Über notwendige Medikamente, Profite und Proteste

Aids-Aktivisten und Patienten protestieren vor den Büros eines Pharma-Multis. Aus Europa und den USA kennt man dieses Bild seit ACT UP.
Doch dieser Konflikt mit dem Pharma-Multi Abbott findet im thailändischen Bangkok statt. Demonstranten blockierten den dortigen Unternehmenssitz. Und das thailändische Netzwerk der Menschen mit HIV und Aids ruft zusammen mit zahlreichen weiteren Organisationen zum Boykott des Konzerns auf.

Immer wieder geraten die Patentrechte in die Kritik, da sie die Medikamenten-Versorgung der Bevölkerung in zahlreichen armen Staaten erschweren oder unmöglich machen. Dies gilt auch für Thailand.

Die thailändische Regierung hatte nach vorangehenden Ankündigungen am 29. Januar eine so genannte ‚Compulsory Licence‘ erteilt, damit eine generische Version des Abbott-Medikaments Kaletra® im Land hergestellt oder (aus Indien) importiert werden kann.

In Thailand sind ca. 500.000 der 65 Millionen Einwohner mit HIV infiziert, etwa 200.000 benötigen eine antiretrovirale Therapie. Vor Einführung generischer Medikamente kostete eine Standard-HIV-Therapie in Thailand 33.300 Baht pro Monat (924$). Nur 3.000 Menschen erhielten damals eine Therapie. Mit generischen Medikamenten konnten die Kosten drastisch reduziert werden. Entsprechend konnte die Zahl der thailändischen Positiven, die eine Kombi-Therapie erhalten, auf inzwischen 100.000 (!) gesteigert werden (20.000 davon erhalten Kaletra®). Doch weitere mindestens 100.000 Positive im Land warten darauf, wirksame und bezahlbare Aids-Medikamente erhalten zu können.

Um die Versorgung mit bezahlbaren Medikamenten zu verbessern, hatte die thailändische Regierung nun die umstrittene Lizenz erteilt.

Diese würde einen Bruch des Abbott-Patents für dieses Medikament bedeuten – andererseits lassen die Regeln des Welthandels genau diese Lizenzen zu: nach der DOHA-Erklärung von 2001 und den TRIPS-Vereinbarungen von 1994 kann ein Land diese Lizenzen vergeben, insbesondere wenn ein gesundheitlicher Notstand vorliegt. Selbst US-Regierungsvertreter gestehen deswegen ein, dass Thailands Verhalten rechtlich zulässig ist. Allerdings hätte Thailand besser vor der Lizenzerteilung mit dem Pharmakonzern verhandeln sollen, betonten sie.

Abbott hate Mitte Februar eine Reduzierung des Preises von 347$ pro Monat auf 167$ angeboten. Die Import-Version aus Indien würde ungefähr 120$ monatlich kosten. In Afrika stellt Abbott das Medikament für 500$ pro Patient und Jahr zur Verfügung, will diesen Preis jedoch nicht für Thailand bieten.

Der Lizenz-Entschluss der (erst vor einigen Monaten an die Macht geputschten) thailändischen Regierung wurde von den (in Thailand traditionell politisch starken) Militärs unterstützt. Ende letzten Jahres hatte Thailands Regierung bereits eine Compulsory Licence für Efavirenz (vermarktet als Sustiva® und Stocrin®) erteilt.

Abbott bezeichnete das Verhalten der thailändischen Regierung als reine Willkür und Preisdrückerei und reagierte deutlich: der Pharma-Multi kündigte am 14. März an, zukünftig seine neu entwickelten Medikamenten in Thailand nicht mehr auf den Markt zu bringen. Dies ist das erste Mal, dass ein Pharmakonzern Medikamente bewusst vorenthält und dies öffentlich kundtut. Nicht in Thailand auf den Markt bringen will Abbott u.a. eine neue (für Thailand nicht unwichtig: hitzestabile) Version von Kaletra® sowie ein Antibiotikum, ein Schmerzmittel sowie ein Medikament gegen Bluthochdruck.

