„Der Arsch ist kein Grab mehr“ – warning: Gedanken zur post-Bareback – Zeit

post-Bareback – Welche Auswirkungen haben HAART und die Veränderungen der Therapie der HIV-Infektion auf das Leben von Menschen mit HIV und ihre Verhaltensweisen? Mit diesen Fragen beschäftigt sich ein Text der französisch- belgisch- kanadischen Positivengruppe ‚the warning‘.

In Anspielung auf eine Aussage (2004) des Literaturwissenschaftlers, emieritierten Professors und College de France – Lectors Leo Bersani (u.a. „Homos“, Harvard Univ. Press 1995) erläutert der Autor zu Beginn, auf die Frage nach einer queeren und provokanten Definition des Begriffes post-Bareback würde er sagen, „das Rektum ist kein Grab mehr“:

„Si je devais donner une définition queer et provocatrice à post-bareback, je répondrais : « le rectum n’est plus une tombe », en forme de clin d’oeil à l’ouvrage de Leo Bersani…“

Dabei wird der Begriff ‚Bareback‘ auch als Ausdruck einer Zeit, als Höhepunkt eines bestimmten Dogmas betrachtet, das auch mit Sensationslust, Panikmache und Suche nach Sündenböcklen verbunden sei – und mit dem Begriff ‚post-Bareback‘ gefragt, in wie weit Prävention den notwendigen, durch die (sowohl HIV-Therapie- als auchpositiven Lebens-) Realitäten längst gegebenen Dogmenwechsel bisher überhaupt schon vollzogen hat.

post-Bareback sei in dieser Hinsicht auch Ausdruck der Bejahung einer Sexualität, die sich weder zur Geisel traditioneller (moralinsaurer) Prävention noch einer public-health-Ideologie machen lassen wolle. post-Bareback postuliert vielmehr die Ablehnung jeglicher normativer Verfügung, sowohl der Norm „immer mit Kondom“ , der Norm obligatorischer antiretroviraler Behandlung oder auch z.B. der Norm, seinen HIV-Status offen zu legen:

„Idéologiquement, le post-bareback correspond donc au refus de toute injonction normative : que ce soit celle du tout-préservatif, celle du traitement obligatoire ou celle de l’aveu de séropositivité.“

Vielmehr gelte es, das derzeit etablierte konzeptionelle Amalgam aus HIV und anderen sexuell übertragbaren Infektionen (STI) zu dekonstruieren. Sowohl die Schwere als auch die mentalen, emotionalen, sexuellen und sozialen Folgen seien nicht dieselben. Dieses Konzept der Amalgamierung von HIV und STIs schaffe vielmehr eine mächtige Waffe sozialer Kontrolle durch die Kontrolle des Sexualverhaltens.

post-Bareback wolle sich auf die wahren epidemiologische Realitäten besinnen, gegen irrationale Panik. Vielmehr sei ein Umdenken erforderlich, das der sozio-sexuellen Vielfalt gerecht werde, ohne diese zu leugnen oder als „nicht-signifikante Variable“ zu reduzieren.

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the warning 20.10.2012: Post-bareback : pour une prévention efficiente et sans moralisme comportemental

Bareback Porno : 7% der Schwulen zu Sex ohne Kondom motiviert?

Knapp 7% der Nutzer von Bareback Porno glauben, durch diese Pornos zu Sex ohne Kondomen motiviert worden zu sein. Dies ergab eine Befragung  (‚FS Porn Survey‘) der Organisation GMFA (früher: ‚Gay Men Fighting AIDS‘) von über 1.000 schwulen Männern in Großbritannien.

88,2% der Befragten gaben an, durch Bareback-Pornos nicht zu Sex ohne Kondomen veranlasst worden zu sein. Allerdings glaubten 53,6% der Teilnehmer, dass andere Schwule durch Konsum von Bareback Porno zu Sex ohne Kondom veranlasst würden.

98% der Befragten gaben an, Pornos zu konsumieren – ein Viertel täglich, insgesamt weit über drei Viertel (87%) mindestens einmal pro Woche. Mit 92,1% war ‚online‘ der inzwischen mit Abstand häufigste Weg des Konsums von Pornos, gedruckte Magazine verlieren stark an Bedeutung. Knapp 70% der Befragten sehen (auch) Bareback-Pornos, 95,8% gaben an, bisher überhaupt je schon einmal einen Bareback-Porno gesehen zu haben.

Die Ergebnisse sind in der jüngsten Ausgabe des von der GMFA herausgegebenen ‚FS Magazine – The Fit and Sexy Gay Magazine‘ veröffentlicht.

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GMFA: FS Magazine Ausgabe #131 Sommer 2012 (pdf)
Pinknews 08.08.2012: Survey: 7 percent ‘led to unprotected sex’ by bareback porn
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I party. I bareback. I’m positive. I’m responsible. – Fotos der Aktion von Aids Action Now! in Washington

Die kanadische Aktionsgruppe ‚Aids Action Now!‘ war auf der XIX. Internationalen Aids-Konferenz in Washington u.a. mit ihrer Kampagne ‚I party. I bareback. I’m positive. I’m responsible.‘ (etwa: Ich feiere. Ich habe Sex ohne Kondom. Ich bin HIV-positiv. Ich verhalte mich verantwortunsgbewusst.) präsent.

Der Artikel über diese Aktion der kanadischen Gruppe ‚Aids Action now!‘ (ondamaris 25.07.2012: Bareback / Sex ohne Kondom kann verantwortungsvoller Sex sein – Kunstkampagne wendet sich gegen Kriminalisierung) hat viele Nachfragen verursacht – aus diesem Grund bin ich sehr froh, das Olivier mir zahlreiche weitere Fotos zur Verfügung gestellt hat, die einen Euindruck von der Arbeit der Gruppe und der Präsenz während der XIX. Internationalen Aids-Konferenz in Washington vermitteln.

Die Themen der Kampagne von ‚Aids Action now!‘ reichen von Kriminalisierung HIV-Positiver über HIV-positive Frauen und Sex bis Bareback / kondomfreier Sex und Viruslast-Methode sowie der Situation HIV-Positiver in Haft:

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Merci à Olivier pour les photos!

Bareback / Sex ohne Kondom kann verantwortungsvoller Sex sein – Kunstkampagne wendet sich gegen Kriminalisierung

Es ist für viele immer noch ein Reizwort, das Wort ‚ bareback ‚ … Die Aktionsgruppe ‚Aids Action Now!‘ thematisiert auch in Washington Sex ohne Kondom, und die Frage nach Verantwortung sowie die Kriminalisierung von HIV-Positiven.

„Würdest du bitte etwas tiefer blicken?“ – eine Kunst-Kampagne von ‚Aids Action Now!‘ rückt Stereotype und Tabus in den Mittelpunkt, darunter auch die Frage „ist nur Sex mit Kondom verantwortungsvioller Sex?“. Das Motto der Aktion von ‚Aids Action Now!‘, auch zu lesen auf Unterwäsche und Transparenten:

„I party. I bareback. I’m positive. I’m responsible.“
(etwa: Ich feiere. Ich habe Sex ohne Kondom. Ich bin HIV-positiv. Ich verhalte mich verantwortunsgbewusst.)

"I party bareback. I'm positive. I'm responsible."
"I party. I bareback. I'm positive. I'm responsible."
"I party bareback. I'm positive. I'm responsible."
"I party. I bareback. I'm positive. I'm responsible."

Photos aufgenommen von Olivier beim ‚Aids Walk to the White House‘ am 3. Konferenztag (siehe ondamaris 25.07.2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag 3: Aids 2012: die grosse Demo – Bring it back, Robin Hood!).

Mikiki, Koordinator bei der ‚Toronto People Living with AIDS Foundation‘ und derjenige Künstler, der das „I Bareback“ – Plakat gemeinsam mit Scott Donald entwickelte, betont, das gegenwärtige legale und daraus sich ergebend soziale Klima in Kanada, das durch die Kriminalisierung der Nicht-Offenlegung des HIV-Status geprägt sei, beeinträchtige aktiv seine Gesundheit als HIV-Positiver:

„The current legal climate and subsequent cultural climate that is constructed through the criminalization of HIV nondisclosure actively impedes my ability to manage my health as a person living with HIV.“

HIV-Negative würden als verantwortungsvoll wahrgenommen, egal ob sie Sex ohne Kondom haben oder nicht – HIV-Positive hingegen würden als verantwortungslos angesehen weil sie sich haben testen lassen. Das stelle er auf den Kopf: er habe sich testen lassen, gerade weil er sich um seine Gesundheit und die seines Partners kümmere. Sie beide würden ihr Sexleben aktiv managen – und das wolle er mit dem Poster thematisieren:

„Negative people are seen as responsible whether they participate in these behaviours or not, but we’re seen as inherently irresponsible because we have tested positive for HIV. But I flip it on its head: I got tested because I care about my health and care about my partners’ health. We are active agents managing our sex lives, and the poster wants to speak to that.“

Die Aktionsgruppe ‚Aids Action Now!‚ (AAN) wurde bereits 1988 auf Initiative und mit aktiver Beteiligung von HIV-Positiven gegründet. Die jetzige Kampagne zu Stereotyopen und Tabus (u.a. mit dem Bareback-Motto) läuft bereits seit 2011 und sorgte u.a. in Toronto im Umfeld des Welt-Aids-Tags 2011 für Aufmerksamkeit.

