Zivilgesellschaft fordert Stopp des europaweiten Zwangs zur Vorratsdatenspeicherung

In einem gemeinsamen Brief haben über 100 Organisationen aus 23 europäischen Ländern die EU-Kommission letzte Woche aufgefordert, „die Aufhebung der EU-Vorgaben zur Vorratsdatenspeicherung zugunsten eines Systems zur schnellen Sicherstellung und gezielten Aufzeichnung von Verkehrsdaten vorzuschlagen“. Unter den Unterzeichnern befinden sich Bürgerrechts-, Datenschutz- und Menschenrechtsorganisationen ebenso wie Telefonseelsorge- und Notrufvereine, Berufsverbände etwa von Journalisten, Juristen und Ärzten, Gewerkschaften wie ver.di, Verbraucherzentralen und auch Wirtschaftsverbände wie der deutsche eco-Verband.

Die 2006 beschlossene EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung zwingt in ihrer gegenwärtigen Fassung alle Telekommunikations- und Internetanbieter, Daten über die Kommunikation sämtlicher ihrer Kunden zu sammeln. Die Unterzeichner des Briefes warnen, dass eine solche allgemeine Verbindungsdatenaufzeichnung vertrauliche Tätigkeiten und Kontakte etwa zu Journalisten, Beratungsstellen und Geschäftspartnern dem ständigen Risiko eines Bekanntwerdens durch Datenpannen und -missbrauch aussetzt, unvertretbare Kosten nach sich zieht und die Kommunikationsfreiheit Unschuldiger unzumutbar behindert. „Eine generelle Verbindungsdatenspeicherung hat sich in vielen Staaten Europas als überflüssig, schädlich oder sogar verfassungswidrig herausgestellt“, so die Organisationen weiter.

In Deutschland hat das Bundesverfassungsgericht im März einer von 30.000 Menschen unterstützten Verfassungsbeschwerde stattgegeben und die Vorschriften zur Vorratsdatenspeicherung aufgehoben. Unter Berufung auf die fortbestehende EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung fordern CDU und CSU jedoch ihre Wiedereinführung in Deutschland. Im Mai entschied der irische High Court in Dublin, dem Europäischen Gerichtshof die Frage vorzulegen, ob die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung mit der EU-Grundrechtecharta vereinbar ist. Die EU-Kommission prüft zurzeit eine Überarbeitung der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung.

(Deutsche Aidshilfe, dort auch Brief im Volltext)

Brief an Bundesjustizministerin: endgültiger Stopp der Vorratsdatenspeicherung!

Die Deutsche Aids-Hilfe sowie über 40 weitere Organisationen und Verbände haben Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger in einem gemeinsamen Brief aufgefordert, „sich auf europäischer Ebene klar für eine Abschaffung der EU-Mindestvorgaben zur Vorratsdatenspeicherung einzusetzen“.
Im folgenden als Dokumentation der Brief der Organisationen an Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger:

Sehr geehrte Frau Bundesministerin,
kaum hat das Bundesverfassungsgericht am 2. März 2010 die deutschen Vorschriften zur Vorratsdatenspeicherung für verfassungswidrig und nichtig erklärt, wird von nicht Wenigen die Wiedereinführung einer Vorratsdatenspeicherung gefordert.

Eine EU-Richtlinie aus dem Jahr 2006 sieht vor, dass Telekommunikationsunternehmen verpflichtet werden sollen, Daten über die Kommunikation ihrer Kunden auf Vorrat zu speichern.
Zur verbesserten Strafverfolgung soll nachvollziehbar sein, wer mit wem in den letzten sechs Monaten per Telefon, Handy oder E-Mail in Verbindung gestanden hat. Bei Handy-Telefonaten und SMS soll auch der jeweilige Standort des Benutzers festgehalten werden. In Verbindung mit anderen Informationen soll zudem die Nutzung des Internet nachvollziehbar sein.

Eine derart weitreichende Registrierung des Verhaltens der Menschen in Deutschland halten wir für inakzeptabel. Im Zuge einer Vorratsdatenspeicherung werden ohne jeden Verdacht einer Straftat sensible Informationen über die sozialen Beziehungen (einschließlich Geschäftsbeziehungen), die Bewegungen und die individuelle Lebenssituation (z.B. Kontakte mit Ärzten, Rechtsanwälten, Betriebsräten, Psychologen, Beratungsstellen) von über 80 Millionen Bundesbürgerinnen und Bundesbürgern gesammelt. Damit höhlt eine Vorratsdatenspeicherung Anwalts-, Arzt-, Seelsorge-, Beratungs- und andere Berufsgeheimnisse aus und begünstigt Datenpannen und -missbrauch. Sie untergräbt den Schutz journalistischer Quellen und beschädigt damit die Pressefreiheit im Kern. Sie beeinträchtigt insgesamt die Funktionsbedingungen unseres freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens. Die enormen Kosten einer Vorratsdatenspeicherung unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben steigen gegenüber den bisherigen Schätzungen deutlich und sind ohne Erstattungsregelung von den über 6.000 betroffenen Telekommunikationsunternehmen in Deutschland zu tragen. Dies zieht Preiserhöhungen nach sich, führt zur Einstellung von Angeboten und belastet mittelbar auch die Verbraucher.

Untersuchungen belegen, dass bereits die gegenwärtig verfügbaren Kommunikationsdaten ganz regelmäßig zur effektiven Aufklärung von Straftaten ausreichen. Es ist nicht nachgewiesen, dass eine Vorratsdatenspeicherung besser vor Kriminalität schützte. Dagegen kostet sie Millionen von Euro, gefährdet die Privatsphäre Unschuldiger, beeinträchtigt vertrauliche Kommunikation und ebnet den Weg in eine immer weiter reichende Massenansammlung von Informationen über die gesamte Bevölkerung.

