Menschen mit HIV sind in Deutschland von zahlreichen Versicherungen weitgehend ausgeschlossen. Potenziell zu einer HIV-Risikogruppe gehören zu können, erschwert einer großen Gruppe von Menschen den Abschluss von Versicherungen. Britische Versicherer zeigen, wie unzeitgemäß dieses in Deutschland noch übliche diskriminierende Verhalten zahlreicher Versicherer ist.
HIV-Positive haben in Deutschland seit zwanzig Jahren große Probleme, Versicherungen abzuschließen. Zahlreiche Versicherer fragen in ihren Anträgen nach einem etwaigen HIV-Test sowie dessen Ergebnis. Dies betrifft nicht nur Lebensversicherungen, sondern z.B. auch Berufsunfähigkeits-Versicherungen, Unfallversicherungen oder private Krankenversicherungen. Zudem wird anhand von Risikofaktoren kalkuliert,ob etwa ein Antragsteller potenziell ein hohes Risiko eines ‚Schadenfalls‘ hat – auch hinsichtlich HIV-Infektion und Aids. So wird HIV im Denken von Versicherungen zu einem Risikofaktor, der vielen schwulen (oder als solchen vermuteten) Männern Versicherungen erschwert.
Ein Problem, das weit mehr als ‚belanglos‘ ist. ‚Mit HIV schlechter versichert?‚ oder gar ‚kein Versicherungsschutz wegen HIV‚, vor diesem und ähnlichen Problemen stehen oftmals HIV-Positive – und Menschen, die aus welchen Gründen auch immer potenziell dafür gehalten werden.
Keine Lebensversicherung abschließen zu können – dies ist weit mehr als eine Frage persönlicher Lebensführung und eines Gefühls der Absicherung. So berichtet in dem jüngst von der Deutschen Aids-Hilfe vorgestellten Film ‚Jung Positiv‘ ein junger Mann, der im Kfz-Gewerbe gelernt hat, über gravierende Folgen seines Versicherungsproblems: “Meister machen – der Traum ist geplatzt. Wer gibt mir schon noch einen Kredit, als Positiver? Die verlangen ja eine Lebensversicherung als Sicherheit. Und die bekomm’ ich mit HIV doch nicht.”
Wie entstand diese Situation? Warum diese Versicherungsprobleme, und warum heute noch?
1988 – Am Jahresanfang entscheidet der Verband der Lebensversicherungsunternehmen e.V., für alle Anträge auf Lebensversicherung eine Frage nach einem vorliegenden positiven HIV-Antikörpertest zu empfehlen. Zudem wird für alle Lebensversicherungen über 250.000 DM Versicherungssumme empfohlen, in die dabei fälligen ärztlichen Untersuchung auch einen HIV-Antikörpertest einzubeziehen. Bei HIV-positiven Antragstellern sollte ein Vertragsabschluss abgelehnt werden.
Die Folgen dieses Entschlusses sind weitreichender als zunächst vermutet. Sie betreffen bald nicht nur HIV-positive Menschen direkt. Eine große Zahl Menschen, ob HIV-positiv oder nicht, berichtete bald über Probleme, Versicherungen nur mit Schwierigkeiten abschließen zu können – nicht nur Lebensversicherungen, auch z.B. Berufsunfähigkeits- oder private Krankenversicherungen, gar Unfallversicherungen und (im Leistungsfall) Reisekrankenversicherungen waren und sind betroffen.
Über das so genannte ‚Scoring‘ und andere Verfahren der Risikokalkulation versuchen Versicherer, potenzielle Risiken vor Vertragsabschluss zu erkennen, Antragsteller mit hohen Risiken nicht als Kunden anzunehmen. Da könnte die Kombination „Mann, jung, nicht verheiratet“ schon verdächtig sein – potenziell schwul? Ist gar als Begünstigter zudem auch ein Mann angegeben, werden vielleicht gar ‚verdächtige‘ Vor-Erkrankungen wie Syphilis oder Hepatitis angegeben, ist es unter Umständen schnell vorbei mit dem angestrebten Versicherungsschutz. Und wenn gar ein HIV-Test gemacht wurde, selbst wenn der negativ ausgefallen ist, das sagt doch was – und da wollen Sie versichert werden?
Die Merkmale ’schwul‘ oder ‚potenziell HIV/Aids‘ sowie die dahinter liegenden Risiko-Algorithmen als Filter-Faktoren des Risiko-Scorings wurden selten nachweisbar publik – immer wieder wurde und wird jedoch vermutet, dass einige Versicherer weit über die konkrete Frage nach dem HIV-Status hinaus auf diese oder ähnliche Weisen versuchen, schwule Männer als Kunden (als ‚Risiken‘) zu vermeiden.
