Die Pharma-Industrie scheint einen neuen Anlauf zu unternehmen, um doch noch das Werbeverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel zu kippen. ‚Ran an die PatientInnen‘, scheint die Devise zu lauten.
Derzeit ist direkt an Patientinnen und Patienten gerichtete Werbung für verschreibungspflichtige Medikamente in der EU untersagt (EU-Richtlinie 2001/81/EG, bes. Artikel 87 und 88).
Auf einer Tagung bestätigte laut ‚BuKo Pharmakampagne‚ der Sprecher des europäischen Pharmaindustrie-Verbandes EFPIA, seine Organisation strebe eine Änderung der betreffenden EU-Richtlinie an. Hintergrund der erneuten Bemühungen der Pharmaindustrie scheinen aktuelle Diskussionen über Patienteninformation zu sein.
Bereits im Jahr 2002 hatte die Pharmaindustrie mit beträchtlichem Aufwand versucht, das europäische Direktwerbe-Verbot zu kippen. Was damals erfolglos war, soll nun scheinbar erneut versucht werden.
Die BuKo Pharmakampagne beschreibt, warum dies nicht im Interesse von Patientinnen und Patienten ist: „PatientInnen brauchen zuverlässige, vergleichende und unabhängige Gesundheitsinformationen, die alle Behandlungsoptionen – auch die der Nicht-Behandlung – einschließen. Die Pharmaindustrie kann jedoch aufgrund ihrer kommerziellen Interessen keine unabhängigen Informationen liefern.“
Der Stern-Reporter Grill, Autor des Buches „Kranke Geschäfte – wie die Pharmaindustrie und manipuliert“ kommentiert: „Es gibt keine Branche, die seit Jahren so hohe Gewinne einfährt wie die Pharma-Branche – und es gibt keine Branche, die den Menschen so viel Sand über ihr wahres Geschäftsgebaren in die Augen streut.“ ((zitiert in Pharmabrief Nr. 6 September 2007))
Unabhängige, möglichst interessenneutrale Gesundheitsinformation ist möglich – sei es durch Patienten-Organisationen und Verbände, sei es mittels unabhängiger Instutute. Für beides gibt es zahlreiche in der Praxis bereits funktionierende Beispiele (wie z.B. Gesundheitsinformationen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung BZgA oder des Verbraucherzentralen Bundesverbands, Gesundheitsinformationen einzelner Organisationen wie z.B. der Deutschen Aids-Hilfe, oder unabhängige Informationen wie Gesundheitsinformation.de des IQWiG). Diese positiven Ansätze könnten ausgebaut und weiter entwickelt werden.
Worin der Vorteil von Marketing oder ‚Information‘ liegen soll, mit der sich die Pharmaindustrie direkt an PatientInnen wenden will, bleibt unklar.
Zu welchen Auswüchsen es kommen kann, wenn die Pharmaindustrie direkt bei PatientInnen für Medikamente werben darf, lässt sich anschaulich seit vielen Jahren in den USA beobachten. Am Beispiel HIV/Aids: da erklommen z.B. kraftstrotzende junge Männer munter hohe Berge und verkünden dabei stolz, dies alles könnten sie nur dank ‚xyzivir‘ [siehe ein Beispiel hier].
Die Verordnung lebenswichtiger Medikamente, die auch mit Risiken und potenziellen Nebenwirkungen behaftet sind, ist m.E. kein Bereich, der einfach den Kräften des Marktes, vor allem auch von Marketing und Werbeversprechen überlassen werden darf.
Und wenn die Pharmaindustrie nun versuchen sollte, dies über das Hintertürchen der ‚Patienten-Information‘ doch noch zu erreichen – hieße das nicht tatsächlich, frage ich mich, den Bock zum Gärtner zu machen? Wer an den beworbenen Pillen munter (und satt) verdient, wie will der Patienten gleichzeitig neutral und sachgerecht informieren?
Wäre es stattdessen nicht sinnvoller, interessenneutrale und fachlich fundierte Informationen im Interesse von Patientinnen und Patienten zu fördern?
weitere Informationen:
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung BZgA
gesundheitsinformation.de – unabhängige und geprüfte Informationen zu Gesundheitsinformationen, erstellt vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)
BuKo Pharmakampagne: Gegen den Einfluss der Pillenlobby
Pharmabrief / Pharmawerbung in Patientenköpfe (pdf)
Pharmabrief / Den Bock zum Gärtner machen? (pdf)
hiv-wechselwirkungen.de – Gesundheitsinformationen der Deutschen Aids-Hilfe
3 Gedanken zu „Der ‚Informationsbedarf‘ der Pharmaindustrie“
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