Im Januar 2012 war die Gruppe Mitveranstalter der Kampagne „We’re not criminals„, die sich angesichts einer anstehenden Entscheidung des Obersten Gerichtshofs Kanadas (siehe ondamaris 09.02.2012: „Kanada: Oberster Gerichtshof entscheidet voraussichtlich im Sommer über Pflicht zur Offenlegung der HIV-Infektion“) gegen die Kriminalisierung HIV-Positiver wandte.

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siehe auch
Xtra 25.11.2011: Dare you to look deeper

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Merci à Olivier pour les photos !

Sorglosigkeit? Fehlanzeige!

‚Neue Sorglosigkeit‘? Nein, weit gefehlt – wenn junge Schwule heute nicht ihre ganze Sexualität über HIV definieren, bedeutet dies noch lange nicht Sorglosigkeit. Ein Artikel in der Times setzt sich mit einem weit verbreiteten Vorurteil auseinander.

Die „neue Sorglosigkeit“ – wie ein Mantra wird sie von einigen, die sich gerne als ‚Aids-Mahner‘ sehen, immer wieder postuliert. Obwohl die „neue Sorglosigkeit“ längst als Mythos entlarvt wurde, sowohl von Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung BZgA als auch Deutscher Aids-Hilfe DAH, wird sie immer wieder konstatiert.

Und eine der Thesen, die gern im Umfeld dieses Mythos kommen: die Generationen-Frage. Gerade die jungen Homosexuellen seien so an die Verfügbarkeit wirksamer Medikamente gewöhnt, dass Aids seinen Schrecken verloren habe, und deswegen ’neue Sorglosigkeit um sich greift‘. Manche suchten, so Spekulationen, gar bewusst eine Infektion mit HIV, seine  ‚bug chaser‘.

Immerhin – selbst das Robert-Koch-Institut betonte in seinem jüngsten “Jahresbericht 2009 zu HIV und Aids in Deutschland” unter anderem:

„Erhöhte Anteile rezenter [erst kürzlich erworbener, d.Verf.] HIV-Infektionen wurden vor allem bei jüngeren Probanden (< 30 Jahre) gemessen (z. B. 54 % rezente Infektionen bei MSM < 30 Jahre in Berlin).”

Gibt es sie, die Kluft zwischen ‚als‘ und ‚jung‘? Oder findet hier eine Projektion älter werdender Schwuler statt, über diese vermeintlich blasierte, doch nur vergnügungssüchtige Jugend? Haben wir älteren Schwulen vielleicht Geschichten, unsere Geschichte zu wenig weiter gegeben, zu wenig tradiert?

Fragen und Gedanken, mit denen sich ein lesenswerter Artikel in The Times beschäftigt. „Ist es Zeit, die alten 80er-Jahre-Sprüche wie ’stirb nicht an Ignoranz‚ wieder zu beleben?“, fragt der Artikel und seziert die Argumentationen zur Frage einer etwaigen ’neuen Sorglosigkeit‘.

Neue Sorglosigkeit? Keineswegs, keine Spur von neuer Sorglosigkeit, zu diesem Ergebnis kommt auch Alan Wardle, Leiter der Abteilung Gesundheitsförderung bei der britischen Organisation Terrence Higgins Trust THT.

Und Trevor Hoppe, Soziologe an der University of Michigan und Aktivist für schwule Gesundheit, ergänzt, nur weil für junge Menschen Aids nicht der Ausgangspunkt für das Verständnis ihrer Sexualität sei, bedeute dies noch lange nicht sie gingen sorglos mit HIV um:

“Aids just isn’t their starting point for understanding their sexualities. That doesn’t mean that they are careless about HIV.“

Ganz im Gegenteil, betont, Hoppe, seine Forschungen zeigten, dass gerade junge Schwule sich sehr wohl der gefahren von HIV bewusst seine und wüssten sich zu schützen. Er weist darauf hin, dass manche Verhaltensweisen in den USA auch die Folge von Abstinenz- und Angst-Kampagnen der Bush-Ära sein könnten:

„at the same time I think it is the product of abstinence-only, fear-mongering health promotion that laid the Orwellian foundation for such a visceral and at times militant resistance.“

weitere Informationen:
The Times 15.06.2010: HIV and the rise of complacency – Is it time to revive the ‘Don’t die of ignorance’ message of the Eighties?
Internetsite von Trevor Hoppe (mit sehr lesenswertem Blog)
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Familienministerin Köhler: 2005 noch für Strafrechtsverschärfung „gegen Bareback“

Kristina Köhler, die neue Bundesfamilienministerin, wird als Homo-freundlich gelobt. Doch forderte Köhler vor genau 5 Jahren eine Strafrechtsverschärfung – gegen das „russisch Roulette“ des „Barebacking“.

Die hessische CDU-Bundestagsabgeordnete Dr. Kristina Köhler wird am 30.11.2009 zur neuen Bundesfamilienministerin ernannt.

Kristina Köhler freut sich über schwule und lesbische Paare, berichtet samstagisteingutertag über die neue Familienministerin und ihr offensichtlich im Vergleich zu ihrer Vorgängerin in Sachen Homo-Paaren unverkrampfteres Weltbild.

Kristina Köhler
Kristina Köhler

Unverkrampft – diese Haltung hat Köhler in der Vergangenheit in Sachen Aids zeitweise eher vermissen lassen, scheint es. gay-web meldete auf den Tag genau fünf Jahre vor der geplanten Vereidigung als Familienministerin, am 30.11.2005 über Frau Köhler Folgendes:

„Angesichts der dramatischen Zunahme der HIV-Neuinfektionen unter homo- und bisexuellen Männern in Deutschland, forderten die Wiesbadener Bundestagsabgeordnete Kristina Köhler (CDU) und der Bundesvorsitzende der Lesben- und Schwulen in der Union (LSU) Roland Heintze heute ein schärferes Vorgehen gegen die so genannte „Barebacking“-Szene.“

Köhler forderte damals in ihrer eigenen Pressemitteilung (zu finden auch heute noch auf ihrer Internetseite) eine Verschärfung des Strafrechts:

„Deshalb forderte Kristina Köhler, dass „notfalls auch gesetzliche Schritte geprüft werden müssen“. Dies sei in anderen europäischen Ländern, so zum Beispiel in Österreich oder in der Schweiz, bereits geschehen. In Österreich etwa stelle der § 178 des Strafgesetzbuches die vorsätzliche Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten unter Strafe.“

Köhlers Resümee damals:

„Wir können es nicht zulassen, dass noch länger auf diese dramatische Weise russisches Roulette mit der AIDS-Gefahr gespielt wird.“

Köhler hatte sich in der Vergangenheit gelegentlich auch für Aidshilfe eingesetzt – so indem sie 2005 ihre EC-Karte als „CityCard Wiesbaden zugunsten der AIDS-Hilfe“ aktivierte oder ebenfalls 2005 die Schirmherrschaft über die Ballnacht der Wiesbadener Aidshilfe übernahm.

Danke an Rainer für den Hinweis!

Es bleibt zu hoffen, dass Frau Köhler in den vergangenen 5 Jahren erkannt hat, dass das Strafrecht ein denkbar ungeeignetes Instrument der Prävention ist – auch in der Aids-Prävention. Schließlich gibt es auch nach Ansicht internationaler Experten mindestens zehn Gründe, die gegen die Kriminalisierung von HIV-Exposition oder -Übertragung sprechen.

weitere Informationen:
Kristina Köhler Pressemitteilung 30.11.2005: Russisches Roulette mit der AIDS-Gefahr
gayweb.de 30.11.2005: Russisches Roulette mit der AIDS-Gefahr
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Rosa Listen in Leder ?

