USA: Zulassung für neuen Booster Cobicistat beantragt

Der Pharmakonzern Gilead hat bei den US-Gesundheitsbehörden FDA Food and Drug Administration die Zulassung für den neuen Booster Cobicistat (früher: GS-9350) beantragt. Der europäische Marktzulassungsantrag wurde bereits am 26. April 2012 bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur EMA gestellt.

Bisher ist die Substanz Ritonavir (Handelsname Norvir®) des Pharmakonzerns Abbott der einzige zugelassene Booster.

POZ 28.06.2012: Approval Application for Gilead’s Novel Booster Cobicistat Filed with FDA

Kurz notiert … Juli 2011

26. Juli 2011: Alexander McQueen, am 11. Februar 2011 verstorbener britischer Modedesigner, hat aus seinem 16 Millionen Pfund umfassenden Nachlass 100.000 Pfund der britischen Aids-Organisation Terrence Higgins Trust vermacht.

25. Juli 2011: Dem Kondom-Hersteller Durex werden die Kondome knapp, aufgrund einer bereits seit Mai 2011 andauernden Auseinandersetzung mit einem indischen Lieferanten.

20. Juli 2011: Die europäische Arzneimittelbehörde EMA hat dem Hepatitis-C- Proteasehemmer Boceprevir (Handelsname Victrelis®) die Zulassung erteilt.

18. Juli 2011: Der Pharmakonzern Abbott kündigt an, eine Kombi-Pille aus Kaletra® und 3TC zu entwickeln.

14. Juli 2011: Die Regionen in den USA mit den höchsten HIV-Infektionsraten zählen zugleich zu den ärmsten Regionen der USA, berichten US-Medien. In den am meisten von HIV betroffenen Regionen im Süden der USA lebe einer von fünf HIV-Positiven unterhalb der Armutsgrenze.

13. Juli 2011: Zwei große Studien zur Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP) haben gezeigt, dass Tenofovir bzw. Tenofovir plus Emtricitabine das Risiko einer sexuellen HIV-Übertragung bei heterosexuellen Paaren um 62 bzw. 73% reduzieren können.

12. Juli 2011: Liza Minelli wurde zum ‚Offizier‘ der französischen Ehrenlegion ernannt, u.a. wegen ihrer Verdienste um die Aids-Bekämpfung. Die Ehrenlegion ist die höchste Auszeichnung Frankreichs.

11. Juli 2011: Australien: HIV-positiver Mann zu 3 Jahren Haft verurteilt wegen Gefährdung von 3 Frauen durch ungeschützten Sex. Keine der Frauen wurde mit HIV infiziert.

Wissenschaftler haben in Japan einen Gonorrhoe- (auch: Tripper) Stamm entdeckt, der gegen die eingesetzten Antibiotika resistent ist.

Jerry Herman, offen HIV-positiver Hollywood-Erfolgs-Komponist u.a. der Musicals „Hello Dolly“ oder „La Cage Aux Folles“ (Ein Käfig voller Narren) wurde am 10. Juli 80 Jahre alt.

08. Juli 2011: Schweiz: eine 32jährige Frau aus Ostafrika wurde wegen schwerer Körperverletzung zu einer „teilbedingten Freiheitsstrafe“ von drei Jahren verurteilt. Falls das Urteil rechtskräftig wird, droht der Frau die Abschiebung aus der Schweiz.

05. Juli 2011: Millionen HIV-Positive, die auf günstige Aids-Medikamente angewiesen sind, werden sterben, falls Indien aufgrund des Handelsabkommens mit der EU aufhören muss, generische Aids-Medikamente herzustellen. Dies betont UNAIDS-Direktor Michel Sidibé.

04. Juli 2011: Eine Gruppe von 55 US-Ärzten fordert die US-Arzneimittelbehörde FDA auf, Truvada® nicht als ‚Präventions-Pille‚ zuzulassen.

03. Juli 2011: „Will Karel De Gucht be responsible for millions deaths ?“ EU-Handelskommissar Karel de Gucht wurde am frühen Sonntag Morgen von Aktivisten von ACT UP Paris geweckt (Video), die gegen die (von de Gucht vertretene) Position der EU in Handelsabkommen protestierten. Die Haltung der EU gefährde die Versorgung von Millionen HIV-Positiven mit preiswerten Generika.

02. Juli 2011: „Die gestoppten Gelder für den Globalen Fonds schnellstens freigeben“, fordert (nicht nur) die Deutsche Aids-Hilfe von Bundesentwicklungsminister Niebel.

01. Juli 2011: Der Schmuck der am 23. März 2011 verstorbenen Filmschauspielerin Elizabeth Taylor soll im Dezember 2011 versteigert werden. Der Erlös soll der Elizabeth Taylor Aids Foundation zugute kommen.

Einige Aids-Medikamente der Klasse der NRTIs können bei HIV-Positiven zu vorzeitiger Alterung beitragen. Die durch sie verursachten Veränderungen an den Mitochondrien könnten irreversibel sein, so Wissenschaftler.

bald geboostete Kombis ohne Ritonavir?

Der Proteasehemmer Darunavir (Prezista®) könnte schon bald in einer Ko-Formulierung mit dem Booster Cobicistat ko-formuliert und die Pillen-Zahl so reduziert werden. Eine entsprechende Entwicklungsvereinbarung schlossen beide Hersteller-Unternehmen.

Schon länger kündigt es sich an, nun könnte es konkret werden: das Ende des ‚Norvir®-Monopols‘ als Booster von HIV-Medikamenten. Die beiden Pharmakonzerne Johnson & Johnson (Janssen Pharmaceuticals / Tibotec) und Gilead einigten sich darauf, dass Gilead seinen proteasehemmer Darunavir (Handelsname Prezista®) entwickeln kann in einer gemeinsamen Formulierung mit dem Booster Cobicistat.

In einer Pressemitteilung kündigte Tibotec an:

„Tibotec Pharmaceuticals today announced that it has entered into a license agreement with Gilead Sciences, Inc., for the development and commercialization of a new once‐daily single tablet fixed‐dose antiretroviral combination product containing Tibotec’s protease inhibitor PREZISTA® (darunavir) and Gilead’s cobicistat, an investigational pharmacoenhancing or „boosting“ agent.“

Cobicistat ist eine Substanz, die (ebenso wie Ritonavir) geeignet ist, die Plasmaspiegel anderer Substanzen im Blut zu erhöhen (boosten). Cobicistat wird von Gilead Pharmaceuticals entwickelt. Bisher muss Darunavir in der geboosteten Verwendung in Kombination mit Ritonavir (Handelsname Norvir®; Hersteller Abbott) eingesetzt werden. Ritonavir ist derzeit der einzige verfügbare Booster für Aids-Medikamente.

Die nun in Entwicklung befindliche Ko-Formulierung von Darunavir und Cobicistat wäre erst die zweite „einmal-täglich eine Pile“ Formulierung eines Proteasehemmers: surch die nun in Entwicklung befindliche Ko-Formulierung könnte auch mit Cobicistat geboostetes Darunavir als „Eine – Pille“ – Formulierung angeboten werden – die Pillenzahl würde sich reduzieren.

Mit Ausnahme des Proteasehemmers ‚Kaletra®‘ (des Ritonavir-Herstellers Abbott) gibt es bisher keine Ko-Formulierungen geboosteter Proteasehemmer in einer einzigen Pille. Auch dieses Monopol würde mit einer Entwicklung einer Cobicistat-geboosteten Darunavir-Pille aufgehoben werden.

Cobicistat ist bisher nicht zugelassen. Eine Zulassung für die USA wird für 2012 erwartet.
Beide Unternehmen verhandeln derzeit zudem darüber, Cobicistat auch mit einer anderen Kombination von Aids-Medikamenten von Gilead zu kombinieren.

