Rolands Washington-Tagebuch, Tag 5: Patentverhinderung – und Mexikanische Gefängnisse schützen vor Syphilis

Heute ist der letzte richtige Konferenztag. In der Industrieausstellung stehen um 17:00 Uhr schon die Kartons herum und es wirkt ungemütlich … wobei es vorher auch nicht gemütlich war.

Gerade stellt sich etwas Routine bei mir ein, man weiß wo man sitzen sollte und welche Räume wo sind, kennt nun einige Leute aus der großen weiten AIDS-Welt und hat sich an das einheimische Essen gewöhnt, da ruft einen schon der Vorabend-Check-In der KLM in die Heimat.

Ein wenig Aktivistenlärm hat es heute im Konferenzbereich auch gegeben – aber nicht viel…

Europe - hands off our medicine!
Europe - hands off our medicine!

Sie waren auch am deutschen Regierungsstand demonstrieren

Ich habe mich heute mit der Frage „Wie messe ich ob eine Maßnahme zu HIV / AIDS erfolgreich ist?“ befasst. Es gab eine Reihe von Untersuchungen, die vorgestellt wurden. Damit erhofft man sich eine genauere Steuerung der Gelder. So stellte sich in einer Untersuchung für Süd-Afrika heraus, dass zwei Schwerpunktzentren absolut überflüssig sind.

Es gab aber auch Vorträge, bei denen ich den Eindruck hatte, die Überprüfung sollte nur ein vorheriges Ergebnis bestätigen.

Die Instrumente bleiben im Allgemeinen weit hinter den Standards zurück, die ich aus anderen Kontrollbereichen kenne. Es könnte also eigentlich mit dem vorhandenen Geld mehr Positiven geholfen werden.

Global Village
das Global Village ...

… in einer unvorteilhaften Position

Am Nachmittag habe ich einen Workshop zur „Patentbekämpfung“ / Patentverhinderung besucht. Ärzte ohne Grenzen startet gerade eine Kampagne, in der die Zivilgesellschaften der einzelnen Länder versuchen sollen, ungerechtfertigte Patentanmeldungen für Medikamente zu verhindern ( Patentvrhinderung ). Hierfür wurden den Teilnehmern einige Werkzeuge präsentiert und anhand von erfolgreichen Kampagnen aus Indien und Brasilien gezeigt, dass diese Strategie wirksam sein kann.

Patentverhinderung
Patentverhinderung

Erfolge der Patentverhinderung …

Erfolge der Patentverhinderung – nur das kleine gelbe Feld sind Patente, die unverändert vergeben wurden … alles andere waren Verschlechterungen zu Lasten der Industrie

Mein exotischster Workshop war sicher „Providing HIV care in Floods, Violence and War“.

(Ich neige ja zum Schwarzsehen). Das Thema wirkt erst weit weg, wenn man aber an die Flutkatastrophen von New Orleans denkt, kann es eben auch in Industrieländern zu problematischen Situationen in der Medikamentenversorgung kommen.

Syphilis in mexikanischen Gefängnissen
Syphilis in mexikanischen Gefängnissen

Helle Balken = Gefangene; Dunkle Balken = Bevölkerung

Kurioses Forschungsergebnis der Tages: In mexikanischen Gefängnissen sind prozentual weniger (!) Männer mit Syphilis infiziert als in der Normalbevölkerung – die Jungs hatten aber bei allen anderen Kriterien einen schlechteren Gesundheitszustand.
(muchos saludos a mi profesor)

Konferenzbüros
Konferenzbüros

der kleine Freitag

Am Freitagmorgen haben wir jetzt noch unsere Abschlußbesprechung gehabt. Im Wesentlichen war die Gesamtbewertung der Konferenz positiv. Es fehlten zwar die Programmhighlights in der Konferenz, aber das Standkonzept der DAH ist gut aufgegangen und die Präsenz im Global Village war erfolgreich.

In 2 Stunden geht es los zum Flughafen.

.

In ‘Rolands Washington-Tagebuch’ sind bisher erschienen:
ondamaris 18.07.2012: XIX. International Aids Conference 2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag -5: Flug und Einreise
ondamaris 18.07.2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag -4: Einladung bei Barack Obama
ondamaris 20.07.2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag -3: Obama spricht nicht
ondamaris 21.07.2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag -2: Kriminalisierung der HIV-Infektion … und … der Präsident … rauscht vorbei
ondamaris 22.07.2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag -1: Aids 2012 – Indigenious Youth is the Present … weil sie schon angefangen haben die Welt zu verändern
ondamaris 23.07.2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag 1: Aids 2012 – Es geht los … mit Demo und Minister
ondamaris 24.07.2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag 2: Aids 2012 – Geld, Geld, Geld
ondamaris 25.07.2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag 3: Aids 2012: die grosse Demo – Bring it back, Robin Hood!
ondamaris 26.07.2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag 4: Aids 2012: Verteilungskämpfe
.

Rolands Washington-Tagebuch, Tag 4: Aids 2012: ART und andere Verteilungskämpfe

Fast verschlafen weil ich den Hotelwecker nicht gehört habe. Um 07:30 ist die Morgenkonferenz der Delegation im Hotelfoyer, auf der jeder erzählt, was er vorhat und man checkt, wer noch welche Hilfe braucht. Es gibt ja zwei „deutsche“ Stände, einer davon muß von der DAH „bespielt werden“, und heute hatten wir auch noch in der Pan European Networkingzone 2 Programme zu liefern. Nebenbei müssen alle auch immer noch versuchen, im Kongreßprogramm möglichst viel mitzubekommen und andere Termine wahrnehmen.

Pan European Networking Zone: HIV und Arbeit
Pan European Networking Zone: HIV und Arbeit

Da man auf der Konferenz nicht immer so richtig weiß wer positiv ist, habe ich mich heute in die Positivenlounge begeben. Das ist ein Bereich, in den nur Positive gehen dürfen und wer da drin ist, hat sich zumindest etwas geoutet (was ich ja auch gerade immer wieder übe).

Die Stimmung in der Lounge war dann aber anders, als ich es erwartet hatte. Man blieb etwas auf Abstand und kommunizierte eher mit Bekannten als mit Fremden – anders als im Global Village – oder man tippte lauter wichtige Dinge in sein Telefon.

Als ich dann noch bemerkte, dass einige Positive ihren Dreck einfach liegenlassen – damit der dann von den ehrenamtlichen Helfern weggeräumt wird – fühlte ich mich etwas wie in der Lufthansalounge am Frankfurter Flughafen.

Man ist irgendwie darauf bedacht, wichtig und toll zu erscheinen. Ich hätte natürlich vermutet, daß man unter Positiven sich genau anders verhält; dass man in einem geschützten Raum wie der wirklich netten, großzügigen Lounge offener und entspannter aufeinander zugeht.

Im Kongreß geht es viel um Verteilungsfragen und das durchaus mit gutem Niveau (die Ginimaße grüßen).

Die politische Stoßrichtung aller drei Veranstaltungen, in denen ich heute war, ist tendenziell gegen die Pharmafirmen und die Regierungen gerichtet. Es wird dabei fast ausschließlich aus einer Perspektive der Länder mit niedrigem oder mittlerem Einkommensniveau diskutiert. Das hat seine Berechtigung, weil es hier für die Positiven oftmals direkt ums weitere Überleben geht. Ohnehin haben dort viele Positive keinen Zugriff auf die notwendigen ART Medikamente.

Preisverfall bei ART Medikamenten nach der Erklärung von Doha
Preisverfall bei ART Medikamenten nach der Erklärung von Doha

Meistgezeigtestes Chart: Dieses Bild habe ich bisher 6 mal in verschiedenen Vorträgen gezeigt bekommen. Es illustriert den Preisverfall bei ART Medikamenten nach der Erklärung von Doha.

Ich vermisse hierzu europäische Beiträge, Meinungen und Ideen, die über eine Zustimmung zu den berechtigten Forderungen nach „Universal Access“ (jeder (!) erhält seine benötigten Medikamente) hinaus gehen. Was sind möglicherweise eigene Interessen von Positiven in Europa? Gibt es in diesem Verteilungskampf womöglich in den nächsten Jahren Konflikte, die auch uns als Europäer betreffen? Solange wir uns nicht beteiligen, werden diese Positionen (heute mehrfach) von anderen dargestellt.

What does the EU want?
What does the EU want?

So wird Europa wahrgenommen in Vorträgen zur ART Versorgung in „low and middle Income Countries“

Die Pharmaunternehmen gehen geschickt vor, um ihre Renditen mit HIV zu maximieren. Dabei werden sowohl lang- als auch kurzfristige Strategien genutzt. Eine Form ist die Patentpolitik für einzelne Produkte. Die Laufzeiten werden künstlich immer weiter verlängert. Aber auch in der Welthandelspolitik haben die Unternehmen sich gut aufgestellt. Handelsabkommen scheinen auf den ersten Blick sinnvoll für die Länder, aber sie sichern auch den Medikamentenmarkt ab.

Am Abend gab es ein gemeinsames Abendessen wo man schon mal eine Zwischenbilanz ziehen konnte. Meine ist sehr positiv.

Tag 4 - die erschöpfte DAH-Delegation
Tag 4 - die erschöpfte DAH-Delegation

Etwas erschöpfte Delegation aber noch in freudiger Erwartung auf ein Essen…welches das Restaurant überfordern wird.

