Die ‚Rektalstudie‘ – ist eine Studie zur HIV-Übertragung bei Analverkehr sinnvoll und notwendig? (akt.)

Braucht es eine Studie, die HIV-Konzentration im Darm und Übertragungsrisiken am Menschen untersucht? Und wenn ja, wie kann diese so konzipiert werden, dass Studienteilnehmer keine Risiken eingehen? Die ‚Rektalstudie‚ sieht sich kritischen Fragen ausgesetzt.

Worum geht es?
Auslöser der Debatte um das Thema ‚Infektiosität und Analschleimhaut‘ ist das Statement der EKAFkeine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs„.
In ihrem Statement sagt die EKAF klar “das Risiko einer HIV-Übertragung beim Sex ohne Kondom unter vollständig supprimierter Viruslast ist deutlich geringer als 1:100.000. Das verbleibende Restrisiko lässt sich zwar wissenschaftlich nicht ausschließen, es ist aber nach Beurteilung der EKAF und der beteiligten Organisationen vernachlässigbar klein.”

Im Statement der EKAF wird nicht unterschieden zwischen Vaginal- und Analverkehr. Und dennoch kaprizierte sich von Anbeginn an genau auf diese Frage ein großer Teil der Debatte: können Daten für die HIV-Transmission bei Vaginalverkehr auf Analverkehr übertragen werden?

Die Schweizer reagierten früh auf diesbezügliche Fragen und Vorwürfe. Schon bald hat Prof. Hirschel präzisiert:

“Wenn man keine Studien hat, muss man auf den Verstand ausweichen. Es gibt keinerlei gute biologische Gründe, die erklären könnten, warum die vaginale Transmission sich von der rektalen Transmission unterscheiden soll.”
Und ob das Übertragungs-Risiko zwischen analem und vaginalem Verkehr nicht doch unterschiedlich sein könne?
Vielleicht, aber die verfügbaren Daten von nicht behandelten Patienten zeigen, dass die Risiken vergleichbar sind.”

Die Datenlage ist bisher tatsächlich scheinbar schlecht. Es gibt kaum Studien über die Konzentration von HIV in der Darmschleimhaut, sowie über die Auswirkungen erfolgreicher Therapie hierauf. Ob diese schlechte Datenlage allerdings überhaupt für die Diskussion relevant ist, ist auch angesichts der Erwiderungen von Prof. Hirschel fraglich.

Das Kompetenznetz HIV (Leitung: Prof. Brockmeyer, Bochum) schaltete sich ein. Und plant nun eine Studie. Die so genannte „Rektalstudie„. Ziel dieser Studie soll es sein, die Virusbelastung der Darmschleimhaut auch bei mechanischer Beanspruchung (mittels eines Dildos) zu untersuchen.
Auf dem Internetangebot des Kompetenznetz HIV ist die Studie nicht verzeichnet.
Eine Vor-Studie hierzu rekrutiert allerdings bereits Teilnehmer.
Und der Vorstand der DAH setzt sich kritisch mit der Studie auseinander.

An die Studie könnten viele Frage gestellt werden – und sie müssen gestellt werden, auch zum Schutz der potenziellen Teilnehmer.
So bleibt zunächst zu klären, was die Rationale einer solchen Studie ist und sein kann. Wie relevant ist das Thema dieser Studie tatsächlich für die weitere Diskussion und Entscheidung über Konsequenzen aus dem EKAF-Statement?
Ist sie tatsächlich erforderlich? Gelten die Begründungen von Prof. Hirschel nicht, oder warum werden sie als nicht ausreichend betrachtet?
Kann eine Studie zur rektalen Transmission überhaupt in einer Konstellation durchgeführt werden, die ethisch vertretbar ist? In der die Studienteilnehmer nicht unnötig gefährdet werden? Ist die Studie vertretbar und verantwortbar?
Wie sieht die Patienteninformation aus? Waren Patienten-Organisationen, Menschen mit HIV daran beteiligt?
War oder ist Aidshilfe oder Aidshilfe-Mitarbeiter an dieser Studie beteiligt? Wann, wer, in welchem Umfang?
Hinterfragenswert auch die Vor-Studie, die bereits rekrutiert. Was wird hier konkret untersucht? Wie informiert sind die Studienteilnehmer?

Fragen über Fragen – umso erstaunlicher, dass diese Studie in aller Stille vorbereitet und konzipiert wurde. Und dass die Vorstudie bereits Patienten rekrutiert.

Davon abgesehen könnte man auf den Gedanken kommen, dass mit der Rektalstudie Schein-Aktionismus betrieben wird. Wird hier eine Schein-Debatte geführt, die von den wichtigen Fragen im Zusammenhang mit dem EKAF-Statement und möglichen Konsequenzen daraus nur ablenkt, eine Auseinandersetzung damit verzögern soll?

Nachtrag
24.012.2009: Auf Initiative des Vorstands der Deutschen Aids-Hilfe haben VertreterInnen des Patientenbeirats sowie DAH-Mitgliedsorganisationen eine Vereinfachung der Studie sowie einen Verzicht auf vorherige Stimulation vorgeschlagen.

31 Gedanken zu „Die ‚Rektalstudie‘ – ist eine Studie zur HIV-Übertragung bei Analverkehr sinnvoll und notwendig? (akt.)“

  1. O je… Dildobenutzung unter professoraler Aufsicht… Ich würde ja zu gerne mehr über da Studiendesign erfahren. Ich habe den Eindruck, hier will nur jemand in die Schlagzeilen kommen: (Schwul + ) HIV/AIDS + Dildobenutzung … da machen bestimmte Zeitungen gleich Schlagzeilen mit Großbuchstaben draus.

  2. Ich denke dass ein Rektalstudie gerechtferigt ist, aber diese Studie nicht. Vernazza sagt implicit dass man das Risiko bei Analverker überschätzt. Er sagt das in seinen Reaktion auf Wilson et al, Lancet 26.7.2008, 372:314-20.

    „Risiko bei Analverkehr geschätzt
    In der Rakai-Studie waren nur heterosexuelle Paare eingschlossen. Die Autoren haben nun aber auch das homosexuelle Transmissionsrisiko berechnet. Um dies zu tun, nahmen sie aus der Literatur Daten zum Transmissionsrisiko pro Sexualkontakt bei Vaginalverkehr und bei Analverkehr. Aufgrund dieser Erfahrungszahlen adaptierten sie die oben erhaltene Kurve nach oben. Diese „Parallelverschiebung“ des Risikos akzentuirt die Schwellenwert-Problematik. Mit dieser Extrapolation erhalten die Autoren sehr unplausible Werte: Die Berechnung bedeuten, dass es pro Analverkehr mit einem Mann mit 10 Viruskopien im Blut in 1:6000 Fällen zur Infektion kommt. Dies ist kaum plausibel, wissen wir doch, dass in der Schweizerischen Kohortenstudie (und vermutlich auch weltweit) knapp 20% der Patienten angeben, mit ihrem festen Partner nicht immer Kondome zu verwenden (Panozzo et al).

    Realität zeigt ein anderes Bild
    Tatsächlich sehen wir das von den Autoren gezeichnete Bild nicht bestätigt. Seit Jahren suchen wir in unseren Sprechstunden nach Fällen von HIV-Transmission in einer Partnerschaft, doch wir sehen diese Übertragungen nicht. Das sagt, nicht, dass eine Übertragung unter den von der EKAF beschriebenen Bedingungen nicht möglich sei, es bestätigt einfach das sehr geringe Risiko einer Transmission unter optimalen Voraussetzungen.“
    http://www.infekt.ch/index.php?artID=1564

    Als das Model von Wilson stimmt, dan sagen die Beobachtungen in der Schweiz das die daten übers Risiko nicht stimmen.

    Aber wir haben nichts an Daten über Virusbelastung der Darmschleimhaut auch bei mechanischer Beanspruchung (mittels eines Dildos), weil wir nichts wissen über Virusbelastung der Darmschleimhaut dort und aktuele hiv transmission Risiken.
    Danaben ist es ziemlich unpraktisch Entscheidungen zu machen auf basis Virusbelastung der Darmschleimhaut auch bei mechanischer Beanspruchung (mittels eines Dildos). Hab Mitleid mit den Ärtzte!

