Deals mit Pillen

Ein Apotheker und sechs HIV-positive Patienten sollen in Wetzlar Krankenkassen zwischen 2005 und 2007 durch abgerechnete, aber nicht ausgegebene Aids-Medikamente um mehreren hunderttausend Euro betrogen haben.

Lange hat man nichts mehr gehört von Apothekern und PatientInnen, die ihren privaten Deal mit Aids-Medikamenten machen. Doch ausgestorben scheint die Masche noch nicht zu sein, wie ein aktueller Fall zeigt.

Vor einigen Jahren war es in einigen Städten noch recht häufig anzutreffen, das Phänomen, dass es einigen Patienten (und erst recht Apothekern) plötzlich finanziell deutlich besser ging, seit sie Medikamente nahmen.
Die Wege waren kreativ und mannigfach, das Ergebnis meist, dass Apotheker und Patient finanziell besser gestellt, die Krankenkasse die (finanziell) Geschädigte war.

Nachdem einige besonders krasse Fälle (u.a. in Berlin) publik wurden, teilweise auch vor Gericht landeten, die Kassen in zahlreichen Fällen ihren Ermittlungsdienst aktivierten, war lange Zeit Ruhe. Zudem sorgten die Gesundheitsreform und verstärkte Kontrollen von Kassen dafür, dass einige Wege einer zusätzlichen ‚Einnahmequelle‘ verstopft wurden.

Doch immer noch scheinen Tricksereien möglich zu sein. So wird jetzt aus Wetzlar über einen schwunghaften Handel mit Rezepten für Aids-Medikamenten berichtet.
Die Wetzlarer Staatsanwaltschaft ermittelt gegen einen ortsansässigen Apotheker, der verdächtigt wird, die Krankenkassen um mindestens 250.000 Euro betrogen zu haben, wie die ‚Wetzlarer Neue Zeitung‘ am 27.11.2007 berichtet.

Der Apotheker soll dazu zwischen Frühjahr 2005 und Frühjahr 2007 mit sechs HIV-infizierten Patienten gemeinsame Sache gemacht haben. Die Positiven aus dem Frankfurter Raum ließen sich zusätzlich zu ihrer Kombinationstherapie auch magenschützende Präparate verschreiben. Diese Rezepte sollen bei dem Wetzlarer Apotheker eingelöst und den Kassen in Rechnung gestellt worden sein. Medikamenten seien jedoch nicht ausgegeben worden, den Betrag (gesprochen wird von einem Wert von bis zu 3.000€ je Rezept) hätten sich vielmehr Positive und Apotheker geteilt – bei einer Rate von zwei Drittel für den Apotheker, ein Drittel für den Patienten.
Neben der AOK Hessen sollen auch weitere Krankenkassen zu den Geschädigten gehören.

Aufgedeckt wurde dieser ‚Betrug durch Kooperation zwischen Apotheker und Patienten‘ vermutlich durch einen Hinweis aus dem Kreis der teilnehmenden Patienten selbst. Ein AOK-Sprecher betonte, hätten alle Beteiligten ‚dicht gehalten‘, wäre dieser Art Betrug wohl nur schwer beizukommen.


Viele Menschen mit HIV leben unter prekären finanziellen Umständen. Möglichkeiten, die eigene finanzielle Situation aufzubessern, sind vielfach willkommen, ihre Nutzung oftmals verständlich. Kriminelle Wege, wie diese Art von Kassen-Betrug, können jedoch kein legitimes Mittel der Aufbesserung der eigenen Kasse sein.
Zudem dürften die eigentlichen Geschädigten vermutlich wohl auch die Positiven selbst sein , die durch Nichteinnahme der verordneten Medikamente vermutlich ihre Gesundheit massiv gefährdeten.

Pikant erscheint vor allem auch das Verhalten des Apothekers. Nicht nur das gezielte Erkennen und Ausnutzen einer Systemlücke, sondern auch die Aufteilung (zwei Drittel / ein Drittel) ist bemerkenswert. Sollte sich bewahrheiten, dass die betroffenen Positiven DrogengebraucherInnen sind, könnte sich zudem die (wohl eher moralische als justitiable) Frage nach dem Ausbeuten einer Notsituation eh schon sozial benachteiligter Patienten stellen.

Dieser Betrug der Krankenkassen durch Zusammenarbeit von Positiven und Apothekern dürfte wohl kein einmaliger, wohl aber ein seltener Fall sein. Es bleibt zu fragen, ob diese Art von Betrug nicht erst möglich wird durch das gezielte Ausnutzen von Systemlücken, und was die Beteiligten zu deren Behebung unternehmen.

Ein Stück, nebenbei, das geradezu zu einer Inszenierung verlockt, mit brecht’schen Charakteren (ein beschauliches Städtchen, verarmte Patienten aus der Großstadt, denen Geld wichtiger als Gesundheit zu sein scheint, der zwei-Drittel-Apotheker, der ein gutes Geschäft wittert …).

5 Gedanken zu „Deals mit Pillen“

  1. Dreist und auch Menschen verachtend! Das grenzt schon an Körperverletzung. Dem Pillendreher gehört die Zulassung entzogen!

  2. @ antiteilchen:
    menschenverachtend ist wohl ein treffender ausdruck …
    wäre spannend zu hören, was die zuständige kammer davon hält (zulassung)

  3. @ anonym:
    na – ich hatte vermutet, diese lücke wäre geschlossen worden … und apotheker vielleicht etwas weniger … nun ja … kreativ

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