Repressive Mottenkiste im Bundestag

Am Freitag hat der Bundestag in einer weniger als einstündigen (von Phoenix live übertragenen) Sitzung einige Anträge zur Aids-Politik beraten und beschlossen.

Neben dem Aids-Aktionsplan der Bundesregierung stand dabei auch ein Antrag zahlreicher Abgeordneter (bes. Jens Spahn/CDU) sowie der Fraktionen von CDU/CSU und SPD zur Abstimmung.

Jens Spahn (CDU) ging -geschmückt mit einem Red Ribbon- insbesondere auch auf den von ihm mit initiierten Antrag ein. Er betonte die ‚große Einigkeit bei diesem Thema – im Grundsatz zumindest‘.
Er sprach dabei munter von ‚dramatisch steigenden Infektionszahlen‘, und von ‚Risikogruppen‘ (und nicht etwa ‚Betroffenengruppen‘), als ginge von Schwulen, DrogengebraucherInnen oder Frauen per se ein Risiko aus. Zudem betonte er zum Thema der Selbstverpflichtung bei ‚Anbietern anonymer sexueller Kontakte‘, dass in Großstädten ’stark steigende Infektionszahlen‘ festzustellen seien.

Spahn betonte im Vorgriff auf vermutete Äußerungen von seiten Becks (Grüne) und Parrs (FDP), ihm ginge es nicht um die Kriminalisierung Einzelner, sondern darum die Partybetreiber zu erreichen.

Die meisten folgenden Redner der Debatte gingen mehr auf verschiedene Aspekte des Aids-Aktionsplans ein, lobten die Regierung und betonten einzelne Lücken wie das Fehlen des Themas Heroinvergabe für Schwerstabhängige (Bender/Grüne; nebenbei: eben jener Spahn ist ebenfalls einer der deutlichen Gegner auch der Heroinvergabe) oder illegalisierte MigrantInnen (Knoche/Linke).

Auffällig war quer durch die Beiträge aller Redner, dass keiner der Abgeordneten es schaffte, zwischen der Zahl der Neu-Diagnosen und der der Neu-Infektionen zu unterscheiden.

Besonders erstaunlich war der Beitrag der Abgeordneten Knoche (Die Linke. PDS). Sie (die früher immerhin einmal Gesundheitsexpertin und drogenpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag war, bevor sie als Parteilose stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken wurde) bezeugte die ‚Anerkennung‘ ihrer Fraktion für den Aids-Aktionsplan der Bundesregierung und sprach von einem ’sehr guten Bericht‘. Kurz wurde kritisch auf die patentrechtliche Situation eingegangen. Zum Spahn-Antrag: nichts.

Fast folgerichtig, dass die Fraktion ‚Die Linke‘ sich bei der Abstimmung über diesen Antrag (16/4111) der Stimme enthielt. Hat die ‚linke‘ ‚Opposition‘ hierzu keine Meinung? Oder teilt sie etwa stillschweigend gar Spahns Ansichten?

Es blieb den Abgeordneten Bender und Beck von den Grünen vorbehalten, besonders zum Spahn-Antrag auch inhaltlich kritische Anmerkungen zu machen. Frau Bender bezeichnete Spahns Vorschläge als „Griff in die Mottenkiste der Repression“. Zu einer Infektion gehörten immer mindestens zwei Beteiligte. Sie nahm sein so gern zitiertes Beispiel der Österreichischen und Schweizer Maßnahmen auseinander: die Neuinfektions-Zahlen pro Million Einwohner lägen dort mit 55 und 95 deutlich über den deutschen (32) – und daran solle man sich ein Beispiel nehmen? (Spahn reagierte darauf mit dem Hinweis, selbst die österreichische Aidshilfe betone, wie unterstützend die dortigen Maßnahmen seien. Gekontert von Bender, wie wenig erfolgreich dies bei der Senkung der Neuinfektions-Zahlen sei).

Beck betonte (unter Beifall auch von Parr/FDP), man solle das Strafrecht beiseite lassen und Prävention und den realistischen Umgang mit Gefährdungs- Situationen in den Vordergrund stellen, nicht Tabus aufbauen.

Nach Abschluss der Debatte wurde der Spahn-Antrag mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD angenommen, bei Gegenstimme der Grünen und Enthaltung der FDP und der Linken.

Dies bedeutet in der Umsetzung nun u.a., dass

  • die bisherigen Präventions- Kampagnen weiterentwickelt werden sollen, einschließlich neuer Ansätze bei Migranten (der Antrag nennt nur die männliche Form) sowie zu ‚bare backing‘

  • Private-Public-Partnerships (in dieser Reihenfolge) in der HIV-Prävention wohl ausgebaut werden, einschließlich Beteiligung der Pharmaindustrie

  • der Druck auf ‚Anbieter von Orten sexueller Begegnung‘ erhöht wird, Kondome und Gleitmittel auszulegen, sowie auf Werbung und Unterstützung für unsafen Sex ‚vollständig‘ zu verzichten (womit Anbieter von sog. Bareback- oder ‚Biohazardmen‘- Parties nun wohl auf sehr dünnem Eis stehen dürften und auch z.B. Saunen- und Darkroom-Betreiber mit neuen Problemem rechnen könnten).

Nach zwei Jahren soll dies in einem Bericht geprüft werden, ggf. sind Vorschläge für eine rechtliche Regelung (!) vorzubereiten.
Zudem soll die Bundesregierung prüfen, ob die (wie von Bender dargestellt ja so Infektionszahlen-senkenden) Erfahrungen aus Österreich und der Schweiz bei der Verschärfung des Strafrechts in Deutschland handhabbar wären zur ‚Eindämmung der kommerziellen Angebote von ungeschützem Sex‘.

Wieder ist also ein Schritt mehr zu einer repressiveren Aids-Politik in Deutschland zu konstatieren. Ein Schritt, den der Bundestag mit großer Mehrheit und kaum Widerspruch vollzog.

Nebenbei bemerkt: es fiel auf, dass sowohl der Abgeordnete Parr (FDP) als auch eben jener Spahn (CDU) sich für das Kompetenznetz und dessen Kohortenstudie stark machten. Das scheint das Kompetenznetz gute Lobbyarbeit geleistet zu haben. Auf welchen bedeutenden Projektergebnissen oder wichtigen Forschungsergebnissen des Kompetenznetz hingegen die positive Einschätzung seitens der beiden Politiker beruht, blieb ungenannt. Auch strukturelle Probleme und die Fragen rund um den Datenschutz in der Kohortenstudie blieben unberührt.

Materialien:
Links auf die Bundestagsdrucksachen gibt’s in diesem früheren Posting

12 Gedanken zu „Repressive Mottenkiste im Bundestag“

  1. Hi Ulli,

    na so was verstaubtes…*hüstel. Fast kommt es mir vor, dass dein Bericht dazu länger war, als die ganze Debatte im Bundestag. Aber solchen Themen muss man auch schnell beenden, damit man sich „wichtigeren“ Dingen widmen kann…Aber Danke für deinen Bericht, dass es in Phönix kam wusste ich garnicht. Aber wann habe ich da zuletzt hingezappt?…

    lg Kalle

  2. @ kalle:

    verstaubt – da haste recht 😉
    das thema schnell beedne? na, das ist jetzt beschlossen, mit den folgen (die sich ja erst abzeichnen werden) müssen wir noch ne weile leben…

    lg ulli

  3. Pingback: ondamaris » Blog Archiv » Über das Ausdehnen staatlicher Kontrolle

Kommentare sind geschlossen.