  3. Liebes ondamaris!

    Vielleicht ein paar hilfreiche Infos zur Korrektur der Fehlinformationen und zum Verständnis:

    Ich habe am 16. November 2007 auf einem Verbandstreffen zu EKAF eine Literaturübersicht über die Datenlage zum Rektalsekret gehalten (ist im HIV.Report 01/2008 veröffentlicht) den ersten Aufschlag (sprich das erste Exposé) für die hier von dir verrissene Studie geliefert. Zwischen dem November-Treffen und dem ja allseits bekannten 26. Februar ist das Ding von Axel Schmidt weiterentwickelt worden, der es am 26. Februar auf jenem Treffen präsentierte. Ich (!) habe auf jenem Treffen diese Studie dem Kompetenznetz an die Backe geklebt – aus der Serie: wer ist in Deutschland der originäre Partner für die HIV-Forschung.
    Insofern stimmt dein Grundtenor überhaupt nicht.
    Brockmeyer hat das Design in enger Abstimmung und intensiven Diskussionen mit mir, Maya Czajka, Armin Schafberger und wer sich auch sonst immer eingemischt hat entwickelt.
    Geheim ist schlicht Blödsinn. Der Verband hat sich an drei Stellen (Delegiertenrat, Haushaltskommission und noch mal Delegiertenrat).
    Bevor du unethisch brüllst, wäre es ja mal ganz hilfreich, sich zu informieren – vor allem über das Design.

    Das Kompetenznetz hat das Votum der Ethik-Komission für die Stimulation mit einem künstliche Penis (Dildo) bekommen. Bitte welche Risiken für Studienteilnehmer/innen entstehen daraus?

    Außerdem – nur zur Klarstellung – sollen sich die Studienteilnehmer/innen selbst stimulieren – es steh also nicht der behandelnde Arzt im weißen Kittel hinter einem und knall den Dildo rein, bis die Hütte brennt.

    Die Patienteneinverständniserklärung wurde vom Brockmeyer vorgelegt und von mir weiterbearbeitet und sollte zwischenzeitlich beim Patientenbeirat sein.

    Bevor die Patientenrekrutierung begonnen hat, sind unter anderem von mir landesweit Befragungen an HIV-positiven Frauen und Männern durchgeführt worden. Es ging dabei um einerseits die Bereitschaft an einer solchen Studien mitzuwirken, die Fragestellung der Studie und die Rahmenbedingungen der Studie inkl. der Kommunikation. Die daraus entstandene Liste der Rahmenbedingungen wurde vom Kompetenznetz zwar nicht goutiert, jedoch zu 100% im Design umgesetzt.

    Und nun zur wissenschaftlichen Sinnhaftigkeit der Studie:
    Du solltest gut genug wissen, das Wissenschaft nichts mit Glauben zu tun hat. Man mag die existierende Datenlage unterschiedlich einschätzen – wie wir ja am Beispiel der EKAF gut sehen. Insofern ist mir der Verweis auf Hirschel ein wenig zu platt und wenig kenntnisreich.

    Es gibt bislang in diesem Zusammenhang jede Menge Aspekte, die bislang noch nie untersucht worden sind. Im Gegensatz zu Hirschel sehen Sexualmediziner und Sexualwissenschaftler sehr wohl einen biologischen Unterschied zwischen Vaginal- und Rektalschleimhaut – mein Anatomielehrbuch übrigens auch.

    Die Studie wird keine epidemiologischen Daten generieren und ist in sofern nicht dazu geeignet, in der konflikthaften Auseinandersetzung um die EKAF eine allumfassende, bindende Antwort zu geben. Sie wird aber an zwei Stellen die bisherigen Erkenntnisse erweitern:
    * Verhält sich die Viruslast im Enddarm anders, als in der Vagina und im Sperma? Sind diese Viruslasten mit und ohne Stimulation gleich? (Nur zur Erinnerung: Stimulation erhöht die Durchblutung deutlich – es gibt bei den Leuten,die diese Studie ausgekocht haben hierzu zwei Hypothesen. Meine ist, dass das keinen Einfluß hat, die von Brockmeyer, dass es einen hat. Wir wissen es nicht. Deshalb schauen wir nach.)
    * Welche Methode der Probenabnahme ist die geeignete? (Hier gibt es bislang keinen Standard – reicht ein Streifen Filterpapier aus, das mittels Spekulum abgestrichen wird usw.)

    Das sind die beiden Fragen in der besagten Vorstudie.Hier werden 12 Männer und 8 Frauen rekrutiert. Wenn sich herausstellen sollte, dass die Stimulation mit einem Dildo keinen Unterschied bringt zur Nicht-Stimulation, wird das – ebenso wie die Antworten auf die weiteren methodologischen Fragen – Einfluss auf das Design der Hauptstudie haben. In der würde dann beispielsweise auf den Dildo verzichtet werden können.

    Die Hauptstudie wird an etwa 150 Teilnehmern durchgeführt.Die Fragestellungen sind:
    * Wie verhält sich die Viruslast un den drei Sekreten unter erfolgreicher Therapie;
    * Wie ist in den Sekreten das Verhältnis zwischen Medikamentenkonzentration und Viruslast (zur Medikamentenkonzentration gibt es bislang Daten, aber ohne VL – womit eine gezielte Zusammenstellung einer ART – analog des ZNS – nicht möglich ist)
    * Wie verhält sich die VL in den Sekreten, wenn STD vorliegen (Hierzu gibt es bei erfolgreich Behandelten keine Daten – das ganze Getöse im Nahgang zur EKAF basiert ausschließlich auf Analogieschlüssen von unbehandelten mit STD).

    Und nun bitte auf Anfang und deine Kritik erneut formulieren, vielleicht kommt dann ja was konstruktives dabei heruas, was sich auch einbauen lässt.

    Das in aller Kürze vor der weltgrößetn Infektiologenkonferenz aus USA.

  4. Äh,hab ich doch vorhin in meinem Ärger über diesen Leitartikel vergessen zu erwähnen, dass wir es nicht bei Viruslastmessungen bleiben lassen. Es werden one cycle replication assays gemacht, im infektiöse Viren von nicht infektiöser, in Zellen liegender Erbinformation des Virus zu unterscheiden.

    Bernd

  5. @ TheGayDissenter:
    über das studiendesign würden wir ja durchaus alle gerne mehr erfahren … und bernd hat ja dankenswerterweise auch einige details in seinen kommentaren mitgeteilt.

  6. @ Kees:
    danke für die ergänzenden zitate!
    die frage, wie hoch denn das risiko angesichts der „nicht – beobachtung im real life“ sein kann, ist m.e. eine der kern-fragen hinsichtlich des sinns dieser studie

  7. @ bernd:
    vielen dank für deinen kommentar und einige informationen zu der studie.

    vielleicht wäre es als beitrag zur diskussion sinnvoll, das studiendesign öffentlich zu machen? wer sind eigentlich die beteiligten an der studie?

    nebenbei, ich habe mich nicht bemüht, die studie zu verreisen, sondern versucht fragen zu stellen, zur diskussion anzuregen. bisher ist über die studie zu wenig bekannt, und zu wenig wurde offen und öffentlich diskutiert. auch in sofern also danke für deinen beitrag – und: spannende diskussionen

  8. Hi ihr,

    Wer ist dabei?

    Derzeit Prof. Brockmeyer (Studienleiter), Dr. Potthoff, Armin Schafberger, Maya Czajka und ich sind derzeit Steering-Komittee. Aufgrund der Vorstandsneuwahl und meines Rollenkonfliktes als jemand, der die Studie mitinitiiert hat und daher schon deshalb keine Interessenvertretung für Posis machen kann und will, ist es etwas im Fluß. Der neue Vorstand muss sagen, wie er das denkt. Dann werden wir das Ganze formalisieren – Kooperationsvertrag oder dergleichen. Die Frage, wieviel personelle Ressourcen (sprich Arbeitszeit) die Geschäftsstelle von Armin Schafberger verbraten kann und will, ist unklar.

    Jedenfalls kostet das Ding derzeit eine Unmenge Zeit und nur die Kliniker werden dafür bezahlt. Alle anderen arbeiten ehrenamtlich.

    Da das eine KompNet-Studie ist, ist die Patientenvertretung des KompNet die Patientenvertretung. Da das Ganze mit einem gewissen zeitlichen Hochdruck gebaut wird und dieErgebnisse der von mir erwähnten und von mir durchgeführten Patientenbefragungen zusätzlichen Koordinationsaufwand nach sich ziehen, laufen im Moment ein paar Dinge zeitgleich ab. Das ist nicht mine bevorzugte Arbeitsweise, es geht aber im Moment kaum anders. (So wird die Selbststimulation und die Probenentnahme nicht in Räumen stattfinden, die Patienten in ihrer Rolle als Patienten sehen/kennen. Das ist nur einer der Aspekte, die wir implemetiert haben, um diese quasisexuelle Handlung vollständig aus der Arzt/Patient-Beziehung herauszuhalten. Das erfordert allerdings einen gewissen logistischen und personellen Aufwand, der erst einmal kalkuliert und organisiert werden musste.)

