Bald HIV-Zwangstest in Sachsen-Anhalt möglich? (akt.6)

Bereitet das Land Sachsen-Anhalt die Möglichkeit für den HIV-Zwangstest vor? Verschiedenen Behörden soll, so berichten verschiedene Quellen, zukünftig mit einer Gesetzesnovellierung die Möglichkeit eingeräumt werden, HIV-Zwangstests durch Richter anordnen zu lassen, wenn ‚Gefahr in Verzug‘ ist. Ein Gesetzesentwurf, der derzeit in erster Lesung im Landtag ist, sieht entsprechende Möglichkeiten vor. Der Eingriff in die Grundrechte der Betroffenen sei ‚verhältnismäßig‘, meint die Landesregierung. Der Innenminister sprach von einem Gesetz „mit Augenmaß“.

Die Möglichkeit von Tests auf HIV und andere Infektionskrankheiten könnte mit einer Novellierung des ‚Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung‘ des Landes Sachsen-Anhalt geschaffen werden. Hier könnten Regelungen eingefügt werden, dass  Zwangstests auf HIV und Hepatitis durch Richter angeordnet werden können. Möglich scheinen diese Zwangstests bei ‚Gefahr in Verzug‘ sogar ohne richterliche Anordnung.

HIV-Test (ELISA) 2007, Foto: CDC
HIV-Test (ELISA) 2007, Foto: CDC

Die Novellierung dieses Gesetzes wird derzeit im Landtag von Sachsen-Anhalt gelesen – in erster Lesung am 12. und heutigen 13. Juli 2012 (Punkt 12 der Tagesordnung der Sitzung von 12./13.7.2012).

Im ‚Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung‘ (SOG LSA) regelt § 41 die „Durchsuchung und Untersuchung von Personen“. Dieser §41 soll dem Entwruf zufolge durch einen Absatz 6 ergänzt werden, der im derzeit in Lesung befindlichen Gesetzesentwurf lautet:

„Eine Person kann körperlich untersucht werden, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass von ihr eine Gefahr für Leib oder Leben einer anderen Person ausgegangen ist, insbesondere weil es zu einer Übertragung besonders gefährlicher Krankheitserreger, insbesondere Hepatitis-B-Virus, Hepatitis-C-Virus oder Humanes Immundefizienzvirus (HIV), gekommen sein kann, die Kenntnis des Untersuchungsergebnisses zur Abwehr der Gefahr erforderlich ist und kein Nachteil für die Gesundheit der oder des Betroffenen zu befürchten ist. Absatz 5 Satz 2 bis 5 gelten entsprechend. Eine Verwendung der Untersuchungsdaten ist nur für den in Satz 1 bezeichneten Zweck zulässig. Die Untersuchungsdaten sind unverzüglich zu löschen, wenn sie zu dem in Satz 1 bezeichneten Zweck nicht mehr benötigt werden.“

Die Art dieser Untersuchungen regelt bereits bisher Absatz (5) des §41 im schon gültigen ‚Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung‘. Dieser lautet derzeit

„(5) Bei Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person kann diese körperlich untersucht werden. Die körperliche Untersuchung darf außer bei Gefahr im Verzuge nur durch den Richter angeordnet werden. Für das Verfahren gilt § 44 Abs. 1 mit der Maßgabe, dass das Amtsgericht zuständig ist, in dessen Bezirk die Polizeidienststelle ihren Sitz hat. Bei Gefahr im Verzuge darf die Anordnung auch durch die Polizei erfolgen. Die körperliche Untersuchung darf nur von Ärzten durchgeführt werden.“

Die Pressestelle des Innenministeriums des Landes Sachsen-Anhalt bestätigt, dass eine Novellierung des Gesetzes derzeit im Landtag in erster Lesung behandelt worden ist. Eine Anfrage mit Bitte um detailliertere Stellungnahme (auch hinsichtlich Freiwilligkeit, Information, Beratung und Einwilligung der betroffenen Person) ist gestellt, die Antwort steht bisher noch aus ist für Montag (16.7.) Vormittag avisiert erfolgt (siehe Aktualisierung 16.7.).