Rechtsexperten erwarten, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Anschluss an den Verfassungsgerichtshof Rumäniens eine Pflicht zur verdachtslosen Vorratsspeicherung von Kommunikationsdaten für unvereinbar mit der Europäischen Menschenrechtskonvention erklären wird. EU-Justizkommissarin Viviane Reding und EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström haben bereits eine Überprüfung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung auf ihre
Übereinstimmung mit der EU-Grundrechtecharta angekündigt.

Als Vertreter der Bürgerinnen und Bürger, der Medien, der Berufstätigen und der Wirtschaft lehnen wir die Forderungen nach einer Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung geschlossen ab. Wir appellieren an Sie, sich ungeachtet eines möglichen Vertragsverletzungsverfahrens grundsätzlich von der Forderung nach einer neuerlichen umfassenden und verdachtsunabhängigen Speicherung von Telekommunikationsdaten zu distanzieren. Stattdessen rufen wir Sie auf, sich auf europäischer Ebene klar für eine Abschaffung der EU-Mindestvorgaben zur Vorratsdatenspeicherung einzusetzen, damit jeder europäische Staat wieder selbst über die Gewährleistung des Kommunikationsgeheimnisses seiner Bürgerinnen und Bürger entscheiden kann. Seien Sie sich unserer Unterstützung dabei versichert.

Mit freundlichen Grüßen,
1. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx für den Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung
2. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxx für die Aktion Freiheit statt Angst e.V.
3. xxxxxxxxxxxx für Attac Deutschland
4. xxxxxxxxxxxxxxxx für den Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e.V. (BDP)
5. xxxxxxxxxxxxxxxx für den Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler e.V.
6. xxxxxxxxxxxxxxxx für die Bundesarbeitsgemeinschaft Kritischer Polizistinnen und Polizisten (Hamburger Signal) e.V.
7. xxxxxxxxxxxxx für den Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe – Frauen gegen Gewalt e.V.
8. xxxxxxxxxxxxxx für den Chaos Computer Club e.V.
9. xxxxxxxxxxx für die Deutsche AIDS-Hilfe e.V.
10. xxxxxxxxxxxxx für die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union dju in ver.di
11. xxxxxxxxxxxxxxxxxxx für den Deutscher Journalisten-Verband e. V.
12. xxxxxxxxxxxxxx für den Deutscher Presserat
13. xxxxxxxxxxxxxxxx für den DFJV Deutscher Fachjournalisten-Verband AG
14. xxxxxxxxxxxx für den DPV Deutscher Presse Verband – Verband für Journalisten e.V.
15. xxxxxxxxxxxx für die DVD – Deutsche Vereinigung für Datenschutz e.V.
16. xxxxxxxxxxxxx für den eco – Verband der deutschen Internetwirtschaft e.V.
17. xxxxxxxxxxxxxx für die Ev. Konferenz für Telefonseelsorge und Offene Tür e.V.
18. xxxxxxxxxxxx für das FIfF – Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche
Verantwortung e.V.
19. xxxxxxxx für den FoeBuD e.V.
20. xxxxxxxxxxxxxxxx für den Förderverein Informationstechnik und Gesellschaft (FITUG) e.V.
21. xxxxxxxxxxxxx für das Forum Menschenrechte e.V.
22. xxxxxxxxxxxxxxxxxx für die Free Software Foundation Europe e.V.
23. xxxxxxxxxxxxxx für den FREELENS e.V.
24. xxxxxxxxxxxxxxxxx für die Freie Ärzteschaft e.V.
25. xxxxxxxxxxxxxx für die Gesellschaft für Datenschutz und Datensicherheit e. V. (GDD)
26. xxxxxxxxxxxx für IALANA
27. xxxxxxxxxxxxxxxxxx für die IG Bauen-Agrar-Umwelt
28. xxxxxxxxxxxxxxxx für die Internationale Liga für Menschenrechte e.V.
29. xxxxxxxxxxx für das Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.
30. xxxxxxxxxx für den Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) e.V.
31. xxxxxxxxxxxx für die Magistrats européens pour la Démocratie et les Libertés – MEDEL
32. xxxxxxxxxxxxxxxx für den naiin – no abuse in internet e.V.
33. xxxxxxxxxxxxxxx für den NAV-Virchow-Bund – Verband der niedergelassenen Ärzte Deutschlands e.V.
34. xxxxxxxxxxxxx für das Netzwerk Neue Medien e.V.
35. xxxxxxxxxxxx für das netzwerk recherche e.V.
36. xxxxxxxxxxxxxxxxxx für die Neue Richtervereinigung e.V.
37. xxxxxxxxxxx für das Organisationsbüro der Strafverteidigervereinigungen
38. xxxxxxxxxxxx für PRO ASYL e.V.
39. xxxxxxxxxxxxxxxxxx für die Reporter ohne Grenzen e.V.
40. xxxxxxxxxxxx für den Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e.V.
41. xxxxxxxxxxxxxxx für den Verband der Freien Lektorinnen und Lektoren VFLL e.V.
42. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxx für den Verband Freier Psychotherapeuten, Heilpraktiker für Psychotherapie und Psychologischer Berater e.V.
43. xxxxxxxxxxxxxxx für den Verbraucherzentrale Bundesverband e.V.
44. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx für den Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte
45. xxxxxxxxxxxxxxxx für die Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen e.V.
46. xxxxxxxxxxxxxxxx für die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di)

Zivilgesellschaft fordert Ministerin zum endgültigen Stopp der Vorratsdatenspeicherung auf