    Vor allem, dass die Patientenvertretung noch nicht in dem Mass eingebunden ist, wie sie das aus meiner Sicht sein sollte, finde ich nicht sooo prickelnd. Ich muss aber zugeben, dass ich daran nicht ganz unschuldig bin, weil ich eine ganze Weile gebraucht habe, um mitzubekommen, dass ich als Patientenvertreter und nicht als Mitinitiator wahrgenommen worden bin und ich erst zu diesem Zeitpunkt offensiv meine Rolle klären konnte.

    Die Vorstudie ist monozentrisch und wird in Bochum laufen. Die Virologie macht Überla. Alle Proben werden zentral in einem Labor untersucht.

    Da ich persönlich noch keine Rückmeldung von der Vorstandsklausur am Wochenende bekommen habe, kann ich nicht sagen, wie sich das Steering-Komittee konkret zusammensetzen wird und welche Bedingungen der Vorstand aufgestellt hat.

    Die Studie wird drittmittelfinanziert. Industrie und öffentliche Mittel. Die DAH hat es zu meinem übergro0en Unmut dreimal abgelehnt, in die Finanzierung einzusteigen. Das Argument war u.a., die DAH sei keine Forschungseinrichtung; man würde Forschung initiieren, anstatt sie zu finanzieren. Gut, dass in Los Angeles damit anders umgegangen worden ist, sonst hätte die Forschung an Lipodystrophie wahrscheinlich noch Jahre nicht stattgefunden. Die wurde nämlich mit Geld aus der Selbsthilfe initiiert. Aber gut. Die DAH ist halt wie sie ist.

    Lieben Gruß
    Bernd

  9. Gibt es eigentlich Studien darüber, ob sich das vaginale Transmissionsrisiko ändert, wenn die Vagina mit Dildos (oder sonstigen Gegenständen) traktiert wird und wenn nicht, warum nicht?

    Wenn es nun von Interesse ist, zu fragen, „Verhält sich die Viruslast im Enddarm anders, als in der Vagina und im Sperma? Sind diese Viruslasten mit und ohne Stimulation gleich?“, dann müsste man solche Untersuchungen doch auch für die Vagina unter Einfluß verschiedener mechanischer Belastungen durchführen, oder?

  10. Ja, haben wir auch diskutiert. Wir sind allerdings der Überzeugung,dass die epidemiologische Datenlage zum Vaginalverkehr so gut ist, dass es keine entsprechenden Untersuchungen benötigt.

    Wie ich vorher schon angemerkt habe: Die Untersuchungen bzw. deren Ergebnisse für den Analverkehr machen epidemiologische Untersuchungen nicht hinfällig. Ganz im Gegenteil Sie sind aber (hoffentlich) geeignet, die allseits verbreiteten Widerstände und pseudowissenschaftlichen und angeblichen ethischen Argument gegen ein gezielte epidemiologische Untersuchung zu überwinden und schließen dazu Erkenntnislücken bezüglich des Analverkehrs und der Beziehung zwischen VL und Medikamentenspiegeln.

    Forschung zu Analverkehr ist seit etliche Jahren eine absolute Rarität. Insofern haben wir uns mal genau darauf gestürzt und auch reduziert.

    Gruß Bernd

  11. Auch der Heterosexuelle frönt hin und wieder dem Analverkehr, aber vielleicht muß ich erst schwul sein um überhaupt mitreden bzw verstehen zu können. Seis drum, da ich es nicht bin nehme ich mir dennoch die Freiheit und beschränke ich mich auf das was ich hier lese – was Ondamaris geschrieben hat. U.a.

    „Die Datenlage ist bisher tatsächlich scheinbar schlecht. Es gibt kaum Studien über die Konzentration von HIV in der Darmschleimhaut, sowie über die Auswirkungen erfolgreicher Therapie hierauf.“

    Und das sind – soweit ich s versteh – zwei voneinander völlig unabhängige Konstellationen – Ausgangslagen.

    1.Konzentration von HIV in der Darmschleinhaut
    2.Auswirkungen bei erfolgreicher Therapie . . und das heißt doch wohl “KEINE Infektiosität bei ERFOLGREICHER HIV-Therapie OHNE andere STDs“.

    Allerdings . . . . irgendwie entzieht es sich meiner Logik das im Sperma das aus meinem Schwanz kommt wenn ich – unter den EKAF Bedingungen – vaginalen Sex praktiziere die Infektionsgefahr für die vaginale Schleimhaut – den darum geht es ja – nicht vorhanden ist und im gleichen Sperma wenn ich Analsex praktziere auf einmal eine Infektionsgefahr für die Darmschleimhaut ausgehen – vorhanden sein soll . . . . . . .

    Entweder liegt die Infektionsgefahr bei einer funktionierenden Therapie, einer VL unter der Nachweisgrenze und keinen STD´s bei Null oder nicht.

    Das es kaum Studien über HIV in der Darmschleimhaut gibt ist eine Sache. Insofern macht es schon Sinn wenn es dazu WELTWEIT angelegte Untersuchungen – Studien gibt.
    Auf einem Vortrag zu dem EKAF Statement den Sigfried Schwarze von der Projekt Info aus Münschen am 11. Februar in der Basis in Frankfurt hielt hat er darauf schon hingewiesen und auch dass das Wissen um die Darmschleimhaut im Kontext zu HIV ständig zunimmt und recht komplex ist.

    Am 26. Februar fand in Berlin ein runder Tisch statt an dem u.a. Siegfried Schwarze teilnahm – wenn ich recht informiert bin. siehe Kommentar 138 http://www.ondamaris.de/?p=1175. Da würde es mich doch wundern wenn dieses Thema nicht angeprochen wurde.

    Unterm Strich ist es gut zu wissen das Jemand die „Führung“ diesbezüglich übernommen hat. 😉

  12. Wie schön, dass das Thema jetzt auch hier diskutiert wird! Auch ich habe noch keine Rückmeldung zur Haltung des neuen DAH-Vorstands. Ich bin allerdings eher pessimistisch, dass der jetzt vierte(!) offizielle Versuch, die politische DAH dazu zubewegen, sich die Studie ganz oben auf die Agenda zu setzen, so mir nix dir nix erfolgreich sein wird.
    Was das Versäumnis angeht, die Patientenvertretung frühzeitig einzubinden – ganz unabhängig von allem Drumherum: ich habe das total nicht auf dem Schirm gehabt, nicht eine einzige Sekunde daran gedacht und insofern ist sicher jede Kritik an diesem Punkt gerechtfertigt.
    Was die Sinnhaftigkeit, Zumutbarkeit und Intention der Studie angeht, ist in der Diskussion weiter oben so gut wie alles gesagt …
    Die Studie ist aus meiner Sicht unverzichtbar und ein wichtiger „Opener“ für die Auseinandersetzung ums Thema und um die Analschleimhäute insgesamt.
    Maya

  13. @ Dennis
    „Allerdings . . . . irgendwie entzieht es sich meiner Logik das im Sperma das aus meinem Schwanz kommt wenn ich – unter den EKAF Bedingungen – vaginalen Sex praktiziere die Infektionsgefahr für die vaginale Schleimhaut – den darum geht es ja – nicht vorhanden ist und im gleichen Sperma wenn ich Analsex praktziere auf einmal eine Infektionsgefahr für die Darmschleimhaut ausgehen – vorhanden sein soll . . . . . . .

    Entweder liegt die Infektionsgefahr bei einer funktionierenden Therapie, einer VL unter der Nachweisgrenze und keinen STD´s bei Null oder nicht.“

    Neenee mein Lieber, leider eben nicht.

    Weil (jetzt sehr kurz und zugegebenermassen etwas populistisch,aber ansonsten würde ich mir die Finger wundhacken): Die Vagina ist sozusagen dazu gemacht, dass was reingeschoben wird (Schwanz) und wieder was rauskommt (Kind). Ganz anders der Darm. (Also ist diese Schleimhaut von ihrer mechanischen Belastbarkeit und ihrer immunologische Gemengelage her darauf ausgelegt, Erreger abzuwehren.) Ganz im Gegenteil dazu der Dam. Der ist – Konstruktionsfehler bitte beim Hersteller bemängeln – dazu gebaut, das was rauskommt (Sch…) und vielmehr noch, dass aus dem Nahrungsbrei, der durch den Darm durchgeschleust wird, alles für den Körper verwertbare aktiv aus diesem Brei in den Körper transportiert wird. Die Darmschleimhautzellen sind sozusagen so getrimmt, dass sie lles nur verwertbare reinpumpen – auch Bakterien ect. Um die reingepumpten Erreger aber vom zentralen Blutkreislauf fernzuhalten,sitzt unter der Schleimhaut ein mächtiger Teil des Immunsystems, der alles das abfängtund abtötet, was die Darmschleimhautzellen an Erregern reingepumpt habe. Dieser Teil des Immunsystems ist aber ziemlich empfänglich für HIV.

