Das Robert-Koch-Institut vermeldet für das erste Halbjahr 2007 insgesamt 1.334 neu diagnostizierte HIV-Infektionen und bezeichnet den Verlauf der Neu- Diagnosen als „weiterhin auf hohem Niveau“. Was steckt hinter den Zahlen?
Zweimal im Jahr stellt das Robert-Koch-Institut als Teil seiner epidemiologischen Überwachung aktuelle Zahlen zum Verlauf der HIV-Infektion und der Aids- Erkrankungen in Deutschland vor.
Schon in Berichten über bisherige Zahlen gingen in manchen Medien munter HIV-Neu-Infektionen und Neu-Diagnosen durcheinander.
Gemessen und berichtet wird die Zahl der Neu- Diagnosen (nicht der Neu-Infektionen). Diese Zahl gibt nicht direkt das aktuelle Infektionsgeschehen wieder. (Weiteres dazu hier). Das RKI selbst spricht im aktuellen Bericht davon, etwa die Hälfte der gemeldeten Neu- Diagnosen sei auf einen tatsächlichen Anstieg der Neu- Infektionen zurück zu führen.
Interessant ist ein Blick in die Details der Zahlen. Denn wenn auch die Zahlen insgesamt deutschlandweit auf hohem Niveau stabil zu sein scheinen, werden dann doch bemerkenswerte Entwicklungen sichtbar.
Der größte Anteil der HIV-Neu-Diagnosen findet mit 56% bei Männern statt, die Sex mit Männern haben (MSM). In dieser Gruppe steigen die Zahlen weiterhin an.
Auch die Zahl der Syphilis-Neudiagnosen steigt in dieser Gruppe weiterhin an.
Regional gesehen gibt es bemerkenswerte Entwicklungen: Während die Zahlen z.B. in Berlin mehr oder weniger stagnieren, steigen sie in Nordrhein- Westfalen weiterhin deutlich an. Allein auf NRW entfallen im 1. Halbjahr 2007 24% aller HIV-Neu-Diagnosen (mit Schwerpunkten in Köln, Düsseldorf und Kreis Arnsberg).
Auch die Zahl der Syphilis-Neudiagnosen verharrt in NRW auf einem hohen Niveau (2007/I: 455 Fälle, 2006/II: 468, 2006/I: 402). In Berlin hingegen sinkt diese Zahl (2007/I: 223, 2006/II:278, 2006/I: 291) seit einem Höhepunkt im ersten Halbjahr 2006.
In der Gruppe der drogengebrauchenden Menschen sind die Zahlen der Neu-Diagnosen deutschlandweit insgesamt stabil. Hier stellt allerdings allein NRW schon einen Anteil von 51%. Und hat einen regionalen Schwerpunkt im Bereich Arnsberg (Bochum, Dortmund, Hagen, Hamm, Herne) – innerhalb der letzten 5 Halbjahre erfolgten hier fast die Hälfte der Neu-Diagnosen bei drogengebrauchenden Menschen in NRW.
Über 1.300 Neu-Diagnosen von HIV-Infektionen sind viel, zu viel. Und insbesondere die hohe Zahl der Neu- Diagnosen (und der Trend) unter schwulen Männern sollte zu neuen Präventionsanstrengungen Anlass geben.
Politiker, Medien und auch Schwule weisen ja immer wieder gern auf den „Sünden-Pfuhl“ Berlin, wenn es um Diskussionen zum Verlauf der HIV-Infektion geht (und auch schwule Medien stricken gern an diesem Mythos). Die aktuellen Zahlen lassen regional gesehen auch andere Fragen aufkommen …
Infos:
Halbjahresbericht I/2007 des RKI als pdf
Pressemitteilung des RKI hierzu
Trifft der Begriff Epidemie hier noch zu? Oder ist die HIV-Epidemie vorbei?
Wie kann Prävention sich weiterentwickeln? Präventionsgedanken 1 und Präventionsgedanken 2
Aber einige Politiker benutzen steigende Zahlen immer noch als Vehikel für Repressive Mottenkisten …
Interessant wäre im Zusammenhang mit der Neuinfektionen/Neudiagnose-Sache natürlich, ob in letzter Zeit signifikant mehr Leute getestet wurden. Beziehungsweise ob die Prävalenz unter den getesteten angestiegen ist. Sowas ist meistens aussagekräftiger als absolute Angaben. Gibt’s da Zahlen?
@ fischer:
gute frage, das mit der vermehrten testung. einige aidshilfen zb propagieren ja seit einiger zeit deutlich den test, machen teils eigene angebote (münchen, berlin…)
also – die zahl der getesteten dürfte gestiegen sein, aussagekräftige zahlen dazu kenne ich noch nicht.
einige gedanken dazu hat der rki-bericht (insbesondere auch der zum 2. halbjahr 2006, ist im entsprechenden blogbeitrag verlinkt)