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siehe auch:
Tibotec Pressemitteilung 28.06.2011: Tibotec Pharmaceuticals announces Agreement with Gilead Sciences … (pdf)
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Kurz notiert … April 2011

28. April 2011: Ein Richter hat die vom New Yorker Bürgermeister vorgenommenen starken Kürzungen im Aids-Budget der Stadt zurück genommen.

Bereits am 13. April 2011 unterzeichnete Israel erstmals eine Kooperations-Vereinbarung mit UNAIDS.

20. April 2011: Der Pharmakonzern Abbott einigte sich in einem ‚class action lawsuit‘ mit Groß-Einkäufern von zweien seiner Aids-Medikamente auf eine Zahlung von 52 Millionen US-$.

18. April 2011: In Köln stirbt die Schauspielerin Stefanie Mühle an den Folgen von Krebs. In der Rolle der „Chris Barnsteg“ (1987 – 1991) hatte sie in der ARD-„Lindenstrasse“ den CSU- Politiker Peter Gauweiler wegen seiner Aids-Politik als „Faschisten“ bezeichnet.

17. April 2011: Zum Eurovision Song Contest ESC (früher Grand Prix) will die Düsseldorfer Aids-Hilfe mit einer besonderen Aktion präsent sein: „safer sex 12 points“.

16. April 2011: In Großbritannien bekommen erstmals serodifferente Paare Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP), um auf natürliche Weise ihren Kinderwunsch realisieren zu können.

14. April 2011: Atazanavir kann das Risiko für Nierensteine vierfach erhöhen, berichten britische Forscher.

13. April 2011: Die britischen Pfadpfinder habe ein neues Programm zur Sexualaufklärung bei 14- bis 18-Jährigen gestartet unter dem Titel „My Body, My Choice“.

12. April 2011: Die Zahl nicht Aids definierender Krebserkrankungen bei HIV-Positiven ist am Steigen, betont das National Cancer Institute der USA.

Trotz einer Finanzkrise des Medikamenten-Programms ADAP hat der Pharmakonzern Gilead in den USA die Preise für seine Aids-Medikamente zum Teil deutlich erhöht.

05. April 2011: Der kalifornische Porno-Produzent „Hustler Video“ wurde zu über 14.000 US-$ Geldstrafe verurteilt, weil bei Porno-Dreharbeiten keine Kondome verwendet wurden.

02. April 2011: „Du hattest ungeschützten Sex? Verhindere eine HIV-Infektion!“, wirbt eine Kampagne der New York School of Medicine für Post-Expositions-Prophylaxe (PEP).

Zwei Drittel aller Kinder, die nach Geburt gestillt wurden und mit HIV infiziert wurden, und deren Mütter antiretrovirale Therapie erhielten, hatten HIV mit Resistenzen gegen ein oder mehrere Medikamente, berichten Forscher.

01. April 2011: HIV-Positive sind bisher von Organspenden ausgeschlossen. Ist dies noch zeitgemäß?, fragt eine Studie – vor dem Hintergrund langer Wartelisten bei HIV-positiven potentiellen Organempfängern.

Eine sinkende Rate an neuen HIV-Infektionen, über sechs Millionen HIV-Positive weltweit erhalten antiretrovirale Therapien – die umfangreichen Investitionen in die globale Aids-Bekämpfung beginnen Früchte zu tragen, betont UN-Generalsekretär Ban ki-Moon.

Abbott: 3,5 Mio. $ Strafe an Glaxo

Der Pharmakonzern Abbott wurde in den USA verurteilt, seinem Wettbewerber GlaxoSmithKline (GSK) eine Strafe von 3,5 Millionen US-Dollar zu zahlen. Hintergrund des Urteils ist die Verfünffachung des Preises für Norvir® (Wirkstoff Ritonavir) im Jahr 2003.

Im Jahr 2003 erhöhte der Pharmakonzern Abbott den Preis für sein Aids-Medikament Norvir. Doch es folgte nicht eine ‘normale’ Preiserhöhung – der Pharmakonzern verfünffachte den Preis direkt (siehe Bericht “Gewinne Gewinne Gewinne“).

Der Pharmakonzern  GlaxoSmithKline (GSK; ‚Glaxo‘) ging daraufhin gegen Abbott vor Gericht vor. Die massive Preiserhöhung habe den Zweck verfolgt, weiteres Wachstum für Abbotts Medikament Kaletra® sicherzustellen (in dem ebenfalls Ritonavir als Booster verwendet wird). Dies stelle eine Wettbewerbsverzerrung und Benachteiligung von Wettbewerbern wie Atazanavir (Handelsname Reyataz®) von Glaxo dar.

Ein Gericht in den USA wies am 31. März 2011 die Klage Glaxos gegen Abbott zurück. GSK hatte den Schaden auf 570 Mio. $ beziffert und den dreifachen Betrag als Schadenersatz gefordert.

Allerdings sprach das Gericht GSK eine Zahlung in Höhe von 3,5 Millionen US-Dollar wegen Vertragsbruchs zu. Ein Abbott-Sprecher betonte, der Konzern behalte sich vor, hiergegen in Berufung zu gehen. Ein GSK-Sprecher hingegen betonte, der Konzern sei enttäuscht, man werde das Urteil jedoch akzeptieren.

Bereits 2007 waren vier Apotheken-Ketten in den USA wegen der drastischen Preiserhöhung gegen Abbott vor Gericht gegangen. Dabei wurden auch prozessunterlagen bekannt, die wenig günstig für das Bild von Abbott in der Öffentlichkeit waren: Laut Prozess-Unterlagen (’exhibit #14′) wurde damals als eine Alternative zur drastischen Preiserhöhung die Einstellung der Norvir®-Produktion überlegt. Es wurde diskutiert “den verbleibenden Vorrat nach Afrika zu geben und die Ritonavir-Produktionsanlage zu schließen”.

Ein Gericht in San Francisco wies am 07. Juli 2009 die Klage zurück. Abbott hatte vorher Presseberichten zufolge 10 Millionen US-$ gezahlt, und sich zudem bereit erklärt, dass das Gericht dennoch kläre, ob die Preiserhöhung einen illegale Geschäftspraxis sei.

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weitere Informationen:
Bloomberg 31.03.2011: Abbott Ordered to Pay Glaxo $3.5 Million in HIV Drug Suit
NPIN 31.03.2011: US Jury Rejects Glaxo Antitrust Claim vs. Abbott
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Kurz notiert … Oktober 2010

28. Oktober 2010: Hepatitis C : Die DAH weist hin auf Verhaltensänderungen bei Hepatitis-C-Behandlung: neue Medikamenteninformationen

24. Oktober 2010: Trotz seiner langwährenden Freundschaft mit Ernie sei er nicht schwul, lässt Sesamstraßen-Figur Bert erklären.

22. Oktober 2010: Die derzeit angewendeten US-Behandlungsrichtlinien für die Behandlung von Syphilis bei HIV-Positiven haben eine sehr geringe Evidenz-Basis, betont eine Veröffentlichung in einer Fachzeitschrift.

Mit Ritonavir (Handelsname Norvir®) geboostetes Saquinavir (Invirase®) kann zu Herzrhythmusstörungen führen, berichten Medien. Die US-Packungsbeilage wurde geändert.

Der Pharmakonzern Johnson & Johnson macht Infektionskrankheiten (darunter HIV)  zu einer Priorität seiner Geschäftsaktivitäten.

21. Oktober 2010: Den seltenen Fall einer HIV-Übertragung durch eine Messer-Attacke haben Forscher in Taiwan dokumentiert.

19. Oktober 2010: Auch München braucht einen Gedenkort für schwule NS-Opfer, fordert die Rosa Liste in einem Antrag.

15. Oktober 2010: Zwei HIV-positive Strafgefangene haben vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) erfolgreich gegen Russland bzw. gegen die Ukraine geklagt. Sie erhielten Schmerzensgeld in Höhe von 27.000 bzw. 8.000 Euro zugesprochen, ihre medizinische Versorgung sei menschenunwürdig.

Die ARGE muss die Fahrtkosten zur Substitutionsbehandlung übernehmen, urteilte das Sozialgericht Wiesbaden.