    Mit anderen Worten: Selbst, wenn die Vaginal- und Analschleimhäute vollständig intakt sind, ist die Übertragungswahrscheinlichkeit über den Enddarm um etwa ein log-Stufe höher – wegen der aktiven Transportmechanismen in der Darmschleimhaut.

    Eine geringe Menge Virus im Sperma hat also unter Umständen in der Vagina völlig andere Folgen, als im Enddarm.

    Der Darm, das unbekannte Wesen … 🙂

    Liebe Grüße

    Bernd

  14. @bernd
    innerhalb der grenzen meines nicht vorhandendem fachwissen bin ich mir soweit bewußt das – um deine worte zu verwenden – unter der Schleimhaut (des darmes – enddarms?) sich ein mächtiger Teil des Immunsystems befindet.

    der punkt auf den ich hinaus will ist – bei einer ultrasensitiven messung der vl im sperma – blut von unter 20 viren pro ml blut – einer menge die als nicht ausreichend für die weitergabe der infektion mit dem hivirus ist verstanden wird – wie kann dennoch eine infizierung stattfinden?

    nach meinem wissen ist immer die menge der viren (egal um welchen krankheitserreger es sich handelt) notwendig damit eine infizierung stattfinden kann. andernfalls wären wir – die wir täglich mit millionen div bakterien und viren geradezu bombardiert werden – in einem zustand den man als “ krank“ bezeichnen könnte. und genau das sind wir ja nicht weil a) die menge idr nicht ausreicht und b) der körper – das immunsystem in der lage diese erreger zu zerstören – auszuschalten.

    mit anderen worten – wie hoch muß – die virusmenge sein, die u.U. durch die „eintrittspforte“ enddarm eintritt und somit eine infizierung möglich ist? größer als > 0 und kleiner als ? ? ? ?

    man weiß ja das eine übertragung durch küssen nicht möglich ist – es sei denn man schlabbert 5 ltr speichel einer infizierten person in sich hinein . . . .

    man weiß ja das bei einer funktionierenden therapie bei sex ohne kondom mit seiner parnerin/partner bis dato keine infizierung sattgefunden hat . . . .

    und dieser eine fall einer übertragung durch OV . . . nun das liegt innerhalb des rahmen der normalität des täglichen lebens was „risiko“ generell betrifft

    gruß dennis

  15. @Dennis
    Du hast die Gretchenfrage der Transmissionforschung gestellt. Die kann kein Mensch beantworten. Alle dazu getätigte Aussagen sind Spekulation, die auf mehr oder weniger komplexen mathematischen Modellen basieren. (Man würde etwa 100 Milliarden und mehr HIV-Negative benötigen, die in genügend großen Gruppen eingeteil (nur zur Erinnerung: Vernazza gibt das sexuelle Transmissionsrisiko bei VL < Nachweisgrenze mit 1:1 MIO an, heißt, um eine Studie zu konstruieren, die solche kleinen Risiken abbildet, müssen exorbitant viele Leute teilnehmen) werden und mit aufsteigenden Viruskonzentrationen (1. Gruppe 1 Virus, 2. Gruppe 2 Viren, 3. Gruppe 3 Viren …) „angesteckt“ werden. Danach weiß man es.

    Kirchhoff hat Anfang des Jahres auf der Retroviruskonferenz seine Arbeit u Viren im Sperma vorgestellt und in seinen Augen reichen 2 – 3 Viren im Sperma unter bestimmten Bedingungen aus.

    Man bekommt in einen Enddarm oder eine Vagina halt so schlecht einen Wissenschaftler samt Labor und Assistenten rein, um beim Akt der Ansteckung dabei zu sein. Daher …

  16. Nun dann wären wir genau da wo wir jetzt sind. Zu Beginn von HIV – 1986 – war zum einen die Datenlage und das Wissen weitaus geringer als heute. Dennoch war man sich sehr schnell darüber im klaren – oder hat erkannt das es 100% Sicherheit = 0 Risiko nicht gibt. Man traf die Feststellung . . . .

    The situation is analogous to 1986, when the statement ‘HIV cannot be transmitted by kissing’ was publicised. This statement has not been proven, but after 20 years’ experience its accuracy appears highly plausible.”

    http://www.aidsmap.com/en/news/4E9D555B-18FB-4D56-B912-2C28AFCCD36B.asp

    Es gibt sexuelle Praktiken da spricht man was die Möglichkeit einer Infizierung betrifft von einem „theoretischen Risikos“. D.h. es ist völlig nicht auszuschließen – doch der Prozentsatz ist zum einen so gering (es gibt keine 100%, und unter Einbeziehung das Risiko ein Teil des Lebens ist) das es in Ordnung diese Bewertung vorzunehmen.

    Die Frage die sich für mich aus Kirchhoffs Arbeit ableitet ist – wieviele HIV Positive haben sich unter diesen Bedingungen 2 – 3 Viren im Sperma auf dem Weg der Transmission über AnalSex infiziert?

    Ist es möglich das immer mehr Wissenschaftler von einem 0 Risiko ausgehend und deshalb vieles in Frage stellen bzw ablehnen? Was ist der Hintergrund einer solchen Haltung? Cui bono?

    Ich kann da nur Prof Venazza zitieren:

    Das Risiko einer Infektion unter einer optimalen Therapie muss sehr klein sein, kleiner als 1: 1 Million. Damit ist dieses Risiko etwa so gross, wie das Risiko, dass ich selbst bei meinem Flug an den nächsten AIDS-Kongress in Boston abstürzen werde. Ein mögliches Szenario, aber nicht so wahrscheinlich, als dass auf den Kongress (und natürlich den traditionellen Kongressbericht) verzichten würde.

    Das Risiko(des Lebens) eines Flgzeugabsturzes ist imo wesentlich höher, das Risiko (des Lebens) mit oder durch ein Auto zu verunfallen ist um einiges größer als mit dem Flugzeug abzustürzen.

    Fliegen wir deshalb nicht – fahren wir deshalb kein Auto oder gehen nicht aus dem Haus?

    Vom Mißbrauch durch Alkohol und den bekannten Folgen will ich gar nicht erst sprechen. Hier fügen sich Millionen Menschen täglich Schaden zu an deren Folgen sie bis ans Ende ihrer Tage zu leiden haben. Auch hier – Cui bono?

    Im Zusammenhang mit dieser Studie wurde die Frage nach der Ethik laut . . . .

  17. @Dennis

    Noch mal zu Kirchhoff: Es handelt sich dabei um Grundlagenforschung aus dem Labor. Die Frage, welche Relevanz das für das Leben hat, muss die Grundlagenforschung nicht beantworten. Hier ging es um Erkenntnisinteresse, wie etwas funktioniert bzw. funktionieren könnte. Ich sage mal: die Bedingungen, die in einem Labor herrschen, sind andere, als beim Sex.

    Aber viel wichtiger: Kirchhoff hat etwas entdeckt, was ist und immer schon war – wenn es denn stimmt. (Er hat im Sperma Einweißstrukturen entdeckt. Diese erhöhen angeblich die Infektiösität der HI-Viren.) Mit anderen Worten: Selbst wenn es stimmt, ist der Effekt bereits in allen epidemiologischen Daten und Risikoberechnungen enthalten.

    Was soll das Getöse mit Ethik? Erstens ist sie eine Hure und keine absolute Wahrheit (wie man an dem erbitterten Streit um den Utilitarismus etwa an Peter Singer bestens nachvollziehen kann) und zweitens wird sie – auch hier – als Totschlagargument verwendet. Wer hat bitte welche ethischen Bedenken? Einfach nur Ethik zu brüllen, ist populistisch. Noch einmal: Wer hat welche ethischen Bedenken und wie werden die argumentiert?

    Nur so kann argumentiert werden und etwaige vorhandene Bedenken ausgeräumt werden.

    Gleiches gilt für „der Vorstand sieht die Studie kritisch“. In China fällt ein Reissack um. Kritik deutlich und klar äußern und begründen und dann kann was draus werden und sich konstruktiv weiterentwicklen.

    Grüße
    Bernd

  18. Nicht ICH habe die „Ethik“ ins Spiel gebracht. Also was dieser unqualifizierte Einwand die Frage nach „Ethik“ als „Getöse“ und populistisch abzutun? Sie ist ein Aspekt unter vielen. Letztendlich war es die inhaltliche Debatte als Mitte der 90 Jahre die ersten vielversprechenden Medis sich noch in Studien II Phasen befand und die Ethikommission auf das drängen von Act Up ihr placet gegeben hat die AIDS Kranken doch selbst entscheiden zu lassen ob sie das Risiko der Verträglich – Wirkung von Medikamente – mit denen sich abzeichnete das sie überleben könnte – selbst eingehen wollten. Die Hure „Ethik“hat damals sehr vielen das Leben geschenkt bzw verlängert.