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Danke an Bernd Vielhaber für den Hinweis!

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Aktualisierung
13.07.2012, 14:00: Die Eingriffe in die Grundrechte des betroffenen seine verhältnismäßig, meint die Landesregierung Sachsen-Anhalt in ihrem Gesetzesentwurf. In der Begründung für die Änderung heisst es (auf S. 62 ff):

Bislang sind die Betroffenen dabei auf die freiwillige Mitwirkung des Verursachers angewiesen. Nunmehr erhält die Polizei die Möglichkeit, eine Blutentnahme oder andere geeignete körperliche Untersuchungen auch gegen den Willen des Verursachers zu veranlassen, wenn dies zur Abwehr einer Gefahr für Leib oder Leben eines Dritten erforderlich ist.

Die Kenntnis über eine bestehende Infektion beim Verursacher bringt für die weitere Behandlung des Betroffenen erhebliche Vorteile und vermeidet unnötige Gesundheitsbelastungen und -risiken beim Betroffenen. Angesichts dieser Vorteile sind die mit körperlicher Untersuchung, Blutentnahme und -untersuchung und Weitergabe
der Befunde verbundenen Eingriffe in die Grundrechte des Verursachers auf körperliche Unversehrtheit und informationelle Selbstbestimmung verhältnismäßig.“

13.07.2012, 14:35: Bündnis 90 / Die Grünen kritiseren die Landesregerung in einer Presseerklärung:

„Mit dem Entwurf eines neuen Polizeigesetzes, dem Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung des Landes Sachsen-Anhalt, kurz SOG, entkernen CDU und SPD im Namen einer vermeintlichen Gefahrenabwehr auf breiter Front die Bürgerrechte. … Der Gesetzentwurf der Landesregierung legalisiert den bislang illegalen Einsatz von Staatstrojanern, also den digitalen Angriff auf private Computer im Namen der Gefahrenabwehr, und er ermöglicht gesundheitliche Zwangstests beispielsweise bei HIV-verdächtigen Personen.“ [Danke an N. für den Hinweis!]

13.07.2012, 16:30: Holger Stahlknecht, Minister für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt, bezeichnet den Entwurf als ein Gesetz „mit Augenmaß“. Der Ministerin der ersten Lesung im Landtag „Wir wollen die Anordnung einer körperlichen Untersuchung insbesondere Blutentnahme zur Abwehr einer Infektionsgefahr, damit nicht durch einen Angriff dieser Person die mit einer Krankheit infiziert ist, das übertragen wird auf unsere Beamten.“

14.07.2012, 09:45: Der innenpolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion Sachsen-Anhalt Rüdiger Erben findet das Gesetz habe „sehr ausgewogene Handlungsfelder und Regelungsbereiche, die – wenn man sie differenziert und in Ruhe betrachtet – weit weg sind vom hysterischen Katastrophengeschrei aus Teilen der Opposition.“ Auf die HIV-bezogenen Änderungen geht er nicht explizit ein.

16.07.2012, 10:30: Das Innenministerium Sachsen-Anhalt bestätigt, dass der HIV-Zwangstest der geplanten Novellierung zufolge in bestimmten Fällen auch ohne richterliche Anordnung möglich sein soll. „Die körperliche Untersuchung darf – außer bei Gefahr im Verzuge – nur durch einen Richter angeordnet werden.“ Die Möglichkeit der ‚körperlichen Untersuchung‘ solle der „Polizei des Landes Sachsen-Anhalt“ eingeräumt werden (andere Behörden wurden nicht genannt). Eine vorherige Information, Beratung oder Einwilligung des Betroffenen sei nicht vorgesehen.

20.07.2012, 12:20: Der LSVD Sachsen-Anhalt und der Landesverband der AIDS-Hilfen Sachsen-Anhalt haben in einem offenen Brief ihre Verwunderung und Empörung über die mit dem neuen Polizeigesetz von Sachsen-Anhalt geplante HIV-Zwangstestung zum Ausdruck gebracht.

06.08.2012: Zur Haltung der im Landtag von Sachsen-Anhalt vertretenen Parteien siehe ondamaris 06.08.2012: Geplanter HIV Zwangstest in Sachsen-Anhalt – die Haltung der Parteien.

