie als Prävention “gefährliche Hereinnahme einer Public-Health-Ethik in individuelle Therapie-Entscheidungen zulasten des Einzelnen” – Rolf Rosenbrock im Interview“)

“Dagegen sprechen aber unter anderem ethische Argumente: Noch nicht behandlungsbedürftige Menschen bekämen dann eine hochgiftige Therapie mit unerwünschten Nebenwirkungen verpasst. Den Nutzen hätte nicht das therapierte Individuum, sondern die Gesellschaft und die Community. Das ist eine gefährliche Hereinnahme einer Public-Health-Ethik in individuelle Therapie-Entscheidungen zulasten des Einzelnen.”

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aidsmap 20.08.2012: Three-quarters of clinicians in the US willing to prescribe early HIV treatment for the purpose of prevention

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PrEP: wie geht’s weiter?

Mit der Zukunft der Prä-Expositions-Prophylaxe PrEP befasste sich am 12. Juni der ‚IAPAC Summit on Treatment as Prevention‘. Aidsmap gibt in einem Artikel eine Zusammenfassung über vorgestellte Studien und diskutierten Fragen.

In 22 Studien mit über 33.000 Teilnehmern wird in den kommenden Jahren die Machbarkeit des Konzepts ‚Prä-Expositions-Prophylaxe‘ PrEP (funktioniert es, nicht mit HIV infizierten Menschen Aids-Medikamente zu geben, um sich vor einer HIV-Infektion zu schützen?) untersucht. Einige dieser Studien (die der Artikel vorstellt) laufen bereits, andere sind in Vorbereitung oder einer frühen Finanzierungs-Phase. Treibende Kraft hinter vielen der Studien zu PrEP sind Epidemiologen und Forscher, aber auch der Pharmakonzern Gilead, Hersteller der beiden in den meisten der Studien untersuchten Medikamente.

Thematisiert wurden auch schwerwiegende ethische Bedenken, insbesondere die Frage: wie weit ist es überhaupt ethisch verantwortbar, Menschen zum Schutz vor einer HIV-Infektion Aids-Medikamente zu geben – während weltweit Millionen HIV-Positiver keine Aids-Medikamente erhalten (obwohl sie sie dringend benötigen) – und (un- oder unzureichend behandelt) an den Folgen von Aids sterben.
Eine Forscherin beschrieb dieses ‚Public Health Dilemma‘:

„Probably, the elephant in the room is prevention versus treatment in resource-constrained settings“

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siehe auch:
ondamaris 05.04.2012: Der Nationale AIDS-Beirat positioniert sich zur Prävention von HIV mit antiretroviralen Medikamenten
ondamaris 11.05.2012: Therapie als Prävention “gefährliche Hereinnahme einer Public-Health-Ethik in individuelle Therapie-Entscheidungen zulasten des Einzelnen” – Rolf Rosenbrock im Interview

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weitere Informationen:
aidsmap 25.06.2012: The road to PrEP: trials, regulation and rollout
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Therapie als Prävention „gefährliche Hereinnahme einer Public-Health-Ethik in individuelle Therapie-Entscheidungen zulasten des Einzelnen“ – Rolf Rosenbrock im Interview

Der Gesundheitswissenschaftler Rolf Rosenbrock erinnert in einem Interview an die grundlegenden Konflikte in der deutschen Aids-Politik (zwischen Sozialwissenschaften und Medizin). Rosenbrock äußert sich in dem Interview auch zum Konzept von HIV-Behandlung als Prävention.

Rosenbrock, bis Ende Mai 2012 Leiter der Forschungsgruppe Public Health im Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), wurde am 26. April zum neuen Vorsitzenden des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes gewählt.

Rolf Rosenbrock war maßgeblich am Zustandekommen der gültigen Linie der Aids-Politik in Deutschland beteiligt (u.a. 1986 „Aids kann schneller besiegt werden“) – über die Geschichte berichtet er u.a. in dem Interview, das Jochen Drewes und Hella von Unger mit ihm führten und das im DAH-Blog veröffentlicht ist.

„In den drei Jahren verschärfte sich mein Verhältnis zur Medizin, weil ich massiv und dauerhaft dieser übergriffigen Arroganz begegnet bin, die vielen Angehörigen dieser Disziplin eigen ist – und das gepaart mit großer Ignoranz.“

Rosenbrock äußert sich auch zu derzeitigen Entwicklungen in der Gesundheitspolitik, auch zu HIV/Aids:

„In den reichen Ländern kann man die gesamte HIV-Politik auch als Machtkampf verstehen: zwischen Sozialwissenschaft und Medizin, zwischen Selbsthilfe und professionellen, medizinischen, behandelnden Institutionen. In der ersten Runde haben wir klar gewonnen, weil die Medizin nichts in der Hand hatte. In der zweiten Runde, der „Remedikalisierung“, haben wir viel verloren: Nicht mehr der Patient steht im Mittelpunkt, sondern das Medikamentenregime. Und die dritte Runde wird jetzt eingeläutet.“

Konkret äußert er sich zum Einsatz von HIV-Medikamenten rein aus präventiven (nicht Behandlungs-) Gründen (‚Behandlung als Prävention‘):

„Dagegen sprechen aber unter anderem ethische Argumente: Noch nicht behandlungsbedürftige Menschen bekämen dann eine hochgiftige Therapie mit unerwünschten Nebenwirkungen verpasst. Den Nutzen hätte nicht das therapierte Individuum, sondern die Gesellschaft und die Community. Das ist eine gefährliche Hereinnahme einer Public-Health-Ethik in individuelle Therapie-Entscheidungen zulasten des Einzelnen.“

Entsprechend klar habe sich auch der Nationale Aids-Beirat (dessen Mitglied Rosenbrock ist) erst jüngst positioniert (siehe „Der Nationale AIDS-Beirat positioniert sich zur Prävention von HIV mit antiretroviralen Medikamenten„).

Ein Kern-Gedanke in Rosenbrocks Wirken:

„die sozial bedingte Ungleichheit von Gesundheits- und Lebenschancen [ist] die zentrale Herausforderung nicht nur für die Gesundheits-, sondern auch für die Sozial-, die Arbeitsmarkt- und die Bildungspolitik“.