    Wenn man deiner Argumentation folgt dann könnte man sich auch die Frage stellen inwieweit die Initatoren der Studie möglicherweise eine Profil Neurose haben. Sachlichkeit funktioniert anders.

    Danke ich habe fertig.

  19. Ach Dennis …

    wer auch immer den Begriff Ethik als erste/r verwendet hat und weiter verwendet, wird nicht darum herumkommen, klar zu forlumieren, was denn die Bedenken genau sind. Allein sich auf Ethik zu beziehen, ohne zu sagen, worin man das Problem denn nurn konkret sieht, ist populistisch.

    Und da du schon die 90er Jahre bemühst: hier gab es sehr wohl sehr konkrete Bedenken und Einwände und weder ACT UP noch die EATG oder das deutsche Therapieaktivistennetzwerk waren sich jemals zu fein, sie im Detail darzustellen und auszudiskutieren. Ganz im Gegenteil – nur so waren die Fortschritte etwa beim Studiendesign möglich. Nur am Rande: Argumentationen, die ethische Argumente verwenden, sind einerseits deshalb nicht irrtumsfrei und andererseits geht es häufig um das Abwägen eines geringeres Übels. So haben die Aktivisten – durchaus auch mit ethischen Argumenten – das Riesen-EAP für 3TC erstritten und waren somit daran beteiligt, dass 30.000 Patienten Resistenzen entwickelt haben. Wir haben es damals nicht anders gewußt.

    Da du Ethik (wieder) in diese Debatte eingeworfen hats und nicht mehr getan hast, als nur mit dem Begriff zu wedeln, darfst du dich nicht wundern, wenn du ein Echo bekommst. Da du – wie immer – Kritik an deinen Äußerungen nicht von Kritik an deiner Person trenne kannst und entsprechend reagierst, ist halt so. Stört mich aber nicht. 🙂

    Tschüss du fertig

    Bernd

  20. @ondamaris
    Noch ein paar Infos zu dem im Leitartikel aufgeworfenen Fragen:

    * Die Studie rekrutiert noch nicht. Die Finanzierung ist – auch Dank der unfassbaren Haltung der DAH – noch nicht vollständig gesichert; das Design hat noch nicht seine endgültige Form und die Patienteneinverständniserklärung ist noch nicht abgesegnet. Daher kann sie nicht rekrutieren. Ohne jetzt über die Gebühr Haare spalten zu wollen: ja, es werden derzeit Patient(inn)en auf die Studie hingewiesen und gefragt, ob sie Interesse daran haben. Das endet aber nicht in einem Aufklärungsgespräch mit Vorlage oder gar Unterzeichnung einer Einverständniserklärung.

    * Unfertige Studienprotokolle sind noch nie auf der Website des Kompetenznetzes veröffentlicht worden. Wenn das Protokoll fertig ist, wird es – wie alle anderen Protokolle auch – veröffentlicht.

    * Ich weiß nicht, woher das Zitat von Hirschel stammt und aus welchem Zusammenhang es wie gerissen wurde. Hat er es wirklich so gesagt und gemeint, er hat schlicht unrecht. Es gibt sowohl biologische Gründen (wie weiter oben an den Funktionen der Schleimhäute bereits erläutert) als auch epidemiologische Gründe. Wie sollte denn – wenn anal und vaginal gleich wäre – sonst bitte zu erklären sein, dass die Übertragungswahrscheinlichkeit via aufnehmenden Vaginalverkehr etwa um eine Zehnerpotenz höher ist, als die via aufnehmenden Analverkehr. Wenn Hirschel das als vergleichbares Risiko bezeichnet, ist das eine Bewertung der internationalen Datenlage, die schon was solitäres hat. Für ersteres kann ich aus dem Handgelenk keine Literaturübersicht in deutsch aus dem Ärmel zaubern, für letztes böten sich etwa die PEP-Empfehlungen als Literaturhinweis an.

    „Kann eine Studie zur rektalen Transmission überhaupt in einer Konstellation durchgeführt werden, die ethisch vertretbar ist? In der die Studienteilnehmer nicht unnötig gefährdet werden? Ist die Studie vertretbar und verantwortbar?“

    * Ein ethisches Problem gäbe es ja wohl nur, wenn man behandelte HIV-Positive mit einer VL unter der Nachweisgrenze HIV-Negative anal beglücken ließe. Ich kann dass nicht anders verstehen, als dass die Idee von dieser Studie ist/war. Wo sollte ansonsten eine (unnötige) Gefährdung von Studienteilnehmer(inn)en liegen? Und wovor sollten die Studienteilnehmer(inn)en geschützt werden müssen?

    * Warum sollte diese Studie ihre Relevanz im Zusammenhang mit dem EKAF-Statement unter Beweis stellen müssen?

    Ich muss leider feststellen, dass bislang niemand Kritik substantiiert hat. Weder ondamaris, noch der Auslöser des Ganzen (koww), noch der Vorstand als (angeblicher) Urheber.

    Da frag ich mich doch, welche Motivation dahinter steckt. Da die Studie ja ergebnisoffen ist, könnte auch unerwünschte Ergebnisse dabei herauskommen. Soll diese Eventualität ausgeschlossen werden, indem die Studie torpediert wird? Qui bono?

    Bernd

  21. @ Bernd:
    nun, so unfassbar finde ich die haltung der dah nicht. es muss doch einem verband zugestanden werden zu klären, ob er seine aufgabe auch in der aktiven beteiligung an studien sieht. zumal, wenn gerade eine neuwahl des vorstands war.

    dass unfertige protokolle nicht veröffentlicht werden, ist mir durchaus bewusst ;-).
    aber zu dieser studie ist bisher so dermaßen wenig kommunizert worden, vor allen in communities, dass ich ein erstauntes nachfragen erstmal erklärlich finde

    was dir kritik angeht, da sehe ich zwei ebenen:
    1. ist eine studie für die klärung des Sachverhalts erforderlich und sinnvoll? Und wenn ja, ist dieses studiendesign geeignet, die fragen zu beantworten?
    2. wäre ich verband (was ich nicht bin), wäre mir doch daran gelegen, zunächst (vor meiner positionierung) zu klären, ob es meine aufgabe ist, mich aktiv an einer studie zu beteiligen, oder ob nicht viel eher meine aufgabe darin besteht, interessenvertretung zu sein – und die eben nicht innerhalb einer studienstruktur, da dies bekanntermaßen zu interessenkonflkikten und fehlwahrnehungen führt (hier wäre ein cui bono dann tatsächlich eine gute frage)
    lg ulli

  22. Mhm, es dreht sich aus meiner Sicht im Kreis und wird für mich keineswegs nachvollzehbarer.

    Du stellst nur Fragen, vermeidest jegliche Antworten – Rhetorik. Oder willst du allen Ernstes andeuten, die Frage, wie sich etwa die VL unter der Nachweisgrenze mit STD zusammen verhält, sei irrelevant?

    So langsam beschleicht mich der Verdacht, dass ein paar Leuten die Antworten, die die EKAF nicht gibt, sehr gelegen kommen und einfach Schiss haben, aus der Studie könnten Sachen rauskommen, die ihnen nicht passen …

  23. tja Bernd,

    danke für die Frage: Cui bono? und auch danke für die Klarstellung Deiner Rolle, die ich nicht mehr als Vertretung der „Patient/innen“ wahrnehme.
    Meine Wahrnehmung ist, dass sich eine Handvoll Leute etwas ausgedacht haben und niemand bislang darüber Bescheid wusste. Soviel zur Vertretung von Communities. In diesem Zusammenhang frage ich mich auch, was diese Handvoll Leute, die auch eine Menge Rollenkonflikte hatten und haben (Vorstandsmitglieder…) geritten hat, den Vorstand der DAH zwingen zu wollen, schnell und am Besten ohne Rückbindung in die Communities eine Entscheidung zu treffen. Wo leben wir denn?

    Zu dem Ding selbst.
    Ich bin sehr dankbar, dass ondamaris diese Debatte eröffnet hat. Für mich ist die Frage nicht beantwortet, ob es dieser Studie bedarf. Und ich sehe die Frage des Gebrauchs eines Dildos als ethisch fragwürdig an. Hier wird in einen Bereich menschlichen Lebens „vorgestoßen“, der Menschenwürde von Teilnehmenden verletzt. So sehe ich das. Kein Mensch ist ein Ding, sondern immer noch ein Individuum, mit schützenswerten Bereichen. Wobei mir noch immer nicht klar ist (vielleicht weil ich zu blöd bin) warum eine einfache Studie zur VL in der Darmschleimhaut nicht ausreicht. Warum an dieser Stelle eine scheinbare Sicherheit nötig ist, die an anderen Stellen für unnötig gehalten wird.