Zum Wochenende gibt’s zwei Lesetipps, beide über frische Irrungen und Wirrungen aus der Welt der „Lederszene“:

‚Samstag ist ein guter Tag …‘ berichtet über
– ein Ledertreffen mit Ausweis-Pflicht (ja, sowas gibt’s – in Hamburg, im Jahr 2009), und
– eine keusche Wahl zum ‚International Mr. Leather“, auf der jegliche Propagierung von Bareback verboten ist (ja, das gibt’s noch, auch 2009, Jahre nach den Bareback-Debatten hierzulande, ein Jahr nach EKAF, in Chicago).

siehe auch
LifeLube 17.07.2009: IML makes history
LifeLube 17.07.2009: IML says no to bareback merch
thesword.com 16.07.2009: IML Founder Chuck Renslow Responds
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Dustin Lance Black: keine Entschuldigung – das Recht auf Sex ohne Kondom

Ein Promi hat Sex ohne Kondom. ‚Bareback‘, ‚Entschuldigung‘, gellt es durch die Medien. Und – wo ist das Problem?

„Dustin Lance Black entschuldigt sich für durchgesickerte Fotos mit ungeschütztem schwulem Sex“, titelt PinkNews, und ggg.at legt reißerisch nach „Dustin Lance Black: Bareback-Bilder aufgetaucht“.

Dustin Lance Black, der Autor des Drehbuchs zu dem Film „Milk„, hatte also Sex mit einem anderen Mann. Sex, bei dem dieser in ihn eindrang, ohne Kondom. Drei Jahre alte Bilder, von einem ex-Lover an die Öffentlichkeit gezerrt, sollen dies zeigen.

Na und?

So weit sind wir also schon, dass man sich für Sex ohne Kondom rechtfertigen, entschuldigen muss?

Lance Black mag ein Problem haben. Aber das Problem lautet nicht „Sex ohne Kondom“.
Blacks Problem lautet vielleicht „Glaubwürdigkeit“ oder „warum hab ich Sex ohne Kondom, wenn ich gleichzeitig Safe Sex predige“ (in den USA wird „safe sex“ propagiert, nicht „safer Sex“ wie in Deutschland)

Das Problem von Herrn Black heißt nicht „Sex ohne Kondom“.

Wissen ggg.at, pinknews und co, welchen Serostatus Herr Black hat? Und ob er vielleicht -egal ob HIV-positiv oder HIV-negativ- einen Partner mit gleichem Serostauts hat(te)? Oder eine Partner, der HIV-positiv ist und die EKAF-Bedingungen erfüllt, also sexuell nicht infektiös ist?
Oder geht es mal wieder nur um Spektakel, um billige „Bareback-Schlagzeilen“?

Und – was geht das Sexleben von Herrn Black eigentlich die Boulevard-Presse an, egal ob homo oder hetero?

Niemand muss sich dafür entschuldigen, einvernehmlich Sex ohne Kondom zu haben. Erst recht nicht öffentlich. Egal, ob Nobody oder Promi. Niemand.

siehe auch:
PinkNews 15.06.2009: Milk screenwriter Dustin Lance Black apologises for leaked unprotected gay sex photos
ggg.at 15.06.2009: Dustin Lance Black: Bareback-Bilder aufgetaucht
Steven Milverton: Dustin Lance Black – Er hätte sich nicht entschuldigen müssen
LifeLube 15.06.2009: Milk screenwriter Dustin Lance Black apologises for ???
DAH Blog 17.06.2009: Blanker Hohn
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Paris: Bareback-Party von ACT UP verhindert

Paris: Aktivisten der Aids-Aktionsgruppe ACT UP haben eine Bareback-Party in der Stadt mit Aktionen verhindert.

„Aids-Komplizen“, „Nein zum Bareback-Business“ oder „Hier zählt das Leben eines Schwulen nichts“ – mit provokanten Parolen und Rufen hat ACT UP Paris mit 15 Aktivisten am Samstag, 4. Oktober 2008 in Paris eine Bareback-Party verhindert.

ACT UP Paris protestiert vor dem Pariser Banque Club gegen eine Bareback-Party (Foto: ACT UP Paris)
ACT UP Paris protestiert vor dem Pariser Banque Club gegen eine Bareback-Party (Foto: ACT UP Paris)

Der ‚Banque Club‘ ist ein beliebter Club im 8. Arrondissement von Paris, der sich auf seiner Internetseite selbst als „underground sex area“ bezeichnet. Für den Abend des 4. Oktober war der gesamte Club für eine Bareback-Party reserviert. Für die Teilnahme an der Party war eine Anmeldung über das Internet erforderlich, ein Eintritt von 18,50 Euro wurde vorab erhoben – erst dann wurde die Adresse der Party-Location mitgeteilt.

Veranstalter der geschlossenen Party war die Internetseite ’squatNOk‘, ein französischsprachiges Internetangebot für Barebacker. Dieses ist seit Oktober 2008 ein völlig privates Portal, das -außer dem Info-Bereich zu STDs, Testmöglichkeiten etc.- nur nach Einladung mit Zugangscodes genutzt werden kann (1). Zukünftig solle alle zwei Monate eine solche Party stattfinden, hatten die Veranstalter vorab angekündigt.

ACT UP Paris forderte „alle Schwulen Paris‘ auf, ein Etablissement zu boykottieren, das auf eure Gesundheit pfeifft“. ACT UP wies darauf hin, dass der Banque Club Mitglied der SNEG ist und die französische Präventionsvereinbarung (siehe ‚Umsatz und Kondome‚) unterzeichnet hat. Schon in früheren Aktionen hatte sich ACT UP Paris gegen den Club gewandt, mit dem wiederholten Vorwurf hier würden nicht einmal Mindestanforderungen wie die Bereitstellung von Kondomen und Gleitgel erfüllt. Mit riskantem Sex dürfe kein Geschäft gemacht werden.

ACT UP Paris rief zum Boykott des betreffenden Clubs auf und kündigte an, auch zukünftig gegen Etablissements vorgehen zu wollen, die Bareback-Sex ermöglichen.

‚Das könnte die letzte Bareback-Party in einem Sex-Club in Paris gewesen sein‘, befürchete schon das französische  Homo-Magazin Tetu.

Anmerkungen:
(1) Auf der Site heißt es „A compter du 5 octobre 2008, le Squat NOK est devenu entièrement privé. Sans être coloc il est devenu impossible de voir la cour et pour demander une piaule il faut y avoir été invité par un autre coloc. Le coloc invitant devient responsable de ses invités.“

Aus den vorliegenden Berichten ist unklar, ob die Bareback-Party letztlich doch offen für jedermann war, oder (wie bei ähnlichen Anlässen in Deutschland inzwischen eher üblich) gezielt als Party nur für Menschen mit HIV deklariert.
Die Pariser ACT UP – Gruppe ist für ihre Radikalität und insbesondere für ihre von manchen als ’stalinistisch‘ empfundene Haltung in Sachen ‚Bareback‘ bekannt.
In diesem Fall scheint das Engagement der Gruppe grenzwertig. Nicht nur, dass (wieder einmal) undifferenziert bareback und unsafer Sex gleichgesetzt werden. ACT UP scheint in Frankreich manchmal nicht in der Lage zu sein zu unterscheiden zwischen aktivem Einsatz für Prävention und Gesundheitsförderung und dem berechtigten Anliegen mancher Menschen, ohne Kondom Sex mit einander zu haben (der auch dann unter manchen Umständen safer oder auch nicht-infektiös sein kann).
Die Frage bleibt, ob solche provokanten Aktionen auf berechtigte Anliegen aufmerksam machen und auf Probleme hinweisen – oder ob sie in eine Polarisierung und Eskalation neuer Verbote (und Abdrängen in noch schwerer erreichbare Räume) führen.
So wenig ein in unseren Sexleben schnüffelnder und herumregelnder Staat erstrebenswert ist, genauso wenig scheint ACT UP als selbsternannte aktivistische Gesundheitspolizei ohne jegliche Legitimation eine angenehme Alternative zu sein.

Fast mag man sich angesichts Pariser Verhältnisse freuen, dass Forderungen à la ‚Bareback-Parties verbieten‚ hierzulande bisher ’nur‘ von den Schwusos kommen.
An Orten, an denen schwuler Sex stattfindet, sollte die Bereitstellung des erforderlichen ‚Zubehörs‘ (sprich Kondome, Gleitgel, Handschuhe etc.) selbstverständlicher Kundendienst sein. Orte, die ihren Kunden diesen Service nicht bieten – könnten einfach zugunsten besserer Alternativen gemieden werden.
Letztlich ändert jedoch auch die best-funktionierende Präventionsvereinbarung nichts daran, dass jeder -erst recht jeder, der einen Ort schwulen Sex‘ besucht- selbst dafür verantwortlich ist, seine Schutz-Möglichkeiten, also z.B. Kondome, bei sich zu haben.
Andererseits sollten sich jene Wirte so manchen schwulen Etablissements auch hierzulande, die sich immer noch weigern, in ihren Unternehmen Kondome auszugeben, fragen, ob sie hier nicht nur ihren Communities und Kunden, sondern nicht letztlich auch sich selbst einen Bärendienst erweisen.