Ein Vertreter von ‚Ärzte ohne Grenzen‘ bezeichnete das Verhalten des Multis Abbott als ‚unmoralisch‘. Die Organisation betonte, man sei frustriert über die Entwicklung.

US-Vertreter betonen inzwischen unverhohlen, Thailand drohe Investitionen von US-Unternehmen zu verlieren.

Thailand zeigt sich bisher unbeeindruckt von Abbotts Verhalten. Man werde weitere Compulsory Licences prüfen, u.a. um die Bürger des Landes auch mit bedeutenden Krebs- und Herzmedikamenten versorgen zu können, so der Gesundheitsminister des Landes.

Der Pharmakonzern Abbott erhielt unterdessen Unterstützung u.a. vom deutschen Multi Bayer. Er halte die Entwicklung für gefährlich und unterstütze Abbott vollkommen, betonte der Chef von Bayer Healthcare, Arthur Higgins.

Pharmakonzerne begründen ihre harte Haltung in Sachen Patentschutz gerne mit den hohen Forschungs- und Entwicklungskosten, die mit neuen Medikamenten verbunden sind. Kritiker betonen hingegen, die Versorgung der Bevölkerung mit Medikamenten gegen lebensbedrohende Erkrankungen (wie Aids) dürfe nicht wegen der Profite der Pharma-Multis gefährdet werden.

12 Gedanken zu „Über notwendige Medikamente, Profite und Proteste“

  1. Hi Ulli,

    der Pharmariese Abbott wird wegen des neuen Kaletra® auch von Ärzten und Politikern hierzulande angegriffen, da die Firma außer in Südafrika in keinem anderen „Dritte Welt“ – Land bisher die Zulassung für die verbesserte Formel beantragt habe, obwohl dort Patienten dieses Medikament noch dringender benötigen, weil sie nicht über geeignete Kühlmechanismen verfügen wie wir.

    Zuerst muss scheinbar der profitablere Markt in den USA und Europa abgeschöpft werden, bevor man die armen Regionen damit versorgt…daher ist meines Erachtens das Verhalten Abbotts Thailand gegenüber reine Erpressung, und zeigt einmal wieder, dass nur Gewinnmaximierung (weniger die Verantwortung) das Haputinteresse der Firma ist. Mit ihrer Preispolitik sind Abbott schon des öfteren in die Kritik geraten, und deshalb kann ich die Forderung der Gegner nur unterstützen,

    lg Kalle

  2. @ kalle:
    danke dass du darfu hinweist, dass kaletra nirgedns in der sogenannten 3. welt verfügbar ist.
    das setzt sich fort – auch norvir könnte ja längst ohne kühlschrank auskommen – im neuen kaletra uist ja auch das neue norvir drin. allein, abbott scheitn kein grosses interesse haben, das auf den markt zu bringen, vermutlich aus dem grund, dass wohl auch die wettbewerber (andere geboostete pis) profitieren würden

    lg ulli

  3. @ Ulli: das Gezeter um Kaletra ist durch Norvir mitbedingt, da dies der beste Booster ist, und bei vielen anderen PI’s eingesetzt wird. Allein als PI wird es nur noch selten eingesetzt. Selbst neue Medikamente müssen mit Norvir geboostert werden (z.B. Elvitegravir), so dass sich Abbott noch lange damit eine „goldene Nase“ verdienen kann…

    lg Kalle

  4. @ kalle:

    ja, da hst du recht, was die bedeutung von norvir angeht.
    umso schlimmer, dass abbott die neue formulierung immer noch den meisten patienten (nämlich den nicht-kaletra-kunden) vorenthält, aus vermutlich ja eher nicht-medizinischen erwägungen?
    da bleibt nur zu hoffen, dass für ritonavir bald das patent ausläuft…
    aber – dann haben die ja wohl noch ihr use-patent auf das boosten :-((
    lg ulli

  5. @ kalle:

    VIELEN dank für den hinweis.
    das ist besonders bestürzend – boehringer war bisher eher noch zugänglich bei dem thema … sehr enttäuschend, dass die jetzt auch gegen generika-versorgung für die ‚ärmeren‘ staaten vorgehen

    eine unterschriften-kampagne gegen boehringer gibt es hier

    lg ulli

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