Ritonavir – naht das Ende des Monopols? (akt.2)

Viele Aids-Medikamente benötigen zum Erreichen einer optimalen Wirkung einen Verstärker. Auf diesen hat der Pharmakonzern Abbott derzeit de facto ein Monopol. Doch das Ende dieses Monopols naht scheinbar.

Bei zahlreichen Medikamenten wird angestrebt, den Wirkstoff-Spiegel im Blut zu erhöhen – sei es um eine bessere Wirksamkeit zu erreichen, oder z.B. um eine einmal tägliche Dosierung zu ermöglichen. So werden (außer dem wenig verwendeten Nelfinavir) derzeit alle zugelassenen Proteasehemmer (eine Wirkstoffklasse von Aids-Medikamenten) in Kombination mit einer kleinen Dosis Ritonavir eingesetzt.

Wer derzeit den Spiegel eines (Aids-) Medikaments erhöhen möchte (‚boosten‘) ist bisher auf den einzig verfügbaren Wirkstoff, der dieses leistet, angewiesen – den Proteasehemmer Ritonavir, vom Pharmakonzern Abbott vermarktet unter dem Handelsname ‚Norvir‘ ®.

Norvir-Kapseln - bald nicht mehr der einzige Booster?
Norvir-Kapseln - bald nicht mehr der einzige Booster?

Abbott setzt diese Markt-Position auch strategisch ein: der hauseigene Proteasehemmer Lopinavir wird (unter dem Handelsnamen Kaletra®) zusammen mit Ritonavir direkt koformuliert in einer Pille vermarktet. Ein großer Marktvorteil – alle anderen Proteasehemmer (anderer Hersteller) können nicht mit Ritonavir in einer Pille koformuliert werden, erfordern vielmehr die zusätzliche Einnahme einer Kapsel Ritonavir. Zudem muss diese Kapsel gekühlt aufbewahrt werden, da eine hitzestabile Version von Ritonavir bisher weiter auf sich warten lässt.

Andere Pharmaunternehmen kritisieren zudem den hohen Preis von Ritonavir – Abbott hatte den Preis im Dezember 2003 in den USA verfünffacht (nachdem zuvor andere Norvir-Planspiele wie das völlige vom Markt nehmen verworfen wurden). Seit einiger Zeit läuft die Auseinandersetzung um den Norvir-Preis vor Gericht.

Zudem ist Ritonavir kein sehr beliebtes Medikament. Es kann zu einer Erhöhung der Blutfettwerte beitragen (die teils auch wiederum selbst behandlungsbedürftig wird). Zudem scheint Ritonavir oftmals mit eine der Ursachen für zahlreiche Verdauungsprobleme zu sein, an denen viele Positive leiden.

Doch nun könnte ein Ende des Ritonavir-Monopols nahen. Im Juli 2008 kündigte der Pharmahersteller Gilead (auch Hersteller zahlreicher Aids-Medikamente) an, das Unternehmen habe eine Substanz in Entwicklung, die ebenfalls als Booster (Wirkstoff zur Erhöhung des Plasmaspiegels anderer Substanzen) geeignet sei. Klinische Studien (Testen der Substanz am Menschen) der Phase I hätten bereits begonnen.

GS 9350 (so der Forschungsname der Substanz; Substanzname inzwischen: Cobicistat) ist eine einmal täglich einzunehmende Substanz, die zudem hitzestabil ist (und also keine Kühlung erfordert). GS 9350 wirkt nicht gegen HIV, sondern dient allein der Wirkungs-Verstärkung anderer Substanzen. Deswegen besteht die Hoffnung, dass sie auch nicht metabolische Nebenwirkungen hat. Sie soll leicht mit anderen Substanzen zusammen kombinierbar (Ko-Formulierung) sein.

Gilead dürfte mit der Entwicklung der Substanz auch eine Stärkung eigener Medikamente im Blick haben. So entwickelt Gilead derzeit einen Integrasehemmer (Elvitegravir), der -um eine einmal tägliche Dosierung zu ermöglichen- bisher mit Ritonavir kombiniert werden müsste. Ritonavir müsste das Unternehmen zukaufen, wenn es mit der eigenen Substanz in eine Pille zusammengefügt werden soll (oder der Patient in der Apotheke, und dann sogar eine höhere Pillenzahl haben). Beide Probleme würde ein eigener Booster lösen – und dazu noch zusätzliche Umsatz- und Einnahmequelle generieren.

