Eine Studie bei langjährigen HIV-positiven Paaren, die beim Sex keine Kondome benutzen, hat keine Hinweise auf HIV-Superinfektionen erbracht. Im Gegenteil, eine häufige Auseinandersetzung mit dem Virus des Partners stand in klarer Beziehung zu einer deutlichen Immunantwort gegen dieses Virus.
Seit langem ist eine der Gefahren, mit denen sich HIV-Positive konfrontiert sehen, die Gefahr einer Superinfektion. Superinfektion bedeutet, dass zu der schon vorhandenen HIV-Infektion noch eine Infektion mit einem weiteren HIV hinzu kommt. Neben einer zusätzlichen Schwächung des eigenen Immunsystems könnte hier eine besondere Gefahr darin liegen, dass mit der zusätzlichen HIV-Infektion auch Resistenzen gegen Medikamente ‚übertragen‘ werden.
Superinfektion – was ist dran?, fragen sich immer wieder Positive.
Doch immer mehr Daten deuten darauf hin, dass diese Superinfektion für viele HIV-Positive nicht viel mehr als eine vermeintliche, theoretische aber nicht reale Gefahr ist.
Zwar berichten Wissenschaftler gelegentlich über Fälle von Superinfektionen, sowohl bei frischer erster HIV-Infektion, als auch bei chronischer HIV-Infektion. Hierbei scheint es sich jedoch -gerade wenn es um die Konstellation einer chronischen HIV-Infektion geht- um Einzelfälle zu handeln. Allerdings gab es bisher kaum zuverlässige Daten darüber, in welchen Konstellationen es wie häufig Superinfektionen kommt (geschweige denn, wie riskant die Auswirkungen in der Praxis sind).
Dies hat sich nun geändert.
In der Ausgabe der online-Fachzeitschrift Plos Pathogens (24. Oktober 2008) berichten Willberg und seine Mitarbeiter (University of California, San Francisco) über eine Studie, in der sie an 49 HIV-Positiven, die alle aufgrund erfolgreicher antiretroviraler Therapie eine Viruslast unter der Nachweisgrenze hatten, deren HIV-spezifische Immunantwort untersuchten.
Die (kleine) Gruppe wurde für die Datenanalyse unterteilt: in eine von 29 HIV-Positiven, bei denen auch der Partner eine Viruslast unter der Nachweisgrenze hatte, und eine Gruppe von 20 Positiven, bei deren Partner Viruslast nachweisbar war. Hinsichtlich Beziehungsdauer, Alter, Infektionsdauer, Zeit antiretroviraler Behandlung und CD4-Wert bestand zwischen beiden Gruppen kein signifikanter Unterschied.
Es gab bei der Analyse keine Zeichen einer Superinfektion. Allerdings konnte in der Gruppe der Positiven, die einen Partner mit Viruslast hatten, eine deutlich stärkere Immunantwort gegen HIV-Bausteine festgestellt werden. Dabei war die Immunantwort um so ausgeprägter, je häufiger Sex ohne Kondom stattfand, insbesondere je häufiger rezeptive Aufnahme erfolgte (sprich: er der ‚passive‘ Sexpartner war).
Die Autoren der Studie vermuten, dass die verbesserte Immunantwort darauf zurückzuführen sei, dass zwar eine gewisse Form von Superinfektion stattfinde (die dann die Auseinandersetzung des Immunsystems mit HIV mit sich bringe), diese sich aber auf die Schleimhäute beschränke.
Die Studie scheint nahezulegen, dass selbst bei Personen mit nachweisbarer Viruslast und mit HIV, das Medikamentenresistenzen hat, das Risiko, den HIV-positiven Partner mit diesem ‚resistenten HIV‘ zu infizieren (Superinfektion) sehr gering ist, selbst wenn dieser der ‚passive‘ Sexpartner ist, resümiert aidsmap.
Ob die Studienergebnisse auch bei wechselnden Sex-Partnern gelten, dazu gebe es keine Informationen. Die Forscher vermuteten, dass für die beobachtete Immunantwort die häufige Auseinandersetzung mit dem gleichen HIV (des Partners) verantwortlich sei.
