Als HIV-Positiver läuft man auch im Jahr 30 von Aids immer noch Gefahr, den bizarrsten Situationen, den unterschiedlichsten Formen von Stigmatisierung und Diskriminierung ausgesetzt zu sein.
Zahnärzte verweigern die Behandlung, Kliniken drohen Behandlungsverweigerungen an, oder Personal erweist sich als unvorbereitet und ungeeignet, mit der Situation adäquat umzugehen.
Ein beispielhafter Bericht eines Patienten, so erlebt im Januar 2011 (Patient und Ort der Behandlung sind ondamaris bekannt):
Umgang mit HIV an einer deutschen Uniklinik im Jahr 2011
Seit Jahren bin ich nun positiv, seit Jahren nehme ich meine Medikamente und seit Jahren bin ich zum Glück unter der Nachweisgrenze. Das schützt mich natürlich nicht vor anderen, sagen wir mal, altersbedingten Erkrankungen. So kam es, dass ich mich im Januar einer stationären Hämorrhoidenoperation unterziehen musste (Klammermethode nach Longo) und wenn man schon dabei ist, davor noch eine Darmspiegelung erfolgen sollte. Alles war mit dem netten Doktor O., der den Eingriff auch ausführen sollte, besprochen und meine HIV Infektion war auch aktenkundig.
An einem Montag wurde ich aufgenommen und in einem Zweibettzimmer untergebracht.
Das WC musste man sich mit dem Nachbarzimmer teilen (also für 4 Personen gedacht).
Dann interviewten mich nacheinander die Stationsärztin, die Narkoseärztin und noch eine Medizinstudentin. Allen buchstabierte ich meine Dauermedikation: „Pre was? Prezista mit `Z´ und Isentress mit doppel `S´, nicht mit `D´, mit `T´… I s e n t r e s s !“
Ok, kein Drama, es ist eh nur ein kleiner Eingriff. Auf dem OP Plan war ich für Dienstag 9:00 eingeplant und meine OP Vorbereitungen beschäftigten mich noch bis zum Abend.
Ich will mich gar nicht darüber beschweren, dass es in Zeiten künstlicher Aromen ein Unding ist, dass die 3 Liter Abführlösung nach einer ausgewürgten Salzlauge schmecken muss.
Das war unnötig aber auch kein Drama.
Auch will ich mich gar nicht darüber aufregen, dass die vorgesehene Dormicum vor der OP vergessen wurde. Es war ja schon kurz vor 9:00 und ich wurde in den OP gefahren.
Ein bisschen nervös wurde ich ja dann doch noch: „War es die richtige Entscheidung? Hoffentlich machen die keinen Fehler und hoffentlich gibt es mit mir keine Komplikationen.
Schon komisch sooo eingeschläfert zu werden; hoffentlich werde ich auch wieder wach…
Na und hoffentlich gibt es hier keine multiresistenten Keime von denen man ja so viel hört. Wäre ja schon doof wegen so einer kleinen Geschichte sich noch was anderes, Unnötiges einzufangen. Man schleppt ja schon genug mit sich rum“ (die Gedanken die man sich eben so macht, bevor man sein Leben in die Hände wildfremder Menschen legt !).
So, gleich wird der Zugang gelegt. Eine Dame, die wohl für Instrumente und Reinigung zuständig ist, schaut noch in meine Patientenakte und dann ertönt aus ihr :
„Das geht so aber nicht! Der Patient muss nochmal zurück auf die Station. Er ist ja positiv !
Ich kann doch nicht den OP zwischendurch grundreinigen. Er muss als Letzter dran! “
„Ähhm … aber das war doch allgemein bekannt ! seit Wochen ! und den 3 Ärzten gestern hab ich es doch auch noch gesagt und sie hatten den OP Plan vor der Nase ! Das ist jetzt nicht Ihr Ernst ! Und ich bin unter der Nachweisgrenze“ (vielleicht hilft das ja, denk ich mir).
Sie guckt genervt „Das hat die Sekretärin bei der Aufnahme wohl vergessen, da können wir nichts für, aber die Regeln sind so, sie kommen als Letzter dran !“ und dreht sich um und will auch gar nicht weiter mit mir sprechen und schon werde ich rausgeschoben mit einem „Ähhm“ auf den Lippen. Sagte sie ich sei das Letzte ?? Nein irgendwas anderes, aber ich komme mir gerade so vor. Ich bin platt, sprachlos, fassungslos !
Kein „Tut mir leid, es verschiebt sich noch etwas. Keine Sorge wir regeln das gleich, Alles wird gut“ . Nein, natürlich nicht! Die Alte war genervt dass sie wegen mir fast noch mal den ganzen OP hätte putzen müssen !