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DAH-Blog 11. Mai 2012: Selbstbestimmung fördert die Gesundheit

„HIV-Therapie ist immer eine individuelle Entscheidung“

„Zu beachten ist aber, dass die Einleitung einer HIV-Therapie immer eine individuelle Entscheidung bliebt und nicht ohne Nutzen für den Patienten verordnet werden darf. Ebenso ist zu bedenken, dass es in der öffentlichen Wahrnehmung zu einer problematischen Verschiebung kommen kann und Therapie mit Prävention gleichgesetzt wird. Dies kann dazu führen, dass das Schutzverhalten zurückgeht und das Konzept der gemeinsamen Verantwortung abgelöst wird durch eine allgemeine Verantwortung des HIV-Infizierten, der sicherzustellen hat, das er sexuell nicht infektiös ist.“

Dirk Meyer, Referatsleiter Referat 1 – 12 / Maßnahmen zur Aids-Prävention, Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA)
Prävention wirkt! Perspektiven der HIV/STI-Prävention in Deutschland
in: RetroVirus Bulletin 1 / 2012, S. 3 – 5 (pdf)

Der Nationale AIDS-Beirat positioniert sich zur Prävention von HIV mit antiretroviralen Medikamenten

Der Nationale AIDS-Beirat positioniert sich zur Prävention von HIV mit antiretroviralen Medikamenten

Am 01. März 2012 hat der Nationale AIDS-Beirat folgendes Votum beschlossen:

  • „Der Nationale AIDS-Beirat (NAB) stellt fest, dass bei vorliegender HIV-Infektion eine effektive antiretrovirale Therapie eine HIV-Übertragung verhindert. Studien belegen eine hochgradige Schutzwirkung, sofern mit der antiretroviralen Therapie dauerhaft eine Unterdrückung der HI-Viruslast im Plasma auf unter 50 RNAKopien pro ml erreicht wird.
  • Der NAB empfiehlt, diesen Sachverhalt offen und öffentlichkeitswirksam zu kommunizieren. Dies gilt für Präventions- und Beratungsangebote ebenso wie für das ärztliche Gespräch, in denen eventuell verbleibende Risiken im Individualfall erörtert werden müssen.
  • Der Schutz vor einer Infektion ist gemeinsame Aufgabe aller Beteiligten. Unverändert bleibt daher die Bedeutung der aufeinander bezogenen Verhältnis- und Verhaltensprävention und der in diesem Rahmen gegebenen Empfehlungen. Safer Sex und Safe Use bilden nach wie vor die Grundlage der deutschen Public-Health Strategie zur Verhinderung einer HIV-Übertragung. Dies gilt umso mehr, als sie dazu beitragen, auch die Übertragung anderer Infektionen zu reduzieren.
  • Der NAB betont, dass jede Entscheidung für eine Therapie zum Zweck der Reduktion der Infektiosität nur von Menschen mit HIV selbst getroffen werden darf. Die Empfehlung für einen Therapiebeginn darf nicht von Public-Health Interessen, sondern muss von den Interessen und Bedürfnissen des Individuums geleitet werden. Die Aufklärung diesbezüglich muss offen sein und mögliche Vorteile wie Nachteile einer antiretroviralen Therapie umfassen. Der freie Wille der Patientin/ des Patienten hat oberste Priorität.
  • Die Nutzung der Schutzwirkung einer effektiven antiretroviralen Therapie hängt von der niedrigschwelligen Verfügbarkeit von HIV-Tests und -Beratung sowie vom Zugang zur antiretroviralen Therapie ab.
  • Aufgrund einer Vielzahl ungeklärter wissenschaftlicher, ethischer, rechtlicher und gesundheitsökonomischer Fragen hält der NAB es für verfrüht, ein Votum zum Einsatz einer Prä-Expositionsprophylaxe zu geben.“

Der Nationale AIDS-Beirat ist ein unabhängiges Beratungsgremium des Bundesministeriums für Gesundheit. Er ist interdisziplinär mit Expertinnen und Experten aus den Bereichen Forschung, medizinische Versorgung, öffentlicher Gesundheitsdienst, Ethik, Recht, Sozialwissenschaften, sowie Personen aus der Zivilgesellschaft zusammengesetzt.

Die Mitglieder des Nationalen AIDS-Beirats (Foto: BMG)
Die Mitglieder des Nationalen AIDS-Beirats (Foto: BMG)

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(Meldung Nationaler Aids-Beirat)

USA: Richtlinie empfiehlt antiretrovirale Therapie für alle HIV-Positiven

Die Leitlinien zur Behandlung der HIV-Infektion wurden in den USA aktualisiert. Empfohlen wird nun eine antiretrovirale Behandlung aller HIV-Positiven.

Mit der Aktualisierung werde u.a. den Feststellungen Rechnung getragen, dass fortdauernde HIV-Vermehrung schädliche Folgen habe; zudem solle dem positiven Effekt der antiretroviralen Therapie auf eine Verhinderung der HIV-Übertragung entsprochen werden.

Zentraler Satz: antiretrovirale Therapie werde allen HIV-Positiven empfohlen – „ART is recommended for all HIV-infected individuals.“ Die Stärke dieser Empfehlung variiere abhängig von der CD4-Zellzahl.

Die neue Richtlinie führt aus:

„Initiating Antiretroviral Therapy in Treatment-Naive Patients
The Panel updated its recommendations on initiation of ART in treatment-naive patients. The changes are primarily based on increasing evidence showing the harmful impact of ongoing HIV replication on AIDS and non-AIDS disease progression. In addition, the updated recommendations reflect emerging data showing the benefit of effective ART in preventing secondary transmission of HIV. The updated section includes more in-depth discussion on the rationale for these recommendations and on the risks and benefits of long-term ART.
The Panel’s recommendations are listed below.

