HIV-Neudiagnosen – niedrig auch in Zukunft?

Die Zahl der HIV-Neuinfektionen in Deutschland stagniert, HIV-Prävention ist erfolgreich. Doch – werden die Zahlen der HIV-Neudiagnosen in den kommenden Jahren so niedrig bleiben? Und wenn nicht, wäre dies ein Versagen der Prävention?

Zum Welt-Aids-Tag werden traditionell die Zahlen der HIV-Neu-Diagnosen und HIV-Neu-Infektionen präsentiert und breit diskutiert. ‚Stabilisierung der Zahl der HIV-Infektionen‚ konnte das Robert-Koch-Institut für Deutschland erfreulicherweise vor kurzem vermelden.
Und der Erfolg der HIV-Prävention in Deutschland wird gelobt. Erst jüngst zeigte sich Bundeskanzlerin Merkel auf dem Welt-Aids-Tags – Empfang 2008 der Deutschen Aids-Hilfe „stolz, … dass wir wirklich zu den vorbildlichen Ländern auf der Welt gehören“ (Rede Text, Video).

Ein Erfolg, der sich sehen lassen kann, in mehrfacher Hinsicht: im internationalen Vergleich sind die Zahlen der HIV-Infektionen in Deutschland sehr niedrig. Und aus zahlreichen Nachbarstaaten werden aktuell (bei stagnierenden Zahlen in Deutschland) deutlich steigende Zahlen an HIV-Neudiagnosen gemeldet.

Die deutsche HIV-Prävention kann also zu Recht ein wenig stolz sein auf errungenen Erfolge.
Über diese Erfolge und die Freude darüber sollte jedoch nicht vergessen werden, dass vermutlich in den kommenden Jahren mit steigenden Zahlen bei den HIV-Neudiagnosen zu rechnen sein dürfte.

Steigende Zahlen? Ja – und aus einfachem Grund. Und steigende Zahlen vor allem in der Gruppe der so genannten MSM (Männer die Sex mit Männern haben).

Gerade in den Gruppen schwuler Männer nimmt die Bereitschaft derzeit deutlich zu, einen HIV-Test zu machen. Und nicht nur das, mit gezielten HIV-Test-Kampagnen wenden sich in zahlreichen Städten Deutschlands Aids-Hilfen, aber auch Schwulengruppen sowie Lesben- und Schwulenzentren gezielt an die Gruppe schwuler Männer. Die Bereitschaft zum HIV-Test wird dadurch weiter erhöht, und der Zugang zum Test durch koordinierten Beratungs- und Test-Angebote weiter erleichtert. Eine für Herbst 2009 geplante bundesweite HIV-Test-Kampagne im Rahmen der Kampagne ‚ich weiss, was ich tu‘ wird die Zahl der HIV-Tests noch weiter erhöhen.

So banal es klingen mag – wo viel getestet wird, werden auch mehr (bisher unbekannte) HIV-Infektionen festgestellt. Je mehr Menschen, und gerade: je mehr Menschen aus den in besonderem Umfang von HIV betroffenen Gruppen einen HIV-Test machen, desto höher wird zukünftig die Zahl der HIV-Neudiagnosen ausfallen.

Also – seien wir heute schon ehrlich: die erfreuliche Entwicklung, dass die Zahl der HIV-Neudiagnosen sich 2008 stabilisiert hat, wird sich so in den kommenden Jahren, besonders schon 2009 vermutlich nicht aufrecht erhalten lassen. Die Zahl der HIV-Neudiagnosen dürfte 2009 und 2010 steigen.

Warum ich diese banale Erkenntnis so betone?
Weil Medien, aber auch Politiker und mancher Aktivisten gerne dazu tendieren, jeglichen Anstieg der HIV-Zahlen voreilig als Versagen der Prävention zu brandmarken, ihn für andere Zwecke instrumentalisieren. HIV und Aids werden gern als Mittel benutzt, um andere Zwecke zu erreichen – gerade ein eventuell deutlicher Anstieg der HIV-Neudiagnosen bei schwulen Männern könnte da leicht so manchen Politiker oder Kirchen-Funktionäre, fundamentalistischen Eiferer oder auch nur nachlässigen Redakteur zu voreiligen, verkehrten, im schlimmeren Fall gefährlichen Schlüssen verleiten.

