Bayrischer Massnahmen-Katalog 1987

Bayrischer Massnahmen-Katalog  zur Verhütung und Bekämpfung der Immunschwächekrankheit AIDS wurde heute vor 22 Jahren bekannt gemacht mit einer Veröffentlichung im Amtsblatt.

Auf dieses traurige Jubiläum weist Steven Milverton in einem sehr lesenswerten Beitrag hin: „Der Angst-Staat“.

Bayrischer Massnahmen-Katalog – ein skuriler Punkt der Zeit- und Aids-Geschichte? Eine Erinnerung an aufgeregte Tage, an Gauweiler und Gauweilereien, aber letztlich doch Vergangenheit?
Bei weitem nicht, wie Steven Milverton betont:

„Es könnte sich als fataler Irrtum herausstellen, anzunehmen mit dem besseren Wissen über HIV und AIDS wäre das Gauweiler’sche Bekämpfungsinstrumentarium aus den Köpfen verschwunden. Es gibt immer noch Ewiggestrige in durchaus verantwortungsvollen Positionen, die HIVpositive Menschen per se als Kriminelle hinstellen und entsprechend behandeln wollen.“

Kriminalisierung ist kein probates Mittel der Aids-Bekämpfung, HIV ist ein Virus, kein Verbrechen – diese Erkenntnis ist nicht neu, dennoch nicht bei jedermann angekommen. Zu oft immer noch werden HIV-Positive als vogelfrei betrachtet, stigmatisiert, diskriminiert, ausgegrenzt. Wohin das und ähnliche Gauweilerein führen kann – in den „Angststaat“, wie Steven Milverton seinen sehr lesenswerten Beitrag titelt.

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siehe auch
DAH-Blog 24.02.2012: Pogrome statt Kondome
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Gauweiler oder Süßmuth? „Es hätte auch ganz anders kommen können …“ – die Entscheidung über die deutsche Aids-Politik (Video)

„Am Anfang war das nicht entschieden!“ Es hätte auch so kommen können, dass Peter Gauweiler die Linie der deutschen Aids-Politik bestimmt, betont Ute Canaris (BzgA-Cheffin bis 1985).

Heute, im Nachhinein betrachtet, mit dem Blickwinkel einer im wesentlichen erfolgreichen Aids-Politik der letzten 20Jahre, erscheint es beinahe selbstverständlich, dass von HIV hauptsächlich betroffene Gruppen in Information und Prävention einbezogen werden, dass der Staat nicht auf Repression und Verfolgung setzt, sondern auf Information und Aufklärung.

Doch es hätte auch ganz anders kommen könne, wie Dr. Ute Canaris, bis 1985 Leiterin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA), während des Seminars „25 Jahre Deutsche Aids-Hilfe“ am 13.12.2008 im Waldschlößchen berichtet.

Über die Auseinandersetzung zwischen new public health und der ‚Gauweiler-Linie‘ erzählt Canaris:

„Viele Menschen hatten damals Angst, und sie hatten zu Recht Angst. Am Anfang war das nicht entschieden. Es stand eine Zeit lang spitz auf Knopf.“

[flashvideo file=“wp-content/uploads/Videos/Canaris2008121301.flv“ /]

(Video, 1:01 Min, ca. 4,5 MB, leider schlechter Ton)

Prof. Rolf Rosenbrock ergänzt, wie hilfreich und notwendig es war, gerade die homophoben Positionen (sei es nun Peter Gauweiler oder Norbert Geis) nicht nur (schwer angreifbar) implizit, sondern endlich auch explizit geäußert, im politischen Entscheidungsprozeß verwendbar zu haben, um ein breites Bündnis zu errreichen:

[flashvideo file=“wp-content/uploads/Videos/Rosenbrock20081121301.flv“ /]

( Video, 1:33 Min, ca. 5,8 MB, leider schlechter Ton)

„Ziel ist, die Schwulen-Infrastruktur zu zerschlagen“ – Hysterie und Gauweilereien Ende der 80er

Die Zeit von Aids-Hysterie, von Verfolgungs-Phantasien und Ausgrenzungs-Experimenten war auch die Hochzeit des CSU-Politikers Peter Gauweiler und seiner Politik, insbesondere des „Bayrischen Maßnahmen-Katalogs“.

Ende der 1980er Jahre – eine Stimmung, die heute kaum vorstellbar scheint, eine Zeit, in der es als Politiker kaum Probleme bereitete, von einer „Zerschlagung der Schwulen-Infrastruktur“ zu schwadronieren.