Bareback verbieten ? (akt.)

Mit einem völlig neuen, innovativen und sehr freiheitlichen Vorschlag greifen die Schwusos Hamburg in die aktuelle Bareback-Debatte ein:

Schwusos Hamburg: Bareback verbieten
Schwusos Hamburg: Bareback verbieten

Danke an TWIMC für das Bild!

Nachtrag 07.09.2008:
hier das Motto der Schwusos komplett und in ‚voller Schönheit‘ … [© Schwusos Hamburg]

Schwusos Hamburg: Bareback verbieten!
Schwusos Hamburg: Bareback verbieten!

Zur Frage, wie dümmlich oder gefährlich dieser Vorschlag ist, verkneife ich mir jeglichen Kommentar …

Superinfektion mit HIV – was ist dran?

‚Superinfektion‘ – immer wieder wird dieses Thema gerne reißerisch dargestellt, zur großen Gefahr für HIV-Positive aufgebaut. Was ist dran am Risiko, sich erneut mit HIV zu infizieren? Und für wen?

Superinfektion, das bedeutet im Kontext HIV zunächst, dass ein Mensch, der bereits mit HIV infiziert ist, sich erneut mit einem weiteren HI-Virus ansteckt.
‚Hat er ja schon, ist er halt doppelt positiv, aber was solls‘, mag man zunächst denken.

Doch es gibt verschiedene HIV -Stämme, die auch unterschiedlich virulent sein können. Und es gibt Resistenzen – HIV kann sich so verändern, dass Medikamente nicht mehr wirksam sind. Bei einer Superinfektion könnte also auch ein weiteres HIV übertragen werden, die (super-) infizierte Person plötzlich Therapie-Optionen verlieren.
Schon aufgrund dieses Risikos ist die Frage einer Superinfektion immer wieder Diskussionsthema unter Positiven, nicht nur in Bareback-Debatten.

Aber – wie konkret ist dieses Risiko?
Immer wieder berichten Wissenschaftler von Einzelfällen, in denen eine Superinfektion beobachtet wurde. Nachdem mehrere Studien Anlass zu der Vermutung gegeben hatten, dass eine Superinfektion vermutlich nur in einem relativ frühen Infektionsverlauf erfolgen kann, wurde nun auch über HIV-Superinfektionen bei chronisch HIV-infizierten Positiven berichtet.

Doch – für wen besteht ein Risiko einer Superinfektion?
Wenn eine erfolgreiche Therapie (Viruslast unter der Nachweisgrenze) die Infektiosität senkt, müsste dies auch für die Frage der Superinfektion relevant sein. Das Risiko einer HIV-Superinfektion müsste bei erfolgreich durchgeführter antiretroviraler Therapie vermutlich niedriger sein, oder?

Keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs‚, hatte die Schweizer Aids-Kommission erst jüngst festgestellt. Gilt dies also auch für die Frage der Super-Infektion?
Prof. Heribert Kentenich zu dieser Frage:

„Nach derzeitigem Kenntnisstand ist eine Superinfektion in der chronischen Phase der Infektion wahrscheinlich selten. Wenn beide Partner erfolgreich antiretroviral behandelt werden, kann eine Superinfektion als extrem unwahrscheinlich eingeschätzt werden.“ (‚Erfahrungen des Reproduktionsmediziners‘, in: MedReport Nr. 4, 32. Jg. 2008)

Auch Prof. Hirschel, einer der Autoren des Schweizer Beschlusses, hat sich dazu auf thewarning in einem Interview geäußert:

Kann man die Aussage, dass das HIV-Übertragungsrisiko unter den Bedingungen Viruslast unter der Nachweisgrenze und keine STDs vernachlässigbar gering ist, auch darauf ausdehnen, dass ein HIV-Positiver (unter den genannten Bedingungen) einen ebenfalls HIV-Positiven Sexpartner nicht superinfizieren kann (unabhängig davon ob dieser selbst eine erfolgreiche Therapie durchführt oder nicht), fragte thewarning, und Hirschel antwortet kurz und eindeutig „Ja“.

Entsprechend betont die Deutsche Aids-Hilfe für den umgekehrten Fall:

„Menschen mit HIV, die noch keine Therapie machen oder gerade in einer Therapiepause sind, können sich beim ungeschützten Sex mit einem HIV-positiven Partner mit einer weiteren Virusvariante anstecken (‚Superinfektion‘) …“ (Deutsche Aids-Hilfe e.V., „therapie? 2008 – Basis-Informationen zur Behandlung der HIV-Infektion“)

Phantom negativ

„Du bist wohl HIV-negativ?“ Ich sitze neulich mit einen lieb gewonnenen Mann in einem Café, wir sprechen über HIV, über die Nachrichten aus der Schweiz und deren mögliche Konsequenzen.
„Zumindest weiß ich von keinem positiven Testergebnis“, antwortet er spontan. Ich merke auf. Freue mich.

Worüber? Nun, Tobias (nennen wir ihn hier einmal so) hätte auch sagen können „ja, ich bin HIV-negativ“.
Ist doch das gleiche? Nein, eben nicht.

Tobias hat scheinbar verstanden, dass ein negatives Testergebnis maximal etwas aussagt über seinen HIV-Status einige Wochen vor der Blutentnahme seines letzten Tests, nichts jedoch über seinen derzeitigen Serostatus. Hat die (potenziell riskant) schwarz-weiß-Malerei des ‚positiv – negativ‚ durchschaut.

„Der HIV-Negative ist sozusagen ein Phantom. Die meisten Menschen, die sich HIV-negativ wähnen, glauben dies aufgrund eines Tests, der je nach dem Monate bis Jahre zurückliegt. Oder sie glauben es sogar ohne jeden Test. Das ist psychologisch zwar verständlich, von der Sache her aber völlig unberechtigt.“ (Dr. Dr. Stefan Nagel, „Verantwortung und HIV-Prävention“, Rede zum Welt-Aids-Tag 2007 in der Frankfurter Paulskirche, in: posT März 2008)

Eine eher akademische Unterscheidung?
Keineswegs.

Stellen wir uns vor, eben jener Tobias lernt einen Paul kennen. Paul meint, er sei HIV-negativ. Nun, Pauls letzter HIV-Test liegt schon einige Jahre zurück, und in der Zwischenzeit hat er nicht gerade enthaltsam gelebt, durchaus das ein oder andere Abenteuer gehabt. ‚Aber meistens safe‘, denkt Paul bei sich, und geht davon aus, HIV-negativ zu sein.
Paul und Tobias finden Gefallen an einander, haben Sex zusammen (auch Sex, der potenziell ‚infektionsrelevant‘ ist) – ohne Kondom, denn beide sind ja -so glauben sie- HIV-negativ. Sie haben ihr jeweiliges Risiko, meinen sie, sorgsam geprüft, und schließlich, mit einem andere Negativen, was soll denn da passieren.

Tobias und Paul haben Serosorting betrieben – ein „Ausloten“ des HIV-Serostatus des jeweiligen Sex-Partners. Ein Ausloten, das nur zu oft eher ein ‚Seroguessing‘, ein Vermuten des Serostatus ist.

Was aber nun, wenn einer von beiden, egal ob Paul oder Tobias, sich seit seinem letzten Test mit HIV infiziert hat? Er sein eigenes Negativ-Sein nur vermutete, seinen positiven Serostatus nur nicht kennt?
Dann hatten beide Sex ohne Kondom mit einander, mit möglicherweise hohem Risiko einer HIV-Übertragung. Weil sie vermuteten …

Die oft gehörte Frage ‚Bist du gesund?‚ …
Serosorting ist eine Technik der Infektionsvermeidung, die in ihren unterschiedlichsten Facetten und Anwendungen zwar weit verbreitet ist, aber ihre riskanten Seiten hat – z.B. wenn man sich über den vermuteten Serostatus (den eigenen oder den des Partners) getäuscht hat.

Zwischen HIV-Positiven mag Serosorting eine mögliche Variante sein – wenn ein Positiver mit einem Positiven Sex ohne Kondom hat, dürfte dies (zumindest im Kontext HIV-Infektion) wenig relevant sein.
Zwischen (vermutet) HIV-Negativen hingegen wird die vermeintlich sicherheitsfördernde Strategie des Serosortings nur zu leicht zur Illusionswelt mit erhöhtem Risiko. Serosorting zwischen nicht-Positiven – eine gefährliche Strategie.