Der Studie kommt besondere Bedeutung auch zu angesichts der häufigen Praxis des Serosortings – Menschen suchen sich einen Sexpartner mit gleichem HIV-Status, um dann Sex ohne Kondom haben zu können.
Willberg CB et al. „Immunity to HIV-1 is influenced by continued natural exposure to exogenous virus.“ PLoS Pathogens 4 (10): e1000185, 2008.
Artikel (in englischer Sprache) gratis online hier
Ist es Zufall? Beginnt die Forschung klarer zu sehen?
Mehrere zarte Lichblicke in den letzten Wochen. (Statement der EKAF und dieser Bericht …)
Und aber auch eine Befürchtung: dass solche im Grunde positiven – und erfreulichen – Ergebnise zum Nachlassen der Aufmerksamkeit führen.
Es wäre schade – und gefährlich. Nicht nur für die Betroffnen,- auch für das Gesamtbild, das wir der Öffentlichkeit bieten.
superinfektionen hat es in der vergangenheit ja immer wieder mal gegeben. doch waren sie – so verstand ich es zumindest „einzelfälle denen der status eines seltenheitswertes innewohnte“. so habe ich es zumindest verstanden zumal sich – nach bekanntwerden einer „superinfektion“ recht schnell diese infektion als eine ausnahme herausstellte und oft verständlich erklärt wurde warum. die dimension – der stellenwert die man solchen superinfektionen wenn mal eine bekannt wurde zuschrieb waren idr immer das ergebnis eines medienhypes der von der hohlköpfigen tumben journaille ausgelöst und verbreitet wurde. auch hier wurden wir – die hiv positiven als menschen die angst und schrecken verbreiten dargestellt und instrumentalisiert.
es ist wie ich finde an der zeit das man dieses verhalten von journalisten und chefredakteuren von zeitungen
die sich solcher mechanismen zur auflagensteigerung bedienen mal in einer form thematisiert – dieses verhalten einer breiten öffentlichkeit zugänglich macht. dies würde sich z.b. als thema für den weltaids tag sehr gut eignen wie ich finde.
@ Ulysse:
nun, es ist kein zufall insofern als wohl auch das ekaf-statement bei einigen wissenschaftlern nochmal einen anderen fokus ihrer forschung ausgelöst haben könnte
da die superinfektion ja eine sache zwischen positiven ist, denke ich kaum dass es wesentliche auswirkungen auf das „nachlassen der aufmerksamkeit“ (wie du schreibst) haben dürfte …
@ Dennis:
ja, superinfektionen waren immer schon eher selten. wobei kaum jemand sagen mochte ob sie selten auftreten oder „nur“ selten beobachtet werden.
und: superinfektionen wurden von manchen (auch ärzten) gerne als grosse drohkulisse aufgebaut, wenn positive fragten, ob sie denn jetzt mit anderen positiven sex ohne kondom haben könnten … für diese drohkulisse dürfte es nun weniger „substanz“ geben …
nebenbei – die frage von sexuell übertragbaren erkrankungen stellt sich dennoch, superinfektion hin oder her …
Ich betrachte den Begriff „Superinfektion“ auch mehr als Drohgebärde zur Abschreckung, und aufgrund von Daten ein eher selten auftretendes Phänomen. Doch durch die geringe Anzahl der Studienteilnehmer halte ich die Studie nicht für aussagekräftig, um damit generell „Superinfektionen“ auszuschliessen. Dazu bedürfte es einer grösser angelegten Studie; wobei ich mich frage, warum sich bisher noch niemand dafür interessiert hat…
@ Kalle:
zustimmung, die studie ist klein. aber immerhin sie ist ein ansatz …
und sicher ist sie nicht generalisierbar, sondern liefert zunächst nur hinweise auf die situation zwischen chronisch infizierten positiven paaren.
warum bisher keine grössere studie? wer sollte daran interesse haben, wer sie finanzieren? verdient ja keiner dran ;-))
Verstehe ich das richtig, dass es in der einen untersuchten Gruppe so etwas ähnliches wie eine leichte „Impfreaktion“ gegeben hat?!? – also quasi eine unbeabsichtigte Stärkung der Immunabwehr in Bezug auf das Virus des Partners?!?