  • ART is recommended for all HIV-infected individuals. The strength of this recommendationa varies on the basis of pretreatment CD4 cell count:
    – CD4 count < 350 cells /mm³ (AI)
    – CD4 count 350 to 500 cells / mm³ (AII)
    – CD4 count >500 cells/mm³ (BIII)
  • Regardless of CD4 count, initiation of ART is strongly recommended for individuals with the following conditions:
    – Pregnancy (AI) (see perinatal guidelines for more detailed discussion)
    – History of an AIDS-defining illness (AI)
    – HIV-associated nephropathy (HIVAN) (AII)
    – HIV/hepatitis B virus (HBV) coinfection (AII)
  • Effective ART also has been shown to prevent transmission of HIV from an infected individual to a sexual partner. Therefore, ART should be offered to patients who are at risk of transmitting HIV to sexual partners (AI [heterosexuals] or AIII [other transmission risk groups]).
  • Patients starting ART should be willing and able to commit to treatment and should understand the benefits and risks of therapy and the importance of adherence (AIII). Patients may choose to postpone therapy, and providers, on a case-by-case basis, may elect to defer therapy on the basis of clinical and/or psychosocial factors.“

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siehe auch:
ondamaris / Michèle Meyer 02.02.2012: Lasst uns aus der kollektiven Schockstarre des Verseuchtseins erwachen! Freut euch!
ondamaris / Ulrich Würdemann 22.07.2011: “treatment as prevention” – ein Konzept mit latent freiheitseinschränkenden Tendenzen?

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weitere Informationen:
U.S. Department of Health and Human Services 27.03.2012: Guidelines for the Use of Antiretroviral Agents in HIV-1-Infected Adults and Adolescents (pdf)
AidsInfo 26.03.2012: Guidelines for the Use of Antiretroviral Agents in HIV-1-Infected Adults and Adolescents – What’s New in the Guidelines?
POZ 28.03.2012: Revised U.S. Guidelines: HIV Treatment is Recommended for All People Living With HIV
aidsmap 29.03.2012: New US treatment guidelines recommend antiretroviral treatment for all people with HIV
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Lasst uns aus der kollektiven Schockstarre des Verseuchtseins erwachen! Freut euch!

MichèleZwei drei Gedankesprünge und Freudehüpfer, mehr nicht. Exakt 4 Jahre nach der Veröffentlichung des „swiss statement“ der eidgenössischen Komission für AIDS-Fragen EKAF titeln und reden wir immer noch von „Erleichterung“ mit Fragezeichen. Ich sage immer noch: FREUDE!

Muss ich euch wirklich lauthals ein Plädoyer für den Austausch von Körperflüssigkeiten, Gerüchen, dem Erleben von Haut und Haar halten? Ich mach das. Sofort!
Und darum FREUE ich mich über kondomloses Miteinander.

Was denkt ihr denn? Dass es mensch nur zusteht verhalten erleichtert zu sein und sich präventiv zu ducken vor der breit-um-sich-schlagenden Moralinkeule? Warum denn? Weil es einige gibt, die mit der Moralinkeule versuchen das Leben totzuschlagen, indem sie schnell sind beim Verallgemeinern, Verurteilen und Beschuldigen?
Nein danke.

Ich will über meine Freude nicht leugnen wieviel noch zu tun ist, weil Gerechtigkeit und FREUDE Zugang zu Information, harm reduction und Behandlung bedingt. Für alle! Wenn es um die Therapie-und Test-Freiheit aller geht. Da frage ich: Erleichterung? Ja. Mich dünkt sie haben längst einen Deal beschlossen, denn Volksgesundheit ist hoch im Kurs! Schon damals, 2008, nach unendlicher Vorlaufzeit.

Ich sage trotzdem, immer noch und immer wieder:FREUDE!
Ja ich freue mich. Ich bin so frei.

Nicht Erleichterung mit Fragezeichen. Wer mich dafür der versuchten schweren Körperveletzung oder versuchten Verbreitung einer schweren menschlichen Krankheit beschuldigen möchte, sei ebenso frei. Ich halte dem nebst meiner Verantwortung, auch meine Nicht-Infektiosität entgegen.

Trotzallem. Die Angst vor der Entängstigung treibt seltsame Blüten und so fehlen uns verbindliche übergeordnete gerichtliche Urteile, um uns auch darüber zu freuen? (aber wenn wir brav die Pillen schlucken und engmaschig zur Kontrolle antraben, dann bekommen wir bestimmt das Zückerchen Straffreiheit unter erfolgreicher Therapie)

Ich denke, es erleichtert den Druck auf „uns.“

Uns könnte die FREUDE! aber auch noch mehr zu Gerechtigkeit und Freiheit verführen. Das wünsch ich mir! Die Frechheit selbstbestimmt und vollwertig Verantwortung zu leben!

Lasst uns mal aus der kollektiven Schockstarre des Verseuchtseins erwachen!
Freut EUCH!

Ja! mich freut es doch auch, dass nach so langer Vorlaufzeit die Komission sich auf den Ast herausliess und die „ganze“ Welt schockte!
War höchste Zeit, „damals“, nicht? !

Der medizinische Fortschritt ist riesig, die Freude darf sein.

Beim grossen Rest bleibt die Erleichterung mit Fragezeichen – noch!

30. Januar 2012: vier Jahre EKAF-Statement

Am 30. Januar 2008 veröffentlichen Schweizer Forscher das EKAF-Statement – HIV-Positive seien unter erfolgreicher Therapie unter bestimmten Bedingungen sexuell nicht infektiös. Erregte Debatten folgten, heftiger Widerspruch und mühsame Kleinarbeit. Inzwischen hat sich die Aufregung gelegt – vieles ist längst Alltag geworden rund um’s EKAF-Statement. Oder?

30. Januar 2008: die Eidgenössische Kommission für Aids-Fragen (EKAF) veröffentlicht ihr Statement „HIV-infizierte Menschen ohne andere STD sind unter wirksamer antiretroviraler Therapie sexuell nicht infektiös“ (EKAF-Statement; siehe auch „keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs„).

Darin stellt die EKAF fest

„Eine HIV-infizierte Person ohne andere STD unter einer antiretroviralen Therapie (ART) mit vollständig supprimierter Virämie (im Folgenden: «wirksame ART») ist sexuell nicht infektiös, d. h., sie gibt das HI-Virus über Sexualkontakte nicht weiter, solange folgende Bedingungen erfüllt sind:
– die antiretrovirale Therapie (ART) wird durch den HIV-infizierten Menschen eingehalten und durch den behandelnden Arzt kontrolliert;
– die Viruslast (VL) liegt seit mindestens sechs Monaten unter der Nachweisgrenze (d. h., die Virämie ist supprimiert);
– es bestehen keine Infektionen mit anderen sexuell übertragbaren Erregern (STD).“

HIV-Positive können, sofern diese Bedingungen erfüllt sind, ungeschützten (kondomfreien) Geschlechtsverkehr machen? Kann denn das wahr sein? Darf man das sagen? Vertragen die Menschen das denn, wenn man ihnen dies sagt? Verhalten sie sich nicht nur noch verantwortungsloser? Werden die bisherigen Präventions-Botschaften (Kondome schützen“) nicht nur unnötig verwässert?