Aids könne eine „Art von immanenter Gerechtigkeit“ für den Missbrauch der Liebe sein, meint der Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz von Belgien.

14. Oktober 2010: Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat ihre Richtlinie zur Behandlung der HIV-Infektion bei Frauen und Kindern aktualisiert.

13. Oktober 2010: Über 80.000 Menschen im Iran seien an Aids erkrankt, meldet der unabhängige Sender ‚Radio Zamadeh‘ aus Amsterdam. Offizielle Zahlen liegen bei 22.000.

Der Pharmakonzern Abbott hat mit dem niederländischen Biotech-Unternehmen Qiagen eine Vereinbarung geschlossen über die gemeinsame Vermarktung von Tests auf HIV, Hepatitis C und Humane Papilloma-Viren.

„The Gay Liberation Front’s social revolution“ – Peter Tatchell erinnert in einem Kommentar an die Gründung der Schwulengruppe ‚Gay Liberation Front‚ in London am 13. Oktober 1970.

11. Oktober 2010: Der Vertreib von HIV-Heimtests ist gesetzlich geregelt, (nicht nur) die DAH warnt immer wieder. Nun warnen auch Ärzte vor HIV-Heim-Tests.

Medizinische Leitlinien haben weitreichende Folgen. Entstehen sie immer unabhängig? Über Interessenverflechtungen berichtet „Augen auf beim Leitlinien-Kauf“

9. Oktober 2010: In Paris findet die  erste Internationale Konferenz homosexueller Muslime (CALEM Conférence des associations LGBT européennes et musulmanes) statt – unter Beteiligung der beiden einzigen offen homosexuellen Imame.

7. Oktober 2010: Uridin hilft nicht gegen Fettschwund bei HIV-Positiven (Lipoatrophie), zeigte eine US-Studie.

6. Oktober 2010: Erstmals soll ein ‚therapeutischer Impfstoff‚ eine „funktionale Heilung“ erreicht haben – bei SIV, einer ‚Affen-Variante‘ von HIV. In einer Gruppe mit der Substanz des Unternehmens VIRxSYS Corporation geimpfter Affen soll die HIV-Vermehrung unter Kontrolle und das Voranschreiten der Erkrankung aufgehalten worden sein.

5. Oktober 2010: Wegen Unwirksamkeit beendet der Pharmakonzern GlaxoSmithKline (GSK) alle seine Studien zum Herpes-Impfstoff „Simplirix“.

4. Oktober 2010: Klassischer Fall von Homophobie gepaart mit Serophobie in Indonesien: der Informationsminister macht Schwule für Aids verantwortlich.

„Schwulenhass bleibt ein Thema“, betont Dirk Brüllau vom schwul-lesbischen Netzwerk „Queer Football Fanclubs“ zum Thema Homophobie und Fussball im Magazin „11FREUNDE“.

3. Oktober: Der Brite Robert Edwards erhält den diesjährigen Medizin-Nobelpreis für die Entwicklung der künstlichen Befruchtung. Erst jüngst hatte der G-BA einen Anspruch auf künstliche Befruchtung als GKV-Leistung auch für von HIV betroffene Paare beschlossen.

2. Oktober: US-Präsident Obama entschuldigt sich nach über 60 Jahren für Syphilis-Versuche in den 1940er Jahren. Ohne ihr Wissen wurden 1.500 Menschen in Guatemala mit Syphilis infiziert, um die Wirkungsweise von Penicillin zu untersuchen. Die Teilnehmer hatten keinerlei Möglichkeit einer informierten Einwilligung (informed consent). Die Untersuchungen fanden im Zusammenhang mit dem berüchtigten „Tuskegee Syphilis Experiment“ statt.

1. Oktober 2010: Homosexuelle mit einzubeziehen sei entscheidend für Malawis Kampf gegen Aids, betonte die Vizepräsidentin des afrikanischen Staates, Joyce Banda, bei einem Spitzentreffen religiöser Führer. Schwule und Lesben seien eine Realität in Malawis Gesellschaft, dies dürfe nicht ignoriert werden.

Welche Anforderungen und Bedürfnisse haben Transgender-Männer an HIV-Prävention?, fragt ‚Youths2getherNetwork: „What are transgender men’s HIV prevention needs?“

Sexualaufklärer Oswald Kolle ist bereits am 24. September im Alter von 81 Jahren in den Niederlanden verstorben, wie erst am 1. Oktober bekannt wurde.

Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit hat am 1. Oktober den Verdienstorden des Landes Berlin an 14 Bürgerinnen und Bürger verliehen, darunter auch an Kai-Uwe Merkenich, von 2000 bis 2009 Geschäftsführer des Berliner Aids-Hilfe e.V..

Der von der französischen Staatssekretärin für Sport Rama Yade angekündigte ‚Aktionsplan gegen Homophobie im Sport‚ nimmt Gestalt an, die Arbeitsgruppe, die den Plan entwickeln soll, kam zu einem ersten treffen im Ministerium zusammen.

Selbsthilfe oder Propaganda? Über Schleichwege des Pharma-Marketings

Positive bloggen – immer mehr. Ein erfreulicher Trend, denn auch auf diesem Weg werden immer mehr Stimmen sicht- und lesbar, die aus der Vielfalt des Lebens mit HIV und Aids berichten. Allerdings gibt es Stimmen, die nachdenklich stimmen, bei denen ein Blick lohnt à la „guck mal wer da spricht“. Ein ‚Blog‘, eine Site, bei denen unklar ist, ob ‚HIV-positiv‘ oder nicht vielmehr ‚Pharma‘ drin ist, Marketing eines Pharmakonzerns …

Jo bloggt, Marcel bloggte, Termabox bloggt, Diego neuerdings auch, und Kalle sowieso, Alive n Kickin auch, und Desmond. Desmond? Ja, Desmond.
Desmond wirbt auch für sein Blog, zum Beispiel auf Facebook:

„Hallo Leute,
ich bin Desmond, 30 Jahre alt, komme aus Köln und bin HIV-positiv. In meinem Blog spreche ich über mich, meine Musik, die Mode und das Bloggen. Außerdem schreibe ich über meine Gedanken und was mich in meinem Leben bewegt. Das hilft mir, mit HIV umzugehen und ich hoffe, dass es anderen hilft, denen es genauso geht. Drückt oben auf den Button „Gefällt mir“, um an meinem Leben teilzuhaben.
Ich freue mich über jeden „Zuhörer“… ;-)))))
Desmond“

Das klingt zunächst interessant. Desmond, HIV-positiv, schriebt über sein leben. Etwas jedoch sagt Desmond nicht. Wer auf den Link klickt, der zu Desmonds Blog führt, landet auf einer aufwendig gestalteten Seite. Liest viel über Desmond und sein Leben …
…und erfährt höchstens, wenn er ganz unten an Ende der Seite auf „Impressum“ klickt, wer denn dieses Angebot betreibt:

„Diensteanbieter: Abbott GmbH & Co. KG“
und
„Realisierung: Allround Team GmbH … Redaktion: Christian Lang, Fabienne Nawrat“

Über das „Allround Team“, zuständig für Abbotts „Infotainment-Angebot“ und „Community-Website“ namens ‚Garten der Lüste‘,  ist auf dessen Internetsite zu erfahren

„Allround: Das bedeutet für uns vielseitig begabt, universell tätig und überall einsetzbar zu sein. Spezialisiert sind wir auf Agenturdienstleistungen, Verlagswesen, Sprachdienste und Usability-Studien, stehen Ihnen aber mit unserer langjährigen Erfahrung und unseren frischen Ideen auch in jedem anderen Aufgabenfeld zur Verfügung.“

Technisch wird ‚Desmonds Blog‘ realisiert von ‚Medienhof‘ – einer Agentur, die sich selbst im Untertitel bezeichnet als

„Agentur für Unternehmenskommunikation“.