.

In ‘Rolands Washington-Tagebuch’ sind bisher erschienen:
ondamaris 18.07.2012: XIX. International Aids Conference 2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag -5: Flug und Einreise
ondamaris 18.07.2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag -4: Einladung bei Barack Obama
ondamaris 20.07.2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag -3: Obama spricht nicht
ondamaris 21.07.2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag -2: Kriminalisierung der HIV-Infektion … und … der Präsident … rauscht vorbei
ondamaris 22.07.2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag -1: Aids 2012 – Indigenious Youth is the Present … weil sie schon angefangen haben die Welt zu verändern
ondamaris 23.07.2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag 1: Aids 2012 – Es geht los … mit Demo und Minister
ondamaris 24.07.2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag 2: Aids 2012 – Geld, Geld, Geld
ondamaris 25.07.2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag 3: Aids 2012: die grosse Demo – Bring it back, Robin Hood!
.

ACTA bedroht Zugang zu Medikamenten

Das sogenannte „Anti-Counterfeiting Trade Agreement“ (ACTA) ist ein weiteres Beispiel dafür, wie internationale Handelsabkommen die Gesundheitssituation in Entwicklungsländern verschlechtern. Vorgeblich zielt ACTA auf Produktpiraterie ab. Jedoch wird es den Zugang zu bezahlbaren und legal hergestellten Medikamentenkopien gefährden.

Bis Ende 2010 erhielten rund 6,6 Millionen Menschen eine lebensrettende HIV/Aids
dank der Herstellung von Generika. Dies sind qualitativ gleichwertige und vor allem wesentlich kostengünstigere Kopien von Original-Produkten. In Subsahara-Afrika werden sogar 80% des Bedarfs an HIV/Aids-Medikamenten durch indische Generika gedeckt – und dies geschieht nach internationalem Recht absolut legal.

„ACTA könnte den rechtmäßigen Handel mit Generika behindern und lebenswichtige Medikamente verteuern. Das hätte fatale Konsequenzen für Millionen von Menschen, die noch immer auf eine lebensnotwendige HIV/Aids-Therapie warten“, sagt Astrid Berner-Rodoreda, Sprecherin des Aktionsbündnis gegen Aids und HIV-Expertin bei Brot für die Welt.

Denn ACTA stattet Zollbehörden mit weitreichenden Rechten aus, die allerdings ihre Kompetenzen oftmals übersteigen können. So besteht die Gefahr, dass Medikamentenlieferungen für Entwicklungsländer fälschlicherweise aufgehalten werden, wenn sie im Verdacht stehen Marken- und sonstige Rechte zu verletzen. Lieferverzögerungen und mögliche Versorgungsengpässe hätten gerade für HIV-Patienten schwerwiegende Folgen, da sie auf die tägliche Medikamenten-Einnahme angewiesen sind.

Zusätzlich sieht ACTA unverhältnismäßig hohe Schadensersatzforderungen vor. Dies betrifft bei potentiellen Rechtsverletzungen nicht nur den Hersteller, sondern auch sogenannte Dritte, wie Zulieferer oder Händler.

All das kann abschreckend auf Generikahersteller wirken und damit die Medikamente mangels ausreichenden Wettbewerbs wieder verteuern.

„Das Menschenrecht auf Gesundheit muss geschützt werden. Auch Handelsabkommen wie ACTA dürfen wirtschaftliche Interessen nicht über Menschenleben stellen“, so Berner-Rodoreda. Das Bundesjustizministerium hat die Empfehlung zur Unterzeichnung vorerst zurückgezogen. Auch in anderen Europäischen Ländern wachsen Bedenken und Kritik an dem Abkommen. Das Aktionsbündnis gegen AIDS fordert ACTA nun komplett zu stoppen.

(Pressemitteilung Aktionsbündnis gegen Aids)

Ärzte ohne Grenzen: EU-Indien-Freihandelsabkommen gefährdet die Versorgung von Patienten mit lebensnotwendigen Medikamenten

Mehrere hundert Personen, die mit HIV/Aids leben, haben zu Beginn des EU-Indien-Gipfels in Neu-Delhi gegen Bestimmungen des geplanten Freihandelsabkommens demonstriert. Auch Mitarbeiter der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen beteiligten sich an dem Protest, um vor den ernsten Folgen des Abkommens für den Zugang zu bezahlbaren Medikamenten in ärmeren Ländern zu warnen. Der internationale Präsident von Ärzte ohne Grenzen Unni Karunakara forderte in einem offenen Brief den indischen Ministerpräsidenten Manmohan Singh auf, Vorschläge der EU nicht zu akzeptieren, die die Produktion von Nachahmermedikamenten in Indien behindern würden.
„Wir haben in unseren Projektländern zu viele Menschen gesehen, die gestorben sind, weil die benötigten Medikamente zu teuer sind“, erklärt Karunakara. „Wir dürfen nicht zulassen, dass aufgrund dieses Handelsabkommens die Apotheke der ärmeren Länder schließen muss.“

Indien produziert kostengünstige, qualitativ hochwertige generische Medikamente, auf die Regierungen, die Vereinten Nationen und Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen angewiesen sind, um Patienten in ärmeren Ländern zu behandeln. Dank des Wettbewerbs durch Generika-Hersteller in Indien ist beispielsweise binnen eines Jahrzehnts der Preis von HIV/Aids-Medikamenten um mehr als 99 Prozent zurückgegangen. Diese signifikante Preissenkung hat weltweit eine massive Ausweitung der Behandlung von HIV/Aids ermöglicht: Mehr als 80 Prozent der HIV/Aids-Medikamente, die zur Behandlung von rund 6,6 Millionen Menschen in ärmeren Ländern eingesetzt werden, stammen von indischen Produzenten. Ärzte ohne Grenzen versorgt derzeit 170.000 Menschen in 19 Ländern mit lebensrettender HIV-Therapie. Auch zur Behandlung anderer Krankheiten ist Ärzte ohne Grenzen auf indische Generika angewiesen.

Ärzte ohne Grenzen ist vor allem über Durchsetzungsmaßnahmen des geplanten Abkommens besorgt, die von der EU forciert werden. Dadurch könnten lebensrettende Medikamente schon in indischen Häfen gestoppt werden. Sogar medizinische Hilfsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen könnten Ziel von Strafverfolgung werden.

„Das geplante Freihandelsabkommen behindert den Zugang von Patienten zu lebenswichtigen Medikamenten“, sagt Philipp Frisch von der Medikamentenkampagne von Ärzte ohne Grenzen in Berlin. „Zum ersten Mal haben wir durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse die Möglichkeit, bei der Bekämpfung der schlimmsten Krankheiten das Ruder herumzureißen. Wir wissen heute, dass beispielweise eine frühzeitige Behandlung von HIV-positiven Menschen das Ansteckungsrisiko massiv senkt und wir so zahlreiche neue Krankheitsfälle verhindern könnten. Doch dazu brauchen wir vor allem bezahlbare Medikamente. Anstatt dass die Investitionen in die Bekämpfung der Krankheiten jetzt massiv ausgeweitet werden, müssen wir beobachten, dass solche Abkommen den Zugang zu Behandlung wieder erschweren.“

(Prressemitteilung Ärzte ohne Grenzen)

ACTA gefährdet die HIV/Aids-Bekämpfung in armem Regionen (akt.)

Das ACTA-Abkommen (Anti-Counterfeiting Trade Agreement) ist in verschiedenne Netz-Communities zum Gegenstand scharfer Kritik geworden. Vor allem netzpolitischen Aspekte wie Datenschutz und die Neutralität der Internet Service Provider (ISPs) und der zahlreichen (sozialen) Plattformen stand dabei im Vordergrund. Die Gegner werfen dem Abkommen und seinen politischen Befürwortern insbesondere auf der europapolitischen Ebene mangelnde Transparenz und den bewussten Ausschluss der Öffentlichkeit vor. Befürchtet wird vor allem die Schaffung von verpflichtenden nicht-staatlichen Kontrollstrukturen bei ISPs und Diensteanbietern bzw. Plattformen. Zudem wurden Abwigelungsversuche seitens der Politik und Argumente der Befürworter von den Gegner entkräftet.

Say No to ACTA on YouTube

Ein Überblick über die ACTA-Problematik lässt sich durch die zahlreichen Links in dem Blog-Artikel »Ein kleiner Einstieg in ACTA« (Netzpolitik.org) gewinnen. Doch ACTA ist längst kein netzpolitisches Problem. Nicht erst seit gestern stellen Patentrechte ein großes Hindernis in der medizinischen Versorgung von armen Weltregionen dar. Das gilt besonders für HIV/Aids-Medikamente. In den armen Weltregionen leisten Generika, die zu einem großen Teil in Indien hergestellt werden, einen enormen Beitrag in der medizinischen Versorgung von HIV-Infizierten. Hilfsorganisationen wie „Ärzte ohne Grenzen“ rufen deshalb ebenfalls zu Protest gegen das Abkommen auf, denn denn der Bezug und Einsatz von Generika wäre durch ACTA, das im Sinne des Markenschutzrechts greifen möchte, in Zeichnerländern delegitimiert. Viktor Funk schlussfolgert in Bezug auf die Generika-Problematik in seinem Artikel »„Apotheke für Arme“ in Gefahr« der Frankfurter Rundschau:

»Vermutlich fürchteten westliche Pharma-Konzerne aber, dass früher oder später auch sie ihre Forschung transparenter machen müssten.«

Nachdem Proteste in Polen die dortige Regierung zu einem überraschendem Aussetzen des Ratifizierungsverfahrens bewegt haben , sind am kommenden Samstag europaweite Proteste geplant, auch in vielen deutschen Städten. ACTA würde mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht nur einen enormen Eingriff in das Netz bedeuten: Es würde den Zugang zu teuren Medikamenten unnötigerweise privilegisieren und damit auch die weltweite Eindämmung und Bekämpfung von HIV-Infektionen erschweren oder sogar unmöglich machen. Benachteiligt wären vor allem diejenigen, für die jegliche medizinische Versorgung – auch die durch Generika – schon jetzt ein Luxus ist.