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siehe auch:
Viertes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung des Landes Sachsen-Anhalt, Gesetzentwurf Landesregierung 04.07.2012 Drucksache 6/1253 (75 S.) (pdf)
Landtag Sachsen-Anhalt: Tagesordnung 16. Sitzungsperiode, 28. Sitzung, Donnerstag, 12.07.2012, 10:00 Uhr, 29. Sitzung, Freitag, 13.07.2012, 09:00 Uhr (pdf)
Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung des Landes Sachsen-Anhalt (SOG LSA) in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. September 2003 auf juris.de
Landtag Sachsen-Anhalt: 29. Landtagssitzung, TOP 12 – Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung des Landes Sachsen-Anhalt – Erste Beratung (10:40 Uhr – 11:12 Uhr) (Video der Debatte, Redner Striegel, Sebastian (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
Landtag Sachsen-Anhalt: 29. Landtagssitzung, TOP 12 – Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung des Landes Sachsen-Anhalt – Erste Beratung (10:40 Uhr – 11:12 Uhr) (Video der Debatte, Holger Stahlknecht spricht als Minister für Inneres und Sport)
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Landesregierung entkernt Bürgerrechte
queer.de 13.07.2012: Sachsen-Anhalt plant HIV-Zwangstests
SPD-Landtagsfraktion Sachsen-Anhalt 13.07.2012: Erben: SOG bietet sehr ausgewogene Handlungsfelder und Regelungsbereiche
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7 Gedanken zu „Bald HIV-Zwangstest in Sachsen-Anhalt möglich? (akt.6)“

  1. Ich sehe den Sinn der Testung nicht in Bezug auf die Gefahr für Leib und Leben. Wenn ich als Unbeteiligter im übertragungsrelevanten Maß in Kontakt z.B. mit Blut einer dritten Person käme, würde ICH auf jeden Fall (und nicht nur bei positivem Ergebnis) die PEP verlangen. Und gerade bei Schwulen und Junkies mit negativem Testergebnis ist die Gefahr relativ hoch (also im Vergleich zur Normalbevölkerung), dass eine frische Infektion vorliegt und nicht erkannt wird.

    Wenn dann also die Sachsen-Anhalt-Polizei (ein Bundesland, dessen Bürger allesamt zweifelsfrei stets für die demokratische Grundordnung eintreten…) mir sagt: „Wir haben den Junkie, dessen Blut sie beim Unfall in ihre Wunde bekommen haben, auf dem Boden geschnallt, sein Blut abgezapft, und es ist negativ, wir brechen die PEP jetzt ab“, dann würde ich denen aber sowas von um die Ohren hauen von wegen Fensterphase.

    Und da ja „bevorzugt“ überhaupt ERST SOLCHE GRUPPEN zwangsgetestet werden sollen, erforderlich sei ja eine 2Wahrscheinlichkeit“, dass eine zu untersuchende Person mit HIV, Hepatitis B oder Hepatitis C infiziert ist (hier könnte eine Einordnung in eine vermeintliche „Risikogruppe“ eine Rolle spielen -also nicht die Oma im Rollstuhl):
    Dadurch verkommt das endgültig zur Farce, wenn nur die Gruppen zur Ader gelassen werden, bei denen man auf Grund hoher HIV-Inzidenz SOWIESO eine PEP empfiehlt.

  2. Pingback: Thomis Blog » Sachsen-Anhalt plant HIV Zwangstest
  3. Seit Ende 2007 (wenn ich das richtig recherchiert habe) gilt in Niedersachsen eine vergleichbare Rechtslage. (http://www.schure.de/2101110/ndssog2.htm#p22) Kann ich mich erinnern, dass das seinerzeit irgendjemanden interessiert hat? NEIN. Übrigens sind damals – so zumindest die Dokumente des Landtages – der Landesverband der Niedersächsischen AIDS-Hilfen und der niedersächsiche DAGNÄ-Ableger (NIAGNÄ) im Auschuß gehört worden.
    Auch hübsch.
    Bernd

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