Abschiebung mit HIV?

HIV bzw. Aids kann ein Grund sein, der einer Abschiebung von Flüchtlingen entgegen steht (medizinisches Abschiebungsverbot). Aber es ist eben eine ‚Kann-Bestimmung‘ – und eine, die scheinbar zunehmend restriktiv genutzt wird.

Eine Infektion mit HIV oder gar eine Erkrankung an Aids schützt nicht vor einer Abschiebung, wird manchmal sogar eher als Grund dafür konstruiert. So fordert Australiens Ministerpräsident Howard, HIV-Infizierte generell nicht mehr ins Land zu lassen (außer natürlich sie kommen als kurzzeitige wohlhabende Touristen). Positiven, die nach einer Aids-Konferenz in Kanada blieben um um Asyl nachsuchten, drohte die Abschiebung.

Kanada, Australien – alles weit weg.
Aber – wie sieht es hier aus? Was geschieht mit HIV- infizierten oder an Aids erkrankten Asylbewerbern in Deutschland?

Die Fraktion ‚Die Linke‘ sowie vier ihrer Abgeordneten wandten sich an den Bundestag mit einer kleinen Anfrage. Wie es denn mit der laut Berichten von Flüchtlings-Organisationen zunehmend restriktiven Anwendung der Schutzbestimmung (gem. § 60 Abs. 7 Aufenthaltsgesetz) aussehe.

Insbesondere wollten sie auch wissen, was denn der Wortlaut einer Dienstanweisung sei, in der die Handhabung der Abschiebungs-Regelung bei HIV und Aids geregelt sein soll. Und nach welchen Kriterien dort über etwaige Abschiebungs-Hemmnisse bei HIV/Aids entschieden werde.

Die Bundesregierung antwortete.
Ja, eine derartige Dienstanweisung gebe es, und seit 2003 auch mit HIV-spezifischen Regelungen, bestätigt die Bundesregierung in ihrer Antwort. Aber es sei eben eine Dienstanweisung, Verschlusssache, und die könne als solche nicht öffentlich gemacht werden.

In dieser Dienstanweisung werde u.a. geregelt, bei welchen Stadien der HIV-Infektion wie vorzugehen sei, wenn über eine etwaige Abschiebung zu entscheiden ist. Details hierzu finden sich in der Antwort.

Insbesondere bleibt festzuhalten, dass die konkrete Verfügbarkeit von antiretroviralen Therapien für die jeweilige Person in ihrem Heimatland der Antwort zufolge in der Dienstanweisung kein berücksichtigtes Kriterium ist.
Ob der jeweilige Mensch nach seiner Abschiebung eine lebensverlängernde Therapie erhalten kann oder in eine lebensbedrohliche Situation geraten könnte, scheint bei der Frage der Abschiebung keine Rolle zu spielen.

Nachtrag 25.07.: ein guter Artikel zur Abschiebungsproblematik bei HIV findet sich hier (via dietelge)

Aids-Virus einmal anders

Ab und an bekommt der Name „Aids-Virus“ auch einmal eine ganz neue Bedeutung.

So weisen Internetdienste darauf hin, dass derzeit mal wieder ein Virus im Umlauf ist, der Aids-Hinweise verbreitet.

Laut ‚network-secure.de‚ handelt es sich dabei um „ein typisches Exemplar der Sorte, die von durchgeknallten Kiddies mit Baukästen zusammengeflickt werden“, immerhin aber nur „um irgendwelche Botschaften quer über die gesamte Welt zu verteilen, weiter aber keine Schäden einrichten“.

Gegen diese Art Viren wird wohl die härteste Kombi-Therapie machtlos sein …

Aids-Politik: zurück zu law and order?

Die Bundesregierung plant, demnächst einen „Aktionsplan zur Umsetzung der HIV/AIDS-Strategie“ vorzulegen. Im Entwurf findet sich im Detail viel Ärgerliches – und die unterschwellige Tendenz, zukünftig mehr auf ‚law and order‘ zu setzen.

Die Unkorrektheiten beginnen gleich bei den Infektionszahlen, auf deren Basis argumentiert wird.
Da wird munter durcheinander von HIV-Neuinfektionen und HIV-Neudiagnosen gesprochen – als sei beides das gleiche. Und später wird behauptet „Gegenwärtig kommt es unter den MSM zu etwa 2.000 Neuinfektionen pro Jahr“. Hat da jemand etwas verwechselt? Das Robert-Koch-Institut spricht von 1.197 neu diagnostizierten HIV-Infektionen im ersten Halbjahr 2006 und einem Anteil von MSM (= Männer, die Sex mit Männern haben) von 62%. Das ergibt auf’s Jahr gerechnet ca. 1.480 Neudiagnosen (und nicht Neu-Infektionen) bei MSM im Jahr 2006 – nicht 2.000. Ein Versehen? Oder vielleicht Ausdruck eines Wunsches, eine Zahlenbasis für stärker repressive Maßnahmen bei MSM zu haben?