ACTA stops generics
ACTA stops generics

.

Gastbeitrag von Tobias Rademacher. Tobias bloggt unter dem Titel Mythopoeia.

Danke an Tobias für diesen Gastbeitrag!

.

Aktualisierung
10.02.2012, 15:30: Süddeutsche Zeitung  online 10.02.2012, 15:30: Handel – Internet: Deutschland stimmt ACTA-Abkommen vorerst nicht zu

10.02.2012, 17:00: In ‚The Independant‘ (10.2.2012) spricht sich auch Popstar Elton John klar gegen ACTA aus:

„I’ve battled for many years to see progress in the AIDS response. I don’t want to see those achievements thrown away. This is a critical moment. The Government must stand up for the rights of people living with HIV and the health of the world’s most vulnerable by stopping this EU attack on the vital Indian supply of essential medicines.“

„Anfangs wurden wir für verrückt erklärt“

Der Psychologe Veriano Terto Jr. der Brasilianischen Interdisziplinären Aids Assoziation ABIA aus Rio de Janeiro und Andreas Wulf, medizinischer Leiter bei der Hilfsorganisation medico international im gemeinsamen Gespräch über HIV/ Aids und Patientenbeteiligung im deutschen und brasilianischen Gesundheitssystem.

Die Aidsbewegung in Brasilien ist sehr stark. Sie gilt weltweit als Vorbild. Der Zugang zu den lebenswichtigen Medikamenten zur Behandlung von HIV/ Aids wird in Brasilien staatlich gewährleistet. Wie kommt das?

Veriano: Aktivisten der Schwulenbewegung schlossen sich früh solidarisch zusammen. Wir haben Aids von Beginn an als Krise verstanden, die soziale und politische Antworten erfordert. In den 1990er Jahren gab es in Brasilien eine neue Regierung nach Jahrzehnten der Militärdiktatur. Viele soziale Bewegungen engagierten sich für eine neue demokratische Verfassung. Die Gesundheitsbewegung trat auch für das Recht auf Gesundheit ein. Das Recht wurde anerkannt und steht jetzt als solches in der Verfassung. Andererseits ist es auch heute noch eine große Herausforderung, dieses Recht auch tatsächlich für alle umzusetzen.

Wie hat die Aidsbewegung zur Demokratisierung des Rechtes auf Gesundheit beigetragen?

Veriano: Wir klagten gegen die Regierung, damit sie den Zugang zu Medikamenten gewährleistet. Dabei verstanden wir uns nicht als hilflose Patienten, sondern als Bürger, die sich aktiv für ihr Recht einsetzen, das ja auch so in der Verfassung festgeschrieben ist. Die Gerichte erkannten unsere Bedürfnisse an. Das Verfassungsrecht steht über Regierungs- oder Konzerninteressen und gilt als universeller Maßstab für Gerechtigkeit. Daher beziehen wir uns darauf.

.]Veriano Terto Jr. (ABIA) und Andreas Wulf (medico international) 2010 [Foto: Anna Weber]Das klingt ideal. Hängt die Umsetzung von Rechten nicht auch davon ab, wie stark die Bevölkerung sie einfordert?

Andreas: Ganz klar müssen Rechte erstritten werden. Du kannst allerdings niemanden dazu zwingen. Ob jemand den Kampf für das Recht auf die eigene Gesundheit politisch aufnimmt oder sich anders mit der eigenen Krankheit auseinandersetzt ist individuell unterschiedlich. Dabei spielt die Persönlichkeit oder der Grad der Reflektion eine Rolle. Auch im Fall einer Krebserkrankung ermächtigen sich einige Menschen und treten aktiv ein für gesunde Lebensbedingungen und für die eigene Gesundung. Es ist aber genauso legitim, sich nicht permanent mit der Krankheit auseinandersetzen zu wollen. Viele verstehen eine Behandlung als Dienstleistung, ohne sich über den Krebs identifizieren zu wollen.

Veriano: Für uns ist das Teil der politischen Bewusstseinsbildung. Durch den Streit um Zugang zu Medikamenten und um eine Einbeziehung aller entsteht ein Selbstverständnis als Bürger. Dabei geht die Beteiligung am staatlichen Gesundheitswesen weiter. In Brasilien entscheiden wir über die öffentliche Geldvergabe mit und üben Einfluss auf die Bildungs-, Gesundheits- und sogar auf die Finanz- und Wirtschaftspolitik aus. Unser Druck auf die Regierung greift auch hinein in die internationale Handelspolitik.

Brasilien produziert als Vorbild für viele Länder Generikamedikamente in öffentlichen Unternehmen. Wie kam es dazu?

Veriano: Die Medikamente der zweiten Generation wurden patentiert, durch die Patente stiegen die Preise ab dem Jahr 2000 extrem an. Somit wurde der internationale Handel und Patentrechte zum Thema der Aidsbewegung. Aktuell werden also acht von achtzehn Medikamenten in öffentlicher Hand in Brasilien kostengünstig produziert. Das ist wenig, aber ein Erfolg. Für ein Schlüsselmedikament konnte eine Zwangslizenz durchgesetzt werden, die Preise sanken auf die Hälfte des Marktpreises. Jetzt arbeitet ABIA mit Partnern aus Indien, Thailand oder Südafrika zusammen, um gemeinsam gegen Patente und die Folgen in Form von tödlichen Preisen zu kämpfen. Medico international unterstützt unsere Arbeit und finanziert eine Internetplattform für die Vernetzung.

Andreas: Viele Länder nutzen die Flexibilitäten nicht, die das internationale Patentrechtsabkommen über die Rechte an geistigem Eigentum gewährt (TRIPS-Abkommen). Sie beugen sich internationalem Druck, der aus anderen Ländern kommt.

Wie vermittelt sich dieser internationale Druck?

Andreas: Über multilaterale oder bilaterale Handelsabkommen, über die diese Länder mit den USA oder der EU verhandeln, um im Gegenzug Zugang zu Märkten zu bekommen und ihre Produkte absetzen zu können. Diese Verhandlungen sind nicht transparent und für die Öffentlichkeit nicht einsehbar. Wenn etwa die EU über ein Abkommen mit Indien verhandelt streitet das Netzwerk Health Action International für mehr Transparenz. Medico international ist Mitglied in diesem Aktionsnetzwerk.

Weltweit bekommen fast 60% der HIV/ Aids-Infizierten noch immer keinen Zugang zu den überlebenswichtigen Medikamenten. Was sollte getan werden?

Veriano: Das ist einfach: Mehr Medikamente produzieren, um mehr Menschen versorgen zu können. Mehr Fabriken bauen und das Angebot von kostengünstigen Medikamenten ausweiten. Es ist wichtig, den Aufbau von lokalen und nationalen Gesundheitssystemen dadurch zu stärken.

Andreas: Der Entwicklungsminister Niebel von der FDP will deutsche Entwicklungsgelder verstärkt bilateral vergeben , das heißt in direkten Programmen mit einzelnen Ländern. Damit löst er sich aus den internationalen Vereinbarungen über den Global Fund to Fight Aids, Tuberkulose und Malaria (GFATM) und orientiert sich an vermeintlichen deutschen Interessen. Diese sind, aus Sicht der FDP, vorrangig Unternehmensinteressen. Dagegen steckt hinter dem GFATM ein gemeinsamer Abstimmungsprozesse, der gestärkt und nicht geschwächt werden muss. Niebel macht eine dramatische Rolle rückwärts, wenn wir ihn nicht aufhalten.

In Brasilien wird das Gesundheitswesen kollektiv verwaltet und nicht auf den Markt vertraut. Gibt es Streit zwischen den verschiedenen beteiligten Gruppen?

Veriano: Es gibt komplizierte, weniger komplexe und einfache Krankheiten. Natürlich gibt es Auseinandersetzungen, wie viel Ressourcen für was ausgegeben werden. Die verfassungsgemäßen Prinzipien von Universalität und Gleichheit im Zugang zu Medikamenten stehen aber über allem. Sie dürfen nicht gebrochen werden und dienen bei allen Entscheidungen als Orientierung .