Aufgeregte Debatten folgten, viele Diskussionen, sachgerechte wie auch polemische Beiträge, ungläubiges Staunen wie auch Aufatmen der Erleichterung.

Und inzwischen?

Die aufgeregten Debatten haben sich längst gelegt. Vieles rund um das EKAF-Statement ist längst anerkannt. Und in die Realität von Leben mit HIV wie auch Aids-Prävention eingeflossen. Und wurde weiter gedacht, entwickelt zu Konzepten wie der Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP) oder dem Konzept „treatment als prevention“ (tasp), das ‚Time‘ erst jüngst zum dritt-bedeutendsten medizinsichen Durchbruch 2011 erklärte..

Die damaligen Reaktionen und Debatten hat ondamaris auf einer extra Seite gesammelt: „EKAF-Statement, Reaktionen und Folgen“ – viele ist noch heute lesenswert …

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Auch 2015 kann ‚Safer Sex ohne Kondom‚ noch Aufregungen verursachen …

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Wie war das 2008 und den den folgenden Monaten? Wie waren die ersten Reaktionen auf das EKAF-Statement?
Und – hat sich heute wirklich etwas verändert? Zum besseren – oder auch auf fragliche Weise? Was denkst du?

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siehe auch:
SF 10vor10 30. Januar 2008: Ungeschützter Sex trotz HIV (Video)

Kurz notiert … Dezember 2011

29. Dezember 2011: Ärzte im US-Bundesstaat Maryland haben eine erste vorläufige Riochtlinie erarbeitet zur Verwendung von HCV-Proteasehemmern bei mit HIV und Hepatitis C ko-infizierten Personen.

23. Dezember 2011: Das US-Wissenschaftsmagazin ‚Science‘ erklärtHIV-Therapie als Prävention‚ zum wissenschaftlichen Durchburch des Jahres.

20. Dezember 2011: Die US-Arzneimittelbehörde FDA hat eine flüssige Formulierung von Darunavir (Handelsname Prezista®) zugelassen.

Der Pharmakonzern Gilead hat auch bei der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA die Zulassugn einer neuen Kombi-Pille (Quad) aus Elvitegravir, Cobicistat, Emtricitabine und Tenofovir beantragt.

16. Dezember 2011: Der Pharmakonzern Gilead soll bei der US-Arzneimittelbehörde beantragt haben, die Kombinationspille aus Tenofovir und Emtricitabine (Truvada®)  für die Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP) zuzulassen.

„Wer Krebs oder AIDS hat, war einfach geistig nicht gut genug drauf“ – ist die Fraktionsgeschäftsführerin der Berliner ‚PiratenAnhängerin von Aids-Leugnern? Die Fraktion sieht darin kein Problem.

Das US-Unternehmen Salix bemüht sich um die US-Zulassung für ein neues Durchfall-Medikament. Cofrelemer soll, so der Zulassungs-Antrag, bei HIV-assoziierten Durchfällen eingesetzt werden.

Eine 32jährige Frau aus Betzdorf wurde zu sechs Monaten auf Bewährung verurteilt. Sie hatte einen Polizisten gebissen – der sich zudem aufgrund eines falschen Test-Ergebnisses fürchtete, mit HIV infiziert zu haben.

14. Dezember 2011: 114 Millionen US-$ brachte der Verkauf der Juwelen der im März 2011 verstorbenen US-Schauspielerin Elizabeth Taylor. Ein Teil des Erlöses kommt der Elizabeth Taylor Aids Foundation ETAF zugute.

07. Dezember 2012: Cobicistat, eine Substanz zum Boosten des Wirkstopffspiegels anderer Substanzen, hat sich in einer Phase-III-Studie laut Hersteller Gilead als nicht Ritonavir unterlegen erwiesen.

06. Dezember 2011: Die Pharmakonzerne Bristol-Myers Squibb (BMS) und Johnson & Johnson (J&J) vereinbaren eine Zusammenarbeit bei der Entwicklung von Medikamenten zur Behandlung der Hepatitis C.

01. Dezember 2011: Die International Aids Society IAS wählt Melbourne (Austtralien) als Austragungsort der XX. International Aids Conference.

Am 30. November 2011 stirbt der Pastor und Klinik-Seelsorger Bert van der Post. 1985 gründete er an der Universitätsklinik Köln die erste Betreuungsgruppe für Aids-Patienten.

Time: HIV- ‚treatment as prevention‘ drittbedeutendster medizinischer Durchbruch 2011

HIV-Medikamente zur HIV-Prävention (treatment as prevention) – für das US-amerikanische Magazin ‚Time‘ der dritt-bedeutendste medizinische Durchbruch 2011.

‘treatment as prevention’  ist eine Umsetzung des EKAF-Statements und seiner Konsequenzen auf die Prävention: wenn bei HIV-Positiven durch eine erfolgreiche antiretrovirale Therapie (ART) die Infektiosität drastisch sinkt – müsste es dann nicht möglich sein, durch eine möglichst weitreichende und umfassende Behandlung aller HIV-Positiven die Zahl der HIV-Neuinfektionen nahe Null zu bringen? Und müssten die gleichen Medikamente nicht vielleicht auch geeignet sein, Menschen die bisher nicht mit HIV infiziert sind, vor einer Infektion zu schützen?

Zwei Studien zeigten 2011, dass mit antiretroviraler Medikation als Prophylaxe eine gewisse Schutz-Wirkung erzielt werden kann (siehe u.a. „Studie bestätigt: wirksame Therapie senkt HIV-Übertragungs-Risiko um 96% – Pillen zur Prävention?„).

