Proteste gegen Roche

Französische Aids-Aktivisten protestierten am 3. Oktober am französischen Sitz des Pharma-Multis Hoffmann-LaRoche in Neuilly gegen die Politik des Konzerns. Sie warfen ihm vor, eine überzogene Preispolitik für den Fusionshemmer Enfuvirtide auf dem Rücken der Positiven in Südkorea zu betreiben.

ACT UP Paris protestiert gegen Hoffmann-LaRoche
ACT UP Paris protestiert gegen Hoffmann-LaRoche

Enfuvirtide (früher auch bekannt unter dem Forschungs-Namen T-20) ist ein bereits seit längerem auf dem Markt befindlicher Fusionshemmer gegen HIV. Enfuvirtide, entwickelt vom US-Biotech-Unternehmen Trimeris, wird vermarktet von Pharma-Multi Hoffmann-LaRoche unter dem Handelsnamen „Fuzeon“.

Fuzeon ist das teuerste derzeit am Markt erhältliche Medikament gegen HIV. Eine Packung mit 60 Durchstechflaschen sowie dem erforderlichen Lösemittel kostet in Deutschland derzeit 2.112,75 Euro. Dies ergibt Jahres-Therapiekosten für dies eine Medikament von schätzungsweise über 25.000 Euro – allein für ein einziges Medikament (das immer in einer Kombitherapie mit mindestens zwei weiteren Aids-Medikamenten eingesetzt wird).

Hoffmann-LaRoche erzielte Presseberichten zufolge 2006 mit Fuzeon einen Umsatz von 250 Mio. US-$(312 Mio. sFr.) – mit deutlich steigender Tendenz 2007. Presseberichte sprechen von 266,8 Mio. $ für 2007. In der ersten Jahreshälfte 2008 sollen die Umsätze stark gesunken sein – was auch der Verfügbarkeit neuer wirksamer HIV-Medikamente geschuldet sein könnte.

Schon aufgrund des hohen Preises steht Enfuvirtide Positiven in vielen Staaten der Welt nicht als Medikament zur Verfügung.
Auch in Südkorea ist Fuzeon bisher nicht verfügbar. ACT UP Paris zufolge sei die südkoreanische Regierung bereit gewesen, Jahres-Therapiekosten von 18.000 US-$ zu bezahlen. Roche habe jedoch auf seinem ursprünglichen  Preis von 22.000 $ beharrt.

ACT UP Paris protesierte am 3. Oktober gegen das Verhalten von Hoffmann-LaRoche. In Neuilly, Sitz der französischen Roche-Niederlassung, skandierte ein Dutzend Aktivisten vor der Firmenzentrale „Roche, du hast ein Herz aus Stein!“ und beklagte die Verweigerung einer Preisreduzierung. Der Pharmakonzern habe „südkoreanisches Blut an den Händen“.
Die Proteste in Neuilly sind Teil einer Woche von ACT UP – Aktionen gegen Roche unter dem Motto ‚Wer ein Monopol hat, muss nicht menschlich sein‘.

Enfuvirtide wird insbesondere bei HIV-Positiven eingesetzt, die keine oder kaum noch andere therapeutische Optionen haben.
Das Medikament wird zweimal täglich subkutan injiziert. Es ist bei vielen Positiven trotz oftmals guter Wirksamkeit nicht sehr beliebt, u.a. aufgrund sehr häufig auftretender und oft sehr schmerzhafter lokaler Reaktionen und Verhärtungen an den Einstichstellen. Eine verbesserte Applikationsform (mit Druck) wurde von Roche nicht zur Zulassung eingereicht.

Erst jüngst hatte Hoffmann-LaRoche angekündigt, seine Forschungsaktivitäten auf dem Aids-Gebiet einzustellen.

18 Gedanken zu „Proteste gegen Roche“

  1. Mich interessiert die Gewinnspanne bei diesem Medikament. Hast Du eventuell etwas darüber gelesen?

  2. @ TheGayDissenter:
    schwieriges thema – offiziell sind solche daten nicht zu haben.

    allerdings ist t-20 ein komplexes peptid, dessen herstellung zahlreiche verschiedene produktionsschritte erfordert. insofern dürften die produktionskosten sicherlich deutlich höher liegen als bei zahlreichen aids-medikamenten der ersten und zweiten generation, die tlw. letztlich recht einfach zu produzierende substanzen sein dürften (siehe zb indische generika-preise)

  3. Südkorea ist eine der bedeutendsten Volkswirtschaften der Welt und erreicht ein BIP, das im EU-Durchschnitt liegt. Warum also sollte das staatliche Gesundheitssystem Sonderkonditionen erhalten?