Andreas: Es ist eine Frage der Prioritätensetzung, wie das Recht auf Gesundheit umgesetzt wird. Soll eine Physiotherapie bezahlt werden oder die Ausgaben für chronisch kranke Patienten, damit diese besser leben können? Wichtig ist, dass Gesundheit nicht zu einer Ware wird, die nur noch die Kranken mit ausreichend Kaufkraft bekommen. Mit Gesundheit dürfen keine Profite gemacht werden; Gesundheit ist ein öffentliches Gut, das von allen getragen wird und allen zu Gute kommen muss.

Veriano: Anfangs wurden wir für verrückt erklärt, als wir Aids und HIV den Kampf in Brasilien ansagten. Die Leute fragten, wie wir einen universellen Zugang zu Prävention und Behandlung fordern könnten, wenn es nicht einmal genug Aspirin, Antibiotika und Toilettenpapier in Brasilien gibt. Wir haben gezeigt, dass es geht. Wir wollen alles und zwar jetzt.

Wie kann man eure Erfahrungen der Aidsbewegung im Kampf um einen universellen Zugang zu Gesundheit weltweit übertragen?

Veriano: Das hängt von einer Stärkung des öffentlichen Systems und seiner Gestaltung ab. In Brasilien kommt das Gesundheitssystem durch die soziale Kontrolle der Allgemeinheit zu Gute. Gesundheitsräte und Konferenzen koordinieren auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene eine öffentliche Beteiligung und Kontrolle am Gesundheitssystem. Die Menschen, die daran teilnehmen sind Experten in eigener Sache. Sie erfahren täglich das Gesundheitssystem und kennen die Stärken und Schwächen des Systems. Sie sind Gemeindeaktivisten, vor allem aus den armen Stadtgebieten, Betroffene, wie die Aids-Aktivisten, aber auch Dienstleistende. Sie arbeiten branchenübergreifend zusammen, auch von Praxen, Klinken, Vertreter verschiedener Forschungsrichtungen, öffentliche und private Unternehmen.

Wie kann eine Bürgerbeteiligung im Gesundheitswesen funktionieren? Wie kann ich die individuelle Sorge um mich selbst mit dem Gemeinsamen verbinden?

Andreas: Gesundheit betrifft jeden und sollte nicht den Experten überlassen werden. Eine wichtige Voraussetzung für gemeinsame Partizipation ist ein funktionierender und gut ausgestatteter öffentlicher Sektor, in dem sich verschiedene Stimmen gleichberechtigt artikulieren können. Der Bedeutungsverlust des öffentlichen Sektors angesichts einer globalen Politik von Privatisierung, Kommerzialisierung und Korruption stellt sich als massives Problem dar.

Andreas, du bist ausgebildeter Arzt. Was heißt Partizipation für dich?

Andreas: Im praktischen Alltag eines Gesundheitsprofessionellen geht es mir darum, die eigene Professionalität zu entmystifizieren und das eigene Wissen zu teilen und nutzbar zu machen. Auch hier haben Menschen mit HIV und Aids wichtige Impulse gesetzt, für einen partnerschaftlichen Umgang in dem traditionell extrem hierarchischen Gesundheitsbereich.

Interview und Foto: Anna Weber

Medico International: www.medico.de, Brasilianischen Interdisziplinären Aids Assoziation ABIA: www.abiaids.org.br, Health Action International: www.haiweb.org.

.

Herzlichen Dank an Anna Weber, die dieses Interview und Foto www.ondamaris.de unentgeltlich zur Verfügung stellte!

Einigung mit Patent-Pool: Gilead authorisiert indische HIV-Generika (akt.4)

Der Pharmakonzern Gilead hat heute eine Einigung mit dem UNITAID Patentpool sowie mit indischen Generika-Herstellern erzielt. Dieser Einigung zufolge ist es indischen Generika-Herstellern gestattet, generische Versionen der HIV-Medikamente des Pharmakonzerns Gilead herzustellen und diese in einer großen Zahl sich entwickelnder Staaten zu vertreiben.

Dies meldet die Organisation ‚Coalition International Sida‘ in einer Pressemitteilung von heute. Die französischen Aidshilfe-Organisation Aides bezeichnete die Übereinkunft als „einen bedeutenden Moment im Kampf gegen Aids“.

Gilead hat sich bisher nicht inzwischen ebenfalls in einer Presseerklärung geäußert. Das Unternehmen sei das erste, das sich mit dem 2010 gegründeten Patentpool auf ein Lizenzabkommen einige. Ziel des Konzerns sei es, neue HIV-Medikamente in einer kostengünstigen Version schnellstmöglich nach Entwicklung und Zulassung in sich entwickelnden Staaten zugänglich zu machen. Lizenznehmer würden dazu umfassenden Zugang zu Gileads Herstellungs-Prozessen erhalten.

„The expanded licensing terms grant to the company’s Indian partners and the Pool future rights to elvitegravir, an investigational integrase inhibitor; cobicistat, an investigational antiretroviral boosting agent; and the „Quad,“ which combines four Gilead HIV medicines in a once-daily, single-tablet regimen.
Our goal is to ensure that as new Gilead HIV therapies are developed and approved, low-cost versions will be rapidly accessible in developing countries without delay.
Gilead’s original licensing agreements provided Indian manufacturers with non-exclusive rights to produce active pharmaceutical ingredient and finished product and sell generic versions of Gilead’s HIV medicines Viread(R) (tenofovir disoproxil fumarate, or TDF) and Truvada(R) (emtricitabine/tenofovir disoproxil fumarate) in 95 developing countries, including India.
The expanded agreements include future rights to produce and sell generic versions of three Gilead HIV therapies, if and when they are approved.

Licensees will receive a complete technology transfer of the Gilead manufacturing process to support their efforts to obtain local regulatory approvals and scale up production as soon as possible following U.S. Food and Drug Administration approval of the pipeline products covered under the agreement.

Gilead erhält Presseberichten zufolge für die Lizenzen des Patentpools bei Tenofovir 3%, bei anderen Substanzen 5% des Generikum-Preises als Lizenzgebühr. Der Preis von generischen HIV-Medikamenten beträgt oftmals nur wenige Prozente des Preises in Industriestaaten.

‚Coalition International Sida‘ fordert nun die Pharmakonzerne Merck und Johnson & Johnson auf, dem Beispiel Gileads zu folgen. Die bisherige Weigerung der beiden Unternehmen, mit dem Patentpool zusammen zu arbeiten, sie „eine wahre Schande“. Bei Gilead repräsentierten die HIV-Medikamente 80% der Einnahmen, bei Merck sowie Johnson & Johnson hingegen nur weniger als 5%.

Eine Sprecherin des Patent Pools bestätigte inzwischen, dass der Pool mit anderen Pharmakonzernen in Verhandlung stehe, darunter ViiV, BMS, Boehringer und Roche. Der Pharmakonzern Abbott ist hingegen bisher ebenso wie Merck und Johnson & Johnson  nicht in Verhandlungen mit dem Patentpool.

.

Aktualisierung
12.07.2011, 18:55
: UNAIDS begrüßt die Einigung als „Signal für eine neue Ära im Kampf gegen HIV“ und einen „Wendepunkt für die Zusammenarbeit mit dem privaten Sektor“.
UNAIDS-Direktor Michel Sidibé: „This agreement between the Medicines Patent Pool and Gilead and signals a new era in the response to HIV with private and public sectors working hand in hand for the best interests of public health.“ Er hoffe, dass weitere Pharmaunternehmen sich dem anschließen.
12.07.2011, 22:15: Die Organisation ‚Ärzte ohne Grenzen‘ kritisiert die Regelung in einer Presseerklärung. Zwar stelle die Vereinbarung eine Verbesserung dar, aber es schränke den Wettbewerb ein, indem es die Herstellung auf ein Land (Indien) begrenze. Zudem seien viele Menschen in Staaten mit mittlerem Einkommen von der Regelung ausgeschlossen.

.

weitere Informationen:
Coalition International Sida 12.07.2011: Gilead autorise le génériquage de ses medicaments VIH
Gilead 12.07.2011: Gilead Expands Access Program for Medications in Developing World
UNAIDS 12.07.2011: UNAIDS welcomes first voluntary license to the Medicines Patent Pool by a pharmaceutical company
POZ 12.07.2011: Gilead Is First Drug Company to Join Medicines Patent Pool
Doctors without Borders 12.07.2011: Gilead Licence Expands Access, But Several Countries Left Out
Ärzte ohne Grenzen 12.07.2011: Gilead-Lizenz verbessert Zugang zu Medikamenten – aber einige Länder bleiben ausgeschlossen
.

Kurz notiert … Juli 2011

26. Juli 2011: Alexander McQueen, am 11. Februar 2011 verstorbener britischer Modedesigner, hat aus seinem 16 Millionen Pfund umfassenden Nachlass 100.000 Pfund der britischen Aids-Organisation Terrence Higgins Trust vermacht.

25. Juli 2011: Dem Kondom-Hersteller Durex werden die Kondome knapp, aufgrund einer bereits seit Mai 2011 andauernden Auseinandersetzung mit einem indischen Lieferanten.

20. Juli 2011: Die europäische Arzneimittelbehörde EMA hat dem Hepatitis-C- Proteasehemmer Boceprevir (Handelsname Victrelis®) die Zulassung erteilt.