Über 40 Organisationen und Verbände haben Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger in einem gemeinsamen Brief aufgefordert, „sich auf europäischer Ebene klar für eine Abschaffung der EU-Mindestvorgaben zur Vorratsdatenspeicherung einzusetzen“. Zur Begründung schreiben die Verbände, der EU-Zwang zur Speicherung aller Verbindungsdaten setze vertrauliche Tätigkeiten und Kontakte etwa zu Journalisten, Beratungsstellen und Geschäftspartnern dem ständigen Risiko eines Bekanntwerdens durch Datenpannen und -missbrauch aus, ziehe unvertretbare Kosten nach sich und behindere die Kommunikationsfreiheit unzumutbar. Zu den 48 Unterzeichnern des Schreibens zählen Bürgerrechts-, Datenschutz- und Menschenrechtsorganisationen ebenso wie Telefonseelsorge- und Notrufvereine, Berufsverbände etwa von Journalisten, Juristen und Ärzten, Gewerkschaften wie ver.di, der Verbraucherzentrale- Bundesverband und der Wirtschaftsverband eco sowie die Deutsche AIDS-Hilfe e.V.

Am 2. März 2010 hat das Bundesverfassungsgericht auf die Beschwerden von über 34.000 Bürgerinnen und Bürgern die deutschen Vorschriften zur Vorratsspeicherung aller Verbindungsdaten für verfassungswidrig und nichtig erklärt. Eine EU-Richtlinie aus dem Jahr 2006 schreibt jedoch europaweit eine Vorratsdatenspeicherung vor und zwingt Deutschland dadurch zur Wiedereinführung der verdachtslosen Vorratsdatensammlung. Die EU-Kommission prüft derzeit eine Änderung dieser Richtlinie. Die Bundesjustizministerin als Vertreterin Deutschlands im EU-Rat hat sich bislang noch nicht klar für ein Ende des EU-Speicherzwangs eingesetzt.
„Der 2005 beschlossene EU-weite Zwang zur flächendeckenden Verbindungsdatenspeicherung hat sich überlebt“, kommentiert Patrick Breyer vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung. „Eine Vorratsdatenspeicherung hat sich in vielen Staaten in und außerhalb Europas als überflüssig, schädlich und verfassungswidrig erwiesen, so in Deutschland, Österreich, Belgien, Griechenland, Rumänien und Schweden. Diese Staaten verfolgen Straftaten ebenso effektiv mit gezielten Verfahren, wie sie etwa in der internationalen Cybercrime- Konvention vereinbart sind. Wo eine Vorratsdatenspeicherung eingeführt wurde, hat sie die Zahl der aufgeklärten Straftaten nicht erhöht. Im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen etwa wurden 2007 84%, nach Einführung einer Vorratsdatenspeicherung im Jahr 2008 77% und 2009 ebenfalls 77% der bekannt gewordenen Internetdelikte aufgeklärt. Nützlichkeit ist nicht gleich Notwendigkeit. Die EU-Vorgaben müssen jetzt flexibler gestaltet werden und intelligentere Alternativen als eine ungezielte Datenanhäufung zulassen.“

„Rund 70% der Bundesbürgerinnen und -bürger lehnen eine verdachtslose Protokollierung ihrer Kontakte und Aufenthaltsorte ab“, erklärt Florian Altherr vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung. „Sie wollen sicher sein, dass ihre privaten und geschäftlichen Kontakte etwa zu Eheberatungsstellen, Rechtsanwälten oder Journalisten nicht in die falschen Hände geraten oder zu einem falschen Verdacht gegen sie führen können. Die vielen Datenskandale, etwa bei der Deutschen Telekom, haben uns gelehrt, dass nur nicht gespeicherte Daten sichere Daten sind. Deswegen erwartet die Zivilgesellschaft von der Bundesjustizministerin jetzt, dass sie ihre abwartende Haltung aufgibt und in Europa für ein Ende des Zwangs zur Erfassung aller Verbindungsdaten kämpft!“

(Pressemitteilung Deutsche Aids-Hilfe)

siehe auch: Dokumentation: Brief an Bundesjustizministerin: endgültiger Stopp der Vorratsdatenspeicherung!
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Bundesverfassungsgericht stellt Vertraulichkeit der Aidsberatung wieder her

Die Deutsche AIDS-Hilfe e.V. (DAH) begrüßt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur sogenannten Vorratsdatenspeicherung. Das Gericht sieht in der umstrittenen Vorratsdatenspeicherung einen Verstoß gegen das Telekommunikationsgeheimnis und erklärte diese Praxis für verfassungswidrig. Bisher gespeicherte Verbindungs-Daten müssen gelöscht werden.

Dazu erklärt Winfried Holz, Mitglied im Vorstand der DAH: „Die Deutsche AIDS-Hilfe kämpft seit Jahren gegen die anlasslose Speicherung der Telefon- und Internetdaten, da sie dadurch die Vertraulichkeit der HIV- und Aids-Beratung gefährdet sah. Der Erste Senat des Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass diese Regelung mit Art. 10 Abs. 1 GG nicht vereinbar ist, da sie das Grundrecht auf den Schutz des Telekommunikationsgeheimnisses verletzt.“

Das Bundesverfassungsgericht greift in der Begründung seines heutigen Urteils die Argumente auf, die die Deutsche AIDS-Hilfe von Anbeginn an gegen die Vorratsdatenspeicherung angeführt hat:

„Auch wenn sich die Speicherung nicht auf die Kommunikationsinhalte erstreckt, lassen sich aus den Daten bis in die Intimsphäre hineinreichende inhaltliche Rückschlüsse ziehen. Adressaten, Daten, Uhrzeit und Ort von Telefongesprächen erlauben, wenn sie über einen längeren Zeitraum beobachtet werden, in ihrer Kombination detaillierte Aussagen zu gesellschaftlichen oder politischen Zugehörigkeiten sowie persönlichen Vorlieben, Neigungen und Schwächen.“ (Urteil vom 2. März 2010 – 1BvR 256/08, 1 BvR 263/08, 1BvR 586/08).“

Die Aidshilfen in Deutschland sind als monothematische Beratungsstellen besonders auf einen Schutz der persönlichen Kontaktdaten der Ratsuchenden angewiesen: Mit der bisherigen Speicherung der von bis sechs Monaten wurde de facto der Anlass „festgehalten“.