    Für ein Top 10 Pharmaunternehmen sind $250 Mio/Jahr für ein Präparat mit faktischem Monopol keine Traumzahlen. Roche behauptet, die Synthese beinhalte 100 Stufen statt der üblichen ca. 10. Wenn die kommerzielle Perspektive sich dann auch noch eintrübt (sinkende Prognose), ist klar, dass versucht wird, die noch möglichen Umsätze zu realisieren, und dass in neue Generationen von Darreichungsformen nicht mehr investiert wird.

    Letzten Endes sind die meisten Pharmaunternehmen gewinnorientierte Aktiengesellschaften, die keinen sozialen Versorgungsauftrag haben, sondern nur ihren Anlegern verpflichtet sind.

  4. @ Clamix:
    ja, genau dieser gedanke kam mir auch beim posten – südkorea ist nun wahrlich nicht im reigen der staaten, die unter die definition ‚least developed countries‘ fallen …

    dennoch wollte ich über diese aktion berichten …

    und dahinter steckt ja die brisantere diskussion, wer entscheidet eigentlich (und nach welchen krieterien), welche medikamente sind wann wo für wen verfügbar … diese politische diskussion, die eigentlich längst ansteht (auch hierzulande kommen wir darauf zu) wird immer gerne vermeiden, weil sie unangenehm wird

  5. Richtig, diese Diskussion ist eine politische, und sie ist überfällig.

    Um diese Diskussion zu führen, ist es aber erforderlich, die Tatsachen als solche zu kennen und zu anerkennen:
    – die Pharmaindustrie ist eine gewinnorientierte: was sich nicht kommerziell lohnt, wird nicht gemacht
    – Pharma ist global aufgestellt und entzieht sich intern damit weitgehend nationaler Gesetzgebung
    – die nationalen Gesundheitsmärkte sind dagegen halbstaatlich (GKV, Zulassung, …) und können maximal den Verkauf einzelner Produkte verhindern/drosseln
    – die Entscheidung, in welchen Indikationen geforscht wird, welche Präparate entwickelt werden und in welchen Märkten/Ländern diese angemeldet und verkauft werden, liegt bei der Industrie.

    Bei dieser Faktenlage gibt es zwei grundlegende Modelle, auf die Versorgungslage Einfluss zu nehmen, wenn man nicht gleich die Systemfrage stellen will:

    – eine ausreichend große, über Ländergrenzen hinweg organisierte Interessensgemeinschaft gründet einen Fonds, der gezielt bei einer (kleineren) Pharma AG einen signifikanten Anteil erreicht und damit unternehmerische Entscheidungen mitbestimmt.

    – eine public-private Partnership, aus einem Pharmaunternehmen und einer staatlichen Stelle, evtl. im Verbund mit einer NGO, die aus gutem Willen heraus bereit sind, Vorfinanzierungsmodelle für die Forschung zu gehen, um etwas vom kommerziellen Druck abzufedern.

    Beide Ideen klingen utopisch, sind aber nicht unrealisierbar.

  6. @ Clamix:
    stimmt, das sind einige der prämissen der derzetiigen situation.
    allerdings sehe ich auch noch einige andere mögluchkeiten zukünftiger wege, zb als ein denkbares extrem forschung in staatlichen institutionen und ergebnisse (wirksubstanzen) dann in public domain. oder wege wie bei den malaria-medikamenten, wo ppp schon ansatzweise funktioniert … in diesem fall mit dem pharmaunternehmen als auftragsproduzent

  7. Eine Intensivierung der staatlich geförderten Forschung (Institute, Unis,…), verbunden mit verstärktem Austausch und besserer Koordination können den Prozess, etwa ein HIV-Heilmittel zu finden, nur beschleunigen, etwa durch die systematische Verteilung und synchrone Erledigung einzelner Forschungspakete.
    Auch in dem Fall wären die Produktionskapazitäten und Distributionswege eines Pharmakonzerns im Rahmen einer PPP irgendwann gefragt.