Und das Beispiel zeigt noch eines:
Gerade in Zeiten, in denen das HIV-Übertragungsrisiko bei erfolgreicher antiretroviraler Therapie gravierend sinken kann, gewinnt ein HIV-Test (wenn mit anschließender Therapie bei positivem Ergebnis) auch präventive Aspekte. Ein wissend HIV-Positiver, der eine erfolgreiche antiretrovirale Therapie durchführt, dürfte wohl deutlich weniger infektiös sein als ein vermeintlich HIV-Negativer, der realiter nur noch nicht von seinem positiven HIV-Status weiß und unbehandelt ist.

Dokumentation: Bareback-Diskurs und Strafrechts-Debatte

Etwas verspätet im Folgenden als Dokument eine Rede Ortwin Passons (whk) anlässlich des Welt-Aids-Tags 2007 zum Themenbereich Barebacking und Strafrecht:

In der Tradition Wilhelm Leuschners – Die HIV-Hauptbetroffenen- gruppe homo- und bisexueller Männer zwischen Bareback-Diskurs und Feindstrafrechts-Debatte in Deutschland

Paulskirchen-Rede zum Welt-Aids-Tag 2007, von Ortwin Passon aus Frankfurt am Main, Mitglied beim wissenschaftlich-humanitären komitee [whk], Regionalgruppe Hessen

Teure Elite, liebe Barebacker,

bitte bewahren Sie Ruhe! – Keine Angst, eine Bombendrohung liegt nicht vor. „Bitte bewahren Sie Ruhe“ lautet der Titel eines von Thomas Uwer herausgegeben Werkes, in dem sich verschiedene Autoren mit dem Dasein im Feindrechtsstaat befassen. Aus dem Blickwinkel unterschiedlicher Disziplinen wird darin den Folgen des „Krieges gegen Terror“, der deutschen Tradition des Feindbegriffes und seinen Wurzeln bei Carl Schmitt nachgegangen sowie den gesellschaftlichen Entwicklungen unter einem repressiven Liberalismus, Kants „Ewigem Frieden“ oder dem Feindbegriff in islamisch geprägten Rechtsordnungen. Ebenso werden die Mechanismen der sozialen und juristischen Konstruktion von – fremden – Feinden und die Rolle des Bürgers beleuchtet, der bereits morgen von seinen Mitbürgern als Feind betrachtet werden kann. Das Buch entstand aus Anlaß des 29. Strafverteidigertages, auf dem Professor Günther Jakobs 2005 seine Thesen zum „Feindstrafrecht“ zur Diskussion stellte.

Jakobs definiert den Begriff „Feindstrafrecht“ durch vier Merkmale: erstens durch die weite Vorverlagerung der Strafbarkeit und Verlagerung des Schwerpunkts von der begangenen auf eine noch zu begehende Tat; zweitens durch das Fehlen einer der Vorverlagerung entsprechenden Minderung des Strafmaßes; drittens durch den Übergang von der Straf- zur Bekämpfungsgesetzgebung; und viertens den Abbau prozessualer Garantien. Beispiele hierfür sind etwa Strafrechtsänderungen zur Bekämpfung von Drogenhandel, organisierter Kriminalität, Terrorismus und – Sexualdelikten.

Ich bin gern einer Anregung des emeritierten Professors Rüdiger Lautmann gefolgt, meine Reflexionen zu dem in Deutschland seit 1998 kontrovers geführten Bareback-Diskurs in den Kontext dieser parallel geführten Feindstrafrechts-Debatte zu stellen. Solcherart „Sattellos durch den Feindrechtsstaat“ reitend mußte ich 2006 resümieren: Der bevorstehende Welt-AIDS-Tag läßt befürchten, daß eine weitere Verschärfung und Verunsachlichung des Bareback-Diskurses herbeigeführt wird – mit weitreichenden Folgen nicht nur für Barebacker und HIV-Positive. Wenn die Profiteure des AIDS-Bizz in diesem Diskurs den Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht endgültig verlassen wollen, indem sie sich zu Steigbügelhaltern der Verfechter eines „Feindstrafrechts“ gegen Barebacker machen, müssen sie das Grundgesetz und seine Freiheiten auch für jene Menschen einfordern und verteidigen, die sich aufgrund ihrer Lebensrealität für den bewußten, einvernehmlichen, risikoreichen Körperflüssigkeitsaustausch entschieden haben und deshalb keinesfalls weniger „wertvolle“ Teile dieses Gemeinwesens sind. Andernfalls laufen sie Gefahr, sich fragen lassen zu müssen, ob und inwieweit sie selbst denn überhaupt noch jene soziale Verantwortung beweisen, die sie Teilen ihrer Klientel einseitig aufzubürden trachten.

Ich möge doch, baten mich die heutigen Veranstalter, den „längst überfälligen Schritt“ wagen, und mich hier „mit den dubiosen Zielvorgaben des Feindstrafrechts, konkret … des unmenschlichen Ausschlusses von Menschen und ganzen Bevölkerungsgruppen aus der Gesellschaft mit Mitteln des Rechts kritisch auseinander(zu)setzen und schleunigst eindeutig schützende Positionen auch zugunsten von Barebackern … beziehen.“ – Allerdings, so ihre E-Mail vom 24. September, sei ihnen eben „besonders an der angesprochenen kritischen Auseinandersetzung und der abgeleiteten schützenden Position zugunsten von Menschen mit HIV gelegen.“

Der letzten Bitte kann ich so nicht folgen. Opportunismus und Spaltung sollen nicht meine Signale aus Frankfurt sein. Denn es geht längst nicht mehr darum, privilegierende Vergünstigungen auf Kosten einer noch randständigeren Gruppe einzufordern, sondern um die Verteidigung wohl begründeter Ansprüche. Ansprüche auf Achtung der Eigenverantwortlichkeit, auf Respekt vor der individuellen Lebenssituation und jenseits aller Verschiedenheit auf gleichwertige Teilhabe und Handlungsfreiheit. Diese stehen jedem Bürger uneingeschränkt zu, egal ob es sich um Heterosexuelle oder Homosexuelle, um HIV-Infiziere oder Barebacker handelt. Folgerichtig kann es nicht nur um die Ableitung einer schützenden Position ausschließlich zugunsten von Menschen mit HIV und AIDS gehen. Sondern es muß um den Schutz der Grundrechte von Männern gehen, die Sex mit Männern haben – und zwar unabhängig von ihrem Serostatus und gerade auch bei Hinzutreten „strafverschärfender“ Merkmale wie Barebacking. Anders ausgedrückt: Es kann niemand verantworten, das Liebevolle am Würgegriff der politikbestimmenden Kaste gegenüber Homosexuellen erhalten zu wollen, wenn HIV-Positive zum Abschuß freigegeben werden. Umgekehrt kann ich es nicht verantworten, zugunsten HIV-Infizierter nunmehr Barebacker abschießen zu lassen.

Insoweit sehe ich mich als Hesse in der Tradition des ehemaligen Innenministers dieses Landes, Wilhelm Leuschner, der am 29. September 1944 in Berlin-Plötzensee erhängt wurde. Er würde Ihnen heute hier in der Wiege der deutschen Demokratie vermutlich zurufen: Die Freiheitsgarantien des Grundgesetzes, das nach der Befreiung vom Faschismus in seinen ersten 19 Artikeln die Staatsziele und die unerschütterlichen Grundlagen unseres Gemeinwesens festschreibt, sind für die in seinem Geltungsbereich lebenden Menschen nicht teilbar!

Wer die „Gay-Community“ in gute und böse Homosexuelle, beziehungsweise in bemitleidenswerte und verantwortungslose HIV-Infizierte spaltet, wie dies einmal mehr auf dem Berliner Kongreß „HIV im Dialog“ am 1. September geschah, befördert im kurzsichtigen Eigeninteresse die Verwahrlosung des Rechtsstaates und erleichtert den Schilys und Schäubles und ihrem später gewendeten Inspirator Jacobs den Grundrechtsabbau. Das Zetern wird erfahrungsgemäß nach Schalterschluß einsetzen. Der war übrigens für Barebacker am 23. März 2007.

Auch Sie kennen Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz: „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.“ Wieder einmal soll in dieses Grundrecht nach dem nicht mehr so ganz „gesunden Volksempfinden“ einiger Zeitgenossen eingegriffen werden. Durch wen? Durch den Gesetzgeber! Die an der Wahl beteiligten Wahlberechtigen haben sich in den Bundestag derzeit 613 Repräsentanten gewählt – wie ich hoffe und gleichzeitig befürchte: mit Überzeugung.
Keine dieser eventuell HIV-positiven Personen ist – anders als nicht ganz unwesentliche Teile meines heutigen eventuell auch HIV-positiven Barebacker-Publikums – darauf angewiesen, mit dem monatlichen ALG-II-Regelsatz von 347 Euro plus begrenztem Mietzuschuß auszukommen. – Bei chronisch Kranken zuzüglich eines unbedeutenden Ernährungszuschlags von 25 Euro. Nach der jüngsten Diätenerhöhung muß jeder dieser Mandatsträger mit knapp 7700 Euro zuzüglich einer steuerfreien Kostenpauschale von ca. 3.700 Euro darben, insgesamt also mit etwa 11.400 Euro die Inflationsrate ausgleichen.