Desmonds Blog – also nicht ‚irgendein‘ HIV-positives Blog. Ein Blog auf einer Marketing-Plattform, und zwar eines Pharmakonzerns, eines Konzerns der Aids-Medikamente herstellt. Ein kleiner, ein wichtiger Unterschied.

Nun mag ein HIV-Positiver sich vielleicht durchaus entscheiden, sich bei einem Pharmakonzern zu verdingen, dort sein Blog professionell ‚betreuen‘ zu lassen (was auch immer ‚betreuen‘ dann meinen mag).

Allein – die ‚Kommunikation‘ von Pharmakonzernen mit Patienten ist immer einen besonderen Blick wert. Nicht umsonst gilt das Direktwerbeverbot des Heilmittelwerbegesetzes:

„Für verschreibungspflichtige Arzneimittel darf nur bei Ärzten, Zahnärzten, Tierärzten, Apothekern und Personen, die mit diesen Arzneimitteln erlaubterweise Handel treiben, geworben werden.“ (Volltext: Gesetz über die Werbung auf dem Gebiete des Heilwesens, dort §10)

Nicht nur, dass die Site ‚Garten der Lüste‘ von Abbott betrieben wird, dort wird auch -ohne Nennung von Produktnamen- über die HIV-Medikamente des Konzerns berichtet, werden Broschüren angeboten, die bestimmte Technologien des Konzerns für HIV-Medikamente lobpreisen, wird auf andere konzerneigene HIV-Sites verlinkt.

Wenn dann auch noch die Verquickung von ‚Stimme aus dem HIV-positiven Leben‘ und Pharma-Marketing nicht (wie z.B. beim Facebook-Auftritt) oder kaum sichtbar (wie auf der Site) erwähnt wird, wirft dies weitere Fragen auf.

Worum geht es?

„Unternehmenskommunikation“ – dieser Begriff (den die realisierende Agentur im Untertitel führt) weist wohl in die Richtung, um die es im ‚Garten der Lüste‘ gehen dürfte. Und vermutlich auch auf ‚Desmonds Blog‘? Die Kommunikation eines Unternehmens, das einer der großen Player auf dem Gebiet der HIV-Medikamente ist. Und einer der sehr umstrittenen Player.

Denn Abbott hat eine bewegte Geschichte auf dem Aids-Markt. Eine Geschichte voll von Problemen und Eigenartigkeiten. Eine kleine Auswahl: Der Konzern plante eigenen Unterlagen zufolge, ein lebenswichtiges Aids-Medikament vom Markt zu nehmen, was die eigene Marktposition im Vergleich zu Wettbewerbern befördert hätte. Um die eigenen Gewinne zu erhöhen, wurde in den USA der Preis dieses Aids-Medikaments verfünffacht. Immer wieder auch gerät Abbott in die Kritik aufgrund seines Umgangs mit Patentrechten. Erst jüngst versuchte ein Abbott-Pharmareferent in Costa Rica Presseberichten zufolge, HIV-Positive davon zu überzeugen sich einer Klage gegen eine generische Version von Lopinavir> anzuschließen. Kritik wird nicht gern gesehen – Abbott klagte gegen ACT UP . In den USA wurde jüngst Abbott abgemahnt – wegen Werbung, die die Wirkung für ein Aids-Medikament übertreibt und Nebenwirkungen verharmlost.

Sieht so die Aids-Politik eines Unternehmens aus, in dessen Gesellschaft man sich befinden möchte als HIV-positiver Blogger? Diese Frage muss jeder Blogger für sich selbst entscheiden. Aber die Verbindungen zum Konzern sollten für jeden und jederzeit offen ersichtlich sein.

So bleibt letztlich die Frage nach dem Zweck des Ganzen. Sind ‚Garten der Lüste‘ und vielleicht auch ‚Desmonds Blog‘ wirklich mehr als nur der immer wieder erneuerte Versuch von Pharmakonzernen, sich über das aus guten Gründen bestehende Direktwerbeverbot hinweg zu setzen?

Wird hier das Image eines ‚Blogs eines HIV-Positiven‘ benutzt, instrumentalisiert, um über immer neue Wege direkten Zugang zu Patienten zu bekommen?

Positive Stimme? Oder schnödes Marketing, im Interesse des Unternehmens?

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Nebenbei, der ‚Garten der Lüste‘ ist eines der bekanntesten Triptychen von Hieronymus Bosch. Der eigentliche ‚Garten der Lüste‘, dargestellt im  Mittelteil dieses Triptychons, wurde lange Zeit als Warnung vor der Todsünde der Wollust gedeutet. Inzwischen wird es auch als Darstellung eines utopischen Liebes-Paradieses gesehen, als ‚Garten der Liebe‘. Abbott wirbt für seine Kampagne mit dem Slogan „Augen auf im Garten der Lüste – Kondome schützen“. Ob Abbott dieses Spannungsfeld der Interpretationen des Bosch-Triptychons  bei der Wahl des Namens ihrer Patienten-Marketing-Kampagne bewusst war?

siehe auch:
stationäre aufnahme 11.07.2010: Abbott schickt bei Facebook HIV-Infizierten vor
Bildblog 12.07.2010
medizynicus 20.07.2010: Kann man Bloggern trauen? Oder: Desmond, die Krankheit und die Pharmaindustrie
Reaktion von Desmond auf die Artikel in Desmonds Blog am 23.07.2010 [Artikel dort nicht einzeln verlinkbar]
medizynicus 23.07.2010: Desmond lebt!

brandeins 07/2010: Mein Patient, mein Partner
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neue hitzestabile Ritonavir-Tablette in Europa zugelassen (akt.)

Eine neue Formulierung von Ritonavir (Handelsname Norvir®) als hitzestabile Tablette wurde in Europa zugelassen.

Ritonavir war einer der ersten Aids-Medikamente der Substanzklasse der Proteasehemmer, das zugelassen wurde. Inzwischen wird Ritonavir weit überwiegend nicht mehr direkt gegen HIV eingesetzt, sondern in niedrigerer Dosierung (meist 100 oder 200mg) als Booster, um den Wirkstoffspiegel anderer Medikamente zu erhöhen.

Bisher ist Ritonavir nur als Saft sowie als Kapsel verfügbar, die gekühlt aufbewahrt werden muss. Am 25. Januar 2010 wurde nun, wie Hersteller Abbott mitteilt, von der europäischen Arzneimittel-Agentur EMA eine Formulierung von Ritonavir als Tablette zugelassen. Die 100mg-Tablette, die bei Zimmertemperatur aufbewahrt werden kann, wird nach Angaben von Abbott so dosiert wie die bisherige Formulierung auch.

Nachtrag 12.02.2010:  Am 11. Februar teilte Abbott mit, dass nun auch in den USA die neue Formulierung zugelassen wurde.
AIDSmeds.com weist darauf hin, dass die neuen Tabletten mit Nahrung eingenommen werden sollten: „In addition, unlike the capsules, the new tablets must be taken with food.“

weitere Informationen:
abbott.com: New Heat-Stable Norvir® (Ritonavir) Tablet Approved in Europe
aidsmap 03.02.1010: New heat-stable ritonavir tablet approved in Europe
prnewswire 11.02.2010: Abbott Receives U.S. FDA Approval for Heat-Stable Norvir(R) (ritonavir) Tablets
aidsmeds.com 11.02.2010: FDA Approves Heat-Stable Norvir Tablets
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Merck Top, Abbott Flop – US-Aktivisten bewerten Pharma-Konzerne

Gute Noten für den Pharmakonzern Merck, letzter Platz für den Multi Abbott – so lautet das Resüme eines Rankings von Pharmakonzernen, das US-Aids-Aktivisten vorgenommen haben.

Wie gut sind die Bemühungen führender Pharmakonzerne im Kampf gegen Aids in den USA?
US-amerikanische Aids-Aktivisten der Gruppe ATAC (Aids Treatment Advocacy Coalition) bewerteten neun auf dem Gebiet der Aids-Medikamente bedeutende Pharmakonzerne (Abbott Laboratories, Boehringer Ingelheim, Bristol-Myers Squibb, Gilead Sciences, GlaxoSmithKline, Merck, Pfizer, Roche und Tibotec Therapeutics).

