HIV-Epidemie vorbei?

„Die HIV-Epidemie ist vorbei.“
Ein Satz, den viele sich wünschen.
Ein Satz, der überrascht, vielleicht auch schockiert.

Mit diesem Satz ‚krönte‘ Mark Cloutier seine Rede. Mark Cloutier ist nicht irgendwer, sondern Direktor der San Francisco Aids Foundation – einer der wichtigsten Aids- Organisationen in einer der von Aids schon früh am stärksten betroffenen Städte der USA.

„Die HIV-Epidemie ist vorbei. Ja. Die HIV-Epidemie ist in San Francisco vorbei.“

Was Cloutier damit zum Ausdruck bringen wollte: HIV ist inzwischen in San Francisco endemisch – die Infektion besteht in einigen Communities in gewissem Umfang, ohne sich in bedeutendem Ausmaß zu vergrößern oder zu verringern.

Als Epidemie wird die „die zeitliche und örtliche Häufung einer Krankheit innerhalb einer Population“ bezeichnet, wobei der Bestand an Erkrankten zunimmt (Reproduktionsrate größer 1). Demgegenüber versteht die Medizin als Endemie „das andauernd gehäufte Auftreten einer (Infektions-) Krankheit in einem begrenzten Bereich“.

Hinter dieser Begriffswahl, die zunächst marginal erscheinen mag, könnten bedeutende Auswirkungen stecken. Auswirkungen für die Prävention, aber auch die Versorgung von HIV-Positiven.

Denn im Gegensatz zu den 80er und 90er Jahren sei die HIV-Infektion in San Francisco nicht mehr ‚außer Kontrolle‘. Die Zahl der Neu-Infektionen sei mehr oder minder stabil. Damit falle die HIV-Infektion nicht mehr in die Definition einer ‚Epidemie‘. Auch Gesundheits- Direktor Katz meinte, der Begriff ‚endemisch‘ sei eher zutreffend für die derzeitige Situation.

Mit der Herangehensweise als eine mehr oder weniger stabile, endemische Situation müssten sowohl bei der Prävention als auch bei der Frage von Versorgungs- und Service-Strukturen neue Herangehensweisen überlegt werden.
In einer Endemie benötige man neue Werkzeuge und Methoden, Infektions-Ketten zu unterbrechen. In einer endemischen Situation würde viel mehr in den Vordergrund treten, wie erfolgreich mit positiven (und von HIV betroffenen) Communities zusammen gearbeitet werden könne, um die Zahl der Neu-Infektionen zu senken.

Kritiker der neu vorgeschlagenen Wortwahl befürchten, damit könne Druck aus der Situation genommen werden, ein falsches Signal der Entwarnung gesetzt werden.
Dem sei zu entgegen zu halten, dass eine Endemie nicht weniger bedeutend als eine Epidemie sei – nur eben andere Strategien erfordere, damit umzugehen, antworteten Befürworter.

HIV (zumindest in Großstädten) zukünftig mehr als Endemie denn als Epidemie zu sehen – liegt hierin ein Zugang, der auch in Deutschland, in Berlin Anregungen für neue , innovative Ansätze in Prävention und Versorgung eröffnen könnte? Schon die Sichtweise, den Blickwinkel zu verändern, könnte ja helfen neue Wege zu finden, z.B. die Neu-Infektionszahlen niedrig zu halten oder weiter abzusenken.

Nebenbei, San Francisco ist gerade dabei, den Posten eines ‚HIV Prevention Directors‘ neu einzuführen und zu besetzen. Eine weitere Idee, über die sich auch hierzulande mancherorts nachzudenken lohnen würde ?

 

9 Gedanken zu „HIV-Epidemie vorbei?“

  1. selbstverständlich ist es auch hier in „mittel-europa“ KEINE epidemie!
    meinst du das wird nun benannt und hat konsequenzen?
    brisant kann das sein im zusammenhang mit allem was mit dem epidemiegesetz begründet wird, nicht nur finanzierungen und sicherung von x-tausend stellenprozente und die ganze staatlich-verankerte prävention, sondern auch in sachen repression!
    on verra…
    michèle

  2. @ roedfugl:
    das wären denkbare konsequenzen.
    oder auch die frage, ob das viele geld für plakate mit in kondomen gekleidetem gemüse wirklich effizient angelegt ist oder nicht wirksamer eingesetzt werden könnte …
    lg

  3. prep anstatt gemüse?
    beschnittene männer?
    hpv-impfungen?
    effizentere mikrobizidforschung?

    da gäbe es varianten….

  4. Die Gefahr bei einer an sich guten Ansatzweise sehe ich daran, dass die „Allgemeinbevölkerung“ sich dem Thema abwendet, und sich stattdessen weniger solidarisch zeigt, sprich: Abnahme der Spenden, weniger Leistungen in der Krankenversicherung (da der Kreis der Betroffen eingeschränkt ist und bleibt). Ansonsten sehe ich auch sinnvollere Massnahmen zum Einsatz der Mittel (HPV-Impfung, Mikrobiozidforschung),

    lg kalle

  5. @ kalle:
    es geht ja eher um die idee, den fokus anders zu setzen, aber nicht dne blickpunkt völlig von der allgemeinbevölkerung weg zu nehmen. entsolidarisierung darf sicher nicht die folge sein – eine stärkere fokussierung auf effizientere prävention könnte aber eine chance sein

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