(Pressemitteilung der Deutschen Aidshilfe)

Für eine neue Daten-Askese

Gerhart Baum, ehemaliger Bundesminister des Inneren, Rechtsanwalt und Politiker, fordert in einem Kommentar zu einem bewussteren, asketischeren Umgang mit den eigenen Daten auf – und zu einer neuen Datenschutzbewegung.

„Wir müssen zur Selbstverteidigung übergehen – auch durch Datensparsamkeit und Datenaskese“ – Gerhart Baum findet deutliche Worte in seinem Gast-Kommentar zum Thema Datenschutz, den er der Organisation FoeBuD gegeben hat.

Gerhart Baum beim Bundeskongress des DAV 2008 (Foto: Prof. A. Fritsch / wikipedia)
Gerhart Baum beim Bundeskongress des DAV 2008 (Foto: Prof. A. Fritsch / wikipedia)

FoeBud, der 1987 in Bielefeld gegründete Verein für Bürgerrechte und Datenschutz, ist u.a. mit der Theodor-Heuss-Medaille ausgezeichnet und engagiert sich gegen die Vorratsdatenspeicherung. Der ehemalige Bundesminister des Inneren (1978 bis 1982) Gerhart Baum hat sich in einem Gast-Kommentar für den FoeBuD e.V. mit dem Datenschutz und dem derzeitigen Stand der Datenschutz-Diskussion beschäftigt.

„Alles in Allem: Ich plädiere seit langem für eine Bürgerbewegung zum Schutze der durch Art. 1 des Grundgesetzes geschützten Privatheit. Ich plädiere für eine Datenschutzbewegung nach dem Vorbild der erfolgreichen Umweltbewegung. In der letzten Zeit hat sich gezeigt, dass doch zahlreiche vor allem auch jüngere Menschen sich gegen Elemente des Überwachungsstaates und der Überwachungsgesellschaft wenden. Diese Chance sollte jetzt genutzt werden.“

unbedingt lesen:

Gerhart Baum: Wir müssen zur Selbstverteidigung übergehen. Gastkommentar für FoeBuD, 21.01.2010
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Hinweis:
wer mit aktivem Datenschutz surfen möchte, findet beim FoeBuD viele nürtzliche Hinweise – u.a. auch ein Paket zum sicheren und anonymen Surfen, bis hin zum fertigen ‚Privacy Dongle‘ (als Stick oder Software-Paket)

Nichts zu verbergen? Und was wäre wenn … ?

Vorratsdatenspeicherung – warum nicht? Datenschutz, das stört doch nur? Du denkst, du hast doch eh nichts zu verbergen?

Stimmt, dieses Gefühl „ich hab doch eh nichts zu verbergen“ haben wohl viele.

Machen wir ein kleines Gedanken-Experiment

Stellen Sie sich vor, Sie haben Aids, sind zweimal auf Therapie …

Nun, das ist ja für einen HIV-Positiven eine Situation, die durchaus realistisch sein könnte

… und Ihr Chef möchte unbedingt wissen, was Sie haben.

Und auch das kommt vor, der neugierige Chef …

Nicht weil er so fürsorglich ist. Nein, weil er Sie kontrollieren möchte.

Und dieser Chef, der hast so seine Kanäle. der bekommt die Informationen, die er gerne hätte.

Und dann dringt diese Info auch noch nach außen.

Tja, und was nun? Dann weiß der Chef eben. Und weiter?

Sämtliche Mitarbeiter in Ihrem direkten Umfeld wissen dann: Der ist HIV positiv.

Sicher, das wäre nicht schön.

A ber – das ist ja nur ein Gedanken-Experiment. das kommt doch so niemals in Wirklichkeit vor.

Niemals?

In Österreich schon.

Spitzelskandal bei den Bundesbahnen: Kranke wurden systematisch kontrolliert

berichtet news.at. Und erzählt eine Geschichte von einem HIV-positiven Mitarbeiter der ÖBB, dem genau dies geschehen ist.

Vorratsdatenspeicherung – is ja harmlos?
Immer noch?

Oder vielleicht doch besser mitmachen bei den Protesten gegen die Vorratsdatenspeicherung?
Vielleicht bei der Demonstration am 12.09.2009 in Berlin?
Oder zuhause? Oder im Internet? Oder oder oder …?

Datenschutz ist ein Grundrecht.
Sexualität und Gesundheit brauchen Datenschutz.

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Und die Geschichte, die keineswegs ein Gedanken-Experiment, sondern traurige Realität war, ist hier nachzulesen:

Spitzelskandal bei den Bundesbahnen: Kranke wurden systematisch kontrolliert

Nix zu verbergen? Vorratsdatenspeicherung gefährdet HIV-Prävention!

Nix zu verbergen? Vorratsdatenspeicherung gefährdet HIV-Prävention!

Seit dem 1. Januar 2008 sind die Anbieter von Telekommunikationsdiensten gesetzlich verpflichtet, für sechs Monate alle Internet- und Telekommunikationsdaten von jedem Provider zu speichern – auch von Beratungsstellen. Zwar werden keine Inhalte gespeichert, doch hinterlassen diese Verbindungen eine nachverfolgbare, langfristige Datenspur – bei Handy-Telefonaten wird sogar der jeweilige Standort des Benutzers festgehalten. Damit ist die Vorratsdatenspeicherung eine Vorstufe der Telekommunikationsüberwachung.