    Nachbemerkung:
    Auch Du flüchtest in Rhetorik, wenn es ernst wird. Dich beschleicht ein Verdacht? Bitte. So werden wir das Problem nicht lösen.

  24. @Carsten

    Das Ding mit dem Dildo:

    Ich habe in der Januar-Ausgabe des HIV-Reports versucht, einen Überblick über die bisherige Datenlage zum Enddarm zu geben und habe dort die bisher eingesetzten Methoden kritisiert. So hat eine Biopsie aus dem Zwölffingerdamr wenig mit Analverkehr zu tun und aus diesen Biopsien Schlußfolgerungen für die Übertragungswahrscheinlichkeiten beim kondomlosen Analverkehr mit einer nicht nachweisbaren VL zu ziehn, ist schon kühn. Das bezieht sich nicht nur auf eine VL unter der Nachweisgrenze, sondern bezieht sich auch auf die Frage, ob Seropositioning (also der aktive Negative hat beim ungeschützten insertiven Analverkehr mit einem passiven Positiven kein oder nur ein sehr geringen Risiko).

    Wir haben diskutiert, ob wir nicht die gleiche Methodik einsetzen, wie sie in den bisherigen Studien im Enddarm auch eingesetzt worden ist –> Spekulum rein und Abstrich nehmen.

    In den Diskussionen mit Gegenern der EKAF und Wissenschaftlern ist aber deutlich geworden, dass – sollte etwas dabei herauskommen, dass sich die VL im Darm (unter erfolgreicher Therapie) genauso verhält,wie etwa in der Vagina, uns genau die gleiche Methodenkritik um die Ohren gehauen würden,wie ich sie im Januar auch abgelassen habe. Um uns nicht an dieser Stelle schon methodisch angreifbar zu machen, war die Entscheidung, eine möglichst lebensechte Methode zu verwenden.

    (Wie ich oben schon geschrieben habe: Diese Studie wird nur ein weiterer Baustein in der Auseinandersetzung um EKAF sein, zielt auf Fragen wie STI und dergleichen ab. Endgültig ließe sich diese Debatte um EKAF und schwule Männer mit ihrem 300fach höheren Risiko für STD und einem höheren kumulativen Risiko für den Analverkehr nur durch eine epidemiologische Studie. Parallel zu der Planung dieser Studie ist sowohl das Kompetenznetz al auch die behandelnden Ärzte aufgefordert worden, doch die HIV-Patienten, die in diskordanten Partnerschaften leben, in genau einer solchen Studie zu beobachten. Das habe ich übrigens vor etliche Jahren im Zusammenhang mit der Superinfektion schon einmal gemacht. Nur sind die Widerstände extrem, die Komptenznetz-Kohorte wird nach 2010 nicht weiterfinanziert und es fehlt schlicht der Druck der Community, um es mit Macht durchsetzen zu können. )

    Daraus ergab sich zwangsläufig die Frage, welche Methode in der Lage ist, das, was beim Analverkehr passiert, am realistischten abzubilden. Befragte Sexualmediziner sind der Überzeugung, dass es – etwa durch eine gesteigerte Durchblutung und die mechanische Beanspruchung der Schleimhäute – einen Unterschied gibt. Brockmeyer auch, ich nicht. Das berücksichtigend stellten sich eigentlich nur zwei Möglichkeiten zur Auswahl, die wir ernsthaft diskutiert haben: entweder zwei Leute vögeln lassen, oder eine Simulation –> der Dildo).

    Da ersteres zwar zu Forschungszwecken in den Niederlanden gelegentlich mal gemacht wird, aber – verfolgte man ernsthaft diesen Ansatz -zu einer Flut unlösbarer Probleme (unter anderem auch mit der Ethik-Komission – führen würde, haben wir uns auf die Simulation verständigt. (Die ja übrigens den Dildo genehmigt hat, aber das spielt in dieser Diskussion keine Rolle.)

    Um das Problem der Einführung (quasi-)sexueller Handlungen in die Arzt/Patient-Beziehung zu umgehen – DAS ethische Problem – haben wir uns (übrigens nach etlichen Diskussionen mit HIV-Positiven Männern und Frauen) für die Selbststimulation entschieden.

    Das wirft naturgemäß methodologische Fragen auf – etwa die der Standardisierung. Da aber nicht jede/r gleich vögelt, wäre eine Standardisierung ohnehin kein Abbild der Realität. Also entscheiden die Teilnehmer(inn)en nach entsprechender Aufklärung in der Situation selbst, wann genug ist.

    Da es in der wissenschaftlichen Literatur keinerlei Hinweise darauf gibt, ob bei Geschlechtsverkehr sich die Gemengelage in der Schleimhaut unter HIV-Gesichtspunkten relevant verändert, haben wir uns – um nicht Teilnehmer(inn)en unnötigerweise zu belasten – die zweite ethische Überlegung – dazu entschieden, eine Vorstudie durchzuführen, um diese und weiter oben bereits angeführte methodische Fragen zu klären.

    Sollte sich bei (Selbst-)Stimulation die Viruslast verändern – wovon ich persönlich nicht ausgehe, aber das ist eine Annahme – könnte man auf diese Stimulation in der Hauptstudie verzichten.

    Zu deinen Vorbemerkungen:
    Im November als auch im Februar waren Community-Vertreter in ihren Funktionen anwesend.

    Die nachfolgenden Diskussionen sind nicht öffentlich geführt worden – wie bei allen Studien – auch denen, des Kompetenznetzes.

    Die im Zuge der Diskussionen aufgetauchten Bedenken sind von mehren Personen unabhängig voneinander republikweit mit einer ganzen Reihe HIV-Positiver diskutiert worden. Deren Input hat erheblichen Einfluß auf das Design gehabt. (Nur am Rande: Die eine Hälfte hat uns einen Vogel gezeigt und die andere mit den Füßen gescharrt und gefragt, wann es denn losgeht.)

    Ich für meinen Teil habe ganz bewußt keine Funktionäre angesprochen, sondern den sogenannten „normalen“ HIV-Positiven, wie er/sie etwa in AIDS-anzutreffen ist. Insofern weise ich den Vorwurf zurück, da sei ohne Einbindung der potentiellen Studienteilnehmer(inn)en hinter geschlossen Türen was ausgekocht worden.

    Da weder in der Vor- als auch der Hauptstudie keine Medikamente oder sonstige therapeutische Interventionen bei Menschen gegeben/gesetzt werden, die etwa nur noch begrenzte Therapieoptionen haben und dringend neue Medis benötigen oder eine auch nur annähernd ähnliche Situation für die Patienten entsteht, in der sie unter Druck stehen, ist das ethische Problem „individuelle Notlagen“ für die Forschung zu nutzen/auszunutzen nicht gegeben.

    Warum sollte jemand n dieser Studie teilnehmen, der damit ein Problem hat, sich mit einem Dildo zu stimulieren? Da sichergestellt ist, dass die Arzt-Patient-Beziehung von dieser Studie völlig frei gehalten wird, kann ich hier ein ethisches Dilemma sehen.

    Was mir schon auffällt ist, das bei keiner der bislang im Kompetenznetz durchgeführten Studien jemals eine solche Öffentlichkeit gefordert wurde (und das zu einem solch frühen Zeitpunkt, wo einige Dinge noch nicht schriftlich eingearbeitet worden sind). Und da frage ich mich schon warum. Kann sein, dass das was mit EKAF zu tun hat un damit, dass dieses ganze Thema emotional und politisch total überladen ist. Kann sein, dass es was mit dem (quasi-)sexuellen Anteil zu tun hat.

    Die Positiven, mit denen ich darüber seit sechs Monaten diskutiere, sind da jedenfalls wesentlich unaufgeregter.

    Ob es diese Studie benötigt oder nicht, hat etwas mit persönlichen und/oder wissenschaftlichen Grundüberzeugungen und dem Erkenntnisinteresse zu tun, Ich würde die Gegenfrage stellen:Warum nicht? Vor allem angesichts der Tatsache, dass hier keine Patienten riskiert werden, Leben schon gar nicht – völlig anders, als in etliche Pharmastudien, die zu nichts anderem dienen, als Argumente für das Marketing zu generieren.

    Die Studie ist – aus meiner Sicht – auf der Grenze zwischen Grundlagenforschung und anwendungsorientierter Forschung angesiedelt.

    Die methodischen Sachen gehören eher in die Grundlagenforschung. Das dient dazu, den anwendungsorientierten Rest bestmöglich abzusichern – was übrigen auch ein wissenschafts-ethisches Argument ist. Ich für meinen Teil denke, dass die um STI und die Beziehung zwischen Medikamentenspiegeln und Wirksamkeit in den Genitalsekreten sehr wohl ausgesprochen hilfreich sind. Nicht nur auf der abstrakten, epidemiologischen Ebene, für die Prävention genauso, wie für mich als Individuum.