Im Alter wird man wunderlich. Auch ich habe es mir zur Regel gemacht, vor größeren Anschaffungen zur Abschreckung in D-Mark umzurechnen. Für alle, die ähnlich wunderlich sind wie ich: 11.400 Euro entsprächen 22.296 Mark – und 46 Pfennigen. Monatlich. „Eine fürstliche Entlohnung ist das nicht, wenn man die herausgehobene Verantwortung und den zeitlichen Aufwand bedenkt“, meinte dazu die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 7. November mitfühlend. Trotz dieser immensen Inanspruchnahme durch das Mandat müssen immer mehr Abgeordnete irgendwie die Zeit finden, ähnlich wie unzählige sozialschwache HIV-Positive, noch etwas Geld hinzuzuverdienen.

Um 142 von ihnen müssen wir uns nur noch mindere Sorgen machen. Sie hatten Glück und konnten heuer allein bis Ende September neben ihren Diäten Honorare im Gesamtwert von mindestens 5,8 Millionen Euro einnehmen, wie aus einer Untersuchung der Beratungsfirma „deducto“ hervorgeht. Da ab einer gewissen Anzahl von Nullen mein Interesse schlagartig abnimmt, was es mir auch zusehends schwerer macht, mich an Wahltagen zu motivieren, sehe ich an dieser Stelle von einer Umrechnung ab. Soviel zum Sein, das bekanntlich das Bewußtsein bestimmt. Und nun wieder zurück zum klassischen Feindstrafrecht.

Bekanntermaßen muß derjenige, der einen Kampf aufnimmt, sich davor hüten, seinem Feind und seinen Methoden ähnlich, allzu ähnlich zu werden. Diese spezielle Form der Verhütung scheint nicht ohne Anstrengung zu funktionieren. Wie sonst wäre erklärlich, daß der Bundestag neuerdings verschleiert daherkommt, auf Säcke einschlägt und die gemeinten Esel nicht heulen? Die Rede ist von der Entschließung des Bundestags vom schon erwähnten 23. März 2007. Darin wird in den Ziffern 6 und 7 der Gesetzgeber aufgefordert, „gemeinsam mit den Ländern und Verbänden“ – welche mögen das wohl sein? – „bundesweit im Rahmen einer Selbstverpflichtung der Anbieter von Orten der sexuellen Begegnung auf Präventionsmaßnahmen hinzuwirken, die u.a. (…) den vollständigen Verzicht auf Werbung und Unterstützung für ungeschützten Geschlechtsverkehr beinhaltensollte.“

Was aber, wenn die Betreiber entsprechender Internetportale und Veranstaltungsorte ihrer Aufgabe als Bereichs-„Sicherheitsdienst“ nicht nachkommen und insofern die etwas abgedunkelten Zerstreuungsbereiche homosexueller Erlebnisgastronomie sich als resistent gegen fremdbestimmten Kondomgebrauch erweisen, wovon lebensnah auszugehen ist? Dann wird die Bundesregierung im März 2009 nicht nur „über den Stand der Umsetzung“ zu berichten, sondern „gegebenenfalls Vorschläge für eine rechtliche Regelung“ zu unterbreiten haben. Die deutsche Regierung wird bis zu diesem Termin parallel zu prüfen gehabt haben, „ob die Erfahrungen in Österreich und der Schweiz mit der Verschärfung des Strafrechtes bezüglich der fahrlässigen Gefährdung der Verbreitung einer sexuell übertragbaren Krankheit eine handhabbare Regelung zur Eindämmung der kommerziellen Angebote von ungeschütztem Sex darstellen.“

Nichts anderes als die Ankündigung einer gegen Barebacker gerichteten Sondergesetzgebung verbirgt sich dahinter. Noch einmal zur Erinnerung: Das sogenannte Feindstrafrecht als rechtstheoretische Grundlage für solcherlei Strafverschärfungen geht von der Grundannahme aus, daß es „Feinde“ in der Gesellschaft gibt, denen mit dem bisherigen Strafrecht nicht angemessen und ausreichend begegnet werden kann, weshalb gegen diese „Feinde“ ein präventives Bekämpfungsstrafrecht benötigt wird. Ein solcher „Feind“ ist nach Jakobs „ein Individuum, das sich in einem nicht nur beiläufigen Maß in seiner Haltung … oder seinem Erwerbsleben … oder durch seine Einbindung in eine Organisation … also jedenfalls vermutlich dauerhaft vom Recht abgewandt hat … und dieses Defizit durch sein Verhalten demonstriert.“ Vor diesem Hintergrund liest sich die Bundestagsentschließung beängstigend deutlich: Auch wenn inzwischen vereinzelt die Homos die Möglichkeit nutzen, sich von den Heten in der sogenannten Homo-Ehe freiwillig sexuell fremdbestimmen zu lassen, und so die ersehnte Integration der Verbands- und Berufshomos in die vermeintliche Spitze der Gesellschaft mit ermöglichen: In ihrer letzten unkontrollierten Nische, in ihrer Subkultur – die ja von dem abweichen soll und will, was zwischen Kittelschürze und Arschgeweih sonst so als richtig und moralisch empfunden wird – entziehen sie sich, wenn auch vereinzelt, dem verlogenen Schweigegelübde über das, was alle wissen und viele tun.

Barebacking meint meines Erachtens im Gegensatz zu lediglich ungeschützt stattfindendem Sex die wechselseitig bewußte und gewollte, vom tatsächlichen Serostatus der jeweiligen Partner unabhängige und einvernehmliche Ausübung risikoreicher Sexualpraktiken unter überwiegend homo- oder bisexuellen Männern. Das Bewußte und Einvernehmliche scheint mir dabei eine individuelle Strafbarkeit der Praktiken auszuschließen. Wenn aber eine Strafbarkeit von Barebacking unter diesen Begegnungsbedingungen nicht gegeben ist, was bleibt dann außer der Überzeugung, daß andere moralisch falsch handeln, als Motiv für die Bundestagsentschließung?

Sollte die „freiwillige“ Unterwerfung unter diese moralische Anschauung nicht gelingen, so sollen künftig die Staatsanwaltschaften und ihre Hilfsorgane – wozu schließlich gibt es bei den Länderpolizeien Ansprechpartner für Homosexuelle? – im Dienst an der sittlichen Volksgesundheit in Marsch gesetzt werden. Eine ganz große Koalition aus CDU und Die Linke, aus FDP und SPD hat somit der Kriminalisierung von Barebacking aktiv Vorschub geleistet oder durch Stimmenthaltung ihren gesetzgeberischen Willen zum politischen Abschuß von Barebackern erklärt. Bürgerliche von Links bis Rechts haben es vorsätzlich unterlassen, zwischen ihrem sittlichem Empfinden und ihren Moralvorstellungen und zwischen allgemeingültigem Grundrecht zu trennen. Der präventive Ansatz, die Ausübung selbstbestimmter und selbstverantworteter Sexualität gerade durch Aufklärung über die Risiken und Folgen bestimmter Handlungsweisen weiter zu ermöglichen, wird in sein repressives Gegenteil verkehrt. „Selbstbestimmung“ und „Eigenverantwortlichkeit“ sollen nur dann nicht kriminell sein, wenn sie in eine bestimmte vorgegebene Richtung ausgeübt werden. Nach der „Homo-Ehe“ und dem ALG-II-Regelsatz kommt nun also die Missionarsstellung eigener Art.