Sexualität und Gesundheit brauchen (Daten)Schutz
Sexualität, Gesundheit und Präventionsfragen sind sensible Themen, die besonderen Schutz brauchen. Wenn sich jemand an eine Aidshilfe, Schwulen- oder Suchtberatungsstelle wendet, hat er ein berechtigtes Interesse, dass seine Daten anonym bleiben. Die per „Vorratsdatenspeicherung“ gesammelten Daten lassen jedoch Rückschlüsse darauf zu, wer mit wem kommuniziert hat – und anhand des Adressaten unter Umständen auf persönliche Problemlagen, die sexuelle Identität oder die Gesundheit . Damit gerät eine der Voraussetzungen für eine wirksame HIV-Prävention in Gefahr: die Vertraulichkeit der Beratung.

Missbrauch der Daten nicht auszuschließen
Ein Missbrauch der seit 2008 flächendeckend auf Vorrat gespeicherten Verbindungs-, Positions- und Internetzugangsdaten lässt sich durch Sicherheitsvorkehrungen nicht ausschließen. Darin sind sich alle der vom Bundesverfassungsgericht befragten Experten und Verbände einig. Entgeltliche Anonymisierungsdienste sind verboten.

Deutsche AIDS-Hilfe fordert Stopp der Vorratsdatenspeicherung
Unter der Vorratsdatenspeicherung leiden alle. Sie greift unverhältnismäßig in die persönliche Privatsphäre ein und verstößt gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Und sie gefährdet die Vertraulichkeit der HIV-Beratung und -Prävention. Die Deutsche AIDS-Hilfe fordert daher die Abschaffung der flächendeckenden Protokollierung der Kommunikationsdaten sowie eine unabhängige Überprüfung aller bestehenden Überwachungsbefugnisse im Hinblick auf ihre Wirksamkeit, Missbrauchsmöglichkeiten und andere schädlichen Auswirkungen.

Nix zu verbergen (c) DAH
Nix zu verbergen (c) DAH

Werden Sie aktiv und unterstützten Sie die Aktionen des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung.
Infos unter: www.vorratsdatenspeicherung.de
www.aidshilfe-beratung.de
http://blog.aidshilfe.de

Poster Vorratsdatenspeicherung
Flyer Vorratsdatenspeicherung
Button „Nix zu verbergen“

(Pressemitteilung der Deutschen Aids-Hilfe)

Sexualität und Gesundheit brauchen Datenschutz

Vorratsdatenspeicherung gefährdet den Datenschutz – der gerade auch für Schwule und Lesben, sowie HIV-Positive von besonderer Bedeutung ist. Am 12. September findet in Berlin eine Groß-Demonstration gegen die Vorratsdatenspeicherung statt.

„Sexualität und Gesundheit brauchen Datenschutz“, betont die Deutsche Aids-Hilfe. Doch genau dieser Datenschutz ist in Gefahr. Das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung ist seit 1. Januar 2008 in Kraft. Eine Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz (34.000 Beschwerdeführer) läuft derzeit.

‚Nach einem Gesetz, das CDU, CSU und SPD am 9. November 2007 gegen die Stimmen von FDP, Grüne und Linke beschlossen haben, ist seit 2008 nachvollziehbar, wer mit wem in den letzten sechs Monaten per Telefon, Handy oder E-Mail in Verbindung gestanden oder das Internet genutzt hat. Bei Handy-Telefonaten und SMS wird auch der jeweilige Standort des Benutzers festgehalten. Entgeltliche Anonymisierungsdienste sind verboten. … Die Aufzeichnung von Informationen über die Kommunikation, Bewegung und Mediennutzung jedes Bürgers stellt die bislang größte Gefahr für unser Recht auf ein selbstbestimmtes und privates Leben dar.‘ (AK Vorratsdatenspeicherung)

Auch Schwule und Lesben, auch Menschen mit HIV sind davon direkt betroffen.

Vorratsdatenspeicheurng - Meine Sexualität geht dich nichts an Wolfgang
Vorratsdatenspeicherung - Meine Sexualität geht dich nichts an, Wolfgang

Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung nennt Beispiele, wie auch Schwule und Lesben direkt von der Vorratsdatenspeicherung betroffen sein könnten:

Was bedeutet es wohl für einen Jugendlichen, wenn schon der erste Anruf bei einer Coming-out-Hotline dauerhaft protokolliert wird?
Kann es einem nicht bange werden, wenn der Staat die anfallenden Kommunikationsdaten laut aktuellem Gesetzesentwurf selbst zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten auswertet?
Könnte es vielleicht sein, dass Schwule in Polen lieber auf ein Chat-Profil bei einem Kontaktportal verzichten, wenn sie wissen, dass der örtliche Polizist dies im Zweifel selbst noch nach 15 Jahren über die Bestätigungs-E-Mail erfahren könnte?

Wer der Ansicht ist, eine Vorratsdatenspeicherung könne doch nichts wesentlich Gefährliches produzieren, sie zu einem kleinen Experiment eingeladen, einem Versuch namens „open trace“:

open trace ist eine Art online-  ‚Fingerabdruck-Browser‘. Die Initiatoren:

„Alle Spuren, die du im Laufe der Zeit im Internet hinterlassen, werden dir angezeigt. Und was diese Spuren über dich verraten, kannst du dir jederzeit auswerten lassen. Der digitale Fingerabdruck ist mehr, als nur ein geflügeltes Wort.“

Auf http://open-trace.de/ kann ausprobiert werden, welche Spuren das eigene Surfverhalten im Internet hinterlässt – ein lohnenswertes, sehr aufschlussreiches Experiment (das keine Installation von Programmen o.ä. erfordert), gerade wenn man etwas länger sein gewohntes Internetverhalten über open trace macht (z.B. Feeds lesen, Blaue Seiten, Facebook & co.).