    Gruß

    Bernd

  25. Daß die DAH die Finanzierung der Studie aus ihren Eigenmitteln (also Spenden, Mitgliedsbeiträge, etc.) abgelehnt hat, finde ich keineswegs „unfassbar“ (Bernd, oben Nr. 20), sondern richtig und verantwortlich.

    Neben den oben diskutierten offenen Fragen nach Inhalt, Form und Relevanz der Studie geht es dabei u.a. auch um die Frage, ob Aidshilfe sich aktiv in der medizinischer Forschung engagieren soll, d.h. selber Forschung finanzieren oder durchführen soll (und falls ja, welche!). In der DAH-Satzung steht die Forschungsförderung zwar als Option unter den Zielen des Verbandes, aber sie hat es seit nun immerhin 25 Jahren nicht getan.
    Der Versuch, diese Frage jetzt ohne hinreichende Diskussion im Verband (oder der „community“) im Hauruck-Verfahren anhand einer spontanen, aktuellen Forschungs-Idee durchzuziehen ist, ist – wie oben dargestellt – gescheitert (neben manch anderen Gründen wohl auch wegen der Verknüpfung mit der Vermögens-Debatte in der DAH und dem Vertrauensschaden beim ebenso heiklen Thema „transparenter Umgang mit Eigenmitteln“).

    Wer will, dass die DAH selber in die medizinische Forschung einsteigt (und das gar „ganz oben auf die Agenda“ setzen soll, wie Maja oben fordert), sollte die Debatte darüber klar und deutlich führen, Argumente bringen, warum wir das sollten, und vor allem: Wege aufzeigen, wie wir als Aidshilfe überhaupt selber Forschungs-Akteur sein könnten, ohne dabei unsere Aufgabe als unabhängige Interessenvertretung (auch der Studien-TeilnehmerInnen!) zu gefährden (für mich die Quadratur des Kreises).

    (Daß so eine Doppelrolle der Aidshlfe viele ungelöste Probleme schafft, haben wir an der ohnehin merkwürdigen Zwitterrolle der DAH im „Kompetenznetz“ zur Genüge sehen können.)

    Der Vorlauf in der Frage der Interessenvertretung läßt jedenfalls kritische Fragen berechtigt erscheinen: Zwar sitzen in der offenbar entscheidenden 5er-Steuerungsgruppe zur „Dildostudie“ zwei Akteure der Aidshilfe (Bernd als medizinischer Multi-Funktionär der Selbst- und Aidshilfe (das ist nicht abfällig gemeint) und Maja als mittlerweile nicht-mehr-Vorständin der DAH), aber das Thema PatientInnenvertretung ist dort trotzdem mal wieder verwurschtelt worden.
    Das übliche „mea culpa!“-Getöse („ich habe das total nicht auf dem Schirm gehabt, nicht eine einzige Sekunde daran gedacht und insofern ist sicher jede Kritik an diesem Punkt gerechtfertigt “ , s. oben Nr.12) hilft dann auch nicht mehr weiter, wenn es nur verdeckt, dass die Haltung „Wo ich bin, ist Selbsthilfe!“ der personalisierte Ausdruck eines Strukturfehlers ist.
    Und daß das „Kompetenznetz“ durch die Vergangenheit bereits einen beschädigten Ruf in Sachen PatientInnenrechte hat (Datenschutz, Einverständniserklärung, Genmaterialexport, etc.), stimmt einen auch nicht gerade vertrauensseliger…

  26. @ Matthias:
    zustimmung. was die finanzierung angeht: zunächst (vor der bewertung, ob eine mit-finanzierung aus eigenmitteln sinvoll oder im gegenteil unsinnig sei), ist für mich die offene diskussion über die idee einer mit-finanzierung (oder grundsätzlicher, die frage will sich aidshilfe in forschung engagieren) erforderlich – und gerade die wurde offensichtlich nicht (oder nicht ausreichend) gesucht, zumindest nicht öffentlich.

    genau deswegen ist dieser hau-ruck-ansatz den du ja auch monierst so zu hinterfragen. darüber sollte eine offene (auch: ergebnisoffene) debatte stattfinden. dies erfordert zu allererst transparenz, und ein offenlegen von gründen und argumenten. an beidem schien es bisher zu mangeln.

    dabei ist genau dieses grund-problem zu diskutieren – was will aidshilfe in diesem kontext sein, ‚forscher‘ – oder solidarische interessenvertretung?
    beides in einem scheint mir sehr schwierig zu sein …

  27. @25 und 26
    Ich will mir mal den Luxus leisten, den Fokus von der AIDS-Hilfe (die man ja nun auf sehr vielen verschiedene Arten und Weisen wahrnehmen und denken kann) auf die Selbsthilfe zu verschieben.

    Seit etwa 20 Jahren gibt es eine für mich nachvollziehbare – wahrscheinlich auch nie enden werdende – Debatte über Formen der Interessenvertretung (und die Lust so mancher, nur die von ihnen selbst gewählte als die einzig richtige, die „wahre“ Form der Interessenvertretung zu bejubeln und alles andere zu verteufeln).

    In Deutschland hat es erbitterte Auseinandersetzungen gegeben zwischen „Fraktionen“, die etwa den Standpunkt vertreten haben (und vertreten), dass nur Menschen mit HIV die Interessen von Menschen mit HIV vertreten dürfen und die andere Fraktion, die der Meinung sind, der Sero-Status könne kein ausschlaggebendes Moment sein). Es gibt hier von beiden Seiten gewichtige Argumente für diese diametralen Positionen! Selbstverständlich keine Einigung und daher immer noch beide Fraktionen (mit allen denkbaren Mischformen).

    Eine weitere sehr erbittert geführte Auseinandersetzung entblätterte sich an der Frage des konkreten Ausmasses der Einflussnahme (in Sinne der Interessenvertretung).

    „Dürfen“ Aktivisten (gemeint als Vertreter von Interessen von Menschen mit HIV und AIDS) „nur“ Einfluss nehmen, indem sie kritisieren (etwa ein Studienprotokoll, eine Patienteneinverständniserklärung, Forschungskonzepte) und Maximalforderungen stellen/Gegenentwürfe liefern? Oder ist es auch statthaft, in Verhandlungen einzusteigen und Kompromisse zu schließen (etwa von dem Maximalforderungen abzuweichen und Entscheidungen zu treffen über aufzugebenden oder zu modifizierenden Forderungen). Womit man als Aktivist allerdings auch Verantwortung übernimmt (und sich im Weiteren die Rückkoppelung der getroffenen Entscheidungen an die Constituancy als unabdingbar erweist, denn schließlich hat Aktivist ja auch stellvertretend gehandelt).

    In diesem Sinne wurden zwar die Beteiligung von Aktivisten an Data-and-Safety-Monitoring-Boards oder im Redaktionsausschuss der Therapieleitlinien immer als (maximale) Forderungen für die Patientenbeteiligung aufgestellt. Wurde diesen Forderungen nachgegeben, kam es allerdings zu heftigen internen Auseinandersetzungen, denn eine derart aktive Beteiligung hat immer auch die Kehrseite, dass Aktivist Mit-Verantwortung für dass übernimmt., was dann unten raus kommt.

    Ich habe immer zu denjenigen gehört, denen es nicht genügt hat, immer nur Maximalforderungen zu stellen und Gegenentwürfe zu liefern. An der einen oder anderen ausgewählten Stelle habe ich mich aktiv eingemischt und tue das immer noch (und sehe darüber hinaus auch keinen Grund, es in Zukunft nicht mehr zu tun).

    Und auch Matthias und ondamaris waren in der Vergangenheit durchaus – wenn auch an völlig verschiedenen Baustellen – damit beschäftigt, aktiv beteiligt zu werden/sein.

    Das entwertet eure Kritik nicht, soll nur deutlich machen, dass diese diametralen Positionen nicht unbedingt fix sind. Häufig scheint es mir von dem konkreten Gegenstand abzuhängen, um den es dann geht. Und mal sind es sich verändernde Lebensprojektionen.

    Nur sehe ich auch nach so vielen Jahren keine gangbare Brücke zwischen diesen beiden Positionen.