Ich bin zurück auf dem Zimmer. Was war das? Ein Film? Bin ich noch unter Narkose oder bin ich zu empfindlich? Ich steh auf und geh ins Stationszimmer und frage was das sollte.
Es hätten mich 3 Ärzte gestern besucht und alle wussten doch bescheid. “ Wie kann sowas denn passieren?? Ist ihnen denn klar dass es für den Patienten nicht gerade der richtige Zeitpunkt ist für solche Diskussionen? (Ich werde lauter) So mal eben kurz vor der OP?? “
“ Da können wir doch nichts dazu“ schallt es unisono von allen Seiten, „wir sind doch nur das Pflegepersonal. Die Regeln sind aber so. Sie sind in 2 Stunden dran“.
Überleg, überleg…. macht es noch Sinn sich hier operieren zu lassen ? Habe ich das nötige Vertrauen in den Laden? In das Personal? Der Doktor O. war ja ganz nett gewesen, aber der war nicht im OP. Was machen die mit mir hier wenn ich in Narkose bin? Ich bin denen völlig ausgeliefert. Und übrigens…..Was heisst „Dann muss ich den OP noch mal reinigen“ ???
Wird er denn nicht nach jedem Patienten so gereinigt dass keine Gefahr für den Nächsten besteht? Was ist wenn einer positiv ist, ohne es zu wissen. Wie machen die das?
Oder wenn jemand vor mir Hepatitis C hat und es ist nicht bekannt. Es wurde hier ja kein Blut vorher abgenommen. Wie machen die das mit Notfällen? Komm ich jetzt als Letzter in eine Dreckskammer voller blutiger Binden und Keime? Bin ich am Ende gefährdet ???
Und überhaupt dieser Ton mit dem ich hier abgefertigt werde! Ich muss meinen Hausarzt auf Handy erreichen! Es ist nur die Sprechstundenhilfe da, den ich aber schon lange kenne.
Ich erzähl ihm was hier passiert und frage mich gleichzeitig „Übertreibe ich jetzt das Ganze? Bin ich jetzt nur zu sensibel? Hält er mich am Ende für bescheuert?
Kurzum, er findet die richtigen Worte:“Das tut mir echt leid für dich. Das ist eine Schweinerei!
Das war früher bei Zahnärzten auch so. Wir kriegen heute noch solche Geschichten zu hören. Beruhige dich, alles wird gut…..“
Ok… jemand hat verstanden worum es geht. Ich bin also nicht völlig bescheuert! Es ist kein Film, es ist real. Das Thema HIV ist halt nicht glasklar geregelt. Jetzt bin ich nun mal in so eine Situation gekommen. Ich fange plötzlich an zu heulen; das passiert mir sonst nie.
Ich glaube das nennt man einen Anfall. Oder Weltschmerz? Egal.
Ich mache jetzt die OP und gut ist… Leckt mich doch alle am Arsch!
Die Narkoseärztin rammt mir das Zeug rein und ich bin weg. Kein Wort wurde gesprochen als ich rein kam. Es hat mich auch echt keiner angeschaut! Kein Wort, kein Blick, Nichts .
Ich wache auf und gehe direkt pinkeln. Die Kompressen am Hintern sind voller Blut. Ich denke das ist normal. Ich lasse mir Kompressen geben. Keiner sagt was ich mit der Wunde machen soll. Ich werfe die alte Kompresse ins Klo und lege mir eine neue Kompresse ein.
Ich hab seit 26 Std. nichts gegessen. Ich bekomme was. Am nächsten Tag gehe ich auf Toilette und alles ist soweit ok. Der Stationsarzt schaut sich die Wunde an: „alles normal“.
Später fällt mir ein dass ich seit 2 Tagen nicht geduscht habe und dass es in den Zimmern ja keine Duschen gibt. Wahrscheinlich sind sie auf der anderen Flurseite für die gesamte Station. Da ich noch kein Handtuch bekommen habe, gehe ins Stationszimmer und treffe 5 Krankenschwestern an. Der Stationsarzt sitzt am Computer.
„Ich würde gerne duschen.“ ————— Schweigen —————————
5 Krankenschwestern schauen mich grossen Augen an und schweigen (das ist kein Witz!)
Eine der Schwestern bricht das Schweigen und sagt: „Das geht jetzt bei uns nicht.“ (???) Ähhmm ——– Ok ———- nochmal auf RESET :
„Ich würde gerne duschen.“ Sie: “ Ja das geht bei uns nicht. Wir können nicht jedes Mal wenn sie dann duschen das Bad neu desinfizieren!“
Wie jetzt ?? ——– Es dämmert mir so langsam ——- Der Film geht also noch weiter!