Die Unternehmen wurden in 5 Kategorien bewertet: Entwicklungs-Portfolio neuer Substanzen und Vorhaben, Zugang zu Medikamenten, Preispolitik, Beziehungen zu HIV-Communities sowie Marketing-Praktiken.

Eindeutiges Resultat: der Pharmakonzern Merck (in Deutschland MSD auf dem Markt) gewann den ersten Platz, während der US-Multi Abbott das eindeutige Schlusslicht bildete.

ATAC Report Card (c) ATAC
ATAC Report Card (c) ATAC

Das ernüchternde Resüme von ATAC:

„the majority of pharmaceutical companies are not developing innovative, new long-term treatment options that offer improved efficacy, safety and tolerability when taken for decades“

Bob Huff, einer der Leiter von ATAC, wies darauf hin, dass selbst die besten der derzeit verfügbaren Aids-Medikamente nicht dafür entwickelt wurden, auf sichere Weise für einen derart langen Zeitraum eingenommen zu werden, wie Menschen mit HIV sie voraussichtlich benötigen werden.

Der Report zeige, so ATAC, dass einige Pharmakonzerne einen eindeutig besseren Job verrichten würden als andere Unternehmen. Ein Kriterium, das den erfolgreicheren Unternehmen gemeinsam sei, sei ein frühzeitiges Einbinden von Communities schon während früher Phasen der Medikamenten-Entwicklung.

ATAC gibt in dem Report auch klare Empfehlungen an Pharma-Unternehmen, wie sie den Bedürfnissen der Patienten besser gerecht werden könnten. Dies betreffe insbesondere Sicherheit und Wirksamkeit neuer Substanzen.

weitere Informationen:
ATAC 10.09.2009: Most Pharmaceutical Companies Receive Poor Grades on HIV/AIDS Drug Development Innovation, According to AIDS Treatment Activist Coalition Report Card (pdf)
New York Times 10.09.2009: AIDS Activists Issue Grades to Drug Companies
POZ 10.09.2009: ATAC Releases Pharmaceutical Company HIV/AIDS Report Card
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Norvir-Preis: Abbott gewinnt Klage

Der Pharmakonzern Abbott hat in San Francisco eine Klage wegen der 400%igen Erhöhung des US-Preises für das Aids-Medikament Norvir gewonnen.

Im Jahr 2003 erhöhte der Pharmakonzern Abbott den Preis für sein Aids-Medikament Norvir® (Wirkstoff Ritonavir). Doch es folgte nicht eine ‘normale’ Preiserhöhung – der Pharmakonzern verfünffachte den Preis direkt (siehe Bericht “Gewinne Gewinne Gewinne“).

Gegen diese Preiserhöhung des Konzerns wandten sich in den USA mehrere Gesundheits-Unternehmen sowie Lobby-Gruppen. Sie erhoben gegen Abbott Klage. Der Großhandelspreis von Norvir® sei in den USA durch die Erhöhung von 51,30$ auf 257,10$ für 30 Kapseln à 100mg gestiegen. Damit missbrauche Abbott seine Monopolstellung.

Ein Gericht in San Francisco wies nun am 07. Juli 2009 die Klage zurück. Abbott hatte vorher Presseberichten zufolge 10 Millionen US-$ gezahlt, und sich zudem bereit erklärt, dass das Gericht dennoch kläre, ob die Preiserhöhung einen illegale Geschäftspraxis sei.

Die Rechtsanwälte der Kläger prüfen, ob sie Berufung gegen das Urteil einlegen.

Das Monopol, das Abbott derzeit de facto mit Ritonavir zum Boosten anderer Substanzen hat, wird vermutlich bald durch Zulassung von Booster-Substanzen anderer Hersteller beendet.

weitere Informationen:
ondamaris 15.11.2007: Norvir-Preis vor Gericht
365gay.com 08.07.2009: Appeals court rules for Abbott in AIDS drug case
BNET 08.07.2009: Why Abbott Is Allowed to Manipulate GSK and BMS’s AIDS Drug Prices
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Kompetenznetz HIV – der steigende Einfluss der Pharmaindustrie

Das Kompetenznetz HIV/Aids sucht neue Wege der Finanzierung. Ein begehrter ‚Partner‘: die Pharmaindustrie, deren Einfluss im Kompetenznetz zunehmend steigt.

Das Kompetenznetz HIV/Aids sucht neue Wege der Finanzierung. Ein begehrter ‚Partner‘: die Pharmaindustrie, deren Einfluss im Kompetenznetz zunehmend steigt.

Es ist ruhiger geworden in den letzten Monaten um das Kompetenznetz HIV/Aids. Noch 2006 und 2007 wurde intensiv über laxen Umgang mit Patientendaten, über Kohortenstudie und Datenschutz-Probleme diskutiert, und Ende 2008 über die ominöse ‚Rektalstudie‘.

Inzwischen herrscht weitgehend Ruhe beim Thema ‚Kompetenznetz‘. Eine Ruhe, aus der man schließen könnte, alle Probleme seien gelöst, alle offenen Fragen beantwortet.

Doch – die Debatten wurden noch nicht zuende geführt. Viele Fragen sind noch offen. Und neue Fragen hinzu gekommen. Nicht nur interne wie die des Datenschutzes, sondern auch extern – die nach den Partnern. Besonders die nach der Rolle der Pharma-Industrie im Kompetenznetz HIV/Aids.

Heute „Kompetenznetz HIV – der steigende Einfluss der Pharmaindustrie“, am Freitag folgt der zweite Teil zur Frage, welche Rolle die DAH im Kompetenznetz hat.

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Die neue Rolle der Pharmaindustrie im Kompetenznetz HIV/Aids

Im Jahr 2008 hat das Kompetenznetz eine organisatorische Änderung erfahren, die zukünftig weitreichende Konsequenzen haben könnte: erstmals wurden Pharmaunternehmen aufgenommen.

Hierzu wurde das Konstrukt einer ‚Fördermitgliedschaft‘ neu eingeführt.
2008 wurden bereits die Pharmakonzerne Abbott und MSD Mitglied mit einem jährlichen ‚Förderbeitrag‘ in Höhe von je 10.000€, 2009 wurden zudem Boehringer Ingelheim und Essex als ‚Fördermitglied‘ aufgenommen.

Doch der Arm der Pharma-Industrie reicht inzwischen weiter hinein in das Kompetenznetz HIV. Nicht nur in Form von ‚Fördermitgliedschaften‘ ist die Pharmaindustrie beteiligt, sondern seit Kurzem auch direkt finanziell in Projekte und die Nutzung von Ergebnissen eingebunden:

Zum Kompetenznetz-Projekt ‚Resistenzdatenbank‘ vermeldet das Kompetenznetz selbst Ende 2008:

„Nun konnte das Kompetenznetz selbst mit der Firma Virco einen Partner finden, der das Projekt mitfinanziert.“

Virco, ein 1995 gegründetes Unternehmen, das Verfahren zur Interpretation von Resistenztests entwickelt und anbietet, ist ein Teil des 1994 gegründeten Unternehmens Tibotec (u.a. HIV-Medikamente Prezista®, Intelence®). Tibotec wiederum ist (über Janssen-Cilag) seit April 2002 Bestandteil des internationalen Pharmakonzerns Johnson & Johnson.

Der Preis für die Unterstützung Vircos?

„Als Gegenleistung für die Finanzierung der Resistenzdatenbank erhält Virco die pseudonymisierten Sequenzdaten sowie einen eingeschränkten Satz relevanter klinischer Daten“, berichtet ‚Kompl@t‘, der Newsletter des Kompetenznetzes.

Die Pharmaindustrie ist also inzwischen weit mehr als „nur“ Fördermitglied, die Pharmaindustrie gelangt vielmehr längst in der Rolle eines bedeutenden Finanziers von Projekten. Zudem partizipiert sie direkt an den Ergebnissen.