18. Juli 2011: Der Pharmakonzern Abbott kündigt an, eine Kombi-Pille aus Kaletra® und 3TC zu entwickeln.

14. Juli 2011: Die Regionen in den USA mit den höchsten HIV-Infektionsraten zählen zugleich zu den ärmsten Regionen der USA, berichten US-Medien. In den am meisten von HIV betroffenen Regionen im Süden der USA lebe einer von fünf HIV-Positiven unterhalb der Armutsgrenze.

13. Juli 2011: Zwei große Studien zur Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP) haben gezeigt, dass Tenofovir bzw. Tenofovir plus Emtricitabine das Risiko einer sexuellen HIV-Übertragung bei heterosexuellen Paaren um 62 bzw. 73% reduzieren können.

12. Juli 2011: Liza Minelli wurde zum ‚Offizier‘ der französischen Ehrenlegion ernannt, u.a. wegen ihrer Verdienste um die Aids-Bekämpfung. Die Ehrenlegion ist die höchste Auszeichnung Frankreichs.

11. Juli 2011: Australien: HIV-positiver Mann zu 3 Jahren Haft verurteilt wegen Gefährdung von 3 Frauen durch ungeschützten Sex. Keine der Frauen wurde mit HIV infiziert.

Wissenschaftler haben in Japan einen Gonorrhoe- (auch: Tripper) Stamm entdeckt, der gegen die eingesetzten Antibiotika resistent ist.

Jerry Herman, offen HIV-positiver Hollywood-Erfolgs-Komponist u.a. der Musicals „Hello Dolly“ oder „La Cage Aux Folles“ (Ein Käfig voller Narren) wurde am 10. Juli 80 Jahre alt.

08. Juli 2011: Schweiz: eine 32jährige Frau aus Ostafrika wurde wegen schwerer Körperverletzung zu einer „teilbedingten Freiheitsstrafe“ von drei Jahren verurteilt. Falls das Urteil rechtskräftig wird, droht der Frau die Abschiebung aus der Schweiz.

05. Juli 2011: Millionen HIV-Positive, die auf günstige Aids-Medikamente angewiesen sind, werden sterben, falls Indien aufgrund des Handelsabkommens mit der EU aufhören muss, generische Aids-Medikamente herzustellen. Dies betont UNAIDS-Direktor Michel Sidibé.

04. Juli 2011: Eine Gruppe von 55 US-Ärzten fordert die US-Arzneimittelbehörde FDA auf, Truvada® nicht als ‚Präventions-Pille‚ zuzulassen.

03. Juli 2011: „Will Karel De Gucht be responsible for millions deaths ?“ EU-Handelskommissar Karel de Gucht wurde am frühen Sonntag Morgen von Aktivisten von ACT UP Paris geweckt (Video), die gegen die (von de Gucht vertretene) Position der EU in Handelsabkommen protestierten. Die Haltung der EU gefährde die Versorgung von Millionen HIV-Positiven mit preiswerten Generika.

02. Juli 2011: „Die gestoppten Gelder für den Globalen Fonds schnellstens freigeben“, fordert (nicht nur) die Deutsche Aids-Hilfe von Bundesentwicklungsminister Niebel.

01. Juli 2011: Der Schmuck der am 23. März 2011 verstorbenen Filmschauspielerin Elizabeth Taylor soll im Dezember 2011 versteigert werden. Der Erlös soll der Elizabeth Taylor Aids Foundation zugute kommen.

Einige Aids-Medikamente der Klasse der NRTIs können bei HIV-Positiven zu vorzeitiger Alterung beitragen. Die durch sie verursachten Veränderungen an den Mitochondrien könnten irreversibel sein, so Wissenschaftler.

Demonstration vor UN-Gipfel zu Aids: Aktivsten fordern universellen Zugang zu Therapien

Hunderte Aids-Aktivisten aus zahlreichen Ländern der Erde demonstrierten in New York kurz vor Beginn der UN-Generalversammlung zu HIV/Aids dafür, dass alle Menschen mit HIV Zugang zu Prävention, Therapie, Versorgung und Beratung haben.

Die Demonstration wurde organisiert von Act Up-New York, Health GAP, Act Up-Philadelphia sowie Housing-Network unter Beteiligung zahlreicher weiterer US- und internationaler Organisationen.

Kritisiert wurden unter anderem Freihandels-Abkommen (FTA) und ihre negativen Folgen für die Versorgung HIV-Positiver weltweit mit günstigen generischen Aids-Medikamenten gefährden.

alle Fotos: ACT UP Paris

siehe auch
Deutsche Aids-Hilfe 09.06.2011: Demonstration in New York: „Wir können Aids beenden“
.

The Bangkok Declaration May 2011

Freihandelsabkommen gefährden zunehmend die Versorgung HIV-Positiver außerhalb reicher Industriestaaten mit bezahlbaren Aids-Medikamenten. Dabei könnten neue Medikamente und Behandlungsmethoden gegen HIV- Tuberkulose, Krebs, Hepatitis C etc. Millionen Menschenleben in den weniger wohlhabenden Staaten retten.

Vertreter von annähernd 50 Organisationen insbesondere auch von und für Menschen mit HIV trafen sich im Mai 2011 in Bangkok und verabschiedeten die ‚Bangkok Declaration, May 2011‘. Hierin wenden sie sich gegen Freihandelsabkommen, die die Versorgung mit bezahlbaren Medikamenten gefährden.

(Um Verwechslungen zu vermeiden: es gibt zwei weitere Dokumente unter dem Namen ‚Bangkok Declaration‘, die ASEAN Declaration von 1967 sowie die Bangkok Declaration on Human Rights von 1993).

Als Dokumentation: The Bangkok Declaration, May 2011:

.

The Bangkok Declaration on Free Trade Agreements and Access to medicines, May 2011

We the undersigned, declare our opposition to the increasingly rapid spread of Free Trade Agreements (FTAs) that put the profits of multinational pharmaceutical companies ahead of people’s right to health around the world. These agreements are threatening to fundamentally & permanently undermine access to affordable medicines for millions of people. New HIV, AIDS & TB medicines, Hepatitis C treatments, cancer medicines, essential medicines, life saving medicines for many chronic diseases are all under threat. Millions of people across the Global South already lack access to life saving medicines & new trade barriers will further limit their access to affordable medicines.

In 2001, World Trade Organization (WTO) members agreed to the Doha Declaration which affirmed that the Trade- Related Aspects of Intellectual Property Rights (TRIPS) Agreement “can & should be interpreted & implemented in a manner supportive of WTO member’s right to protect public health &, in particular, to promote access to medicines for all.” Yet throughout the world, on a country-by-country basis, nations are being pushed to trade away their right to do just this.
Negotiating governments are falsely promising that these agreements will not impact our health – yet we know this is NOT true. The implementation of the TRIPS Agreement is already restricting access to newer medicines in the Global South ; FTA negotiations are threatening to make an already bad situation, worse. Evidence from existing FTAs shows that they are undermining the rights of countries to implement domestic policies aimed at fulfilling the right to health. Studies show that FTAs with US resulted in 79% of 103 off-patent medicines not having any generic equivalent in Jordan & in price differences of up to 845,000% in the same therapeutic segment in Guatemala. In the European Free Trade Agreements, the United States Trans Pacific Partnership Agreement, & a wide variety of bilateral negotiations we know that intellectual property & investment chapters have been tabled that would force sweeping changes in national laws making medicines unaffordable & unavailable in the future. The ability of India & other countries with domestic manufacturing capacity to make low-cost medicines dictates who can & cannot access life-saving medicines. Restricting generic production costs lives.
We stand in opposition to any & all proposals that negatively impact access to medicines in these FTAs including :

DATA EXCLUSIVITY that prevents governments from relying on clinical trial data to register generic versions of medicines even if they are off-patent, their patents have expired or are revoked & complicates the issuance of compulsory licences.

PATENT TERM EXTENTIONS that extend patent life beyond 20 years. INCREASING PATENT SCOPE that significantly increases the number of medicines under patent by forcing governments to give 20-year monopolies on new uses & new forms of old medicines thus allowing the extension of monopolies on these medicines by a decade or more through minor changes in drug formulation or process.
PATENT LINKAGE that prevents the registration of generic versions of patented medicines and undermines the early working & research exceptions thus delaying generic entry even when a compulsory licence is issued, the patent expires or is revoked.

RESTRICTIONS ON COMPULSORY LICENCES that seek to limit the right of all countries to use compulsory licences to ensure access to medicines for all even though this right has been repeatedly affirmed by international treaties and declarations.

RESTRICTIONS ON PARALLEL IMPORTS that prevent the import of the cheapest priced patented medicines from anywhere in the world.

INVESTMENT RULES that allow foreign companies to sue governments in private international arbitration over domestic health policies like compulsory licences, health safeguards in patent laws, price reduction measures & may prevent governments from promoting local production.

BORDER MEASURES that will deny medicines to patients in other developing countries with custom officials seizing generic medicines being imported, in transit or that are being exported.

INJUNCTIONS that undermine the independence of the judiciary in developing countries to place the right to health of patients over profits of multinational companies.