Das US-anmerikanische Magazin ‚Time‘ wählte nun ‚treatment as prevention‘ zum dritt-bedeutendsten medizinischen Durchbruch des Jahres 2011. Time sieht hierin eine Chance, die weltweite HIV-Epidemie in den Griff zu bekommen:

„The results add to the evidence that using ARVs could help control the still growing AIDS epidemic in the developing world, where most new infections occur in heterosexual couples. Public health officials face significant obstacles in making ARVs widely available in these regions, but if they can, they might finally be able to curb the epidemic.“

Das Konzept ‚treatment as prevention‘ ist nicht unumstritten (siehe auch Der Teilzeitblogger: Therapiezwang – Volksgesundheit vs. Entscheidungsfreiheit“). Es gibt zahlreiche Hinweise, dass das Konzept im realen Leben nicht so einfach zu realisieren ist. Welch enge Grenzen in der Praxis selbst in wohlhabenden Industriestaaten derzeit gesetzt sind, zeigten erst jüngst Daten aus den USA – nur 50% der HIV-Positiven in den USA erhalten regelmäßige Betreuung, nur 28% haben eine Viruslast unter der Nachsweisgrenze.

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weitere Informationen:
Time: Top Ten Medical Breakthroughs: 3. HIV treatment as prevention
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„treatment as prevention“ – Konzept mit latent freiheitseinschränkenden Tendenzen?

Aids-Forscher, Epidemiologen, Gesundheits-Politiker, Pharma-Industrie – sie alle diskutieren zunehmend und zunehmend begeistert ein neues Präventions-Konzept, ‚treatment as prevention‘. „treatment as prevention. Die Erfolge von HPTN052 wurden diskutiert; was sind die nächsten Schritte?“, wird schon begeistert auf der 6. Internationalen Konferenz der IAS in Rom gefragt (was manchem Beobachter zynisch erscheinen mag, wenn gleichzeitig Millionen HIV-Positiver weltweit die Aids-Medikamente, die sie dringend benötigen, nicht erhalten).

‚treatment as prevention‘  ist eine Umsetzung des EKAF-Statements und seiner Konsequenzen auf die Prävention: wenn bei HIV-Positiven durch eine erfolgreiche antiretrovirale Therapie (ART) die Infektiosität drastisch sinkt – müsste es dann nicht möglich sein, durch eine möglichst weitreichende und umfassende Behandlung aller HIV-Positiven die Zahl der HIV-Neuinfektionen nahe Null zu bringen?

Für die Pharma-Industrie scheint ein Traum wahr zu werden – Gesunde nehmen Medikamente. Und auch in Positiven- und Aidshilfe-Kreisen werden dieses Konzept und seine potentiellen Konsequenzen diskutiert. Eine dringend notwendige Debatte. Darf man aus Nebenwirkungen der ART „präventives Kapital“ schlagen?, fragte das DAH-Blog vor einigen Tagen. Corinna Gekeler und Karl Lemmen vertraten pro und contra, versuchten jeweilige Argumente aufzuzeigen.

Ein Gedanke wird meines Erachtens in der Debatte bisher zu wenig, und von Menschen mit HIV zu wenig beachtet: wohnt dem Konzept „treatment as prevention“ gravierende Beschränkung von Freiheitsrechten inne?

Warum dies?

Damit „treatment as prevention“ wirklich funktionieren kann (sprich: die Zahl der HIV-Neuinfektionen deutlich gesenkt wird), sind zahlreiche Prämissen zu erfüllen:

  • die Rate an HIV-Tests muss deutlich gesteigert werden, und
  • die Zahl der nicht als solche diagnostizierten Menschen mit einer HIV-Infektion muss auf ein Minimum reduziert werden, und
  • die Menschen, bei denen eine HIV-Infektion diagnostiziert wird, müssen möglichst alle und möglichst sofort an HIV-Behandlungszentren angebunden werden, und
  • sie müssen alle möglichst zügig antiretrovirale Therapie erhalten, und
  • sie müssen sämtlich angehalten werden, diese Medikamente auch entsprechend den Richtlinien einzunehmen, und
  • ihre Gesundheit und Werte müssen regelmäßig überwacht werden, um sicherzustellen, dass ihre Viruslast unter der Nachweisgrenze bleibt.

Wenn nur eine dieser Prämissen nicht erfüllt werden kann, gerät das Ziel einer deutlichen Senkung der HIV-Neuinfektions-Rate bereits in’s Wanken: wenn nur eine Bedingung suboptimal erfüllt ist, wird die Zahl der HIV-Positiven, die aufgrudn von ART nicht-infektiös sind, zu deutlich sinken.
Nur wenn alle oben genannten Prämissen erfüllt sind, wird sich mit „treatment as prevention“ die Zahl der HIV-Neuinfektionen deutlich senken lassen.

Doch – zu welchem Preis?

Was wird aus

  • dem Recht, als HIV-Positiver selbst zu entscheiden, ob ich eine Therapie beginnen will?
  • dem Recht, eine Therapie erst dann zu beginnen, wenn sie medizinisch erforderlich ist – und  nicht, wenn und wann es „der Volksgesundheit dient“?
  • dem Recht, eine Therapie zu unterbrechen (unabhängig von medizinischer Sinnhaftigkeit – was wird aus dem Recht, es aus welchen Gründen auch immer als Patient zu tun)?
  • dem Recht, vor dem beginn einer ART zunächst andere Verfahren z.B. aus dem Bereich der alternativ-komplementären Medizin ‚auszuprobieren‘?
  • um nur einige Beispiele zu nennen …

Und wenn ‚treatment as prevention‘ salonfähig wird, sich breit durchsetzt – was wird aus denjenigen HIV-Positiven, die sich widersetzen? Die nicht oder noch nicht Medikamente nehmen wollen? Werden sie zu den neuen Parias der HIV-Epidemie?

Die Freiheit droht bei diesem Konzept auf der Strecke zu bleiben – insbesondere auch Freiheiten, die für Positive heute eine Selbstverständlichkeit scheinen.

Dies sind nur einige erste Fragen an das Konzept ‚treatment as prevention‘, und vermutlich nicht die letzten.

Schon diese ersten Fragen zeigen eines:
es ist in massivem Interesse von uns HIV-Positiven, sich mit diesem Konzept auseinander zu setzen, Positionen zu diskutieren und finden und sie zu vertreten – bevor andere vollendete Tatsachen schaffen.

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siehe auch
Der Teilzeitblogger 26.07.2011: Therapiezwang: Volksgesundheit vs. Entscheidungsfreiheit!