Diese Entwicklung vollzieht sich nicht grundlos. Hintergrund dieser Entwicklungen ist das Bemühen des Kompetenznetzes HIV, den Anteil der Drittmittel-Förderung auszubauen.

Dieses Bemühen des Kompetenznetzes HIV/Aids um Drittmittel war notwendig geworden, nachdem der Bund ankündigte, nach Ablauf der dritten Förderperiode 2010 keine weiteren öffentlichen Mittel bereit zu stellen. Zwar enthielt erst jüngst ein Antrag der FDP-Bundestagsfraktion (21. Januar 2009) zur Aids-Forschung auch einen Appell, die zukünftige Förderung des Kompetenznetzes durch das Forschungsministerium sicherzustellen. Diesem Begehren wird derzeit aber nur geringe Aussicht auf erfolg eingeräumt.

Angesichts der Mittel-Situation wird die Pharmaindustrie zukünftig ein noch begehrterer Partner des Kompetenznetzes HIV werden. Ein Partner, der weit mehr sein wird als nur Fördermitglied. Ein Partner, der wesentlich zur Finanzierung des Kompetenznetzes HIV beitragen wird. Ein Partner, der zunehmend an den Ergebnissen der Projekte teilhaben wird. Und ein Partner, der zunehmend versuchen dürfte, auch auf die Ausrichtung des Kompetenznetzes und seiner Forschungsprojekte Einfluss zu nehmen.

Dies ist eine Entwicklung, die sicher auch die Bundesregierung verursacht durch ihr Beharren auf einem Auslaufen der öffentlichen Förderung.
Es ist jedoch in jedem Fall eine Entwicklung, die so nicht im Interesse der Menschen mit HIV und Aids sein dürfte. Ein stärkerer Einfluss der Pharmaindustrie dürfte immer auch bedeuten, dass Interessen an kommerzieller Verwertbarkeit der Ergebnisse stärkere Bedeutung gewinnen. Dass dies nicht unbedingt Patienteninteressen entspricht, zeigen allein schon die zahlreichen Beispiele von Substanzen, deren Erforschung nicht oder nur unter äußerst erschwerten Umständen möglich war – weil eine Patentierbarkeit unmöglich, eine lukrative kommerzielle Verwertung unwahrscheinlich war – obwohl eine Erforschung im Interesse von HIV-Positiven gewesen wäre.

Ein Kompetenznetz HIV/Aids, in dem die Pharmaindustrie eine immer stärkere Rolle einnimmt – kann das im Interesse von Menschen mit HIV sein? Und wie müssten, sollten sie sich daran beteiligen – oder nicht?

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Teil 2 am Freitag, 27.2. beschäftigt sich mit der Rolle der DAH im Kompetenznetz

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USA: Zulassung für hitzestabiles Norvir beantragt

Der Pharmakonzern Abbott hat in den USA die Zulassung für eine neue Form des Aids-Medikaments Norvir beantragt, die hitzestabil ist und keine Kühlung mehr erfordert.

Das Aids-Medikament Norvir® ist schon seit August 1996 zugelassen. Seit vielen Jahren wird es vornehmlich nicht mehr direkt als Medikament gegen HIV eingesetzt, sondern als sog. Booster. Hier wird die Eigenschaft der Wirksubstanz Ritonavir genutzt, bestimmte Abbau-Prozesse in der Leber zu beeinflussen, um den Wirkstoff-Spiegel anderer Substanzen zu erhöhen.

Norvir-Kapseln
Norvir-Kapseln

Doch Norvir® hat u.a. in seiner derzeitigen Formulierung einen wesentlichen Nachteil – es muss gekühlt werden, da die Kapsel nicht hitzestabil ist.

Was für HIV-Positive in Industriestaaten zunächst nur wie ein ‚Komfort-Faktor‘ erscheinen mag, stellt für viele HIV-Infizierte in weniger entwickelten Staaten ein großes Problem dar. Die Notwendigkeit, Norvir® zu kühlen, stellt z.B. in vielen Staaten des südlichen Afrikas ein großes praktisches Problem dar – und hat (da die Substanz bisher der einzige verfügbare Booster ist) so alle geboosteten Therapien gegen HIV stark erschwert und Therapiechancen massiv reduziert.

Die neue Formulierung als Tablette, für die nun Ende Januar 2009 die Zulassung bei der US-Medikamentenbehörde FDA (Food and Drug Administration) sowie der Europäischen Medikamentenbehörde EMEA beantragt wurde, ist hitzestabil und erfordert keine Kühlung mehr.

Über den zukünftigen Preis des hitzestabilen Norvir® hat sich der Pharmakonzern Abbott noch nicht geäußert.  In den USA hatte die Erhöhung des Norvir®-Preises auf das Fünffache vor einigen Jahren zu starken Protesten geführt.

Allerdings befinden sich andere Booster-Substanzen in der Entwicklung, so dass die Wettbewerbs-Situation für Norvir® sich ändert und ein Ende des Norvir®-Monopols‘ naht.

weitere Informationen:
Natap: New Norvir Tablett Application Submitted to FDA by Abbott (Abbott-Pressemitteilung)
ondamaris: Ritonavir – naht das Ende des Monopols?
ondamaris: Norvir-Preis vor Gericht
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Ritonavir – naht das Ende des Monopols? (akt.2)

Viele Aids-Medikamente benötigen zum Erreichen einer optimalen Wirkung einen Verstärker. Auf diesen hat der Pharmakonzern Abbott derzeit de facto ein Monopol. Doch das Ende dieses Monopols naht scheinbar.

Bei zahlreichen Medikamenten wird angestrebt, den Wirkstoff-Spiegel im Blut zu erhöhen – sei es um eine bessere Wirksamkeit zu erreichen, oder z.B. um eine einmal tägliche Dosierung zu ermöglichen. So werden (außer dem wenig verwendeten Nelfinavir) derzeit alle zugelassenen Proteasehemmer (eine Wirkstoffklasse von Aids-Medikamenten) in Kombination mit einer kleinen Dosis Ritonavir eingesetzt.

Wer derzeit den Spiegel eines (Aids-) Medikaments erhöhen möchte (‚boosten‘) ist bisher auf den einzig verfügbaren Wirkstoff, der dieses leistet, angewiesen – den Proteasehemmer Ritonavir, vom Pharmakonzern Abbott vermarktet unter dem Handelsname ‚Norvir‘ ®.

Norvir-Kapseln - bald nicht mehr der einzige Booster?
Norvir-Kapseln - bald nicht mehr der einzige Booster?

Abbott setzt diese Markt-Position auch strategisch ein: der hauseigene Proteasehemmer Lopinavir wird (unter dem Handelsnamen Kaletra®) zusammen mit Ritonavir direkt koformuliert in einer Pille vermarktet. Ein großer Marktvorteil – alle anderen Proteasehemmer (anderer Hersteller) können nicht mit Ritonavir in einer Pille koformuliert werden, erfordern vielmehr die zusätzliche Einnahme einer Kapsel Ritonavir. Zudem muss diese Kapsel gekühlt aufbewahrt werden, da eine hitzestabile Version von Ritonavir bisher weiter auf sich warten lässt.

Andere Pharmaunternehmen kritisieren zudem den hohen Preis von Ritonavir – Abbott hatte den Preis im Dezember 2003 in den USA verfünffacht (nachdem zuvor andere Norvir-Planspiele wie das völlige vom Markt nehmen verworfen wurden). Seit einiger Zeit läuft die Auseinandersetzung um den Norvir-Preis vor Gericht.

Zudem ist Ritonavir kein sehr beliebtes Medikament. Es kann zu einer Erhöhung der Blutfettwerte beitragen (die teils auch wiederum selbst behandlungsbedürftig wird). Zudem scheint Ritonavir oftmals mit eine der Ursachen für zahlreiche Verdauungsprobleme zu sein, an denen viele Positive leiden.