    Grüße

    Bernd

  28. Bernd, du schreibst:

    „…Womit man als Aktivist allerdings auch Verantwortung übernimmt (und sich im Weiteren die Rückkoppelung der getroffenen Entscheidungen an die Constituancy als unabdingbar erweist, denn schließlich hat Aktivist ja auch stellvertretend gehandelt).“

    und genau das ist eines der probleme. Matthias, ondamaris und auch ich waren und sind in verschiedenen projekten und „auf Baustellen“ aktiv. dennoch hatte niemand von uns diese informationen, die wir durch diese debatte bekommen haben. wo ist denn dann die aktive rückbindung? und auch die kritische selbstreflexion? ohne die wirds nicht gehen, soll der aktivismus nicht zur one man show verkommen.

    genau dieser punkt war und ist einer der kritischen. im gesamten prozess der debatte, der ja (auf gerüchte gestützt) schon vor dieser veröffentlichung begonnen hatte, ist jede information (ob wahr oder nicht) auf druck gekommen. niemand der beteiligten hat jenseits wohlkingender worte um „verantwortung´“ und „einbindung der community“ und „unsere interessen“ auch nur ansatzweise versucht, klare und verständliche informationen an die leute zu bringen.
    und ja. genau das macht einen großen teil meines misstrauens aus.

  29. @ Bernd:
    in sachen einfluss nehmen von aktivisten: ich denke, die frage ist in deutschland seit tagen des genfer / essener prinzips beantwortet. du weisst selbst dass auch ich immer der ansicht war, kritische haltungen einzunehemn bzw. gegenmeinung zu formulieren heisst auch diese in den entsprechenden gremien (seien sie nun steering committees oder dsmb’s) einzubringen.
    allerdings heisst einfluss nehmen m.e. nicht oder nicht automatisch auch „selbst durchführen / forschen“ – das ist nochmals ein weiterer schritt …

    was die konkrete debatte „rektalstudie“ angeht, siehe carstens antwort. ich weiss nicht, wen in die rektal-debatte eingebunden war – ich nicht, und viele die ich gefragt habe auch nicht. me.e fehlt(e) hier viel transparenz und offene information, von debatte ganz zu schweigen
    lg ulli.

  30. Pingback: Von Virenzählern und Dildos « The Gay Dissenter
  31. @ Carsten und Ulli,

    ich will in dieser Debatte noch mal auf der Trennung zwischen AIDS-Hilfe und Selbsthilfe bestehen. Im Kontext der DAH sind an verschiedenen Stellen verschiedene Diskussionen und Meinungsbildungen gelaufen (oder hätten laufen können). Hier gibt es klare Strukturen (Vorstand, Delegiertenrat, Haushaltskommission, Mitgliederversammlung, Fachgremien etc.) und entsprechende Kommunikationswege.

    Im Bereich der Selbsthilfe existiert nichts vergleichbares – schon allein deshalb nicht, weil die Selbsthilfe in ihrer Gesamtheit eher anarchisch strukturiert ist. Netzwerke erheben zwar Vertretungsansprüche, können aber – im Grunde – nur ihre Mitglieder vertreten, ansonsten sind sie so gut oder schlecht legitimiert, wie wer-auch-immer.

    In welchen Rollen diskutiert ihr? Als Aktivisten oder als Verbands- oder Netzwerkfunktionäre?

    Ich für meinen Teil pflege Dinge dann aufs Netz zu stellen, wenn sie einen gewissen Reifegrad in der Bearbeitung erreicht haben – wie etwa Sitzungsprotokolle. Ich weiß, dass andere das anders handhaben.

    Im nächsten HIV.Report wäre ein Artikel erschienen, der den Stand der Dinge und die Diskussion, warum was so ist, dargestellt hätte. Nun hat dieser Blog was anderes gefordert. Kein Problem damit, aber den Vorwurf der Intransparenz finde ich was inkonsistent. (Ich kann den – unter dem zeitlichen Aspekt – durchaus nehmen.)

    Mir ist aber nach wie vor nicht nachvollziehbar, wieso diese Auseinandersetzung ausgerechnet an dieser Studie so energiegeladen geführt wird.

    Bis auf ein paar Kleinigkeiten waren Studienprotokoll und Patienteneinverständniserklärung vor Washington soweit fertig, dass sie auf dem im Kompetenznetz üblichen Geschäftsgang an den Patientenbeirat als Interessenvertretung der Menschen mi HIV und AIDS im Kompetenznetz hätten weitergeleitet werden können. Warum stellt ihr mit dieser Aktion den Patientenbeirat so in Frage? Anstatt ihn zu stützen und zu stärken, tut ihr so, als ob es ihn nicht gäbe und der Blog von Ulli die einzige legitimierte Instanz ist. Sorry, es ist mir durchaus bewusst, dass das jetzt etwas polemisch daher kommt. Aber ich versuche das wirklich zu verstehen.

    Und noch mal zu keiner Rolle: Ich habe mich ganz zu Anfang dieses Blogs verortet und habe eine Abgrenzung vorgenommen. (Wenn sich auch zugegebenermaßen meine Rolle – inkl. meines Selbstverständnisses – über die Zeit verändert hat und ich aus einer anderen Rolle heraus gestartet bin, als ich gelandet bin.)

    Nehme ich diese Abgrenzung und auch Carstens Wahrnehmung meiner Rolle ernst, dürfte es hier bezogen auf meine Person keine Debatte über Transparenz geben. (Das Ding mit den mehreren Hüten ist Segen und Fluch zugleich. Die Rollen verschwimmen und auch ich wechsel beim Schreiben des Beitrages zwischen der Aktivistenrolle und der Rolle eines Mitinitators der Studie hin und her.)

    Davon mal ganz abgesehen: Ich habe dieses Projekt genauso rückgekoppelt, wie etwa die Entwicklung des Gesundheitstrainings auch.

    Die Entwicklung fand in einem kleinen (serodiskordanten) Kreis statt, die Ergebnisse wurden gezielt in die „Zielgruppe“ kommuniziert und diskutiert, Änderungen eingearbeitet oder begründet verworfen. Jetzt ist – aus meiner Sicht – das Gesundheitstraining von erheblich größerem Einfluss auf und Risikopotential für den/die individuelle/n Teilnehmer/in, als die hier debattierte Studie.

    Meines Kenntnisstandes nach, ist bislang kein Projekt/keine Studie des Kompetenznetzes in dieser Form und zu einem noch unfertigen Zeitpunkt auf diese Weise diskutiert worden. Ich will damit nicht sagen, dass ich was dagegen hätte oder das blöd oder sonstewas finde. Mir fällt das nur auf und ich frage mich, warum das so ist.

    Carsten, mein weiter oben geäußerter Verdacht war nicht als rhetorische Figur gemeint. Ich bin mir wirklich nicht sicher, ob die ersten Bedenken, die in der Diskussion (übrigens auch in der Geschäftsstelle) als erstes auftauchen – die ob eine Selbststimulation vertretbar ist oder nicht – nicht eine grundlegendere Unsicherheit bezüglich der möglichen Studienergebnisse überdecken.

    Wenn die Studie klare Ergebnisse produziert, wird sie polarisieren. Entweder sie erbringt sie Ergebnisse, wonach (biologisch) der Analkanal der Vagina gleichgesetzt werden kann und sich bei einer VL < 50 Kopien an der Übertragungswahrscheinlichkeit nicht ändert, ob weitere (asymptomatische) STD dazukommen oder nicht. Oder sie bringt gegenteilige Ergebnisse.

    Nach den Debatten der letzten Monate scheint mir manchmal, als ob – da nun der Geist aus der Flasche ist und nicht wieder hinein zu bekommen – mit der bestehenden Unschärfe viele Menschen besser leben können. So kann jede/r das für sie/ihn Passende rausziehen. Das könnte allerdings ernsthaft gefährdet sein.

    Aber das nur am Rande.

    Zurück zu dem Transparenz- und Legitimationsproblem: Ich habe bereits vor 12 Jahren (auf der BPV in Stuttgart) dafür plädiert, die Selbsthilfe – bzw. die Interessenselbstvertretung – aus der AIDS-Hilfe zu lösen und als eigenständigen Bereich auf gleicher Augenhöhe der AIDS-Hilfe gegenüber zu stellen.

    Das hat nun aus mancherlei Gründen nicht funktioniert – und einer der nicht zu unterschätzenden war unser aller (mich explizit eingeschlossen!) Unfähigkeit/Unwillen, kollegial miteinander zu arbeiten.

    Alle Vorstösse, eine zentrale Informationsbörse im Netz einzurichten, auf der alle Interessenvertretungen Tansparenz herstellen können (auch das Therapieaktivistennetzwerk und der Patientenbeirat des Kompetenznetzes sowie die Community-Boards in Studien und ähnlichem, von denen – einschließlich mir – kaum jemand etwas weiß), ist ebenfalls fehlgeschlagen. Ich habe zumindest für einzelne Projekte eine solche Börse eingerichtet.

    Sich entsprechende Informationen auf 54315 Webseiten raussuchen zu müssen, ist keine akzeptable Lösung. Ebensowenig, wie die DAH für alles und jeden zuständig zu erklären.

    Wir waren da, wo wir vor ein paar Jahren schon einmal waren, bei der Frage wie weiter, mit wem, warum und wohin.

    Gruß

    Bernd

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