Weiter geht’s mit dem Thema ‚Verharmlosung von HIV‘. Die „Bagatellisierung des Risikos aufgrund eines unkritischen Therapieoptimismus“ betont der Entwurf. Genau, und wer macht die? Die beschönigenden Plakate und Anzeigenkampagnen z.B. mit bergsteigenden Positiven einer sehr marketingaggressiven Pharmaindustrie dürften ja nicht gerade unbeteiligt dabei sein! Was fällt dem Aktionsplan aber dazu ein? Die DAH sei dafür zuständig, brauche eine „verstärkte Aufklärung über die gravierenden Folgen einer HIV-Infektion, um einer in der Öffentlichkeit und Zielgruppen empfundenen Verharmlosung der HIV-Infektion wirksam entgegenzutreten“. Wie wär’s mal der Pharmaindustrie auf die Finger zu klopfen? Aber stattdessen wird der Verband (VfA) nur mal nett gefragt, ob man denn nicht freiwillig … und könnte … und würde …

Wenn jedoch die Pharmaindustrie direkt an die Patienten will [was mit vielen fragwürdigen, teils riskanten Folgen verbunden sein kann, siehe nur die US-Pharmawerbung in Positivenmagazinen, die viel dreister ist als alles, was bisher in den Szeneblättchen in Deutschland zu bestaunen war] ist die Bundesregierung anscheinend sehr kulant und interessiert. Da könne man ja die Selbstkontrolle entsprechend einbeziehen, wird in dem Plan laut gedacht.
Direktwerbung an Patienten jetzt also durch die Hintertür vermeintlicher Präventionsarbeit? [Mal ehrlich, auch wenn’s sarkastisch scheint, die Pharmaindustrie dürfte doch eher Interesse an mehr als an weniger Patienten haben, oder? Erst recht bei den Pillenpreisen …]

Auch beim HIV-Test gibt’s Neues – und einen Richtungswechsel. So findet sich dort die Forderung nach „Verstärkung der Kondomempfehlung und Werbung für HIV- und STD-Testung“ unter der Überschrift „Die DAH muss ihre Präventionsarbeit anpassen“. Und später wird noch deutlicher von „Routine-HIV-Testung“ als „Option zum Schutz vor einer HIV-Infektion“ gesprochen, oder vom HIV-Test mit seiner „neuen Relevanz für die Primärprävention“.

Und was die „kommerziellen Sexanbieter“ angeht (darunter dürften wohl auch Darkroom-Kneipen fallen): „Verbindliche Regelungen bei Betriebsbewilligungen und Kontrollen ihrer Einhaltung“ soll es erst geben, wenn eine Studie einen ’safer Environment Ansatz‘ als erfolgreich belegt (in der Praxis z.B. mit der freiwilligen Präventionsvereinbarung umgesetzt).
Das klingt beruhigend, heißt aber im Klartext doch wohl nichts anderes, als dass demnächst staatlicherseits Ärger droht, wenn Betriebe keine Kondome etc. auslegen. Was ja eine sinnvolle Maßnahme ist – aber mit Zwang? Rückkehr zu einer Law-and-Order-Politik?

Freiheitliche Ansätze hingegen fehlen weitgehend. Wie wäre es z.B. der Verbesserung der Situation von (und Präventionsmöglichkeiten bei) Menschen im Knast? Wie wäre es, etwas zu unternehmen, um Spritzentausch zu ermöglichen und leichte Kondomverfügbarkeit im Knast zu erhöhen? Fehlanzeige! Stattdessen wird larmoyant die unbefriedigende Situation in Haftanstalten beklagt, an die Länder appelliert und ansonsten auf eine Studie verwiesen, die erst 2007 Ergebnisse bringen soll.
Und warum wird unter dem Punkt „Einreise HIV-infizierter Ausländer“ jede Möglichkeit der ‚Prüfung der Gesundheit einreisender Ausländer‘ betont? Einschließlich der Möglichkeit, die Einreise zu verweigern? Nur, um dann doppeldeutig zu betonen, grenzpolizeiliche Zurückweisungen seien ‚allein wegen HIV/Aids weder Praxis noch vorgesehen‘?

Insgesamt vermitteln weite Teile des Papiers unterschwellig die Tendenz, nicht mehr auf freiheitliche Lösungen zu setzen (wie die Handlungskompetenz des Einzelnen zu fördern), sondern zukünftig mehr auf Rechtsstaat und ordnungspolitische Maßnahmen zu setzen – eine verkappte Rückkehr zu ‚law and order‘ in der Aids-Politik? Ein langsamer Richtungswechsel in der deutschen Aids-Politik?