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PrEP: Aids und die Rolle der Pharma-Industrie – ein Traum wird wahr …

PrEP: Aids und die Rolle der Pharma-Industrie – ein Traum wird wahr …

Aids-Organisationen und Aids-Medikamente herstellende Pharma-Industrie arbeiten oftmals eng zusammen. Zu eng? Einige Aids-Organisationen bemühen sich, kritische Punkte (wie das potentielle Risiko von Einflussnahmen auf Inhalte und Positionen) zu umgehen, zu thematisieren oder mit ihnen gezielt umzugehen, z.B. indem sie entsprechende Richtlinien erarbeiten. Andere haben keinerlei Regelungen. Manchmal scheint selbst das entsprechende Problembewußtsein gering ausgeprägt zu sein.

Doch selbst wenn Richtlinien zum Verhältnis von Aids-Organisationen und Pharma-Industrie vorhanden sind: diese lösen das strukturelle Problem nicht: Aids-Organisationen (die i.d.R. auch in der HIV-Prävention engagiert sind) und Aids-Medikamenten-Hersteller (die eher an der Behandlung derer verdienen, die sich infiziert haben) stehen auf „getrennten Seiten des Tisches“, haben im Kern völlig unterschiedliche, wenn nicht konträre Interessen.

Der langjährige Aids-Aktivist Mike Barr (u.a. lange Herausgeber von ‚TAGline‘ und ‚POZ‘-Autor) wies 2009 in einem Interview mit dem Schwulen-Magazin ‚Frontiers LA‘ (online auf critpath) auf diesen Interessenkonflikt hin, der dem Verhältnis von Aids-Organisationen und Pharmaindustrie innewohnt:

„Successful prevention efforts are seen as ‘threats’ to earnings, and the leitmotif sprinkled over and over again throughout their strategic plans is ‘guarding against sales erosion.’ These are the same folks who fund and fly and feed just about every high-profile AIDS research, every AIDS clinician, every AIDS educator, every AIDS activist, every AIDS foundation in this country. If that doesn’t make the hair stand up on the back of your neck …“

Erfolgreiche HIV-Prävention bedroht potentiell den Umsatz und damit den Gewinn der Hersteller von Aids-Medikamenten. Ein nahezu nie offen ausgesprochener, zudem selten thematisierter Konflikt zwischen Pharmaindustrie und Prävention.

Doch diesen strukturellen Konflikt scheint die Pharmaindustrie bald ‚elegant umschifft‘ zu haben: indem sie danach trachtet, auch die Prävention zu übernehmen – mit ihren Medikamenten.

„treatment as prevention“ und PrEP (Prä-Expositions-Prophylaxe): Aids-Medikamente werden eingesetzt bei ‚Gesunden‘, sprich  Nicht-HIV-Infizierten.

Ein Traum vieler Pharma-Marketing-Manager wird wahr. Schließlich ist das Potential der Gesunden viel größer als das der Kranken – und damit auch der potentielle Umsatz …

Und der strukturelle Konflikt zwischen Präventions-Organisationen und Arzneimittel-Herstellern wäre auch gelöst – zugunsten der Pharma-Industrie …

… es sei denn, die Geschichte von der Pharma-Industrie und den Pillen der Prävention nimmt noch eine andere Wendung …

96% Schutz – eine Revolution, für HIV-Positive wie Negative

Effektive antiretrovirale Therapie senkt das Risiko einer HIV-Übertragung zu 96% -was lange nicht wahr sein durfte, ist nun durch eine internationale Studie bestätigt und von UNAIDS belobigt.

Diese Nachricht ist „ein Hammer“, sie wird das Leben mit HIV wie auch die HIV-Prävention verändern.

„Studie abgebrochen“, diese Nachricht ist – aus verschiedensten Gründen – des öfteren zu hören. Dieser Abbruch allerdings wird weitreichende Konsequenzen haben.

Noch vor wenig mehr als drei Jahren wurde die EKAF weit und breit gescholten, als sie ihr „EKAF-Statement“ (keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs) publizierte.

Die Deutsche Aids-Hilfe geriet zunächst massiv in die Kritik, als sie die Ergebnisse des EKAF-Statements nicht nur wiedergab, sondern in ihrem Positionspapier (HIV-Therapie und Prävention – Positionspapier der Deutschen AIDS-Hilfe) auch zu einer Bewertung kam – die zur „Viruslast-Methode“ führte.

Beide dürfen sich nun im nachhinein bestätigt fühlen, durch eine randomisierte kontrollierte Studie.

Eine wirksame antiretrovirale Therapie verhindert eine HIV-Übertragung zu 96%, zeigt die jetzt vorzeitig abgebrochene Studie. Damit hat antiretrovirale Therapie eine Schutz-Wirkung wie Kondome (genau betrachtet, sogar eine bessere).

„Kondome schützen“, heißt es schon bisher, und dies gilt auch weiterhin. Nun ergänzt um „wirksame Pillen auch“.
Und bei beiden Methoden werden wir lernen müssen, ehrlicher umzugehen mit der Frage,was heißt „96%“, und wie gehen wir mit den verbleibenden vier Prozent um.

Und: nun gilt es umso mehr, sicherzustellen, dass HIV-Positive weltweit möglichst umfassend die Möglichkeit haben, diese Option zu nutzen – was auch heißt: antiretrovirale Therapie muss weltweit zu bezahlbaren Konditionen verfügbar sein.

Und: diese Option muss immer genau dies sein: eine Option, eine Handlungs-Alternative, zu der sich die Beteiligten informiert und frei entscheiden können. Ohne Druck, ohne Zwang zu „treatment as prevention“.

Pillen wirken, senken das Risiko einer HIV-Übertragung drastisch. HIV-Positive und HIV-Negative sowie Ungetestete dürfen sich freuen, über eine neue hochwirksame Möglichkeit, das Risiko von HIV-Übertragungen deutlich zu senken.

Studie bestätigt: wirksame Therapie senkt HIV-Übertragungs-Risiko um 96% – Pillen zur Prävention? (akt.3)

Das Risiko, HIV auf eine bisher nicht mit HIV infizierte Person beim Sex zu übertragen wird durch effektive antiretrovirale Therapie um 96% reduziert. Dieses Ergebnis einer US-Studie wird von UNAIDS als ‚Durchbruch für eine neue Prävention‘ gesehen.