An Koformulierungen des neuen Boosters sowohl mit Gileads neuem Integrasehemmer als auch den anderen Aids-Medikamenten von Gilead, den stark verkauften Substanzen Tenofovir und Emtricitabine sowie den Kombi-Pillen Truvada® und Atripla®, wird bereits gearbeitet, erste Studien verliefen erfolgreich.

Spekulationen der Fachpresse zufolge könnten zudem bald Abkommen mit anderen Pharmaunternehmen getroffen werden, um auch diesen eine Ko-Formulierung mit dem neuen Booster zu ermöglichen. Studien zur Kombination mit Atazanavir (einem Proteasehemmer von BMS) laufen einem Investoren-Briefing zufolge bereits.

Nachtrag 21.09.2009: die Studien mit Atazanavir haben gezeigt, dass der Wirkstoffspiegel dieser Substanz durch GS-9350 ebenso gut wie durch Ritonavir erhöht wird. Eine weitere Phase-II-Studie befindet sich in Durchführung.

Eine begrüßenswerte Entwicklung – leiden doch bisher zahlreiche Produkte anderer Unternehmen darunter, dass sie für eine bessere Wirksamkeit auf Abbots Norvir® angewiesen sind – und (im Gegensatz zum hauseigenen ‚Kaletra’®, in dem Ritonavir bereits ‚eingebaut‘ ist) auf zusätzlichen Pillen.

Wichtig wäre, dass Gilead neben der Koformulierung mit eigenen Substanzen den neuen booster auch anderen Herstellern zugänglich macht. Dies wäre ein entscheidender Schritt, der der neuen Substanz -eine vernünftige Preispolitik vorausgesetzt- das Potential eröffnen würde, eine vollwertige und attraktive Alternative zu Norvir® zu sein.

Nachtrag

14.11.2008: Neben Gilead arbeiten auch die Pharmahersteller Pfizer und Sequoia an Booster-Substanzen, die potenziell Ritonavir ersetzen könnten.
10.02.2009: poz.com: GS 9350 and SPI-452: Emerging Alternatives to Norvir Boosting
10.02.2009: aidsmap: Two novel ‘enhancer’ drugs boost protease inhibitors as much as ritonavir
natap.org Conference Report 16. CROI
projectinform 12.02.2009: Two newcomers may challenge ritonavir’s position as the only booster for HIV therapy

aidsmap 21.09.2009: GS-9350 boosts atazanavir just as well as ritonavir

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12 Gedanken zu „Ritonavir – naht das Ende des Monopols? (akt.2)“

  1. Jaja, es sind noch zwei weitere Firmen mit Substanzen in etwa dem selben Entwicklungsstand unterwegs. Beide halten sich bedeckt, wenn es um die Kommunikation dieser Entwicklungen geht. Erstaunlich, warum Gilead zu einem so frühen Zeitpunkt die Katze aus dem Sack gelassen hat.

    Nur, um keine überbordende Erwartung zu schüren: Alle Substanzen haben zwar die Tierversuche „überlebt“, es kann aber derzeit nicht eingeschätzt werden, ob sie wirklich zur Zulassung kommen werden. Die noch ausstehenden Studien werden – auch in Abhängigkeit von den Vorgaben, die die Zulassungsbehörden an die Zulassung solcher Substanzen anlegen – noch einige Zeit benötigen.

    Harren wir der Dinge, die da kommen mögen – glaubt man Abbott, werden wir ja 2009 zuerst einmal mit der neuen Norvir-Tablette beglückt werden.