OTHER IP ENFORCEMENT MEASURES that put third parties like treatment providers at risk of police actions & court cases and draws the whole manufacturing, distribution & supply chain for generic medicines into litigation. We also stand in opposition to all other bullying tactics employed by developed countries & multinational companies to pressure developing countries to adopt such harmful laws & policies including through the US Special 301 report, training of judges & government officials, continuous litigation & other forms of lobbying & pressure. We call on :

The GOVERNMENTS OF THE UNITED STATES, EUROPEAN UNION, SWITZERLAND, NORWAY, ICELAND, LIECHTENSTEIN, JAPAN, NEW ZEALAND, AUSTRALIA, & all other developed countries to immediately withdraw any and all TRIPS-plus provisions in intellectual property and investment chapters in FTA negotiations, to immediately cease all other forms of pressure & lobbying with developing & least developed countries and to scrap ACTA.

NATIONAL GOVERNMENTS IN THE GLOBAL SOUTH to band together & refuse to accept any further restrictions on production, registration, supply, import or export of generic medicines ; to launch South-South collaboration on an urgent basis to put in place a sustainable, affordable pipeline of generic medicines for future generations ; call for an immediate review of TRIPS & its impact on access to medicines in developing & least developed countries.

GOVERNMENTS IN THE GLOBAL SOUTH THAT HAVE ALREADY SIGNED FTAs which restrict access to affordable medicines, to immediately review & reverse all such provisions in their FTAs and rollback harmful laws and policies that are preventing access to affordable medicines.

ALL GOVERNMENTS to immediately end secrecy around FTA negotiations, make negotiating texts available for public scrutiny & to support through open, transparent & public consultations assessments of the impact of such negotiations on the right to health & other rights.

ALL PARLIAMENTS & CONTITUTIONAL BODIES to immediately request FTA negotiating texts ; review their impact on the right to health & access to medicines ; refuse to endorse or ratify any FTAs that have been signed with provisions that undermine their people’s right to access affordable treatment ; and review all local laws including patent and medicine regulatory laws and policies to ensure all aspects and elements of the Doha Declaration are in these laws.

UNAIDS & THE UN SYSTEM to go beyond issuing a statement & craft a proactive strategy to support the right to health in this context ; make this issue a key topic at all up-coming events & High Level meetings, ensure full representation of community representatives & health groups at these events, analyse the effects of potential trade agreements on access to medicines, share this analysis publicly & provide technical assistance to governments & civil society to ensure that FTAs do not undermine human rights. Specifically, UNAIDS must unequivocally condemn and urgently work to prevent the signing of FTAs that include any TRIPS-plus measures if they truly want to scaleup access to treatment, prevent 1 million new infections annually and if Treatment 2.0 is to actually succeed.

The GLOBAL FUND BOARD to call attention to & condemn FTA negotiations that include TRIPS-plus measures, to direct the Global Fund secretariat to assess the financial impact of potential trade agreements, share this analysis publicly, & ensure the adoption of procurement systems that make optimal use of TRIPS flexibilities including encouraging countries to use compulsory licences to ensure the GFATM does not pay excessive premiums for patented medicines.

The WORLD HEALTH ORGANIZATION to stop retreating from its policy work on intellectual property & access to medicines, to ensure that the WHO does not become a proponent of TRIPS-plus measures & to actively support & encourage countries in using their rights in TRIPS to protect health & promote access to medicines for all.

CIVIL SOCIETY GROUPS, PEOPLE LIVING WITH HIV, ALL COMMUNITIES FACING COMMUNICABLE, CHRONIC &/OR NON-COMMUNICABLE DISEASES in the North & the South to join forces to halt any & all trade agreements that restrict access to generic medicines. We stand in solidarity with all other peoples & movements whose rights to life, health, livelihood, equality, equity, food, environment, knowledge, traditional systems of life & livelihood will also be negatively impacted by these free trade agreements that threaten to widen the gap between the rich & the poor not only between countries but within countries as well.

SIGNATORIES :
Anand Chabungbam, Asian Network of People who Use Drugs (ANPUD)
Andrew Hunter, Asia Pacific Network of Sex Workers (APNSW)
Andrew Tan, myPlus (Malaysian Positive Network), Malaysia
Apiwat Kwangkaew, Thai Network of People Living with HIV/AIDS (TNP+)
Aree Kumpitak, AIDS ACCESS Foundation, Thailand
Basanta Chettri, National Association of PLHA in Nepal (NAP+N), Nepal
Chalermsak Kittitrakul , AIDS ACCESS Foundation, Thailand
Catherine Tomlinson, Treatment Action Campaign (TAC), South Africa
Chen Yun Ji, International Treatment Preparedness Coalition (ITPC) – China
Dean Lewis, Asian Network of People who Use Drugs (ANPUD)
Denovan Abdullah, Jaringan Orang Terinfeksi HIV Indonesia (JOTHI), Indonesia
Do Dang Dong, Vietnam Network of Positive People
Edward Low, Positive Malaysian Treatment Access and Advocacy Group (MTAAG+), Malaysia
Francisco Rossi, Ifarma, Colombia
Giten Khwairakpam, Coalition of Asia Pacific Regional Network on HIV/AIDS (7 sisters)
Gregory Vergus, International Treatment Preparedness Coalition (ITPC) –Russia
Habiba Akhtar, Bangladesh Network of Positive People
Henan Wajahat, Association of People Living with HIV, Pakistan
Heng Phin, Cambodian People Living with HIV/AIDS Network (CPN+)
Heru, Jaringan Orang Terinfeksi HIV Indonesia (JOTHI), Indonesia
Imran Zali, Association of People Living with HIV, Pakistan
Kajal Bhardwaj, Independent Lawyer (HIV, health and human rights), India
Kannikar Kijtiwatchakul, Health Consumers Protection Program, Thailand
Karyn Kaplan, Thai AIDS Treatment Action Group (TTAG), Thailand
K.M. Gopakumar, Third World Network
Loon Gangte, Delhi Network of Positive People (DNP+), India
Lorena Di Giano, Argentinean Network of women Living with HIV/AIDS
Lu Hong Wei, International Treatment Preparedness Coalition (ITPC) – China
Manoj Pardeshi, International Treatment Preparedness Coalition (ITPC) – India
Masayoshi Tarui, Japan AIDS & Society Association, Japan
Matthew Kavanagh, HealthGap, United States
Mony Pen, Cambodian Community of Women Living with HIV
Naresh Yadav, Uttar Pradesh Network of People Living With HIV/AIDS (UPNP+), India
Nimit Tian-Udom, AIDS ACCESS Foundation, Thailand
Noah Metheny, Thai AIDS Treatment Action Group (TTAG), Thailand
Olga Stefanyshyna, Ukrainian Network of Positive People
Omar Syarif, Jaringan Orang Terinfeksi HIV Indonesia (JOTHI), Indonesia
Pauline Londeix, Act-Up Paris
Quinto Noel, Pinoy Plus Association (PPA+), Philippines
Rose Kaberia, International Treatment Preparedness Coalition (ITPC) – Eastern Africa
Sangsiri Trimanka, AIDS ACCESS Foundation, Thailand
Sarah Zaidi, International Treatment Preparedness Coalition (ITPC) – Thailand
Shiba Phurailatpam, Asia Pacific Network of People Living with HIV/AIDS (APN+)
Surendra Shah, Navakiran Plus, Nepal
Thiha Kyaing, Myanmar Positive Group
Vince Crisostomo, Coalition of Asia Pacific Regional Network on HIV/AIDS (7 sisters)

.

(Quelle: ACT UP Paris)

Gesundheit statt Gold

Patente scheinen heute mehr dazu zu dienen, Profite zu sichern, als Patienten zu versorgen. Und doch – es gibt Alternativen zum Patent-System, zeigte das Medico- Symposium am 10. Mai 2007 in Berlin auf.

Nach Golde drängt
am Golde hängt doch alles!
Ach, wir Armen!
(Gretchen im Faust)

Das Goethe-Zitat (mit dem attac- und Weed-Vertreter Wahl sein Statement begann), könnte auch das Motto des gesamten medico-Symposiums sein – vor allem der Nachsatz „ach, wir Armen!“ dürfte manchem Vertreter von sog. ‚Entwicklungsländern‘ leicht über die Lippen kommen, wenn er an die Folgen von Patenten auf Medikamente denkt (wie der erste Teil der Veranstaltung zeigte).
Medico02Patente sind ein vergleichsweise neues Konzept, vor allem die Idee, immaterielle ‚Güter‘ zu patentieren (um sie künstlich zu verknappen). So wurde in Deutschland der Patentschutz auf Wirksubstanzen erst 1968 eingeführt.
Einst wirkten sie als Belohnung für Erfinder und Erfindungsgeist – heute, in Zeiten zunehmender Globalisierung, sind Patente längst zu einem strategischen Instrument zur Sicherung ökonomischer Interessen geworden. Sie dienen ’nicht mehr dem Nutzen der Gesellschaft, sondern dem privaten Profit Weniger‘, wie der attac-Vertreter betonte.

MdB Dr. Wolfgang Wodarg (selbst Mediziner) zeigte die Folgen eindrücklich an einem Beispiel auf. Die Rendite (Ergebnis vor Steuern) vieler Wirtschaftsbereiche bewegt sich im Bereich um 4% (Banken 4,1%, EDV 4,1%, Öl 4,72%). Die Rendite der 37 Unternehmen im VfA (dem Verband forschender Arzneimittel-Hersteller) hingegen belief sich auf 14,62%, und die der 14 größten Pharmahersteller sogar auf 15,66%! (Fortune 14/2003, Global500)
Die Pharmaindustrie, gestützt auf ihren jahrelangen Patentschutz und monopolartige Preise, erzielt übermäßige Renditen, die zudem von den Sozialversicherungen aufgebracht werden müssen, so Wodarg.