Ach wenn das ein Film ist kann ich ja mal eine neue Rolle spielen:
“ W O L L E N S I E M I C H H I E R A L L E V E R A RS C H EN ???“ (brüll, brüll) Ich benutze seit 2 Tagen die Gemeinschaftstoilette für 4 Patienten und muss da die blutigen Kompressen austauschen und jetzt wollen sie mir erzählen sie müssten die Dusche nach mir desinfizieren ?? Da stimmt ja wohl was nicht !“
Die Schwester darauf: “ Ja, das mit der Toilette hätte so auch nicht sein dürfen ! “
„Na daran hätten sie ja mal früher denken sollen. Es war bekannt dass ich komme und das ich Positiv bin. Was soll dass alles ?? (brüll, brüll) “
Der Stationsarzt schaut kurz auf. „Was ist los ?“ ——- „Ich würde gerne duschen.“
“ Selbstverständlich können sie duschen“.
Ich dreh mich auf der Stelle um, hole meine Duschsachen, klau mir ein Handtuch aus dem Wagen, will auch niemanden mehr fragen wo die Dusche überhaupt ist und finde ihn……. „Dieser Raum wird gerade renoviert “ Aha! Die Tür ist aber aufgeschlossen und ich gehe einfach rein. Der Raum ist zwar völlig verdreckt aber die Dusche funktioniert. Scheiss drauf! Vielleicht gibt es noch eine andere Dusche, aber hier bin ich wohl alleine und bekomme auch keinen Stress mit den bescheuerten Schwestern! Wahrscheinlich hol ich mir bei dem ganzen Dreck hier noch schön die Keime in die Wunde ————— die Wunde ?!?
Vom Personal hat mir noch keiner gesagt was ich mit der Wunde machen soll. Ich erinnere mich aber daran, dass mir ein Freund mal sagte, dass man Wunden an der Stelle mit viel Wasser abduschen soll, damit der angesammelte `Schmodder´ abfliessen kann.
Ich hoffe das stimmt und ich hoffe es kommt jetzt kein braunes Wasser aus der Leitung (das wäre zu krass :-). Ich lege vorsichtig meine Duschsachen übereinander um möglichst wenig Kontakt zu irgendeinem Objekt in diesem Raum zu haben. Nach mir muss man desinfizieren! Ja nee…. iss klar 🙂 !!
Was soll ich sagen? Der nette Doktor O. entließ mich am Freitag. Er hatte in die Akte groß reingeschrieben: NATÜRLICH KANN DER PATIENT DUSCHEN !.
Ich packte meine Sachen und holte den Entlassungsbrief aus dem Stationszimmer.
Die Schwestern waren da und ich kam noch auf die glorreiche Idee von ihrem reichen Erfahrungsschatz profitieren zu können und fragte: „Wie ist das denn nochmal mit den Klammern? Wie lange bleiben die normalerweise drin?“ Sie: „Was für Klammern?“
Ich: „Ja, ich hatte doch die Klammer-OP nach Longo“ Sie: „Sie haben keine Klammern.“
Ich: „Wie, ich habe keine Klammern?“ Sie “ H E L G A !!!
Weisst Du was von Klammern bei der Longo OP? 2.Schwester: “ Nein, was für Klammern?“
Ich: „Mir wurde gesagt es werden Titanklammern eingesetzt die nach ca. 3 Wochen mit
ausgeschieden werden“. Sie: „Ach da ist grad ein Chirurg auf dem Flur, den können wir
ja mal fragen. Wissen sie was von Klammern bei der Longo ?“
Chirurg: „Ja klar, die können bis zu einem halben Jahr drinbleiben und müssen entfernt werden, wenn die nicht rausgehen“ (Ich: schluck, ich geh dann mal besser…Tschüss!)
In der Hoffnung das das mit dem halben Jahr nicht stimmt fiebere ich meinem Nachsorgetermin nächste Woche bei Dr. O. entgegen. Es bleibt also noch spannend.
Ich kenne sehr freundliches und sehr kompetentes Pflegepersonal an deutschen Kliniken.
In grossen Lehrkrankenhäusern mit wechselndem Personal fühlt man sich vielleicht nicht so verantwortlich dafür wie es den Patienten geht. Sowas ist echt schade!
Nächster Gedanke: Wenn es nicht wirklich sein muss, soll ich nächstes Mal überhaupt erzählen dass ich positiv bin ?? Ende