Ein Zeitzeugenbericht:

„München war wegen des Kreisverwaltungsreferenten Peter Gauweiler (CSU) bundesweit ein Schreckgespenst. Unterstützt wurde der Law-and-Order-Mann allerdings vom damaligen Oberbürgermeister Georg Kronawitter (SPD). Gauweiler war der Hardliner, der alle möglichen Themen von Absonderung bis Zwangstest ins Gespräch brachte. Er hatte einen Brief ans bayerische Innenministerium geschrieben, um harte Maßnahmen durchzusetzen. Er wechselte dann als Staatssekretär ins Innenministerium, so dass er seinen eigenen Brief beantworten konnte.“

… berichtete Guido Vael unter dem Titel ‚Kondome statt Pogrome‚, und erzählt auch, welche konkreten Folgen dies hatte:

„Gauweiler hatte Angst, mit Praktiken der Nazis, mit der Erinnerung an Konzentrationslager in Verbindung gebracht zu werden. Aber er sagte uns wortwörtlich, dass sein Ziel sei, die Schwulen-Infrastruktur zu zerschlagen. Er ließ die „Spinne“ schließen, ein Transvestie-Lokal, und eine Sauna. Dann wurde vorgeschrieben, dass es in Saunen keine Einzelkabinen geben durfte, die Türen mussten alle offen bleiben, die Lichtstärke der Beleuchtung wurde festgelegt. Ein Lokal, in dem Pornofilme liefen, musste immer um 1 Uhr schließen, anstatt um 3 Uhr wie die anderen.
Die ganzen Repressalien hatten zur Folge, dass viele Schwule aus München weggezogen sind. Die Stadt galt unter uns als ein Ort, den man besser meidet.“

Seine Hardliner-Politik brachte Peter Gauweiler auf den Titel des ‚Spiegel‘ – in dem er mit Hans Halter einen ähnlich gesinnten Unterstützer fand.

Peter Gauweiler - Titel 'Spiegel' und 'Maßnahmen-Katalog'
Peter Gauweiler - 'Spiegel'-Titel in der Ausstellung des RKI

Gauweiler – dieser Name ist für viele Menschen mit HIV bis heute Synonym für Ängste vor Verfolgung, Unterdrückung und Diskriminierung.

Gauweiler plante allerdings nicht (wie des öfteren gemeldet wurde) die Internierung von HIV-Infizierten – wie er im Februar 2008 (!) in einer Gegendarstellung der SZ (jetzt.de) klarstellte ….

Wer den Bayrischen Maßnahmenkatalog von 1987 durchschaut, erschrickt – noch heute. Und wundet sich – warum diese Gegendarstellung? Haben wir damals etwas mißverstanden? Wohl eher nicht, habe ich den Eindruck, gesagt hat er ‚es‘ vielleicht nicht, aber …

Nachtrag:
16.12.2008: über „HIV und der schwarze Peter“ schreibt alivenkickn

Zeitgeist(er) – Skurriles und Nachdenkliches zu HIV

Mit einer Ausstellung erinnert das Robert-Koch-Institut (RKI) an noch gar nicht so ferne Begebenheiten aus der Frühzeit der politischen Auseinandersetzung um den Weg der Aids-Bekämpfung.

„Zeitgeist(er) – Skurriles und Nachdenkliches zu HIV“ – eine Ausstellung zum Welt-Aids-Tag 2008

Das RKI bemerkt zur Ausstellung:

„Im Jahr 2008 feiert die Deutsche AIDS-Hilfe ihr 25-jähriges Bestehen. Dies nimmt das Robert Koch-Institut zum Anlass, einen Blick in die Vergangenheit von HIV zu werfen.
Die Ausstellung „Zeitgeist(er) – Skurriles und Nachdenkliches zu HIV“ wird am Standort Seestraße 10 in 13353 Berlin gezeigt. Zu sehen ist unter anderem ein Teil der zwischen 1987 und 2002 an das Robert Koch-Institut gerichteten Briefe zu diesem Thema, Schlagzeilen der Presse und der damalige Gesetzentwurf von Peter Gauweiler zur Bekämpfung von HIV. Gauweiler war zu dieser Zeit Staatssekretär im Bayerischen Innenministerium.“

Im Flyer zur Ausstellung erläutert das RKI:

„Warum diese Ausstellung?
Der Titel spielt auf die teils sehr skurilen Auswüchse in der Öffentlichkeit nach dem Auftauchen von HIV an. Angst und Panik wurden verbreitet und medienwirksam in Szene gesetzt. AIDS – die Lepra der Neuzeit. Uns ist es ein Anliegen, etwas spürbar zu machen, nachzufühlen was sich in jener Zeit hier in Deutschland abgespielt hat. Manche Schlagzeilen erinnern an Denunziantentum, an Klu Klux Klan, an Hexenverfolgung.“

Thematisiert wird am Beispiel Peter Gauweiler auch, welche Folgen resultieren können:

„Peter Gauweiler, Staatssekretär des Inneren in Bayern, öffnete mit seinem Gesetzentwurf von 1987 zu HIV/AIDS [gemeint ist der sog. ‚Bayrische Maßnahmenkatalog‘, d.Verf.] die Türen für eine Hatz auf HIV-Infizierte. Dieser Gesetzentwurf trug maßgeblich dazu bei, dass HIV-positiv Getestete der von den medien gesteuerten ‚öffentlichen‘ Meinung ausgeliefert waren. Viele der betroffenen begannen sich zu verstecken. Für einige aus dieser Zeit haben sich die Bilder von damals und die Schlagzeilen tief ins Gehirn eingebrannt und wirken noch bis heute nach. Immer noch sprechen hierzulande nur wenige öffentlich übner ihre HIV-Infektion.“

Ausstellungseröffnung am Montag, den 1.12.2008 um 16 Uhr im Robert Koch-Institut Seestraße 10 13353 Berlin. Die Ausstellung kann zwischen dem 01.12.2008 und 31.01.2009 werktags zu den üblichen Bürozeiten (i.d.R. 09:00 bis 17:00 Uhr) besucht werden (ohne Anmeldung)

schneller als vorgestellt

Die 12. Münchner Aidstage (zu Gast in Berlin) wurden am Freitag, 14.3.2008 mit Reden von Bundes-Justizministerin Zypries, DAH-Geschäftsführer Pinzón und der ehemalige RKI-Präsident Kurth eröffnet.

Dr. Hans JägerIn seiner Begrüßung betonte Dr. Hans Jäger, Präsident der „12. Münchner Aids-Tage – zu Gast in Berlin“, die HIV-Prävention ändere sich derzeit „schneller, als wir es uns vorgestellt haben.“ Neben dem aktuellen Beschluss der EKAF, der im Verlauf des Kongresses häufig und kontrovers diskutiert wurde, erwähnte er auch den Bereich der gesellschaftlichen Situation von Menschen mit HIV und Aids. Auch hier spiegele sich der (nicht nur medizinische) Fortschritt, so biete die Allianz neuerdings eine Lebensversicherung für HIV-Positive an, ein deutliches Abbild drastisch gesteigerter Lebenserwartungen mit HIV („Versicherungsmathematiker sind Realisten …“).

Brigitte Zypries, Bundesministerin der JustizBundesjustizministerin Brigitte Zypries hielt die erste der drei Eröffnungsreden. Sie habe die Einladung gerne angenommen, da Aids ja -neben allen medizinischen und gesundheitspolitischen Fragen- auch eine „juristische, und das heißt vor allem auch eine gesellschaftspolitische Herausforderung“ sei.
Sie wies -angesichts auch der gerade stattfindenden Debatten um die Folgen des EKAF-Statements beinahe prophetisch- darauf hin, „erfolgreiche Aids-Bekämpfung hängt auch davon ab, dass hier in Berlin politisch die richtigen Weichen gestellt werden.“ Zypries forderte, Prävention „offen und offensiv“ anzugehen

Luis Carlos Escobar Pinzón, Bundesgeschäftsführer Deutsche AidshilfeDr. Luis Escobar Pinzón, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Aids-Hilfe (DAH) wies auf die Veränderungen in den Paradigmen hin. Damit Prävention glaubwürdig und erfolgreich sein kann, müsse sie sich an aktuellen Forschungsergebnissen orientieren. Daher arbeite die DAH an „differenzierten Risikominimierungsstrategien“. Bei der neuen Kampagne „Ich weiss was ich tu“ werde das Internet eine zentrale Rolle spielen.
Er betonte, das Leben mit HIV werde sich auch in den kommenden Jahren entspannter werden. Deswegen müsse Aidshilfe den Mut haben, sich von einer nicht mehr sachgerechten Dramatisierung der HIV-Infektion zu verabschieden. Wesentlicher sei eine wirksame HIV-Prävention, die sich an der Wirklichkeit des Lebens mit HIV orientiere.

Dr. Reinhard Kurth, Präsident RKI a.D.Dr. Reinhard Kurth, bis November 2007 Leiter des Robert-Koch-Instituts (RKI), erinnerte an die heftigen Auseinandersetzungen um die Richtung der Aids-Politik, die er und das RKI an der Seite der damaligen Gesundheitsministerin Rita Süssmuth gegen die von Strauß und Gauweiler propagierte Linie geführt habe. Der damals verankerten Richtung der deutschen Aids-Politik sei es auch zu verdanken, dass in Deutschland heutzutage im Vergleich sehr niedrige Neu-Diagnosezahlen vorliegen, „um die uns die Nachbarländer beneiden“. Kurth zeigte sich „sehr vorsichtig in der Unterstützung der EKAF“ und ihres derzeit diskutierten Statements.