Schweiz: HIV-positive Frau zu zwei Jahren Haft verurteilt (akt.2)

Das Obergericht Zürich hat heute (23.03.2012) eine HIV-positive Frau zu zwei Jahren Haft verurteilt. Die 33-jährigen Frau wurde wegen mehrfach versuchter schwerer Körperverletzung und mehrfach versuchten Verbreitens von menschlicher Krankheit verurteilt.

Die aus Kenia stammende Frau soll ab 2005 mit zwei Männern über einen Zeitraum von drei Jahren Sex ohne Verwendung von Kondomen gehabt haben. Ein heute 30 Jahre alter aus Sierra Lerone stammender Mann sowie ein heute 34-jähriger Mann aus Dominica sollen sich dabei mit HIV infiziert haben.

In erster Instanz war die Frau bereits im Juli 2011 vom Bezirksgericht zu drei Jahren bedingter Freiheitsstrafe verurteilt worden. Sie habe von ihrer HIV-Infektion gewusst, ihre Sexpartner jedoch nicht informiert. Damals drohte ihr die Abschiebung – das Urteil wurde jedoch nicht rechtskräftig, da sie Berufung einlegte.

Das Obergericht Zürich vermeldet auf seiner Internetseite zu der Verhandlung (Geschäftszeichen SB110627-O):

„Die Beschuldigte habe den Geschädigten 1 nicht über ihre HIV-Infektion aufgeklärt, obwohl sie mit ihm regelmässig ungeschützten Geschlechtsverkehr gehabt habe. Den Geschädigten 2 habe sie durch ungeschützten Geschlechtsverkehr mit HIV angesteckt, obwohl sie um ihre Infektion gewusst habe.
Berufung der Beschuldigten gegen ein Urteil des Bezirksgerichtes Zürich, 10. Abteilung, vom 7. Juli 2011 (DG110018)“

Die Frau hatte im Oktober 2005 bei einem Krankenhaus-Aufenthalt von ihrer HIV-Infektion erfahren. Es tue ihr leid, dass die Männer mit HIV infiziert seien, betonte sie im Prozess erneut. Allerdings habe sie ihre Sexpartner aufgefordert, Kondome zu benutzen, dies hätten diese jedoch unterlassen.

Ob die Frau antiretrovirale Medikamente einnimmt, und ob diese Therapie erfolgreich (Viruslast unter der Nachweisgrenze) ist, wird in den bisherigen Medienberichten nicht erwähnt.

In der aktuellen Verhandlung vor dem Obergericht wurde nur der ‚zweite‘ Fall des Mannes aus Dominica verhandelt.

Erst jüngst hatte die Deutsche Aids-Hilfe gefordert, die Strafbarkeit der HIV-Übertragung zu beenden und eine Resolution mit dem Titel “Keine Kriminalisierung von Menschen mit HIV!”verabschiedet. Internationale Experten hatten Anfang März 20121 die Deklaration von Oslo verfasst, die inzwischen von annähernd 1.300 Personen und Organisationen (darunter auch die Deutsche Aids-Hilfe) unterzeichnet wurde.

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Aktualisierung
23.03.2012: Laut Artikel des ‚Tagesanzeiger‘ haben sich beide Männer schon vor Oktober 2005 mit HIV infiziert – demnach bevor die Frau selbst von ihrer HIV-Infektion erfuhr.
24.03.2012: Die NZZ bemerkt „Der Infizierte hatte mehrere Male geltend gemacht, er wünsche nicht, dass seine Partnerin bestraft werde. Vermutlich ist ihm bewusst, was auch in Rechtsschriften zum Thema HIV und Strafrecht nachzulesen ist: «It takes two to tango.»“
20 minuten online bemerkt „Für eine günstige Prognose sprach vor allem die Tatsache, dass die Frau ihr Sexualverhalten seit der Strafuntersuchung radikal geändert hat.“
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weitere Informationen:
Tagesanzeiger 23.03.2012: Zwei Jahre Haft wegen Ansteckung mit Aids
Berner Zeitung 23.03.2012: Zwei Jahre Haft wegen Ansteckung mit Aids
NZZ 24.03.2012: HIV-Übertragung bestraft: Infizierte Frau beharrt nicht auf Kondomgebrauch – bedingte Freiheitsstrafe
termabox 24.03.2012: Wenn das ungewollte „Kind“ plötzlich HIV heißt
29 minuten online 24.03.2012: Frau steckt Liebhaber mit HIV an
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4 Gedanken zu „Schweiz: HIV-positive Frau zu zwei Jahren Haft verurteilt (akt.2)“