Erschrocken über die Ergebnisse? Nachdenklich geworden?
Nicht umsonst betont auch die Deutscher Aids-Hilfe „‚Freiheit statt Angst‘ – Vorratsdatenspeicherung gefährdet HIV-Prävention“.

Samstag, dem 12. September 2009 wird unter dem Motto „Freiheit statt Angst – Stoppt den Überwachungswahn!“ eine Großdemonstration in Berlin stattfinden. Treffpunkt: 15.00 am Potsdamer Platz

weitere Informationen:
Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung
Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung: Überwachung und Homosexualität
Deutsche AIDS-Hilfe 02.11.2007: Geplante Vorrats-Datenspeicherung gefährdet Online-Beratung der Aidshilfen
Deutsche AIDS-Hilfe 09.10.2008: „Freiheit statt Angst“ – Vorratsdatenspeicherung gefährdet HIV-Prävention
Sachstand zur Verfassungsbeschwerde gegen die Vorratsdatenspeicherung
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positiver Protest

In zahlreichen Städten fanden am 6.11.2007 Demonstrationen gegen die geplante Vorratsdatenspeicherung statt. Auch die deutsche Aids-Hilfe hatte darauf hingewiesen, dass die geplante Vorratsdatenspeicherung die Arbeit von Aids-Hilfe gefährden kann.

Einen besondere Form des Protests wählten Demonstranten in Karlsruhe: rund 100 Bürger versammelten sich bei der Demonstration am Marktplatz – und einige der Demonstranten zeigten auf Passanten mit Schildern, auf denen „homosexuell“ oder „HIV-positiv“ stand. Mit einer Kamera-Attrappe wurden die Passanten dabei gefilmt.

Idee dabei war, auch unbeteiligten Passanten deutlich sichtbar zu machen, wie leicht die geplanten Maßnahmen auch zu Eingriffen in jedermanns Privatsphäre führen können. Andere Demonstranten trugen dazu z.B. Schilder mit Hinweisen wie „Hinz hat mit Kunz um 3:30 Uhr telefoniert.“

Über Reaktionen der Passanten auf die ‚positiv‘- oder ’schwul‘-Ansprache wurde nicht berichtet.

Zunächst mag es befremdlich erscheinen, auf Passanten mit Schildern wie „HIV-positiv“ zu zeigen. Auf den ersten Blick erinnert die Aktion vielleicht an die bestürzenden Fotos des Fotografen Oliviero Toscani, der z.B. Ärsche mit „H.I.V. positive“ stempelte.
Aber – geht es nicht genau um diese ‚Indiskretion‘? Drückt nicht genau diese Drastizität aus, was viele Menschen befürchten, wenn die Vorratsdatenspeicherung umgesetzt wird? Dass es nichts Privates mehr gibt, dass alle möglichen persönlichen Daten viele Monate gespeichert werden, womöglich verwendet für Zwecke, von denen niemand genau erfährt?
Hat diese Art der Demonstration nicht ’nur‘ bestehende Ängste treffen auf den Punkt gebracht?

Vorratsdatenspeicherung gefährdet auch Aids-Beratung

In der kommenden Woche sollen die Gesetzentwürfe zu Vorratsdatenspeicherung & Co. in Bundestag behandelt werden. Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung sowie zahlreiche potenziell betroffene Verbände (unter ihnen auch die Deutsche Aids-Hilfe DAH) riefen die Bundestagsabgeordneten dazu auf, den Gesetzentwürfen nicht zuzustimmen.

Auf einer Pressekonferenz machten die Verbände nochmals ihre Kritik deutlich – die sich neben Problemen für Journalisten (Quellenschutz) im Gesundheitsbereich z.B. auch mit Auswirkungen auf das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient oder dem faktischen Wegfall anonymer Beratungsmöglichkeiten (auch in der Aids-Beratung) befasst.

Worum geht es? „Die Vorratsdatenspeicherung ist ein Begriff aus dem deutschen Datenschutz- und Telekommunikationsrecht. Er bezeichnete ursprünglich die Speicherung von personenbezogenen Daten für eine spätere Verarbeitung, wobei der Verarbeitungszweck zum Zeitpunkt der Speicherung noch nicht klar feststeht.“ (AK Vorratsdatenspeicherung)

Dabei geht es inzwischen um weit mehr als ’nur‘ mein PC gehört mir: so würde z.B. im Aids-Bereich die gerade erst mühsam und mit viel Engagement und Kosten aufgebaute Aids-Beratung im Internet mindestens einen wesentlichen Rückschlag erfahren, wenn sie (aufgrund der Speicherung der Daten) nicht mehr anonym möglich wäre.

„Auch wenn der Inhalt der Gespräche oder der Chats geschützt bleibt, wirkt das Wissen um die Protokollierung abschreckend auf Ratsuchende – gerade dann, wenn es um sehr persönliche Themen wie Sexualität, Gesundheit oder Drogengebrauch geht“, betont die DAH in ihrer Pressemitteilung.
„Für der Aidshilfen bedeutet dies eine konkrete Gefährdung ihrer Arbeit im Online-Bereich. Die individuelle Beratung zu sensiblen Themen ist nur dann effektiv, wenn die Ratsuchenden den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Online-Beratung vertrauen und sich darauf verlassen können, dass ihre Kontakte zu den Beraterinnen und Beratern anonym bleiben. Dies ist jedoch gefährdet, wenn die Speicherung der Kommunikationsumstände Rückschlüsse auf persönliche Problemlagen der Ratsuchenden zulässt.“.