Doch nun könnte ein Ende des Ritonavir-Monopols nahen. Im Juli 2008 kündigte der Pharmahersteller Gilead (auch Hersteller zahlreicher Aids-Medikamente) an, das Unternehmen habe eine Substanz in Entwicklung, die ebenfalls als Booster (Wirkstoff zur Erhöhung des Plasmaspiegels anderer Substanzen) geeignet sei. Klinische Studien (Testen der Substanz am Menschen) der Phase I hätten bereits begonnen.

GS 9350 (so der Forschungsname der Substanz; Substanzname inzwischen: Cobicistat) ist eine einmal täglich einzunehmende Substanz, die zudem hitzestabil ist (und also keine Kühlung erfordert). GS 9350 wirkt nicht gegen HIV, sondern dient allein der Wirkungs-Verstärkung anderer Substanzen. Deswegen besteht die Hoffnung, dass sie auch nicht metabolische Nebenwirkungen hat. Sie soll leicht mit anderen Substanzen zusammen kombinierbar (Ko-Formulierung) sein.

Gilead dürfte mit der Entwicklung der Substanz auch eine Stärkung eigener Medikamente im Blick haben. So entwickelt Gilead derzeit einen Integrasehemmer (Elvitegravir), der -um eine einmal tägliche Dosierung zu ermöglichen- bisher mit Ritonavir kombiniert werden müsste. Ritonavir müsste das Unternehmen zukaufen, wenn es mit der eigenen Substanz in eine Pille zusammengefügt werden soll (oder der Patient in der Apotheke, und dann sogar eine höhere Pillenzahl haben). Beide Probleme würde ein eigener Booster lösen – und dazu noch zusätzliche Umsatz- und Einnahmequelle generieren.

An Koformulierungen des neuen Boosters sowohl mit Gileads neuem Integrasehemmer als auch den anderen Aids-Medikamenten von Gilead, den stark verkauften Substanzen Tenofovir und Emtricitabine sowie den Kombi-Pillen Truvada® und Atripla®, wird bereits gearbeitet, erste Studien verliefen erfolgreich.

Spekulationen der Fachpresse zufolge könnten zudem bald Abkommen mit anderen Pharmaunternehmen getroffen werden, um auch diesen eine Ko-Formulierung mit dem neuen Booster zu ermöglichen. Studien zur Kombination mit Atazanavir (einem Proteasehemmer von BMS) laufen einem Investoren-Briefing zufolge bereits.

Nachtrag 21.09.2009: die Studien mit Atazanavir haben gezeigt, dass der Wirkstoffspiegel dieser Substanz durch GS-9350 ebenso gut wie durch Ritonavir erhöht wird. Eine weitere Phase-II-Studie befindet sich in Durchführung.

Eine begrüßenswerte Entwicklung – leiden doch bisher zahlreiche Produkte anderer Unternehmen darunter, dass sie für eine bessere Wirksamkeit auf Abbots Norvir® angewiesen sind – und (im Gegensatz zum hauseigenen ‚Kaletra’®, in dem Ritonavir bereits ‚eingebaut‘ ist) auf zusätzlichen Pillen.

Wichtig wäre, dass Gilead neben der Koformulierung mit eigenen Substanzen den neuen booster auch anderen Herstellern zugänglich macht. Dies wäre ein entscheidender Schritt, der der neuen Substanz -eine vernünftige Preispolitik vorausgesetzt- das Potential eröffnen würde, eine vollwertige und attraktive Alternative zu Norvir® zu sein.

Nachtrag

14.11.2008: Neben Gilead arbeiten auch die Pharmahersteller Pfizer und Sequoia an Booster-Substanzen, die potenziell Ritonavir ersetzen könnten.
10.02.2009: poz.com: GS 9350 and SPI-452: Emerging Alternatives to Norvir Boosting
10.02.2009: aidsmap: Two novel ‘enhancer’ drugs boost protease inhibitors as much as ritonavir
natap.org Conference Report 16. CROI
projectinform 12.02.2009: Two newcomers may challenge ritonavir’s position as the only booster for HIV therapy

aidsmap 21.09.2009: GS-9350 boosts atazanavir just as well as ritonavir

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‚wie fremdes Erbrochenes‘ – Abbotts Norvir-Planspiele (akt.)

Der Pharmakonzern Abbott erwog -wie jetzt öffentlich gewordene Dokumente zeigen- 2003/2004 ernsthaft, ein wichtiges Aids-Medikament vom Markt zu nehmen – Wettbewerber hätten Marktanteile verloren, Patienten hätten in diesem Fall ein anderes Abbott-Produkt nehmen oder die ekelhaft schmeckende Saft-Alternative einnehmen müssen. Abbott hätte profitiert ….

Der Pharmakonzern Abbott hat am 4. Dezember 2003 die Erhöhung des Preis für sein Aids-Medikament ‚Norvir’® (einen Proteasehemmer) in den USA um 400% (!) angekündigt. Gegen diese Erhöhung wehrt sich u.a. eine Mitgliedsorganisation der Gruppe ‚Prescription Access Litigation‘ (PAL) mit einer Klage (siehe ‚Norvir-Preis vor Gericht‚).

Im Rahmen des Prozesses (‚Antitrust Litigation‘) sind nun auch Dokumente öffentlich geworden, die einen schon lange formulierten Vorwurf zu belegen scheinen. Abbott habe, so der Verdacht, damals als eine der Alternativen auch überlegt, Ritonavir (der Wirkstoff, der unter dem Handelsnamen ‚Norvir’® vermarktet wird) als Kapsel einfach komplett vom Markt zu nehmen (siehe ‚Gewinne Gewinne Gewinne‚) – um so Ärzte und Patienten mehr oder weniger zu zwingen, ein weiteres Produkt des Konzerns zu nehmen (statt Konkurrenz-Produkte anderer Hersteller):

Laut Prozess-Unterlagen (‚exhibit #14‘) wurde als eine Alternative die Einstellung der Norvir®-Produktion überlegt. Es wurde diskutiert „den verbleibenden Vorrat nach Afrika zu geben und die Ritonavir-Produktionsanlage zu schließen“.

Eine weitere in den damaligen Diskussionen erwogene Variante war, Norvir®-Kapseln komplett vom Markt zu nehmen („Withdrawal of Norvir Capsules“, exhibit #18), und nur noch den Saft verfügbar zu halten. Dieser Saft zeichnet sich (neben seinem Wirkstoff) durch eine Eigenschaft aus – einen Geschmack, der fast nur als ekelhaft-faulig zu bezeichnen ist (oder mit den Worten eines Abbott-Mitarbeiters als ‚wie fremdes Erbrochenes‘ schlucken zu müssen, siehe ‚exhibit #5), und der fast nicht zu übertünchen ist. Eine Eigenschaft, die den Saft letztlich keine einnehmbare Alternative zu den Kapseln sein lässt. Selbst Firmenvertretern wurde es bei Geschmackstests übel …

Und dennoch wurde als einzige Schwachstelle bei diesem Plan gesehen, dass einem „von anderen Pharmaunternehmen befeuerten Aufschrei“ durch Hinweisen auf deren Motivation begegnet werden müsse (exhibit #18). Vorteile hingegen seien, so exhibt #18, u.a. dass das Risiko von Untersuchungen seitens der Regierung anlässlich einer Preiserhöhung reduziert werden könne, zudem „it will significantly level the competitive playing field regarding convenience“ – Wettbewerber werden geschwächt.
Zielrichtung war insbesondere der Proteasehemmer Atazanavir, Handelsname ‚Reyataz’® des Wettbewerbers BMS („Reyataz würde ohne Norvir®-Boosten kaum zusätzlichen Nutzen in der Behandlung von HIV-Patienten bringen“, exhibit #39).