In Anlehnung an eine Rezension in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 1. Oktober zu Christian Geulens Geschichte des Rassismus würde ich sagen: Homosexuellenfeindlichkeit ist gefürchtet als Erscheinung, wird aber gern als Erklärung von verschiedener Seite in Anspruch genommen. Sie ist geächtet und gesucht zugleich: Durch die Verstaatlichung der Trümmer der zweiten deutschen Schwulenbewegung überwunden geglaubt, erhebt sie wieder ihr gegeltes Haupt. Wir erleben – um mit Daniela Klimke und Rüdiger Lautmann zu sprechen – durch mediale Praxen und die Vereinnahmung aktueller kultureller Themen den Aufstieg der Sexualdevianz zu einer gesellschaftlichen Hauptfrage. Sexuelle Normabweichung erfährt eine – von manchen unerwartete – Konjunktur, womit Klimke und Lautmann einmal mehr die Umkehrung des liberalen Trends der 1970er Jahre bei der Entkriminalisierung sexueller Handlungen diagnostizieren: Im Bereich der HIV-Prävention wird als Teil einer repressiven Gesundheits- und Rechtspolitik dem „Feindstrafrecht“ gegen Barebacker mehr oder weniger klar das Wort geredet. – Müssen also bald emanzipierte Barebacker in einer dann noch aufnahmebereiten Homobar Zuflucht vor dem aufgebrachten Mob suchen, wird sogleich der Kampf um die Frage beginnen, ob Diskriminierung oder gar Übergriffe gegenüber potentiellen oder tatsächlichen HIV-Infizierten zu Recht als homosexuellenfeindlich zu bezeichnen seien. Die lokalen amtlichen Vertreter werden Sexualneid und Homofeindlichkeit bei sich und denen, die sie in ihre Ämter wählen, weit von sich weisen. Derweil werden, mit einer kleinen Spitze des Literaturwissenschaftlers Dirck Linck, Lauter Sehr Verantwortungsbewußte Demokraten – vulgo: LSVD – eilig und nicht ganz uneigennützig diese Motive als Wurzel allen Übels ausmachen. Denn waren solche Taten homosexuellenfeindlich motiviert, sind sie natürlich erschütternd und verabscheuungswürdig, aber wenigstens erklärbar, fast vertraut. Schließlich sind es doch immer nur die Ewiggestrigen, die von Zeit zu Zeit in undemokratische grundgesetzwidrige Reflexe zurückfallen. Da kann man dann auch nichts machen, wie Mutti sagen würde. Und darum sperren sie die Barbacker am besten gleich von den Christopher-Street-Day-Paraden aus, wie dieses Jahr in Köln und in Berlin.

Das Problem bei der Bundestagsdrucksache 16/3615 und eines auf dieser Basis ab 2009 daherkommenden Sondergesetzes gegen Barebacker ist, daß ihnen erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken anhaften werden. Wenn Sie also im Anschluß an diese Veranstaltung oder nach dem Trauermarsch zum Gedenken an die an den Folgen von AIDS Verstorbenen im Darkroom von „Scheune“ oder „Stall“ risikobewußt, einvernehmlich und ungeschützt „nageln“ oder „nageln lassen“ sollten: Sie verteidigen ganz nebenbei – nur eben anders als Ihr Verfassungsschutzminister – das Grundgesetz. Auch wenn Sie morgen wieder vom Klassenfeind gefickt werden.

Copyright und Autor des Textes: Ortwin Passon

Lesbares über individuelles Risikomanagement

Matthias macht mich auf einen Artikel aufmerksam, der mir als SZ-Leser ansonsten durchgegangen wäre: Frauke Haß schreibt unter dem Titel „Die Lust auf nackte Haut“ über das Thema Sexualität und Prävention, aus Anlass des jüngsten Aids-Kongresses in Frankfurt.

Ein sehr lesenswerter Artikel, der u.a. individuelles Risikomanagement thematisiert, und der die üblichen Plattitüden und Vorwürfe gegen Schwule, HIV-Positive, Barebacker etc. vermeidet. Sehr lesenswert – und online hier zu finden.

Ein Artikel, der gut zur laufenden Debatte um die Weiterentwicklung der HIV – Prävention passt, und zu Diskussionen um von einigen Politikern geforderte repressive Maßnahmen, gegen die sich jüngst auch eine Resolution des 120. Positiventreffens wandte.

… und ein großes Dankeschön an Matthias … 🙂

Strafrecht gegen unsafen Sex – ein Blick über die Grenzen

Die Bundesregierung lässt untersuchen, wie andere EU-Staaten mit strafrechtlichen Maßnahmen gegen HIV-Übertragung vorgehen. Ein Blick über die Grenzen öffnet erschreckende Perspektiven.

Marion Caspers-Merk (SPD), parlamentarische Staatssekretärin im Bundes- Gesundheitsministerium, bestätigte Presseberichten zufolge gegenüber dem Grünen-Bundestagsabgeordneten Volker Beck auf Nachfrage, in einem derzeit laufenden Forschungs- Vorhaben werde untersucht, welche Erfahrungen andere EU-Staaten mit strafrechtlichen Maßnahmen gegen Aids allgemein sowie speziell der Anbahnung von Bareback- Sex im Internet gemacht haben.
„Wenn die Ergebnisse vorliegen, werden wir über weitere Maßnahmen sprechen“, so Caspers-Merk. Alles, was „erwiesenermaßen nutzt, werde umgesetzt“, kündigte sie an.

Caspers-Merks Ankündigung passt gut in den Kontext der jüngsten Bundestagsdebatten zu Aids, insbesondere auch dem ‚Spahn-Antrag‚, der ebenfalls auf strafrechtliche Maßnahmen gegen Bareback zielte und hier insbesondere die Erfahrungen von Österreich (EU- Mitglied) und der Schweiz (nicht EU-Mitglied) ansprach. Im (am 23. März im Bundestag beschlossenen) ‚Spahn-Antrag‚ wurde die Bundesregierung aufgefordert, die Erfahrungen Österreichs und der Schweiz mit Strafrechts- Verschärfungen auf eine Übertragbarkeit auf Deutschland zu untersuchen.

Wie sieht die Situation in diesen beiden Ländern aus?

Österreich:
§ 178 und § 179 StGB behandeln die vorsätzliche bzw. fahrlässige Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten. Für eine Strafbarkeit genügt, dass eine Infektion durch eine Handlung möglich gemacht wird (Infektion nicht erforderlich für Strafbarkeit). Nach österreichischer Rechtsprechung liegt Fahrlässigkeit bereits dann vor, wenn ein Betroffener zwar nichts von seiner Infektion weiß, aus den konkreten Umständen aber Kenntnis davon erlangt haben müsste.
Bisher fanden circa knapp 40 Verfahren statt, ca. 30 Personen wurden verurteilt.
Die Einschätzung, Bareback sei per se etwas ganz Gefährliches, wird auch von den österreichischen Aidshilfen in der Öffentlichkeit geteilt. Die Aidshilfe würde sich bemühen, Bareback-Veranstaltungen zu verhindern, wenn dies nicht erfolgreich sei auch mit rechtlichen Schritten, so ein Vertreter der Aidshilfe Wien.

Schweiz:
Art. 231 StGB (Verbreiten einer gefährlichen menschlichen Krankheit) – Strafbarkeit selbst dann, wenn die (bis dato nicht infizierte) Person zugestimmt hat, allerdings muss Infektion stattgefunden haben (nicht nur Versuch).
Zudem möglich: Körperverletzung oder versuchte Tötung nach Art. 122, 123, 111 & 112 StGB.
Bisher über 30 Ermittlungsverfahren, mehr als 20 Personen verurteilt. Auch die Übertragung von Hepatitis C wird strafrechtlich verfolgt.
Die geltenden Regelungen werden in der Schweiz immer wieder kritisch kommentiert und Abschaffung gefordert (wie 2001 von der Aidshilfe Schweiz), sie sind aber weiterhin in Kraft. Im Gegenteil, Roger Staub vom Bundesamt für Gesundheit (Schweiz) ist stolz darauf durchgesetzt zu haben, dass die Einhaltung der Präventionsvereinbarung in den Betrieben kontrolliert und mit Schließung gedroht wird.

In den EU-Staaten
ist die Situation hinsichtlich des strafrechtlichen Umgangs mit HIV-Infektionen sehr unterschiedlich. Die Kriminalisierung von Positiven ist EU-weit in unterschiedlichem Umfang ein Problem.
Vor diesem Hintergrund befasst sich mit diesem Thema nicht nur das vom BMG in Auftrag gegebene Gutachten, sondern auch eine Untersuchung von GNP+ und Terrence Higgins Trust, deren erste Ergebnisse im November 2006 in Glasgow vorgestellt wurden.
Diese Analyse betrachtet den Bereich der Staaten, die die Europäische Konvention für Menschenrechte unterzeichnet haben. In mindestens 21 dieser Staaten fanden Verurteilungen wegen HIV-Infektion statt – ‚Spitzenreiter‘ waren Schweden sowie Österreich und die Schweiz.

Eine Tendenz zum zunehmenden Einsatz des Strafrechts stellt auch UNAIDS fest und warnt, dies führe möglicherweise zu einer Rückkehr zur alten (und wenig erfolgreichen) Politik der Schuldzuweisungen, zunehmender Stigmatisierung und abnehmender Eigenverantwortung für den eigenen Schutz. Die Anwendung des Strafrechts bei HIV-Übertragung sei unangemessen und kontraproduktiv, diese Erkenntnis von 2002 gelte auch 2007 unverändert.

