Muss ein Arzt einen HIV-Positiven behandeln – oder nicht? Gibt es eine Behandlungs-Pflicht, und wenn ja unter welchen Umständen? Und wie verhalte ich mich, wenn ich Schwierigkeiten bekomme? Ein Interview mit Silke Eggers, Referentin für Soziale Sicherung und Pflege der Deutschen Aids-Hilfe.
Silke, es gab in der Vergangenheit immer wieder die Situation, dass HIV-Positive klagten ihnen würde die Behandlung verweigert. Erst jüngst kündigte eine Klinik an eine Operation wegen HIV nicht durchführen zu können, und ein Zahnarzt in Essen verweigerte einem HIV-Positiven die Behandlung.
Da stellt sich zunächst die Frage: muss ein Arzt mich als HIV-positive Frau, als HIV-positiver Mann behandeln?
Silke Eggers: Ärzte und Zahnärzte sind in der Ausübung ihres Berufes frei. Sie können also auch eine Behandlung ablehnen. Dem Recht des Patienten auf freie Arzt/Zahnarztwahl steht somit das Recht der Ärzte auf freie Patientenwahl gegenüber. Diese Freiheit darf aber keinesfalls dazu führen, dass der Patient ohne eine dringend notwendige medizinische Versorgung bleibt.
Gilt das für gesetzlich und für privat Versicherte gleichermaßen?
Silke Eggers: Nein, hier ist weiterhin zwischen Kassenärzten und privat abrechnenden Ärzten zu unterscheiden.
Und wie sieht es bei Kassenärzten (also bei der Behandlung von gesetzlich Krankenversichterten) aus?
Silke Eggers: Bei Kassenärzten gilt: grundsätzlich haben beide Parteien gewisse Rechte: Patientinnen und Patienten haben das Recht, die Ärztin oder den Arzt frei zu wählen oder zu wechseln. Andererseits sind – von Notfällen oder besonderen rechtlichen Verpflichtungen abgesehen – auch Ärztinnen und Ärzte frei, eine Behandlung abzulehnen. Geregelt ist das in § 7 Abs. 2 (Muster-)Berufsordnung.Dort heißt es
§ 7 Behandlungsgrundsätze und Verhaltensregeln
(1) Jede medizinische Behandlung hat unter Wahrung der Menschenwürde und unter Achtung der Persönlichkeit, des Willens und der Rechte der Patientinnen und Patienten, insbesondere des Selbstbestimmungsrechts, zu erfolgen.
(2) Ärztinnen und Ärzte achten das Recht ihrer Patientinnen und Patienten, die Ärztin oder den Arzt frei zu wählen oder zu wechseln. Andererseits sind – von Notfällen oder besonderen rechtlichen Verpflichtungen abgesehen – auch Ärztinnen und Ärzte frei, eine Behandlung abzulehnen. Den begründeten Wunsch der Patientin oder des Patienten, eine weitere Ärztin oder einen weiteren Arzt zuzuziehen oder einer anderen Ärztin oder einem anderen Arzt überwiesen zu werden, soll die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt in der Regel nicht ablehnen.
Das klingt jetzt so, als dürfe sich jeder Arzt -außer in Notfällen- aussuchen, wen er behandelt?
Silke Eggers: Nicht ganz! Über die Regelungen der Berufsordnung hinaus gibt es auch noch einen Bundesmantelvertrag der Ärzte. Und der besagt ganz klar: der Vertragsarzt darf die Behandlung eines Versicherten nur in begründeten Fällen ablehnen (§ 13 Abs. 7 BMV-Ä):
„Der Vertragsarzt ist berechtigt, die Behandlung eines Versicherten, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, abzulehnen, wenn dieser nicht vor der Behandlung sowohl die Elektronische Gesundheitskarte vorlegt als auch in den in § 28 Absatz 4 SGB V i.V.m. § 18 Absatz 1 bestimmten Fällen eine Zuzahlung von 10,00 € leistet. Dies gilt nicht bei akuter Behandlungsbedürftigkeit sowie für die nicht persönliche Inanspruchnahme des Vertragsarztes durch den Versicherten.
Der Vertragsarzt darf die Behandlung eines Versicherten im Übrigen nur in begründeten Fällen ablehnen. Er ist berechtigt, die Krankenkasse unter Mitteilung der Gründe zu informieren.“
„Nur in begründeten Fällen ablehnen“ – was heißt das in der Praxis? was sind „begründete Fälle?
Silke Eggers: Nun, Gründe für die Ablehnung der Behandlung können zum Beispiel sein:
• Fehlendes Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Arzt,
• nicht Befolgung ärztlicher Anordnungen während der Behandlung,
• Überlastung der Praxis,
• Störung des Behandlungsablaufes durch den Patienten,
• Verlangen von unwirtschaftlichen Behandlungsmaßnahmen,
• Behandlung außerhalb des Fachgebietes.
Eine letzte Frage: wenn ein HIV-Positiver nun meint, eine Behandlung bei ihm oder ihr sei unberechtigt abgelehnt worden, wie soll sie / er sich verhalten? An wen kann man sich in solchen Fällen wenden?
Silke Eggers: Für Fälle der Ablehnung einer Behandlung ohne hinreichenden Grund sind die Kassenärztlichen Vereinigungen, bei Zahnärzt(inn)en die Kassenzahnärztliche Vereinigungen zuständig. Eine Liste mit den zuständigen Adressen findet man unter:
http://www.kbv.de/wir_ueber_uns/4130.html bzw.
http://www.kzbv.de/m520.htm
Eine Beschwerde muss immer schriftlich eingereicht werden.
Die Kassenärztliche Vereinigung leitet die Beschwerde dann an den betroffenen Arzt weiter und gibt diesem Gelegenheit zu einer eigenen Stellungnahme. Anhand beider Dokumente wird dann über das weitere Vorgehen (z.B. Einleitung eines Disziplinarverfahrens bei nachgewiesener Verletzung vertragsärztlicher Pflichten) entscheidet. Über das Ergebnis der Entscheidung werden man dann informiert.
Beim Verdacht das ein Behandlungsfehler oder eine Verletzung der ärztlichen Berufspflichten (dazu zählt auch die Schweigepflicht) vorliegt, ist der Ansprechpartner für eine schriftliche Beschwerde die jeweils zuständige Ärztekammer. Die entsprechenden Adressen finden sich unter:
http://www.tk-online.de/tk/beratungsangebote/behandlungsfehler/beschwerdestellen-der-aerztekammern/40394
oder http://www.bzaek.de/
Im übrigen gilt sowohl für die Kassenärztliche Vereinigung als auch für die Ärztekammer, dass eine Beschwerde im Falle der Unzuständigkeit an die jeweils andere Körperschaft weitergeleitet wird.
Vielen Dank für das Gespräch und die Informationen, Silke!