Mögen reiche Industriestaaten die hohen Medikamenten- Kosten, die hinter diesen absurden Pharma-Renditen stehen, noch aufbringen können, nicht nur für die ärmsten Staaten der Welt sind sie die reine Katastrophe. Die Folgen, die dies für die Versorgung der Bevölkerung mit Medikamenten hat, lassen sich eindrücklich an Staaten wie Thailand und Brasilien aufzeigen.

Wenn jedoch Patente zunehmend zum Werkzeug privatisierter Renditen geworden sind und einer effizienten Förderung der öffentlichen Gesundheit im Weg stehen, drängt sich umso mehr die Frage nach Alternativen auf.

Zunächst betonte Wodarg die Notwendigkeit einer parlamentarischen Kontrolle des Europäischen Patentamts (die heute nicht gegeben ist). Eine neu einzuführende Patent-Folgenabschätzung, wie sie Thailand schon erfolgreich handhabt, könnte -verbunden mit dem Recht einer etwaigen Rückholbarkeit von Patenten- Auswüchse gerade bei lebensbedrohlichen Erkrankungen vermeiden helfen.

Dennoch bleibt das -auch von Wodarg selbst benannte- grundsätzliche Problem bestehen, das in den Patenten selbst und der aus ihnen resultierenden Einschränkung der Verfügbarkeit von Medikamenten liegt. Zugespitzt: ‚Wie viele Tote nimmt man (z.B. durch verzögerte Medikamenten-Verfügbarkeit) bewusst in Kauf?‘

Die Absurdität dieser Frage macht deutlich, dass die Frage der Medikamenten-Forschung und -Entwicklung nicht länger allein den Kräften des freien Marktes überlassen werden darf. Andere Konzepte zum Umgang mit geistigem Eigentum, Alternativem zum Patent sind erforderlich.

Ein Schritt, der derzeit bereits erprobt wird, sind ‚public private partnerships‘ (PPP) und ‚product development parnerships‘ (PDP). Nicoletta Dentico berichtet von einer Partnerschaft der ‚Drugs for Neglected Diseases Initiative‘ mit einem Pharmakonzern, die kürzlich dazu führte, dass ein neues Malaria-Medikament ohne Patent verfügbar wurde
Allerdings sind solche ‚Partnerships‘ oftmals mit einem Makel konfrontiert. Eine funktionierende Partnerschaft würde zwei gleich starke und gleichberechtigte Partner voraussetzen – eine Konstellation, die mit der Pharmaindustrie wohl oftmals schwierig sein dürfte. Zudem sind die derzeit im Gesundheitsbereich aktiven PPPs (wie z.B. auch die Aids-Impfstoff-Initiative IAVI) alle mit einem weiteren Problem konfrontiert, der Abhängigkeit von wenigen Geldgebern (meist als dominantem Geldgeber sogar nur von der Bill & Melinda Gates Stiftung). PPPs können also nur ein, und ein eher mit Vorsicht zu betrachtender Schritt sein.

Eine weiter reichende, sehr spannende Idee stellte Jerome Reichman vor: Gesundheits- Forschung als öffentliches Gut. Gerade für essentielle Gesundheits- Fragen wie Aids oder Malaria könnte so eine bedarfsgerechte und an den Interessen der Patienten orientierte Gesundheits- Forschung erreicht werden. Dies würde auch eine grundlegende Neuausrichtung der Arzneimittelforschung ermöglichen, die eine echte Balance findet zwischen den Gesundheitsbedürfnissen der Menschen und den für die pharmakologische Forschung und Entwicklung eingesetzten Geldern.

Patente haben inzwischen massive negative Folgen für die öffentliche Gesundheit, die Versorgung der Weltbevölkerung mit Medikamenten. Doch es gibt Alternativen. Diese ernsthaft in Erwägung zu ziehen, in konkreten Anwendungen zu testen und zu etablieren wird eine der Herausforderungen der nächsten Zukunft sein.
Zu wünsche wäre, dass auch der G8-Gipfel in Heiligendamm dies berücksichtigt, wenn über gerade von ‚Entwicklungsländern‘ befürchtete noch strengere Patentregelungen diskutiert wird.
Denn wenn nichts unternommen wird, die Forschung nach neuen Medikamenten weiterhin einzig Pharma- und Patent- gestützt stattfindet, dann, so meint medico, „werden künftig eher Arzneimittel für Katzen entwickelt als Impfstoffe gegen HIV/Aids“.

Patienten, Patente und Profite

Am medizinischen Fortschritt der Aids-Forschung haben Positive in den Entwicklungsländern nur wenig teilhaben können. Eines der Haupt-Probleme ist der Patentschutz der Medikamente, der einen Zugang zu -bezahlbaren- Medikamenten in den nicht-Industrie-Staaten massiv erschwert, wenn nicht oft beinahe unmöglich macht. Welche Wege aus der Misere führen könnten, damit beschäftigte sich ein Symposium, das Medico am 10. Mai 2007 in Berlin veranstaltete.

Nur 28% aller HIV-Infizierten weltweit, die einer antiretroviralen Behandlung bedürfen, erhalten tatsächlich Aids-Medikamente – 72% werden obwohl erforderlich nicht behandelt. Diese erschreckend schlechte Versorgung mit Aids-Medikamenten veranschaulichte jüngst erneut ein WHO-Report.

In diesem „kalten Krieg gegen Arme“, wie die taz formulierte, stellen die -durch Patente, Monopol-Preise und fehlenden Wettbewerb verursachten – hohen Medikamenten-Kosten und deren Patentschutz eines der größten Probleme dar.

„Ohne Patente lohnt sich keine kostenaufwändige Forschung für neue Medikamente“, sagen die einen. „Mit teuren Patenten wird die Versorgung der Bevölkerung mit lebensnotwendigen Medikamenten unmöglich gemacht“, meinen die anderen.

Die einen – die Pharmaindustrie, besonders die forschenden Pharmaunternehmen, und einige ihre Interessen vertretenden Verbände, Politiker, Regierungen. Die anderen – Patientenorganisationen, Aktivisten, Regierungsvertreter der Länder, die wir oft leichtfertig ‚Entwicklungsländer‘ nennen.
Beinahe unversöhnlich scheinen beide Seiten sich oft gegenüber zu stehen, wie erst jüngst wieder im Konflikt um Aids-Medikamente in Brasilien und Thailand.

Gibt es Wege, berechtigten Interessen beider Seiten gerecht zu werden? Oder müssen zukünftig bei der Erforschung von Medikamenten gegen lebensbedrohliche Erkrankungen ganz neue Wege gegangen werden? Mit diesen und weiteren Fragen beschäftigten sich internationale Experten auf der Tagung „Patienten, Patente und Profite“.

Medico02
Um die kostspieligen Original-Präparate der Pharma- Konzerne zu vermeiden, liegt für viele Staaten die Rettung in Generika (Nachahmer-Präparaten). Da derzeit noch alle Aids-Medikamente unter Patentschutz sind, bedeutet dies in den meisten Fällen einen Bruch bestehender Patente.

Womit sich die Frage stellt, ob Staaten wie derzeit Brasilien (beim Aids-Medikament Efavirenz) Patentrechte brechen dürfen. Die klare Antwort: ja, sie dürfen, wenn auch nur unter bestimmten Umständen.
Die Regelungen der Welt-Handels-Organisation WTO legen fest, dass ein Ignorieren von Patenten im Notfall zulässig ist. Nach der DOHA-Erklärung von 2001 und den TRIPS-Vereinbarungen von 1994 kann ein Land Zwangslizenzen (compulsory licence) für Produktion oder Import generischer Versionen von Medikamenten erteilen, insbesondere wenn ein gesundheitlicher Notstand vorliegt. Sowohl im Fall von Thailand (Lopinavir) als auch Brasilien (Efavirenz) hat die WHO dies auch ausdrücklich bestätigt.
Verschiedene Zugangsweisen zur Versorgung mit lebensnotwendigen Medikamenten wurden aus Südafrika, Brasilien und Thailand berichtet:

Südafrika
Jonathan Berger (Aids Law Project der Treatment Action Campaign), der erfreulicherweise wie oft auch hier mit einem Short „HIV positive“ sprach, rief noch einmal eindrücklich in Erinnerung, dass es in Südafrika erst mit massivem Druck seitens der Zivilgesellschaft gelang, die eigene Regierung zum Handeln zu bewegen.
Erst in jüngster Zeit wird begonnen, die Versorgung der eigenen Bevölkerung mit Aids-Medikamenten zu verbessern. Dabei stehen jedoch immer wieder auch regulatorische Hemmnisse im Weg – Tenofovir z.B., in den USA bereits seit Jahren als Aids-Medikament verfügbar, wurde in Südafrika erst vor zwei Wochen zugelassen.