  1. Wenn Männer kein Bewusstsein für Eigenverantwortung beim Sex haben und sich als Kondommuffel gefallen, hat das uner Umständen einen Preis.

    Wird eine Frau durch ungeschützen Sex schwanger und bekommt das Kind, hat der Verzicht der Eigenverantwortung (hier: Kondomverwendung) den Preis der unbeabsichtigten Elternschaft des Mannes mit Pflicht zur Unterhaltszahlung.

    Im Falle des Verzichts auf den Schutz vor einer Ansteckung mit einem Krankheitserreger ist der Preis unter Umständen das Leben mit einer HIV-Infektion.

    Ich habe es noch nicht erlebt, dass ein Gericht einen Mann von der Pflicht zur Unterhaltszahlung freispricht, weil er seiner Eigenverantwortung zur Schwangerschaftsverhütung nicht nachgekommen ist und als Konsequenz ein Kind entstanden ist.

    Selbstverständlich wird er auf seine Eigenverantwortung verpflichtet und hat er seinen Preis zu zahlen. Warum bei HIV nicht?

  2. Beim Lesen dieses Berichts überkommt mich das Gefühl, dass hier mehr als eine Sache nicht stimmen kann.

    Bereits in den 80er Jahren wurde vermutet, dass eine Frau die „epidemiologische Sackgasse“ sei. So komisch das klingt, es ist nicht frauenfeindlich, bedeutet schlicht: Die Frau kann die HIV-Infektion erwerben, jedoch kaum weitergeben (wohl noch über den Geburtskanal und die Muttermilch).
    Männer müssten schon eine Wunde am Penis haben, aber welcher Mann denkt sich: „Geil, eine Wunde am Pimmel, da gehe ich gleich mal knattern“?
    Männer können sich an einer Frau also kaum infizieren, wenn sie Kondome verwenden, schon gar nicht. Wer unsafen Sex hat, hat dies i.d.R. mehr, als einmal und so ensteht auch die Frage, welcher Zahn einen geritzt hat, wenn man mit dem Arsch auf einer Kreissäge saß?

    Unwissenheit schützt vor Strafe, das an sich ist doch schon eine perverse Situation!!!

  3. Lieber Thomas,

    erstmal die medizinische Richtigstellung, Männer können sich sehr wohl beim Vaginalverkehr infizieren, und es braucht nicht mal eine Wunde dazu. Dieses Gerede von Mikrowunden stammt aus der Frühzeit der Aidsforschung, als man die Bedeutung von epithelen CD4-Rezeptoren noch nicht kannte. Außerdem gibt es Varianten in der Übertragbarkeit, so ist das „europäische“ HIV-1 M-B wesentlich weniger infektiös im Vaginalgewebe als andere Subtypen, was zum Teil auch die geringe heterosexuelle Prävalenz in Europa demonstriert (caveat, die offiziellen Übertragungswege sind meist Eigenangaben, aufschlussreicher ist das Geschlechterverhältnis). Aber auch eine wesentlich geringere Infektionsmöglichkeit ist eine, und eine Wahrscheinlichkeit im Bereich von 1-1000 bis 1-5000 für den einführenden Vaginalverkehr pro Kontakt kann man zwar durchaus mit „kaum“ bezeichnen, sie ist aber durchaus real und kann durch Kofaktoren, die das Risiko gerne mal gleich um den Faktor 10 oder höher beeinflussen, stark erhöht sein.