Die Studie zielte darauf ab herauszufinden, ob ein sofortiger Therapiebeginn im Vergleich zu einem späteren Therapiebeginn geeignet ist, das Risiko einer HIV-Übertragung auf den HIV-negativen Partner zu senken. Zudem sollte der etwaige Nutzen für die HIV-infizierte Person selbst bestimmt werden.

Die Studie HPTN 052 untersuchte 1.763 sero-differente Paare (ein Partner HIV-negativ, ein Partner HIV-positiv). Die weit überwiegende Mehrzahl der untersuchten Paare war heterosexuell (97%). Die Positiven (mit CD4-Werten zwischen 350 und 500 zu Studienbeginn) wurden in zwei Gruppen eingeteilt, eine Gruppe mit sofortigem Beginn einer antiretroviralen Therapie, die andere Gruppe mit Therapiebeginn ab einer CD4-Zellzahl von 250 oder Aids-definierenden Erkrankungen. Die Studie fand an 13 Zentren in Afrika, Asien und Amerika statt.

In der zweiten Gruppe (Therapiebeginn später) traten unter 877 Paaren 27 HIV-Übertragungen auf (Übertragung innerhalb des jeweiligen Paares durch genetische Untersuchungen bestätigt). In der Gruppe mit sofortigem Therapiebeginn kam es zu einer (1) HIV-Übertragung.

Die Forscher folgerten, eine sofortige antitretrovirale Behandlung hochgradig den nicht infizierten Partner vor einer HIV-Übertragung schütze:

„The DSMB [Data and Safety Monitoring Board; d.Verf.] concluded that initiation of ART by HIV-infected individuals substantially protected their HIV-uninfected sexual partners from acquiring HIV infection, with a 96 percent reduction in risk of HIV transmission.“

Sie werteten dies als eindeutigen Hinweis, dass ein früherer Therapiebeginn das Übertragungs-Risiko senke:

„This is the first randomized clinical trial to definitively indicate that an HIV-infected individual can reduce sexual transmission of HIV to an uninfected partner by beginning antiretroviral therapy sooner.“

Die Forscher unterbrachen die ursprünglich bis 2015 geplante Studie. Beteiligte Ärzte und Patienten werden über die Ergebnisse informiert, auch allen HIV-Positiven in der Gruppe mit späterem Therapiebeginn werden antiretrovirale Medikamente angeboten.

Dr. Anthony Fauci, Direktor des NIAID National Institute of Allergy and Infectious Diseases (das die Studie finanzierte), betonte die Studie zeige, dass ein früherer Therapiebeginn einen wesentlichen Einfluss auf die Reduzierung der HIV-Übertragung haben könne:

„Previous data about the potential value of antiretrovirals in making HIV-infected individuals less infectious to their sexual partners came largely from observational and epidemiological studies. This new finding convincingly demonstrates that treating the infected individual — and doing so sooner rather than later — can have a major impact on reducing HIV transmission.“

Auch die HIV-positiven Partner profitierten von früherem Therapiebeginn, so die Studie – es seien signifikant weniger Erkrankungen aufgetreten.

UNAIDS bezeichnete die Studienergebnisse in einer Stellungnahme als „bahnbrechend“. Michel Sidibé, Generaldirektor von UNAIDS; sagte dies stelle eine Revolution für die Prävention dar und mache antiretrovirale Therapie zu einer neuen Präventions-Möglichkeit („treatment as prevention“) mit Priorität. Nun müsse sichergestellt werden, dass Paare die Möglichkeit hätten, antiretrovirale Therapie als eine Präventionsmethode zu nutzen – und dass sie Zugang (zu den Medikamenten) hätten:

„This breakthrough is a serious game changer and will drive the prevention revolution forward. It makes HIV treatment a new priority prevention option.
Now we need to make sure that couples have the option to choose Treatment for Prevention and have access to it.“

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Aktualisierung
12.05.2011
, 23:00: „Auch gleichgeschlechtlicher Paare brauchen jetzt dirngend Antworten, kommentiert Oriol R. Gutierrez Jr., Direktor beim US-Positiven-Magazin POZ die Aussage der Forscher, Ergebnisse ihrer Studie ließen sich nicht ohne weiteres auf Schwule übertragen. Für sie liefere die jetzige Studie Hoffnungen, aber keine wissenschaftlichen Beweise.

13.05.2011, 09:00: In einer Stellungnahme betonte NIAID-Direktor Fauci, dass die bisherigen Erkenntnisse zur Senkung des HIV-Übertragungsrisikos durch wirksame Therapie aus Beobachtungs- und epidemiologischen Studien stammten. Nun sei nachgewiesen, dass eine Behandlung des Individuums, und zudem eine frühzeitige, einen wesentlichen Einfluss auf die Reduzierung des HIV-Übertragungsrisikos haben könne.
18:30: Armin Schafberger, Medizin-Referent der Deutschen Aids-Hilfe, kommentiert „Sie [Menschen mit HIV; d.Verf.] haben nun Gewissheit, dass die Therapie ihre Partner zuverlässig schützt. Das haben wir zwar schon gewusst, die Studie untermauert dieses Wissen aber nun mit klaren Zahlen.“

14.05.2011, 08:30: Die Ergebnisse der Studie werden Einfluss auf die neuen Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation WHO haben, äußert WHO-Generaldirektorin Margaret Chan laut SZ.
Warum sind kaum Daten für Schwule produziert worden? „Wir hätten uns eine große Zahl von Männern als Versuchspersonen gewünscht, aber sie waren einfach nicht interessiert“, zitiert die NYT Myron Cohen von der University of North Carolina in Chapel Hill.
Und welche Folgen hat die Studie? Michel Sidibé, UNAIDS-Generaldirektor: „Die Unterscheidung zwischen Behandlung und Vorbeugung ist nicht real“