    Darauf zu hoffen, dass die Industrie aber alleine diesen Weg geht, könnte sich als trügerisch erweisen. F&E dürfte ungleich teurer sein, der Gewinn bei einer endgültigen Einmaldosierung aber ungleich kleiner als bei chronischer Verabreichung.

  8. @ Clamix:
    da sind wir überein – die aidsforschung liegt beosnders in deutschland arg am boden, besonders die staatliche förderung selbiger. hier ist intensivierung dringend gefragt – und eine fokussierung auf die ragestellungen, wie wirklich wichtig sind. das allerdings würde interesse und politische prioritätensetzung voraussetzen – daran scheint es m.e. derzeit zu mangeln.

  9. Womit sich die Frage stellt, wer ein solches Projekt treiben sollte. Wer gehört in den „Driver’s seat“ – um mal bei schönstem Business-Deutsch zu bleiben 😉

  10. @ Clamix:
    ich vermute es gilt erst einmal überzeugungsarbeit zu leisten, dass überhaupt handlungsbedarf besteht … ich bin mir nicht sicher, wie viele menschen der ansicht sind, dass dies so ist …

  11. @ ondamaris #8:

    „politische prioritätensetzung“

    Dies würde als einen der ersten Schritt voraussetzen, dass man sich bei uns in Deutschland einmal darüber klar wird, was Staatsaufgaben sind und was nicht. Nach Jahrzehnten, in denen die Politik an jedem Schräubchen gedreht und es dem jeweils vermuteten Mehrheitsklientel recht machen wollte, ist kein Geld mehr da, für die zentralen Aufgaben, die ein Gemeinwesen erfüllen können sollte.

  12. @ TheGayDissenter:
    stimme dir zu, als meta-debatte gehört dazu, was sind aufgaben des staates und was nicht.

    bin mir nur nicht sicher, ob diese debatte derzeit halbwegs organisiert führbar ist (nachdem erst gepredigt wurde, der markt regelt alles, und nun gerade die prediger dieses weges am lautesten nach dem staat schrieb)

    früher gab es mal den begriff des gemeinwesens und ähnliches, und eine halbwegs klare vorstellung was das sei … aber das schient mir längst passé

  13. @ 11 + 12: Wenn man diese Diskussion erst mit Fundamentalfragen zu generellen hoheitlichen Aufgaben und weltanschaulichen Betrachtungen zur Marktwirtschaft an und für sich verknüpft, dann ist klar, dass dann garantiert nichts passiert…

    Hier ist Pragmatismus gefragt (Bedarf erkennen – Ziel definieren – den Weg finden und auch gehen).

    Das erste Etappenziel „Bedarf erkennen“ scheint schwierig genug (Kommentar 10)…

  14. @ Clamix:

    Ich erbitte Lesehilfe:

    Aus #13 entnehme ich, dass Du keine Grundsatzdiskussion willst. In #5 spricht Du aber noch von einer überfälligen (auf Tatsachen basierenden) politischen Diskussion und präsentierst zwei „grundlegende“ [sic!] Modelle.

    Sehe ich das richtig: Du willst grundlegende Modelle einführen ohne vorher die Grundsätze geklärt zu haben?

  15. @TGD: Der von Dir zitierte Satz geht weiter mit „wenn man nicht gleich die Systemfrage stellen will“.
    Ich möchte nicht die Markwirtschaft in Frage stellen, oder gar die Ergebnisse einer Verfassungs- und Föderalismuskommission abwarten. Ich möchte mich im Rahmen des heutigen Status Quo bewegen, die Instrumente nutzen, die unser Wirtschaftssystem und unsere Administration (so vermurkst sie auch sein mögen) heute schon zur Verfügung stellen. Auch in diesem enger gesteckten Rahmen ist Bewegung möglich – vielleicht sogar schneller.

  16. @ Clamix:

    Aber Marktwirtschaft haben wir doch in Deutschland gar nicht…. spätestens seit heute nicht mehr. Frau Merkel hat sie persönlich beerdigt.

    Zu Deinem letzen Satz sag ich jetzt mal nichts, sonst bekommt mindestens einer von von uns Beiden rote Ohren.

    @ ondamaris:

    Sorry, ist jetzt arg OT geworden…

  17. @TGD: Was den heutigen Tag angeht, tja, das hätte ein Ludwig Erhard wohl anders gelöst.
    Und rote Ohren? Damit siehst Du doch sooo süß aus 😉

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