Die Kritik an den Gesetzentwürfen wird immer lauter. Selbst die Bundesjustizministerin geht inzwischen davon aus, dass letztlich nach Massenklagen das Bundesverfassungsgericht über die Vorratsdatenspeicherung entscheiden wird. In bundesweiten dezentralen Demonstrationen soll am kommenden 6. November erneut auf die Gefahren der Vorratsdatenspeicherung hingewiesen werden.
Und doch stehen die Beratungen im Bundestag unmittelbar bevor – die Abstimmung über die Gesetze wird bereits für den 9. November erwartet.

Nachtrag 5.11.: die Abstimmung im Bundestag scheint verschoben, zunächst soll eine erneute Behandlung im Rechtsausschuss erfolgen

Nachtrag 6.11.: Behandlung in zweiter und dritter Lesung im Bundestag ( = endgültige Entscheidung!) nun doch am Freitag, 9.11.

Nachtrag 9.11.: Berichte: Blog Off! von der Berliner Demonstration Demo statt Angst, simoncolumbus 10.000 demonstrieren
Der Herr Sch. vergreift sich in seinem Vergleich, netzpolitik.org fordert Schäuble, zurücktreten!

weitere Infos:
netzpolitik.org über die Anhörung im Bundestag zur Vorratsdatenspeicherung (21.9.2007)
Wortlaut der Anhörung (als pdf)
Internetseiten des AK Vorratsdatenspeicherung
netzzeitung: Ein Tag im Leben eines gläsernen Bürgers
vzbv: Vorratsdatenspeicherung ist eine Bedrohung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung
Pressemitteilung der Deutschen Aids-Hilfe

Mein PC gehört mir

Immer mehr versucht der Staat, Überwachung und Kontrolle auszudehnen. Bürgerliche Freiheitsrechte werden immer weiter zurück gedrängt.

So fordert Innenminister Schäuble, die (unangekündigte) Durchsuchung von Computern über das Internet müsse Behörden wie dem Bundeskriminalamt gestattet werden. Selbstverständlich, beruhigen andere Minister, sollten ‚höchstpersönliche Bereiche‘ geschützt bleiben, und ungläubig fragt man sie ‚wie?‘.
Da überrascht es beinahe schon nicht mehr, dass auch Handys zur akustischen Raumüberwachung umfunktioniert werden können – durch Manipulationen der Sicherheitsbehörden. Abschalten hilft dagegen wenig – nur komplett Akku raus schützt.

Insgesamt alles ein „Grundrechteabbau in wenigen Akten“ – den Blogg Off schön illustriert hat.
Aber Gegenwehr formiert sich deutlich. So hat allein die Aktion ‚Stasi2.0-T-Shirt‘ dem Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung inzwischen über 11.000 Euro an Spenden eingebracht. Spendenmittel die auch für die 5.000 Verfassungsklagen gegen die Vorratsdatenspeicherung erforderlich werden könnten.

Nebenbei – riesige Datensammlungen über uns gibt es schon längst, von der Versicherungswirtschaft bis zu Google. Und kaum jemand kontrolliert, geschweige denn beschwert sich …

Was tun?
Hoffen auf die Politik? Wohl nur wenig. Die SPD schlägt sich, wenn auch mit Winden und Wenden, auf Schäubles Seite. Sie sei ja eigentlich für Online-Durchsuchungen, nur die Bedingungen, über die müsse man noch einmal reden, so SPD-Innenexperte Wiefelspütz.

Bleibt zuletzt vielleicht noch die Hoffnung auf das Verfassungsgericht. Das Bundesverfassungsgericht sprach in seinem Urteil zu Kontostammdaten (Az. 1BvR 1550/03; 2357/04; 603/05) einen bemerkenswerten Satz, demzufolge eine Sammlung auf Vorrat von dem Grundrechteschutz unterliegenden personenbezogenen Daten mit dem Grundgesetz nicht vereinbar wäre. Und auch die EU-Generalanwältin sprach sich bereits gegen eine Vorratsdatenspeicherung aus.

Und was hilft noch?
Sich
einmischen, z.B.
‚Nerdlobbyismus‘aktiv Kontakt zu Politikern aufnehmen, ein Modell, das zu funktionieren scheint…
… oder die Überwacher überwachen –
watch the watchers
… oder am 22. September teilnehmen an der Demonstration „Freiheit statt Angst – Stoppt den Überwachungswahn“ (bei der es auch einen schwul-lesbischen Block (Blog?) geben soll

Onkel Kim

Der Wochenbeginn hat ja noch mehr zu bieten …

Viel mehr Gedanken als um Frau W. muss man sich wohl eher um Herrn S. machen.
Nein, heute nicht Herrn Zarkozy.
Heute eher ein einheimisches Gewächs.

Bisher gern mit ‚Stasi 2.0‚ verspottet, scheint hier etwas hochzukochen, das viel weiter reicht. Und, so absurd sich das anhören mag, ‚Stasi 2.0‘ erscheint mir langsam als fehl am Platz.
Nicht wegen Übertreibung, sondern wegen Verniedlichung. Die Mutationen gehen weiter.

Handy- und Internetverbot für Terror-Verdächtige, Bestrafung von Sympathisanten, Internierungslager und gezielter Todeschuss – das ist fast alles noch eine Dimension schärfer, ein noch größeres Kaliber als die bisher angedrohten Online-Durchsuchungen und co.

Wenn die Entwicklung so weiter geht, bekommen wir dann bald das Freiheits-Risiko ‚Pinochet 2.0‚? Oder gar ‚Kim Il Schäuble‚?

Wachsam wie eine Eule

Schäuble legt nach: Wenn seine hysterischen Maßnahmen so nicht gehen, dann muss dafür halt das Grundgesetz geändert oder ergänzt werden. Schließlich geht es „um ernste Sachen“.