Sollten die Zahlen der HIV-Neudiagnosen 2009 durch vermehrte Tests steigen – so wäre dies aber ganz im Gegenteil letztlich ein Erfolg der Prävention!
Ein Erfolg für diejenigen HIV-positiven Menschen, denen nun eine adäquate Behandlung und Therapie ihrer Infektion rechtzeitig zur Verfügung steht. Ein Erfolg erst recht für diejenigen Menschen, bei denen ansonsten womöglich erst sehr spät im Infektionsverlauf HIV diagnostiziert worden wäre, zu einem Zeitpunkt, an dem ihre Gesundheit schon unnötig stark geschädigt wäre, sie womöglich bereits schwer erkranken (late diagnosis). Und letztlich wäre es auch ein Hinweis auf einen Erfolg der Test-Kampagnen, der HIV-Prävention.

Also: gerade wenn wir uns über die stagnierenden Zahlen der HIV-Infektionen 2008 freuen, gerade wenn wir Erfolge der HIV-Prävention in Deutschland berechtigt feiern – seien wir ehrlich, sagen wir auch: ja, in den kommenden Jahren könnten die Zahlen der gemessenen HIV-Neudiagnosen möglicherweise steigen.

11 Gedanken zu „HIV-Neudiagnosen – niedrig auch in Zukunft?“

  1. Hi Uli,

    dass durch mehr Testungen verstärkt Infektionen entdeckt und damit die Zahlen steigen, hat auch „unsere“ Ulla bemerkt. Dennoch unterscheidet sie bereits zwischen dem Anstieg der Zahlen durch HIV- Antikörpertests und dem Risikoverhalten mancher Schwulengruppen ( siehe Artikel)…Oder habe ich sie missverstanden?

  2. vielleicht kommt dann auch die eine erkenntnis zur anderen. diese gruppen-theorie geht mir aber auch ziemlich auf den docht. allerdings hat niemand vernehmbar protestiert, als in den medien diese legende geboren wurde. und leider stochern auch die ärzte im nebel. haben aber immer einen kommentar dazu. 😉

  3. @ ondamaris (admin):

    Oh sorry, ich bezog mich auf das von Kalle zitierte Statement der Frau Bundesgesundheitsministerin.

  4. @ kalle:
    das was ullallallallala in sachen syphilis sagt, ist erstklassiges rki-denke
    und was sie in sachen bedenkliches risikoverhalten sagt – keine ahnung, wo sie das her hat. vor allem, woher sie die wertung bedenklich berechtigt

    @ carsten:
    (wenn ich dich richtig verstehe in sachen gruppen-theorie): aus genau dem grudn hab ich shcon mal ‚gruppen schwuler männer‘ geschrieben – weil ich denke, es gibt nicht DAS verhgalten schwuler männer, sondern eine vielzahl unterschiedlicher verhaltensweise, die manchmal vielleicht für eine bestimmte gruppe recht typisch sind, andererseits manche männer manches mal das eine, andererseits ein anderes verhaltensmuster haben. solcherlei differenzierung entspricht leider nicht dem (nicht nur bei politkern häufigen) vereinfachungs-bedürfnis

  5. @ TheGayDissenter:
    nein, mit gruppen wollte ich darauf hinweise, dass nicht alle männerliebenden (oder -fxxxx) männer sich gleich verhalten. das es verschiedene arten des verhaltens gibt – von jungen disco-hopsern über bären bis sexpartybesucher, ledermäuschen, parkbesucher, saunagänger, hetero-gelegenheits-männner-sex-liebender oder monogam-homo-pärchen. und dass es mir recht unsinnig scheint, alle gruppen immer über einen (zb präventions-)kamm zu scheren, dass diffenrenzierung wo möglich sinnvoll sien könnte

  6. @ GayDissenter: ich denke, das es zwar verschiedene Gruppierungen gibt, doch Ullallallallala diese Unterscheidung garnicht interessiert. Ihre Einteilung ist höchstwahrscheinlich viel einfacher, nämlich in jene, die ein Risiko eingehen, und solche, die sich schützen (ungeachtet der Art wie dies geschieht).

    @ Uli: ihre „Warnung“ ging auch in die Nachrichten ein, und das war nicht die berühmte Zeitung mit den vier Buchstaben.

  7. frau schmidt sprach von „gruppen schwuler männer“. das halte ich für falsch. letztlich trifft jeder eine entscheidung für sich und den/die partner. ob daraus dann gleich gruppen konstruiert werden können, finde ich fragwürdig. und letztlich: kein risiko eingehen, heißt auf sex zu verzichten. sex zu haben und das risiko auf die eine oder andere weise zu minimieren, heißt ein risiko einzugehen. so gering es auch sein mag.

  8. @ kalle, carsten:

    Deshalb interssesiert mich ja, wie Frau Ministerin Gruppen zu bilden gedenkt (und mir ist natürlich klar, dass hier niemand ihren Kopf, bzw den ihrer Schreiberlinge gucken kann).

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