Brasilien
Einen anderen Weg ist seit vielen Jahren Brasilien gegangen. Das Land wird international für erfolgreiche Präventionsbemühungen wie auch hohe Behandlungs- Standards gelobt.
Eloan Pinheiro (frühere Direktorin der staatlichen Pharma-Produktion) berichtete, dass das Land eine eigene staatliche Generika-Produktion aufgebaut hat, die sich als wesentliches Werkzeuge erwies, die Monopole der Pharmakonzerne aufzubrechen. Die jährlichen Kosten für die Behandlung eines HIV-Positiven konnten von über 10.000 US-$ auf 300$ gesenkt werden. Inzwischen werden beinahe 200.000 Positive im Land antiretroviral behandelt. Erreicht hat das Land dies auch dadurch, dass mit der Möglichkeit eigener Generika-Produktion die Pharmakonzerne von massiven Preissenkungen ‚überzeugt‘ werden konnten.

Dass auch diese Politik endlich ist, zeigt die jüngste Entwicklung. Die Ausgaben, die die brasilianische Regierung für importierte Aids-Medikamente hat, steigen gravierend an, die Bereitschaft der Pharmaindustrie zu deutlichen Preis-Zugeständnissen ist nachlassend. Das Druckmittel einer eigenen Produktionsmöglichkeit begann stumpf zu werden. Am 4. Mai schließlich erteilte die brasilianische Regierung die erste ‚compulsory licence‘, die die Herstellung und den Import generischer Versionen erlaubt.

Hintergrund der brasilianischen Politik, so Pinheiro, sei die feste Überzeugung, dass eine für jeden verfügbare wirksame Aids-Therapie (möglichst unentgeltlich von der Regierung) ein unabdingbares Menschenrecht sei.
Pinheiro zog den Schluss, dass Strukturen zur Produktion eigener Medikamente in den weniger entwickelten Staaten erforderlich sind. Sie schlug vor, Pilotanlagen für alle Aids-Medikamente zu entwickeln, und dieses Knowhow dann unentgeltlich allen relevanten Staaten zur Verfügung zu stellen.

Thailand
Thailand hat seit Ende 2006 bereits drei ‚compulsory licences‘ erteilt, ist hier einen Schritt weiter als Brasilien – sah sich aber insbesondere nach dem jüngsten Schritt auch massiven Protesten und Interventionen nicht nur der betroffenen Pharmakonzerne, sondern auch der Politik (bes. US-Regierung) ausgesetzt.
Suwit Wibulpolprasert (Chefberater Gesundheits- Ökonomie im thailändischen Ministerium für öffentliche Gesundheit) berichtete, dass etwa 100.000 Thais eine first-line-Therapie erhalten. Über 10.000 Thais würden eine second-line-Therapie benötigen, jedoch nur 15% erhielten sie. Trotz massiver Ausweitung des Gesundheits-Budgets (von 278 Mio. Baht 2002 auf 3.473 Mio. Baht 2007) könne keine ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Aids-Medikamenten erreicht werden – das Haupt-Problem seien die absurd hohen Medikamenten-Kosten.
Trotz enorm langer Verhandlungen mit dem Pharma- Konzernen seien keine akzeptablen Preise angeboten worden. Aus diesem Grund sei man dazu übergegangen, ab Ende 2006 ‚compulsory licences‘ zu erteilen. Seitdem befinde man sich im offenen Konflikt mit der Pharma- Industrie.

Suwit wies nochmals darauf hin, dass es gelingen müsse, neben dem Markt ‚hohe Gewinnmarge bei niedrigem Umsatz‘ (der insbesondere für Industriestaaten tauge) auch einen Markt ’niedrige Marge bei hohem Umsatz‘ zu etablieren. Zwangslizenzen seien nicht der einzige Weg, das Problem zu lösen. Letztlich kam auch er zu dem Schluss, dass keiner der Pharmakonzerne, mit denen verhandelt wurde, an einer Lizenz-Lösung für den lokalen Markt interessiert war. Um so wichtiger sei nun insbesondere auch für sein Land internationale Unterstützung, um dem Druck von Pharmakonzernen und Politikern standhalten zu können.

Patente auf Medikamente, monopolartige Preise – dies ist nicht die einzige Möglichkeit, Substanzen zu entwickeln, und vielleicht auch nicht die beste. Darüber mehr morgen in Teil 2 des Berichts über die Konferenz „Patienten, Patente und Profite“.

Über notwendige Medikamente, Profite und Proteste

Aids-Aktivisten und Patienten protestieren vor den Büros eines Pharma-Multis. Aus Europa und den USA kennt man dieses Bild seit ACT UP.
Doch dieser Konflikt mit dem Pharma-Multi Abbott findet im thailändischen Bangkok statt. Demonstranten blockierten den dortigen Unternehmenssitz. Und das thailändische Netzwerk der Menschen mit HIV und Aids ruft zusammen mit zahlreichen weiteren Organisationen zum Boykott des Konzerns auf.

Immer wieder geraten die Patentrechte in die Kritik, da sie die Medikamenten-Versorgung der Bevölkerung in zahlreichen armen Staaten erschweren oder unmöglich machen. Dies gilt auch für Thailand.

Die thailändische Regierung hatte nach vorangehenden Ankündigungen am 29. Januar eine so genannte ‚Compulsory Licence‘ erteilt, damit eine generische Version des Abbott-Medikaments Kaletra® im Land hergestellt oder (aus Indien) importiert werden kann.

In Thailand sind ca. 500.000 der 65 Millionen Einwohner mit HIV infiziert, etwa 200.000 benötigen eine antiretrovirale Therapie. Vor Einführung generischer Medikamente kostete eine Standard-HIV-Therapie in Thailand 33.300 Baht pro Monat (924$). Nur 3.000 Menschen erhielten damals eine Therapie. Mit generischen Medikamenten konnten die Kosten drastisch reduziert werden. Entsprechend konnte die Zahl der thailändischen Positiven, die eine Kombi-Therapie erhalten, auf inzwischen 100.000 (!) gesteigert werden (20.000 davon erhalten Kaletra®). Doch weitere mindestens 100.000 Positive im Land warten darauf, wirksame und bezahlbare Aids-Medikamente erhalten zu können.

Um die Versorgung mit bezahlbaren Medikamenten zu verbessern, hatte die thailändische Regierung nun die umstrittene Lizenz erteilt.

Diese würde einen Bruch des Abbott-Patents für dieses Medikament bedeuten – andererseits lassen die Regeln des Welthandels genau diese Lizenzen zu: nach der DOHA-Erklärung von 2001 und den TRIPS-Vereinbarungen von 1994 kann ein Land diese Lizenzen vergeben, insbesondere wenn ein gesundheitlicher Notstand vorliegt. Selbst US-Regierungsvertreter gestehen deswegen ein, dass Thailands Verhalten rechtlich zulässig ist. Allerdings hätte Thailand besser vor der Lizenzerteilung mit dem Pharmakonzern verhandeln sollen, betonten sie.

Abbott hate Mitte Februar eine Reduzierung des Preises von 347$ pro Monat auf 167$ angeboten. Die Import-Version aus Indien würde ungefähr 120$ monatlich kosten. In Afrika stellt Abbott das Medikament für 500$ pro Patient und Jahr zur Verfügung, will diesen Preis jedoch nicht für Thailand bieten.

Der Lizenz-Entschluss der (erst vor einigen Monaten an die Macht geputschten) thailändischen Regierung wurde von den (in Thailand traditionell politisch starken) Militärs unterstützt. Ende letzten Jahres hatte Thailands Regierung bereits eine Compulsory Licence für Efavirenz (vermarktet als Sustiva® und Stocrin®) erteilt.

Abbott bezeichnete das Verhalten der thailändischen Regierung als reine Willkür und Preisdrückerei und reagierte deutlich: der Pharma-Multi kündigte am 14. März an, zukünftig seine neu entwickelten Medikamenten in Thailand nicht mehr auf den Markt zu bringen. Dies ist das erste Mal, dass ein Pharmakonzern Medikamente bewusst vorenthält und dies öffentlich kundtut. Nicht in Thailand auf den Markt bringen will Abbott u.a. eine neue (für Thailand nicht unwichtig: hitzestabile) Version von Kaletra® sowie ein Antibiotikum, ein Schmerzmittel sowie ein Medikament gegen Bluthochdruck.

Ein Vertreter von ‚Ärzte ohne Grenzen‘ bezeichnete das Verhalten des Multis Abbott als ‚unmoralisch‘. Die Organisation betonte, man sei frustriert über die Entwicklung.

US-Vertreter betonen inzwischen unverhohlen, Thailand drohe Investitionen von US-Unternehmen zu verlieren.

Thailand zeigt sich bisher unbeeindruckt von Abbotts Verhalten. Man werde weitere Compulsory Licences prüfen, u.a. um die Bürger des Landes auch mit bedeutenden Krebs- und Herzmedikamenten versorgen zu können, so der Gesundheitsminister des Landes.

Der Pharmakonzern Abbott erhielt unterdessen Unterstützung u.a. vom deutschen Multi Bayer. Er halte die Entwicklung für gefährlich und unterstütze Abbott vollkommen, betonte der Chef von Bayer Healthcare, Arthur Higgins.

Pharmakonzerne begründen ihre harte Haltung in Sachen Patentschutz gerne mit den hohen Forschungs- und Entwicklungskosten, die mit neuen Medikamenten verbunden sind. Kritiker betonen hingegen, die Versorgung der Bevölkerung mit Medikamenten gegen lebensbedrohende Erkrankungen (wie Aids) dürfe nicht wegen der Profite der Pharma-Multis gefährdet werden.