    Grüße

    Bernd

  2. @ Bernd:
    ja, phase I ist noch sehr früh in der klinischen entwicklung, da hast du recht. aer allein die tatsache, dass mehrere unternehmen daran arbeiten, eigene booster-fähige substanzen zu entwickeln, stimmt mich doch ein wenig zuversichtlich, dass die ritonavir-zeiten für mehr positive irgendwann der vergangenheit angehören könnten
    und – was die ritonavir-tabeltte angeht, da bin ich ja erstmal auf die preispolitik gespannt … ob da noch übrraschungen drohen? siehe us-beispiel …
    lg ulli

  3. Gibt es eigentlich medizinische Gründe, die verschiedenen Wirkstoffe in einer Pille zusammenzufassen und nur einmal am Tag ein Medikament einzunehmen? Dass es angehmer ist, nur eine Pille, statt mehrerer schlucken zu müssen, ist mir klar, ebenso dass bei mehrmals pro Tag einzunehmenden Medikamenten die Gefahr des Vergessens größer ist – schon deshalb ist jeder Fortschritt wünschenswert). Mich interessiert, ob es auch Einfluß auf die Wirksamkeit hat, ob man nun mehrmals täglich Medikamente einnimmt oder nur einmal am Tag ein Kombipräparat.

  4. @ TGD:
    Der Wirkungsgrad ist der gleiche. DIe Kunst ist, die Wirkstoffe so klein zu verpacken, dass sie 1. in EINE Pile passen und 2. auch vom Körper aufgenommen werden.

    Nach dem once-daily ist nun die Vision, Medikamente in eine Form zu bringen, dass ev. nur 1 x pro Woche eine Pilleneinnahme nötig ist, also quasi eine Pille mit Retard-Wirkung.

    Ob 1x/Woche allerdings der Adherenz förderlich ist, da habe ich so meine Fragezeichen. 1x täglich hat man doch besser im Blick als 1 x / Woche.
    Denn dann hiesse es ja, – Oldifans können jetzt mitsingen 😉 „Immer wieder Sonntags, kommt die Erinnerung…“
    Wie sollte man sich das sonst merken? Ich brauch so meine selbstgebastelten Eselsbrücken…

  5. @ termabox:

    Allerdings könnte man doch durch Wecker, elektronische Kalender,… das eigene Erinnerungsvermögen unterstützen.

    Ich kann mir schon vorstellen, dass so eine Ein-Wochen-Wirkung ganz nützlich ist, zB wenn man in die Situation gerät, dass man irgendwo ein paar Tage festsitzt und gerade keine geeigneten Medikamente verfügbar sind.

  6. @ TGD

    Prof. Vernazza hat sogar die Vision einer „Ein-Monats-Spritze“ ins Gespräch gebracht:
    http://www.infekt.ch/index.php?catID=12&artID=1600

    Auch wenn das alles doch SEHR visionär erscheint, deutlich wird, dass nach wie vor eine große Dynamik in der Medikamentenentwicklung vorhanden ist.

    Hmmm, die Zeit der „Pillenwecker“ will ich nicht wieder zurückhaben. Pharma neigt ja dazu, mit überflüssigen give-aways um sich zu werfen. Vielleicht gibts demnächst den sprechenden personalbezogen Pillen-Retard-Wecker von Gloxa/LSD: „Guten Morgen, liebe Termabox, heute ist Montag und es ist 7 Uhr. Zeit, aufzustehen und deine Wochenpille zu nehmen. Also dann, schwing die Hufe..!“

  7. @ TheGayDissenter & all:
    primärer grund ist die compliance (eher: adhärenz). je einfacher es ist, eine kombitherapie zu nehmen, desto höher der grad an korrekten einnahmen – und damit desto höher der grad der wirksamkeit. „einfacher“ heisst sowohl weniger pillen als auch weniger häufig einzunehmende pillen. daneben ist zu berücksichtigen, dass gerade für z.b. berufstätige positive (erst recht, wenn sie nicht offen positiv sind) eine diskrete und seltene pilleneinnahme ein wichtiger faktor ist (und gerade pillenwecker keine praktikable lösung).