Letztlich steht hinter vielen dieser Regelungen wie z.B. in der Schweiz oder Österreich, aber auch einigen Bemühungen deutscher Politiker und Homosexueller die (meines Erachtens irrige) Vorstellung, Epidemien ließen sich mit Repression bekämpfen.

Kann das Strafrecht überhaupt ein Mittel erfolgreicher Prävention sein?
Vielleicht lässt sich dies mit der Gegenfrage beantworten, ob die Strafbarkeit von Einbrüchen bisher einen Einbruch verhindert hat …

Vielleicht sollte den Warnungen und Hinweisen z.B. von UNAIDS mehr Beachtung geschenkt werden.

Das hindert allerdings auch zahlreiche Schwule nicht daran, Strafverschärfungen zu fordern (wie z.B. die LSU). Und besonders bizarr wird es, wenn Aidshilfen sich wie in Österreich an die Seite der Ermittler und Verfolger stellen.

Leider ist zu befürchten, dass die derzeit angestellten transnationalen Vergleiche nicht etwa dazu führen, dass in Richtung der liberaleren Gesetzgebungen reformiert wird. Vielmehr dürften (wie es der Spahn-Antrag ja vormacht) die schärferen Vorschriften als vermeintliche ‚guten Beispiele‘ dienen, auch hierzulande weitere Strafrechts-Verschärfungen vorzuschlagen und letztlich einzuführen (bei der derzeitigen Verbots- Manie…).

Caspers-Merks Ankündigung, alles was sich als nützlich erweise werde auch hierzulande umgesetzt, lässt für die nähere Zukunft wohl nichts Gutes ahnen…

Material:
Österreich: Rechtsgutachten Prof. Hinterhofer „Zur Strafbarkeit von Sexualkontakten HIV-Infizierter Personen nach §§ 178, 179 StGB“ (im Auftrag der österreichischen Aids-Hilfen) als pdf
hier
UNAIDS: Criminal law, public health and HIV transmission (2002, pdf
hier)
UNAIDS: Crminalisation of HIV transmission (2007, pdf
hier)
UNAIDS: handbook for Legislators on HIV/AIDS, Law and Human Rights (1999, pdf
hier)
EATG: Criminalisation of HIV transmission (workshop, 8th International Congress on Drug Therapy in HIV Infection; Programm und Links zu den einzelnen Vorträgen
hier)
die umstrittene Sendung von Report Mainz über Barebacking (28.11.2005) als Video und Mitschrift
hier

Bare? Oder Back? Oder wohin?

Ist safer Sex out in Berlin? Wie weiter mit der HIV-Prävention? Zwei einfache Fragen – deren eingebauter Sprengstoff auf einer Veranstaltung im SchwuZ zu hitzigen Debatten und einem Anflug von Ratlosigkeit führten, sowie zu vielen Rollen rückwärts.

Bareback 01
Schon bei den Begriffen ging und geht es munter durcheinander. „Über welches Bareback redest du eigentlich?“ „Ich unterscheide Bareback lite und heavy Bareback!“ usw. Was einst Ende der 90er Jahre als eine Variante des Sex‘ unter Positiven begann, als „bewusste Entscheidung informierter Positiver“ oder (wie M. Dannecker es nennt) ‚Emanzipation vom Kondom‘, hat sich längst verselbständigt, ist zu einer pseudo-positiv besetzten Worthülse geworden, die jegliche Form von unsafem Sex zu umfassen scheint.

Nicht nur unter Teilnehmern der Diskussion, sondern weit bis in Aids-Hilfen hinein ist eine Art „Roll Back“ in der Präventionspolitik zu beobachten. Eine beunruhigende Entwicklung, bei der über „selbstverschuldete Infektionen“, „Schuld“ und „Drohen“ diskutiert und wild konzipiert wird. Eine Entwicklung, die Stefan Etgeton pointiert hinterfragt mit „wem schadet die Bareback-Debatte in der Prävention eigentlich?“ – und einen differenzierten Umgang mit dem Thema wünscht.
Warum statt Plattitüden à la „wir brauchen wieder mehr Abschreckung“ nicht abwägende, an Vernunft und informiertes persönliches Risiko-Management appellierende Botschaften wie „unter diesen Umständen [wie: 2 als Paar sexuell monogam lebende schwule Männer] ist Bareback okay, und in diesen Kontexten [z.B. der Quickie mal eben nebenbei, unüberlegt ohne Kondom] hast du ein hohes Risiko für …“ ?

Bareback 02 Doch diese Art überlegender Vernunft scheint derzeit auf dem Rückzug zu sein – diesen Eindruck konnte man zumindest zeitweise während der Veranstaltung gewinnen. „Back to the 80s“, das schien einigen Teilnehmern eher vorzuschweben.
Immer wieder kamen aus dem Publikum, vereinzelt unterschwellig auch vom Podium Rufe nach „schockierenden Plakaten“ [als gäbe es nicht längst Daten, dass auch Fotos von Raucherlungen die Anzahl der Raucher oder den Umfang des Tabakkonsums nicht senken], nach „wieder mehr Angst machen“, waren verquere Rufe nach drakonischen Maßnahmen spürbar. Woher diese Sehnsucht nach Repression, nach ‚law and order‘? Ist es die Hoffnung auf ein neues Glücksversprechen risikofreier Zeiten? Oder ein kruder Weg individueller ‚Verarbeitung‘ von Schuld- und Angstgefühlen?

„Angst ist ein schlechter Ratgeber“, riefen die Besonneneren in die Runde, „Horror-Szenarien bringen nichts“. Rolf de Witt betonte, wie wichtig es ist, Respekt für den anderen zu zeigen, nicht auszugrenzen, nicht zu verurteilen. „Tacheles reden ja – aber nicht wild in der Gegend rum provozieren“.
Erwachsene Menschen in ihren Entscheidungen zu akzeptieren, ihnen dafür kompetent Informationen an die Hand zu geben, das scheint – statt mehr Angst, mehr Repression – ein Gebot der Stunde.
Das aber erfordert nicht zuletzt neben guten Ideen aber auch ausreichende finanzielle Mittel. Oder anders herum: wer in den letzten Jahren die Mittel für HIV-Prävention ständig gekürzt hat, wie kann der sich nun über steigende Zahlen bei Neu-Diagnosen wundern? Für Information und Prävention wird zu wenig getan – ja! Aber eben (auch), weil immer weniger finanzielle Mittel dafür zur Verfügung stehen.
Von „mehr miteinander reden“ über „mehr Achtsamkeit füreinander“ und „neue Räume schaffen“, „verschiedenen Strategien für verschiedene Räume“ bis zu „safer Sex einfacher machen“ [wie es z.B. einige Wirte mit ihrer safety 4 free – Kampagne versuchen] – Ideen sind zahlreich im Raum, warten darauf, aufgegriffen, zu ausgereiften Konzepten weiterentwickelt und umgesetzt zu werden.

Warum dann immer wieder diese Schreie nach „Angst machen“, nach Drohkulissen, oft von auffallend impertinenten Schwestern vorgebracht?

Ich merke, wie diese Sehnsucht nach Repression mich erschreckt, schockiert, diese Sehnsucht nach drakonischen Maßnahmen [gern gemischt mit mangelhaften Wissen oder Inkompetenz (da wird schnell mal von der Aids-Hilfe gefordert, BZgA-Plakate zu ändern) und schnellem Delegieren an Andere („die Positiven müssen doch endlich einmal …“, „da muss die Aids-Hilfe aber doch dringend …“)]. Munter wird da Verantwortung zu-geschoben – den Positiven, der Aids-Hilfen, den Schwulen. Als sei man nicht selbst Teil davon. Als habe man nicht auch selbst Hirn und Hand, selbst aktiv zu werden, selbst Verantwortung zu übernehmen.

Und mich frustriert, dass erneut Diskussionen geführt werden, die wir schon in den 80ern hatten. Das anscheinend viele nicht auf die Idee kommen, die Politik vergangener Jahre sei vielleicht doch ab und an überlegt gewesen, und die Zeiten heute anders. Ich bin froh, als Matthias das wunderbar auf den Punkt bringt: „das Leben mit Aids, mit HIV ist heute anders als vor 20 Jahren. Es ist schön, dass der Grund zur Angst weniger geworden ist – warum nur wollt ihr immer wieder Angst machen, Angst haben?“

Horror-Szenarien bringen nichts. Es gilt zu überlegen, wie wir heute realistisch und ohne Angst Informationen, auch über Risiken (zu denen neben HIV auch sexuell übertragbare Krankheiten, auch Hepatitis C gehören sollten) an den Mann bringen, die eigene Handlungskompetenz in verschiedensten Szenarien stärken können.
Nach vorne blicken, nicht Rollen rückwärts bringen uns weiter.