Und – eigentlich, ja eigentlich, warum nicht auch klammheimlich? Wenn die alle nicht wollen, machen wir’s eben so. Einfach So. Nicht möglich, wir sind doch in einer Demokratie?
Aber hallo …

So überraschte erst vorgestern die Bundesregierung mit der Mitteilung, dass Online-Durchsuchungen längst gang und gäbe sind: das Bundesamt für Verfassungsschutz durchsucht schon seit Sommer 2005 munter anderer Leute Computer, und der Bundesnachrichtendienst ebenfalls. Nicht einmal die Parlamentarische Kontrollkommission war hierüber informiert.
Nur zur Erinnerung: der Bundesgerichtshof hat im vergangenen Herbst erst das Bundeskriminalamt mit einem ähnlichen Vorhaben gestoppt.

Wie hübsch, dann auch noch nebenbei zu erfahren, dass die Vorratsdaten-Speicherung, erst jüngst beschlossen, früher kommt – nämlich schon ab 1. Januar 2008.

Zwar hat Schäuble inzwischen einen winzigen Schritt rückwärts gemacht und ein Moratorium in Sachen der Online-Durchsuchungen verkündet (vorläufige Untersagung). Aber es wird dringend Zeit, dem Thema mehr und breitere Aufmerksamkeit zu geben. Schließlich steht es auch um den Datenschutz von Patienten nicht immer zum Besten.
Wie gut, dass es da die Eule gibt:

Die Initiative ‚OwlContent‘ will das Thema Datenschutz und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wieder mehr ins Bewusstsein bringen.

Die Initiatoren: „Diese Initiative verfolgt den Zweck, in sympathischem Gewand (gewissermaßen im Federkleid eines Uhus) das Thema Datenschutz unter Weblogs populärer zu machen sowie einen Überblick über Beiträge zum Thema zu ermöglichen und damit das Bewusstsein der Öffentlichkeit gegen eine drohende umfassende Durchleuchtung des Bürgers durch Staat und/oder Wirtschaft zu schärfen.“

Jede/r kann mit seinen Datenschutz-relevanten Beiträgen auch beim Weblog des Projekts teilnehmen. Auch ondamaris ist dabei – und trägt deswegen seit gestern die Eule

Also – Eule, sei wachsam!

PS
Gerade heutzutage wird der gute alte Humboldt so gerne zitiert wird, mit seiner Aussage „ohne Sicherheit ist keine Freiheit“. Und soll damit gerne zum Zeugen für Verschärfungen und Freiheitseinschränkungen gemacht werden. Dazu gibt es hier einen schönen Text, der zeigt in welchem Kontext Humboldt dies sagte (und dass er damit wohl schwerlich zum Zeugen heutiger Verschärfungen zu machen ist).

MinisterMutation

Kann bitte mal jemand den Bundes-Innenminister auf Verfassungsmäßigkeit überprüfen?

Dass Menschen, die einst -innerhalb ihres politischen Horizonts, ihres Weltbilds- vernünftige, klar denkende Politiker waren, sich zu regelungs- und verfolgungs- wütigen Staatsbürokraten verändern, sobald sie Innenminister werden, diese Mutation war ja schon des öfteren zu bestaunen. Aber dermaßen hysterisch?

Früher gab es Zeiten, da mussten selbst Grundschul- Lehrer und Bademeister sich überprüfen lassen, ob sie auf dem „Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ stehen. Gesinnungs-Schnüffelei, schimpften viele damals. Dass manche oberste Staatsbedienstete besondere Pflichten haben, mochte ja angehen, aber doch nicht Bademeister …
Und heute? Ob Herr Sch. diese Prüfung von damals heute bestehen würde?

Wichtige grundlegende Rechte unserer Gesellschaft sind ihm nicht mehr viel wert, scheint es.
Die Unversehrtheit der Wohnung – na ja, aber ein wenig wollen wir doch in Ihrem PC schnüffeln, da ist ja wohl nichts gegen zu sagen, oder? Übrigens, Ihre Verbindungsdaten speichern wir dann gleich mal monatelang auf Vorrat, haben Sie doch sicher nichts gegen? Wer nichts zu verbergen hat, warum sollte sich der über solche Maßnahmen beschweren? Ach übrigens, die Unschuldsvermutung schaffen wir auch gleich mit ab …

Was halten Sie eigentlich von der Idee des Herrn Sarkozy (früherer Amtskollege, derzeit Präsidenten- Kandidat in Frankreich), ein ‚Ministerium für Nationale Identität‘ zu gründen? Wär‘ das nicht auch was für uns, Herr Sch.

Dass einige Menschen im Land meinen, mit seinen Maßnahmen und Vorschlägen wie eben jetzt der Abschaffung oder Einschränkung der Unschulds- Vermutung 1) gefährde der Herr Innenminister (und nicht nur der…) die Grundlagen unserer Demokratie, statt sie zu beschützen, das findet er nun erstaunlich. Eine „unerträgliche Diffamierung“ sei es, wenn man seine Vorschläge als Anschläge auf die Verfassung empfinde, ein „infames Spiel“.

Na, aber was sind sie denn sonst? Die Unschulds- Vermutung abzuschaffen dürfte wohl kaum mit dem Grundgesetz vereinbar sein … und zutiefst antidemokratisch.

Oder ist das ganze gar nur Theaterdonner – soll ablenken, damit die irritierte Bevölkerung nicht weiter über die gestern beschlossene Ausweitung der Speicherung von Telefondaten nachdenkt?

1) Die Unschuldsvermutung ist Teil des Rechtsstaats- Prinzips (Art. 20 Grundgesetz) und von Artikel 6 (2) der Europäischen Menschenrechts-Konvention. Es besagt, dass ein Beschuldigter bis zum rechtskräftigen Beweis des Gegenteils als unschuldig gilt und auch so behandelt wird. Es verbietet einer Strafe gleichkommende Maßnahmen schon im Vorgriff einer Verurteilung.