@ Matthias:
nun, der begriff „impfreaktion“ ist vielleicht nicht ganz zutreffend (von art des auslösers und intensität her würden viele darunter wohl etwas anderes vermuten), aber prinzipiell habe ich das auch so verstanden – es gab eine reaktion des immunsystems, die spezifisch auf das hiv des partners gewesen zu sein scheint.
ob die intensiv genug wäre, eine infektion real und bei einem bisher hiv-negativen zu kontrollieren, muss wohl bezweifelt werden. aber – ja, eine reaktion des immunsystems auf hiv.
Vorab: ich habe bisher nur ondamaris‘ Zusammenfassung gelesen, noch nicht die Originalarbeit.
Bekannt war ja schon vorher, dass Superinfektion möglich ist und vorkommt, aber sehr selten ist.
Ich lese nun die Zusammenfassung des Ergebnisses der Miniuntersuchung so, dass starke Indizien vorliegen, dass tatsächlich regelmässig Virus oder Virusbestandteile bei unsafem Sex zwischen Positiven übertragen werden. Sonst hätte es keine Immunreaktion geben können. (Die HIV-spezifische Immunantwort auf die Primärinfektion verschwindet relativ früh im Infektionsverlauf. Überbleibsel dieser Immunantwort dürften also eher nicht gemeint sein.)
Dass das per se eine gute Nachricht ist, wage ich zu bezweifeln. Denn ob die so übertragenen Erreger eine Infektion auslösen, dürfte vom Immunsystem des Empfängers und von seiner Therapie abhängen: bei Resistenzen der übertragenen Varianten gegen die individuelle Empfänger-HAART und/oder bereits geschädigtem Immunsystem könnte sehr wohl eine Gefahr bestehen. Also sollten wir da sehr genau hinschauen, wie die Probanden immunologisch aussahen, wie hoch die Viruslasten der Überträger waren, ob und welche Partner unter HAART standen und auf welche Therapie welche Virusvarianten trafen.
Ich kenne eine Vielzahl von Fällen, bei denen sogar klassische Impfversuche mit erwiesen wirksamen Impfstoffen (Hepatitis A und B) bei Positiven wegen zu schwachen Immunsystems immer wieder scheitern. (Bei der guten alten Grippeimpfung gibt es ja erst gar keine regelmässige Erfolgskontrolle. Das würde wohl auch den Verkauf beeinträchtigen. Um Mißverständnisse zu vermeiden: das soll kein Plädoyer gegen die Grippeimpfung sein.)
Wie auch immer: wegen der winzigen Probandenzahl kann aus dem Ergebnis wohl nicht einmal eine Tendenz abgeleitet werden.
Ich sehe daher zum Zeitpunkt weder Anlaß zum Jubel noch zum Präventionisten-Bashing.
Aber unabhängig davon könnte man aus meiner Sicht doch einmal ausdrücklich erwähnen, dass die EKAF-Thesen auf konkordant positive Paare angewendet bedeuten, dass hier bei kondomfreien „Sex unter der Nachweisgrenze“ (falls auch alle anderen EKAF-Kriterien erfüllt sind) die Gefahr einer HIV-Superinfektion vernachlässigbar klein sein dürfte. In der Konstellation dürfte es aber keine Übertragungen von Viren und damit auch keine Immunreaktion darauf geben. Das ist also eine andere Debatte. Ich erwähne das nur, weil EKAF hier in der Diskussion angesprochen wurde.
@ Götz:
im paper wird gesprochen von der hypothese einer auf die schleimhäute begrenzten superinfektion, die die immunantwort getriggert haben könnte
ich bin mir nicht sicher, in wie weit nicht ausreichende immunantworten gegen impfungen wie hep a/b vergleichbar sind. die autoren sprechen ja nicht von immunität, sondern hiv-spezifischer immunreaktion.
bin auf deine einschätzung gespannt – lass mal lesen nach dem studieren der originalarbeit 🙂