    wenn ich mich erinnere, wie groß noch vor wenigen jahren nein täglicher pillenberg war – und ich hab das auch geschafft. nun, das muss kein anzustrebender zustand sein.
    allerdings scheint mir manchmal, dass das thema vereinfachte einnahme auch sehr (zu sehr?) zu einem marketing-instrument der pillendreher geworden ist …

    theoretisch müsste eigentlich eine einnahme mehrmals am tag potenziell m.w. günstiger für einen gleichmässigen plasmaspiegel (und damit geringere nebenwirkungen) sein (es sei denn time-release-formulierung) … insofern ist deine frage nicht ganz ohne 😉

    was wöchentliche dosierungen angeht: technisch-pharmakologisch wäre das bei eingen wirkstoffen inzwischen durchaus denkbar (teils mit entsprechender galenik).
    die befürchtungen laufen dahin, dass mensch sich an einen täglichen rhythmus gut gewöhnt, an einen drei-tage-rhythmus oder wochen-rhythmus aber nicht so gut. und – wenn du einmal eine wochen-.dosis vergisst, hast du (was den plamsaspiegel und das resistenz-risiko angeht) direkt ein recht großes problem (jedenfalls höher als bei ner tages-dosis)

  8. @ termabox, ondamaris:

    Danke für die Erläuterungen. Ein Wochenrythmus müsste aber doch ‚einübbar‘ sein, oder?

  9. @ TheGayDissenter:
    yep, ein wochen-rhythmus ist einübbar – und einige pharmas arbewiten an entsprechenden produkten.
    nur – das problem bleibt, wenn eine wochen-dosis vergessen wird, ist der plamsaspiegel gleich sehr tief, das resistenz-risiko sehr hoch.
    wohl auch mit diesem hintergedanken wird eine ein-wochen-dosis derzeit als (vom arzt zu verabreichende) spritze entwickelt …

  10. Ist das mit der Spritze wirklich so eine gute Idee? Ich denke gerade an Situationen, an denen weder Arzt noch dazugehörige Spritze greifbar sind. Das muss gar nicht die Notlandung auf einer einsamen Insel sein, eingeschneit im Münsterland reicht auch.

    Und würde der Arzt damit nicht auch zu einem Kontrolleur (nicht der medizinischen Gesichtspunkte, sondern des Wohlverhaltens)?

    Wie schnell würden denn die von Dir erwähnten negativen Effekte eintreten? Schon am 8. Tag, oder ist die ‚Karenzzeit‘ (da gibt’s bestimmt einen Fachbegriff für) länger, vielleicht sogar länger als bei der Tagesdosis?

  11. @TGD

    ich hatte z.b. immer interferon peg für 2 monate im kühlschrank. ich denke mal das medikation für 3 monate im kühlschrank zu lagern kein problem sein sollte.

    was die karenzzeit betrifft – nun es gab tage da hatte ich erst am 8. tag die nächste interferon peg spritze mir verabreicht. für mich war es stimmig bin ich doch seit mittlerweile 3 jahren hep c frei – die hep c ( der virus is über den jordan) ist bei mir ausgeheilt wie mir mein arzt letzte woche mitteilte.

    eine 1 x wöchentliche gabe der medikamente wäre imo schon ein großer fortschritt.
    da ich den hep c virus hatte (den aggro typen) habe ich mich 2002 zu einer interferon behandlung entschieden. die erste interferon behandlung habe ich nach wenigen wochen abgebrochen. 2003 dann zum zweiten mal angesetzt – 1 x interferon peg die woche auf die dauer von insgesamt 15 monaten war für mich pers ok. das mag auch daher kommen das ich nicht gerade body – bauchmäßig zur gruppe der sixpacks – waschbrettbaucher gehöre. 🙂 dennoch in den letzten wochen merkte ich das ich an meine grenzen kam. insofern bin ich mir nicht sicher wie sich die verabreichung – wenn die therapie subkutan verabreicht werden soll – nach 2 – 3 jahren bemerkbar macht. vor allen dingen auch psychisch.

    die einnahme von medikamenten über eine spritze würde reisen in viele länder von vornherein ausschließen.

  12. @ TheGayDissenter & Dennis:
    die formulierung als iv-anwendung ist wohl (überwiegend) für settings in industriestaaten gedacht, das vermute ich auch.
    TGD – dein 2. punkt, volltreffer, ja – dahinter steckt natürlich auch ein wenig der ärzte-wahn, selbstso besser die ‚therapietreue‘ des patienten kontrollieren zu können
    was die plasmaspiegel angeht – sehr substanz- und formulierungs-abhängig, lässt sich nicht pauschal beantworten. aber wer eine wochen-dosis vergisst, nimmt die folgenden dosis dann 2 wochen nach der letzten eingenommenen dosis – große lücke …

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