    Die Aussage, dass Unwissenheit vor Strafe schütze, mag richtig sein. Pervers ist aber die Tatsache, dass es für einvernehmlichen Sex nur für einen Strafe gibt, nämlich denjenigen, der sich vorher infiziert hat. Heute weiß jeder Mensch von den Gefahren, und kein Vater kann sich herausreden, die Frau habe ihm gesagt, sie nehme die Pille. Dort gilt die Rechtsprechung, dass wer Sex hat, auch die Verantwortung für die Folgen trägt. UND ZWAR BEIDE! Wer ohne Gummi ficken will und z.B. bei einer flüchtigen Bekanntschaft eine offene Antwort auf die Frage: „Du bist doch gesund, oder?“ erwartet, hat es einfach nicht anders verdient, zumal andere Person es z.B. tatsächlich noch nicht weiß.

  4. Lieber Freigeist,

    zur medizinischen Diskussion, sicher gibt es bei aktivem OV/AV ein theoretisches Risiko. In der Praxis jedoch spielt es kaum eine Rolle. Ich habe in 26 Jahren AIDS-Hilfe natürlich die Betroffenen auch kennengelernt und über die Infektionswege gesprochen und jeder, der als Infektionsweg „heterosexuell“ angegeben hat, hat über die Zeit und wachsendes Vertrauen dann doch intravenösen Drogengebrauch oder passiven AV mit anderen Männern eingeräumt.

    Viele Menschen schämen sich einfach bei der Frage nach dem Infektionsweg einzugestehen, dass sie sich von anderen Männern haben pimpern lassen. Natürlich bin ich auch der Frage nachgegangen, warum den in Afrika so viele heterosexuelle Menschen infiziert sind, denn ich gehe kaum davon aus, dass sich die Afrikaner schwuler verhalten, als Westeuropäer.

    Eine Ärztin, die dort jahrelang gearbeitet hatte, erklärte es mir schlüssig: Hauterkrankungen, parasitäre Erkrankungen und Geschlechtskrankheiten bleiben zumeist unbehandelt, da es an Geld und/oder Infrastruktur zur Behandlung mangelt. Zugleich bleiben HIV-Infektionen unbehandelt und es gibt reihenweise verletzungsanfällige Sexualpraktiken (Dry Sex= ausreiben der Vagina mit Sand, Vergewaltigungen), so dass auch Männer eine gute Chance haben, sich an einer Frau zu infizieren.

    Ich habe in 26 Jahren AIDS Hilfe Arbeit auch keinen rein aktiven Schwulen kennengelernt, der sich mit HIV infiziert hat. Vor einem Monat gab es für mich den ersten Fall eines schwulen Mannes, der sich infiziert hatte, obwohl er ausschließlich Oralverkehr praktizierte. Ich will damit nicht sagen, dass ein Mann sich nicht bei aktivem Sex infizieren kann, aber real kam das bei den infizierten Menschen, mit denen ich zu tun hatte (und das sind beileibe nicht wenig) nicht vor.

    Was die Bedeutung von epithelen CD4-Rezeptoren angeht, so hatten wir auch in den Zeiten vor ART zu viele diskordante Paare, bei denen der aktive Partner, trotz unsafem Sex dauerhaft negativ blieb.

    Bildlich erläutere ich das meist so: Kein Handwerker wird Dir garantieren können, dass Dachziegel nicht herunterfallen können, wenn man die Tür zuschlägt. Praktisch jedoch öffnen und schließen 80 Millionen Bundesbürger täglich mehrfach ihre Haustüren, ohne dass jemand erschlagen wird.

    Das von Dir beschriebene Risiko 1:1.000-5.000 liegt ja schon deutlich besser, als Safer Sex (1:1.000) und nahe beim Narkoserisiko einer Vollnarkose..

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