Doch inzwischen haben sich die Lebensrealitäten HIV-Positiver verändert. Eine Vielzahl an Medikamenten ist zugelassen, und auch wenn die HIV-Infektion letztlich immer noch potenziell tödlich ist, nähert sie sich doch immer weiter einer chronischen Infektionskrankheit an. Die Lebenserwartung von HIV-Infizierten, Ende der 1980er Jahre oft nur mit wenigen Jahren bemessen, erreicht heute in westlichen Industriestaaten oftmals fast die statistisch ’normale‘ Lebenserwartung.
Die Situation des Lebens mit HIV hat sich verändert – doch bei der Frage, ob HIV-Positive eine Lebensversicherung abschließen können, herrschte lange Stillstand. Nun scheint sich langsam auch hier Veränderung abzuzeichnen.
So bemerkte Hans Jäger bei den ‚Münchner Aids-Tagen in Berlin‚ 2008, inzwischen biete die Allianz als erster deutscher Versicherer auch eine Lebensversicherung für HIV-Positive an. Die Allianz hat dies bisher m.W. nicht bestätigt.
Weiter sind Nachbar-Staaten: so bietet der Verband der britischen Versicherer Interessenten einen Ratgeber an unter dem Titel „HIV and life insurance – A consumer guide for gay men“ (pdf). Dort heißt es, schwule Männer seien in der Vergangenheit von Versicherern oftmals unfair behandelt worden. Insbesondere sollen zukünftig Menschen in Lebenspartnerschaften nicht anders als verheiratete Paare behandelt werden. Gezielt wird darauf hingewiesen, dass Fragen nach Homosexualität nicht länger akzeptabel seien, bestimmte Berufe nicht mehr als Indikator für höheres HIV-Risiko betrachtet würden, vielmehr eine fallweise Beurteilung erforderlich sei. Die Tatsache eines HIV-Test werde nicht per se als negatives Kriterium bewertet, und auch mit positivem HIV-Test gebe es spezielle Versicherer, die u.U. Lebensversicherungen anbieten würden.
Zudem hat der selbe Verband einen Ratgeber für Menschen herausgegeben, die in Ländern mit hoher HIV-Prävalent gelebt oder dorthin gereist sind (pdf) – ein Thema, das in Deutschland zwar auch Versicherungen erschwert, aber selten wahrgenommen wird.
Lebensversicherungen auch für Schwule, auch in Lebenspartnerschaften, auch ohne HIV-Test – was in Deutschland wohl immer noch ein großes Problem darstellen dürfte, ist in Großbritannien nicht nur möglich, sondern sogar mit hohen Versicherungssummen machbar. So bemerkt pinknews: „Two companies, Royal Liver and Bright Grey, were praised for their industry-beating limit of £1,000,000 of cover without HIV testing for gay men within a civil partnership.“
Der pauschale Versicherungs-Ausschluß für HIV-Positive und die resultierenden Risiko-Kalkulationen und Spekulationen einiger Versicherer scheinen nicht mehr zeitgemäß. Sie sind diskriminierend, beeinträchtigen weit mehr als hinnehmbar die individuelle Lebensplanung zahlreicher Menschen und stellen ganze Gruppen unter Generalverdacht. Es ist dringend an der Zeit, dass die Versicherungsbranche reagiert.
Nebenbei, befürchtete Stigmatisierung und Diskriminierung sind zwei der Faktoren, die Menschen daran hindern, einen HIV-Test zu machen, so von ihrem HIV-Status zu erfahren (und z.B. ggf. auch rechtzeitig behandelt werden zu können). Ein undifferenziertes Aussortieren, eine pauschalisierende ‚Risikokalkulation‘ über das Ausschliessen ganzer Kundengruppen können so auch dazu beitragen, dass HIV-Prävention unnötig erschwert und beeinträchtigt wird. Ganz abgesehen davon, dass sie das Bild, das die Gesellschaft sich von HIV-Positiven macht, auch nicht gerade positiv beeinflussen …
Nachtrag
25.11.2008: koww hat bei der Allianz nachgefragt – mit dem Ergebnis „kann ich Ihnen für der Fall HIV positiv keinen Versicherugsschutz anbieten.“ koww, danke der Nachfrage – nu werd ich mal bei Dr. Jäger nachhaken …
28.11.2008: Dr. Jäger teilt per Email zum Thema Lebensversicherung für HIV-Positive mit „Hier hat sich inzwischen Einiges getan. Eine – wie ich meine – vollständige Zusammenfassung wird Mitte Januar 2009 zur Verfügung stehen“. Sobald diese ‚Zusammenfassung‘ vorliegt, werde ich weiter berichten.