Es steht noch viel mehr Ärgerliches in diesem Entwurf für den Aktionsplan (wie eine „Meldepflicht für HIV-Primärresistenzen“ – allein mir fehlt Lust und Geduld, das alles zu kommentieren …

Bonbons statt ‚dfg‘

Statt einem Vortrag über Porno stehe ich heute vor einem Stapel Bonbons.Torres03 Eigentlich – ja eigentlich hatte ich heute zum Symposium „Post Porn Politics“ in der Volksbühne gehen wollen. Die Lecture „Poor guys do it better“ hören, untertitelt „Ethnic gay pornography and class“. Vielleicht auch noch Bruce LaBruce mit seiner Presentation (und sicher rhetorisch gemeinten Frage) „But is it art?“.
„Poor guys“ ist jedoch leider auf morgen verschoben, den Ersatz-Vortrag über „Penis-Ersatz“ muss ich mir wirklich nicht antun, erst recht nicht für 6,-€ Eintritt.

Spontan fahre ich stattdessen zum Hamburger Bahnhof (für die nicht-Berliner Leser: der ehemalige Bahnhof ist seit 10 Jahren Museum für Moderne Kunst). Die Felix Gonzalez-Torres Retrospektive hatte ich mir doch eh ansehen wollen,warum nicht jetzt.

Gleich am Eingang: ein riesiges Quadrat goldfarben eingepackter Bonbons. Einige Besucher stehen irritiert davor, andere belustigt. Ein kleiner Junge nervt seine Mutter offensichtlich damit, eines der Bonbons zu wollen. „Halt den Mund, das ist Kunst“, höre ich sie sagen.

Felix Gonzalez-Torres, US-amerikanischer Konzept-Künstler, starb 1996 an den Folgen von Aids. Die NGBK, die einige seiner Werke schon Ende der 80er Jahre erstmals in Deutschland zeigte (im Rahmen der Ausstellung „Vollbild Aids“), veranstaltet eine umfassende Retrospektive.

Torres02Eine Vielzahl Arbeiten aus Werk- Gruppen erwarten mich: „candy pills“ neben „stacks“, Stapel von Postern in unlimitierter Auflage. Puzzle-Bilder, Lichterketten, Fotografien und Schrift-Arbeiten auf den Museumswänden.
Häufig: das Nebeneinander des Banalen und des Intensiven, des Alltäglichen und des Außerordentlichen, des Privaten und des Öffentlichen. Blutwerte und Krieg in einem fernen Land. In erschreckender, irritierender Dichte, Aufeinanderfolge.

Die Auseinandersetzung mit Aids ist dabei immer wieder Thema seiner Arbeiten, sei es in den Bonbon-Bergen, Fotografien oder Wort-Arbeiten. Die Geschichte hinter den Kunstwerken wird nicht erzählt, es bleibt Aufgabe des Besuchers sie sich zu erschließen.

Vielen Besuchern allerdings scheint das kaum zu gelingen, habe ich das Gefühl. Sie schlendern durch die Ausstellung, klauben Plakate zusammen und naschen Bonbons (auch der kleine Junge kommt bald doch noch auf seine Kosten) – nutzen jedoch kaum die in einem abgetrennten Bereich (dem „Archiv“) bereitgestellten Hintergrund-Informationen.

Torres04 So erfahren sie wahrscheinlich nicht, was hinter den Lichterketten steckt (O-Ton: ‚Das ist aber hübsch, wollen wir das bei uns auch so machen im Treppenhaus?‘). Nichts über die Explosion von Information und gleichzeitige Implosion von Bedeutung. Oder dass eine 60-Watt-Birne genau die gleiche Wärmemenge abstrahlt wie ein menschlicher Körper. Dass einer der Bonbon-Berge („untitled“, (Ross), 1991) zu Ausstellungsbeginn gut 79 Kilogramm wog, was dem Gewicht seines verstorbenen Lovers Ross entspricht.

Was für ein bezaubernder, metaphysisch anmutender Gedanke. Ich nehme ein Bonbon, mit dem Lutschen wird Ross, wird ein Stück von Gonzalez-Torres‘ Kunstwerk Teil von mir. Das Kunstwerk wird so einerseits immer weniger im Verlauf der Ausstellung – doch auch wieder nicht. Den Anweisungen des Künstlers folgend (‚endloser Vorrat‘) ist spätestens mit jeder neuen Ausstellung ein neuer Bonbon-Berg vorhanden.
Verschwinden und Unmöglichkeit des Verschwindens gleichzeitig.
Was für ein Umgang mit Trauer Erinnern Verlust.

Nachspiel: steht ansonsten eher „Bitte nicht berühren“ auf den Schildern im Museum, gern auch mit Ausrufezeichen, finde ich hier einen anderen Hinweis:

Torres01