Die über die Abbott-Planspiele Aufschluss gebenden und nun im Prozess behandelten Unterlagen und Diskussionen sind jetzt öffentlich geworden. PAL hat einige besonders ‚interessante‘ Dokumente auf einer Internetseite frei zugänglich gemacht. Der interessierte Leser findet hier spannende und aufschlussreiche Einblicke in die Denkweise eines Pharmakonzerns, wie weit hier Patienteninteressen eine Rolle spielen, und welche Bedeutung Marktanteile und Profite haben.

Vergangenen Monat ordnete das Gericht an, einige der im Prozess gegen Abbott verwendeten Dokumente öffentlich zu machen. Abbott hatte zuvor das zu verhindern versucht mit dem Hinweis, hier ginge es um „Geschäftsstrategien“.
Der Prozess selbst wird im August 2008 fortgesetzt.

Nachtrag 05.09.2008: wie PAL berichtet, haben sich die Prozessbeteiligten in einem weiteren Schritt auf einen Einigungsvorschlag verständigt, der u.a. Zahlungen von Abbott in Höhe von 10 bis 27,5 Mio. US-$ vorsieht. Die konkrete Höhe wird u.a. vom Urteilsspruch abhängen.

Warum mag Abbott diese ‚Denkmodelle‘ erwogen haben?
Norvir® ist nicht ‘irgendein’ Proteasehemmer. Das Medikament wird vielmehr auch benötigt, um den Wirkstoffspiegel anderer Medikamente anzuheben, so dass diese dadurch erst ihre optimale Wirksamkeit erreichen (sog. Boosten). Diese Medikamente werden jedoch von anderen Unternehmen hergestellt. Wäre Norvir® komplett oder auch nur als Kapsel vom Markt genommen worden, hätte dies drastische Auswirkungen darauf gehabt, ob und in welchen seltenen Fällen die anderen Medikamente überhaupt noch hätten angewendet werden können. Stattdessen hätten Ärzte und Patienten beinahe zwangsläufig auf ein anderes Produkt des Pharmakonzerns Abbott (in dem der Wirkstoff von Norvir® mit eingebaut ist) ausweichen müssen.

Norvir® Kapseln vom Markt nehmen – das würde im Ergebnis bedeuten ’sollen die Patienten doch ekelhaftest schmeckenden Saft trinken müssen, Hauptsache wir können unsere Wettbewerbsposition verbessern‘.
Beweggrund war dabei der Marktanteil, und „anxious investor calls“ (exhibit #29)- es ging um den Profit. Auch bei der schließlich in den USA realisierten Preiserhöhung auf das Fünffache- teureres Norvir® mache es für Wettbewerber unattraktiver, neu konkurrierende Medikamente auf den Markt zu bringen, so die Hoffnung (exhibit #49).

Der Pharmakonzern Abbott scheint eh nicht zimperlich im Durchsetzen eigener kommerzieller Interessen. So hatte Abbott angedroht, Thailand nicht mehr mit neuen Medikamenten zu beliefern, nachdem das Land (in dem eine hohe Zahl HIV-Positiver lebt), entsprechend geltenden Regelungen angekündigt hatte, eine günstigere generische Version eines Abbott-Aids-Medikaments herzustellen oder zu importieren. Abbott klagte gegen ACT UP, nachdem die Aids-Aktionsgruppe in diesem Zusammenhang zu einem Internet-Protest aufgerufen hatte.

Die neuen Dokumente aus dem Prozess gegen Abbott machen nun einmal mehr nachvollziehbar, warum einige sich die Frage stellen, ob es überhaupt noch vertretbar ist, mit dem ein oder anderen Unternehmen Kontakt zu pflegen, gar Geld anzunehmen.
„Auch mal deutlich nein sagen …“, dass dies eine Alternative sein kann, zeigte jüngst die Münchner Aids-Hilfe.

Hinweis: Norvir® ist eine eigetragene Marke von Abbott, Reyataz® eine eingetragene Marke von BMS

Pillen-Geschäfte

Besonders mit Aids-Medikamenten lassen sich – allen Klagen der Pharmakonzerne über restriktive Gesundheitspolitik in westlichen Industriestaaten sowie Patent- und Preis-Problemen in ‚Entwicklungsländern‘ zum Trotz – gute Geschäfte machen.
Patente sind immer noch gut für Profite

Die Aktivisten von TAG haben jüngst zusammen gestellt, welche Umsätze Pharmakonzerne weltweit mit ihren Aids-Medikamenten machen. Eine aufschlussreiche Liste:

Umsatz AIDS-Medikamente weltweit 2006

[ Quelle: TAGline September 2007 (pdf)]

Von guten Geschäften mit Aids-Medikamenten zeugen auch ergänzende Meldungen:
– Mit dem jüngst nach Produktionsproblemen zurück gerufenen Nelfinavir (Viracept) erzielte Pharmamulti Roche noch 2006 einen Umsatz von 164 Mio. sFr.
– Und Trimeris, der Entwickler des HIV-Fusionshemmers Enfuvirtide (Handelsname Fuzeon, vermarktet vom Pharmakonzern Roche) gab jüngst bekannt, der Netto-Umsatz mit dem Medikament sei insgesamt im ersten Halbjahr 2007 um 12,1% auf 126,3 Mio. US-$ gestiegen. Außerhalb der USA und Kanadas steig der Umsatz dabei mit 18,2% (auf 64,1 Mio. US-$) besonders deutlich.

Auch zum Welt-Aids-Tag sollte nicht vergessen werden, Aids-Medikamente sind für die Hersteller zuerst auch – ein gutes Geschäft.

Aber auch die ersten Generika-Hersteller geraten in die Kritik: dem indischen Pharma-Konzern Cipla wird vorgeworfen, generische Versionen von Aids-Medikamenten in Indien zu einem überhöhten Preis zu verkaufen.

Norvir-Preis vor Gericht

Der Pharmakonzern Abbott sieht sich vor Gericht gezerrt. In den USA wird gegen den Konzern geklagt, der 2003 den Preis für Norvir in den USA verfünffacht hatte.

Im Jahr 2003 erhöhte der Pharmakonzern Abbott den Preis für sein Aids-Medikament Norvir. Doch es folgte nicht eine ’normale‘ Preiserhöhung – der Pharmakonzern verfünffachte den Preis direkt (siehe Bericht „Gewinne Gewinne Gewinne„).

Nun ist Norvir nicht ‚irgendein‘ Proteasehemmer. Das Medikament wird vielmehr auch benötigt, um den Wirkstoffspiegel anderer Medikamente anzuheben, so dass diese dadurch erst ihre optimale Wirksamkeit erreichen (sog. Boosten).
Die Preiserhöhung, die Abbott damals in den USA durchsetzte, traf somit direkt auch zahlreiche Wettbewerber des Konzerns, die Norvir als Bosster für ihre Produkte benötigten. Kleine Petitesse dabei: Abbott hat selbst auch einen weiteren Proteasehemmer auf dem Markt, der ebenfalls mit Norvir geboostet wird (Lopinavir, Handelsname Kaletra). Dieser war natürlich von der wundersamen Verfünffachung nicht betroffen …

Gegen diese Preiserhöhung des Konzerns wenden sich nun in den USA vier große Apotheken-Ketten sowie ein Medikamenten-Großhändler. Sie haben gegen Abbott Klage erhoben (siehe Wall-Street-Journal vom 30.10.2007). Der Großhandelspreis von Norvir sei in den USA durch die Erhöhung von 51,30$ auf 257,10$ für 30 Kapseln à 100mg gestiegen. Damit missbrauche Abbott seine Monopolstellung.

Vorher hatten bereits zwei Patienten gegen Abbott Klage erhoben. Nun hat sich Anfang November auch der Pharmakonzern Glaxo dieser Klage angeschlossen (siehe Bericht Wall-Street-Journal vom 9.11.2007). Die Norvir-Preiserhöhung untergrabe die Marktposition des Glaxo-Proteasehemmers Fosamprenavir (Handelsnamen Lexiva, Telzir).

Abbott kommentierte die Klagen mit „this frivolous lawsuite is completely without merrit“.