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weitere Informationen:
HIV Prevention Trials Network 12.05.2011: Initiation of Antiretroviral Treatment Protects Uninfected Sexual Partners from HIV Infection (HPTN Study 052) (pdf)
UNAIDS 12.05.2011: Groundbreaking trial results confirm HIV treatment prevents transmission of HIV
aidsmap 12.05.2011: Treatment as prevention works: randomised study shuts 3 years early after showing 96% reduction in risk of transmission
poz and proud 12.05.2011: Bevestiging
poz 12.05.2011: Study: ARV Treatment Reduces HIV Transmission 96 Percent
SpON 12.05.2011: Schutz vor HIV – Medikamente senken Aids-Ansteckungsrisiko
POZ Blogs / Oriol R. Gutierrez Jr. 12.05.2011: Same-Sex Serodiscordant Couples Need Answers
New York Times 12.05.2011: Early H.I.V. Therapy Sharply Curbs Transmission
Advocate 12.05.2011: HIV: Early Treatment Could Reduce Partner Transmission
NIAID 12.05.2011: Treating HIV-infected People with Antiretrovirals Protects Partners from Infection
DAH 13.05.2011: Antiretrovirale Therapie schützt hoch effektiv vor HIV-Übertragung
alivenkickin 13.05.2011: „Therapie als Prävention? Ja!“ . . . Ohne Druck, Ohne Zwang
Pietro Vernazza 12.05.2011: EKAF-Statement durch randomisierte Studie bestätigt
SZ 13.05.2011: Früher Medikamenteneinsatz schützt Partner vor HIV
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Aids-Medikamente als Prävention: ‚test and treat‘ im realen Leben nicht so einfach wie gedacht?

HIV-Medikamente als Mittel der Aids-Prävention – ein viel diskutiertes Konzept in den letzten Monaten.  Eine Studie aus China zeigt, dass im realen Leben manchmal einiges anders laufen kann als in der Theorie erwartet …

‚Therapie als Prävention‘ (treatment as prevention), dieses Konzept geht davon aus, dass dadurch dass möglichst HIV-Positive erfolgreiche antiretrovirale Therapien einnehmen, aufgrund der stark reduzierten Infektiosität auch die HIV-Übertragungsrate sinken müsste. Gedankliche Basis dieses Konzepts ist das so genannte ‚EKAF-Statement‘ (keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs).

Eine Studie aus China, die in der 1. Oktober-Ausgabe des Journal of Acquired Immune Deficiency Syndromes publiziert ist, wirft nun die Frage auf, ob dieses aufgrund theoretischer Überlegungen entwickelte Konzept sich im realen Leben ohne weiteres umsetzen lässt.

In der Studie lag die HIV-Transmissionsrate bei heterosexuellen serodifferenten Paaren (ein Partner HIV-positiv, ein Partner HIV-negativ) bei 5% – im Vergleich zu 3% bei anderen Paaren.

Die Studie fand in der chinesischen Provinz Henan statt – einer Region, die u.a. durch den ‚Blutspende-Skandal‘ bekannt wurde: durch unsaubere Verfahren bei kommerziellen Blutspenden wurden Tausende Chinesinnen und Chinesen in der Region mit HIV infiziert, als sie zum Gelderwerb Blut spendeten.
Aids-Aktivisten wie der mit dem Sacharow-Preis geehrte Hu Jia oder der jüngst festgenommene Tian Xi, die auf diese Missstände hinwiesen und sich für HIV-Infizierte einsetzten, wurden von den chinesischen Behörden kriminalisiert und verfolgt.

An der nun publizierten Studie nahmen 1.927 serodifferente Paare teil. Für die Jahre 2006 bis 2008 wurde die HIV-Inzidenz retrospektiv analysiert; die Teilnehmer wurden hinsichtlich ihres HIV-Schutzverhaltens befragt.

Dr. Myron Cohen (Foto: UNC)
Dr. Myron Cohen, Leiter der Studie (Foto: UNC)

Insgesamt konnten 4.918 Personen-Jahre ausgewertet werden. 84 Serokonversionen traten auf (HIV-Infektionen) – eine Rate von 4%.

91% der Paare, in denen eine HIV-Infektion auftrat, berichteten vom Geschlechtsverkehr in den letzten drei Monaten (im Vergleich zu 83% in der Gruppe, in der keine HIV-Infektion auftrat).
Die Häufigkeit von Geschlechtsverkehr korrelierte eindeutig mit dem Infektionsrisiko (fünffach höheres Transmissions-Risiko bei Paaren, die viermal oder häufiger Sex hatten im Vergleich zu Paaren mit niedrigerer Sex-Häufigkeit). Nur sieben Personen berichteten Sex außerhalb der Beziehung (darunter eine Serokonversion). Eine Person berichtete Drogengebrauch (keine Serokonversion); keiner der männlichen Teilnehmer berichtete von Sex mit anderen Männern.

1.369 Studienteilnehmer nahmen antiretrovirale Medikamente ein (80%); Daten zur Viruslast lagen nicht vor. Bei den Studienteilnehmern, die Medikamente nahmen, lag die HIV-Transmissionsrate bei 5%, bei denen ohne Medikamente bei 3% (Unterschied nicht signifikant).

Der Hypothese ‚Therapie als Prävention‘ folgend, wäre bei den behandelten Studienteilnehmern eine wesentlich niedrigere Transmissionsrate zu erwarten gewesen als bei den unbehandelten.

Die Forscher fanden heraus, dass bei denjenigen behandelten Teilnehmern, die ihre im Verlauf der Studie ihre Therapie wechselten, die Transmissionsrate niedriger war als bei denjenigen, die durchgehend die gleiche Therapie erhielten.

„Wird antiretrovirale Therapie auch unter den Bedingungen des realen Lebens geeignet sein, die HIV-Übertragungsrate zu senken?“, fragte der Leiter der Studie, Dr. Myron Cohen (University of North Carolina School of Medicine). Er halte es für klug, diese Frage zunächst zu beantworten, bevor Strategien wie „test and treat“ mit der Hoffnung auf einen positiven Effekt für die Bevölkerung breit angewendet werden.

Die Autoren vermuten, dass eine schlechte Compliance (Genauigkeit und Zuverlässigkeit der regelmäßigen Einnahme der Medikamente) eine der Ursachen des überraschenden Ergebnisses sein könnte.

weitere Informationen:
Cohen, Myron S MD: HIV Treatment as Prevention: To be or not to be? in: J Acquir Immune Defic Syndr, 55, 137-8, 2010 (online, kostenpflichtig)
aidsmap 07.10.2010: Does ‚real world‘ study cast doubt on use of HIV treatment as prevention?
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